Quelle: Archiv MG - EUROPA AUSTRIA - Unsere neutrale Ostmark
zurück Österreich hat gewählt:"WIE GEHT ES WEITER?" - DAS IST DOCH KEINE FRAGE!
1. Wird seit dem Wahlsonntag in Österreich nicht mehr gearbeitet? Nicht mehr entlassen? Werden keine Steuern mehr eingezogen, keine Sozialfälle mehr produziert und an ihnen eingespart? Werden un- sere Unternehmer nicht mehr gefördert und keine Profite mehr er- zielt? Garantieren Gesetz, Rechtsprechung und Polizei nicht mehr, daß alles wie gewohnt weitergeht? Quatsch. So hat zurecht niemand die aufgeregte Frage mißverstan- den, die die politischen Wortführer und ihre journalistischen Stichwortgeber zeitgleich mit den ersten Hochrechnungen ausgege- ben haben. Seit wann entscheidet sich denn in W a h l e n, was der Bevölkerung gut täte? 2. Die hat ihre Pflicht als Stimmvieh getan und ein exaktes Ergebnis der Nationalratswahlen hingekriegt: SPÖ 43,3%, ÖVP 41,3%, FPÖ 9,7%, Grüne 4,6%, Sonstige 1%. Macht zusammen 100% Zustimmung, daß es weitergeht. Das Regieren. Und das Gehorchen, ganz egal, wie einem die Regierungsmaßnahmen schmecken. K l a r e V e r h ä l t i s s e also, was das Verhältnis zwi- schen der politischen Herrschaft und ihren Untertanen betrifft. Die Politiker können weiterhin ungestört ihre Staatsnotwendigkei- ten durch setzen und die Otto Normalwähler dürfen sich als Be- troffene ihre unmaßgebliche Meinung dazu bilden. Bis zur nächsten Stimmabgabe. 3. Bleibt- noch eine Kleinigkeit. Das österreichische Wahlvolk hat den Anspruch der Parteien auf eine souveräne Ausübung der Regie- rungsgewalt ohne das rechte Gespür für die k l a r e P o s t e n a u f t e i l u n g zwischen Regierungs - und Reser- vemannschaft bedient. Anstelle der bequemen Inbesitznahme der Macht durch eine siegreiche Partei bringt die Wahlarithmetik die Konkurrenz der Parteien um die Macht erst so richtig in Schwung. Und damit das Ausdeuten des Wahlergebnisses, welche Partei mit welchen Typen an der Spitze mit Fug und Recht die Regierungsge- walt beanspruchen kann. Im Namen des Wählers, Österreichs, der Regierbarkeit, der breiten Einheit... Bis dann die eine mit der anderen, die andere mit der dritten oder alle zusammen dran sind. Spannend, was? Für politische Un- terhaltung ist gesorgt und die Untertanen dürfen mitspielen. Kaum hat der Wähler gewählt, wird er schon wieder meinungsbefragt, was er mit seinem Wahlkreuz eigentlich gewollt hat: Große Koalition, kleine Koalition, Konzentration oder gar eine Minderheitsregie- rung? Irgendwie müssen sich die Leute sehr sicher sein, daß es beim Wählen und Regieren sowieso nicht um eine Beförderung ihrer In- teressen geht. Und sich gleichzeitig die blöde Einbildung lei- sten, die Staatsmänner hätten mit dem Ausüben der Macht den Stil - und Geschmacksfragen ihrer Untertanen nachzukommen. Die Politi- ker bedanken sich für diese Anteilnahme an ihrer Herrschaft und beweisen Stil. 4. Die SPÖ regiert inzwischen und will das auch in Zukunft tun. Schließlich ist sie ermächtigt, 10% minus hin oder her. Aber nicht allein. Deshalb will Vranitzky "den Weg gemeinsam geben" und zusammen mit seinem Konkurrenten um die Kanzlerschaft regie- ren. 43 und 41 kann Vranitzky zusammenzählen. Das ergibt für ihn nach demokratischer Rechenregel eine satte Mehrheit, die von ihm regiert werden möchte und keine große Oppositionspartei im Parla- ment haben will. Der Wähler wünscht nämlich nicht, daß die "einschneidenden Maßnahmen", die auf ihn zukommen, von parlamen- tarischen Oppositionsspäßen begleitet oder gar gestört werden. Eine SPÖ in der Opposition käme aber nicht umhin, gegen Regie- rungsmaßnahmen, für die sie brennend gerne selbst "verantwortlich" sein möchte, ein wenig wählerwirksam anzustän- kern. Warum? Damit bei den nächsten Wahlen wieder die SPÖ mit dem Regieren dran ist. Der Wähler wollte sich das ersparen und hat gleich Vranitzky seine 43% Vertrauen geschenkt. Deshalb hat Vra- nitzky einfach ein Recht darauf, daß der Mock als Vize mit ihm koalieren will. 5. Die ÖVP will selbstverständlich beim Regieren dabeisein. Schließ- lich ist auch sie ermächtigt. Deshalb möchte sie am liebsten ein Verfassungsgesetz, das ihr Grundrecht auf Regierungsmacht ein für allemal verbürgt. Mock und Graff können noch besser addieren als die SPö: A l l e Parlamentsmandate zusammengezählt, das ergibt den 150%igen Wählerwillen nach konzentrierter Regierungskraft. Wer wählt, will sowieso keine Opposition, sondern eine Regierung. Andererseits versteht sich die ÖVP auch auf die sozialdemokrati- sche Rechnungsart, daß rot und schwarz glänzend harmonieren und ein bißchen blaugrüne Opposition einer Demokratie nicht schlecht zu Gesicht steht. Der einzige Wermutstropfen bei dieser nahelie- genden Pfründeverteilung: die ÖVP muß sich mit dem Vize-Führer begnügen. Deshalb hält sie sich noch eine dritte Rechnung offen. 77 + 18 = 95, also mehr als die Hälfte von 183 und damit auch eine Möglichkeit, die "Wende zum Besseren" zu vollziehen und so- gar den Kanzlerposten zu ergattern. "Können" tun es die christli- chen Politiker von der moralischen Erneuerungsfront auf alle Fälle mit jedem. Wie sie's gerne w o l l e n, das hängt einzig von den politischen Manövern, Berechnungen, Erpressungen ab, die dann eindeutig klarstellen, welche Herrschaftskonstellation es dem Wählerwillen letztlich gerade recht macht. 6. Voll zufrieden mit dem Wahlergebnis ist die FPÖ. Das Auswechseln ihres Führungspersonals hat der Wähler mit der Verdoppelung sei- ner Wahlkreuze belohnt; und für das Kunststück, als Regierungs- partei einen strikt oppositionell geführten Wahlkampf zu gewin- nen, wird Jörg Haider allenthalben zum politischen Genie hochge- jubelt. Nach der Wahl wird er diesem Ruf gerecht, indem er sich alles offen hält. Ob seine 18 Parlamentarier die Regierung un- barmherzig "vor sich hertreiben", indem sie jede Staatsmaßnahme mit ihrem oppositionellen Senf begleiten, oder ob sie eine Regie- rung voranbringen, in der sie selber drin hocken: das macht der "freche Jörg" davon abhängig, ob ihm eine entsprechende Einladung zugestellt wird. Die "dritte Kraft" im Lande bleibt auch unter ihrem neuen Obmann ihren Prinzipien treu: saubermännische Opposi- tion statt Mittäterschaft als Vizekanzler - es sei den, man wird es. 7. Und die Grünen? Denen hat Jörg Haider einige "Protestwähler" und damit die Schau gestohlen. Aber immerhin: mit acht Mandaten ist sie jetzt mit dabei, die grünalternative Heimatliebe. 7 Jungs und ein älteres Mädel, die ins Hohe Haus wollten, haben es auf Anhieb geschafft. Ein schöner Erfolg, zumindest für sie. Und weitere Er- folge zeichnen sich schon ab: das Parlament wird endlich roll- stuhlfreundlich! Damit die Würde eines grünen Abgeordneten nicht an einer behindertenfeindlichen Parlamentsarchitektur zuschanden wird. Worauf noch darf sich der Grün-Wähler freuen? Fast wäre er mit Parlamentsansprachen in slowenisch verwöhnt worden; aber das verbietet leider (noch) die Geschäftsordnung, in deren Rahmen wohl demnächst ein paar grüne Abänderungsanträge debattiert wer- den dürften. Doch damit nicht genug: Eine Minderheitsregierung hätten die Grünen glatt großzügig dulden wollen. leider hat sich kein Kanzler gefunden, der sich von Frau Meissner-Blau dulden lassen wollte. Aber wie gesagt. Hauptsache sie sind drinnen, die Grünen im Par- lament. Denn dadurch hat der Grünwähler mit seiner schärfsten Waffe, mit seiner "Proteststimme" dafür gesorgt, daß es m i t grünen Respektspersonen genauso weitergeht wie bisher o h n e grüne Repräsentanten. Oder doch nicht ganz genauso: Ab sofort darf sich jede Staatsmaßnahme mit einem grünen Unbedenklichkeits- zeugnis schmücken - oder aber mit acht echt verantwortungsbewuß- ten Nein-Stimmen verzieren. Was macht zumindest die Demokratie schon fast so sauber, wie die Grünen ihre komplette Umwelt gerne hätten. Das hat der Wähler davon. 8. Wie es weitergeht, ist also wirklich keine Frage. Die großen und kleinen Machthaber berufen sich auf den Wähler - als Ausweis da- für, daß sie es sind, die was zu melden haben. Ihre Koalitions- und Oppositionsintrigen wickeln sie genauso im Namen des Wählers ab wie die Durchsetzung des Staatsprogramms, das ohnehin nicht zur Wahl stand. Was aus der Wahl folgt, hat einer, der es wissen muß, bündig zusammengefaßt: "Regiert muß werden." (Bruno Kreisky) D a f ü r werden Wahlen überhaupt veranstaltet. D a s ist der einzige "Auftrag", den die Wähler den gewählten erteilen. zurück