Quelle: Archiv MG - EUROPA AUSTRIA - Unsere neutrale Ostmark


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 6, 27.11.1979
       
       Österreichischer Vizekanzler an der Uni
       

ÖKONOMIE IN BREMEN, POLITIK IN DEN ALPEN

Donnerstag, 22.11.: Vor der Mensa Polizei und unauffällig auf- fallende Sicherheitsbeamte. Hohe ausländische Politik gibt sich die Ehre im Theatersaal der Bremer Wissenschaft, vielleicht auch umgekehrt. Jedenfalls ist Dr. Androsch, Finanzminister und Vize- kanzler eines "kleinen" Alpenlandes so Androsch über seinen Re- gierungsbezirk an die Universität gekommen, um mit sich über "Theorie und Praxis der Vollbeschäftigung" diskutieren zu lassen. Neben den Gastgebern Wittkowsky und Senator Scherf sitzen auf dem Podium der eilig zusammengekarrte, wenig ausgewogene ökonomische Sachverstand der Bremer Uni: Hickel, Kalmbach, Roloff, Leithäu- ser, Kurz. Das etwas kärgliche Drum und Dran dieses sicher außer- etatmäßigen Staatsaktes im kleinen Saal mit den blauen Flug- zeugsesseln veranlaßte den Rektor in seiner Begrüßungsansprache zwar zu dem Hinweis, die Festgemeinde wie die Podiumsdiskutanten mögen die Standortwahl um Gottes Willen nicht als Affront verste- hen. Schon gar nicht sollten sie fahrlässige Schlußfolgerungen aus der Tatsache ziehen, daß man sich im T h e a t e r saal ver- sammelt hatte. Das Schlimmste konnte er mit diesem Introitus al- lerdings nicht verhindern. Der Vertreter der Arbeiterkammer (Herr ?, der Name war nicht zu verstehen, es gab keine Mikrophone) sagte gleich offen, was gespielt wurde. "Wir wollen hier Politiker, Praktiker und Theoretiker zusammen- bringen, um sie-einander näher zu bringen." Der Auftakt eines gewissen Dr. Haller fiel entsprechend freund- lich aus, um den Staatsgast aus dem kleinen Nachbarland nicht zu nahe zu treten: "Österreich geht es glänzen. Sie haben ja nichts, keine Stahlindastrie, keine Werften (Androsch streicht sich mit der Hand übers Gesicht und blickt zu Boden), also auch keine von den Problemen, die wir hierzulande haben." Damit hatte der Dozent seine Diagnose eines europäischen Nord- Südgefälles schon vorgestellt, die sich in dem Gedanken zusammen- faßt, daß, wo nichts ist, auch nichts kriselt. Peinliches Räus- pern im Saal ermunterte den Experten zur Fortsetzung seiner These vom glücklichen Österreich mit "seinem schönen Fremdenverkehr". Nur 2% Arbeitslose, dazu 5% Wachstum und die Gewerkschaften mit einem "festen Sozialpakt" ordentlich im Griff. Das traf ins Schwarze und wurde von dem Österreichischen Herrn im Nadelstrei- fenanzug sichtlich goutiert, weil ihm bescheinigt wurde, daß er daheim im Alpenland über dasselbe politische knowhow der Ausbeu- tung verfügt wie der Helmut mit der Mütze aus dem industriali- sierten Nachbarland. Weil eine Kontroverse zum Thema angekündigt war, meldete sich Professor Roloff zu Wort: Ob Herr Androsch beim "Durchstarten" nicht daran gedacht habe, daß Staatsverschuldung letztlich doch bei der Konsolidierung der Finanzen wieder Abbau von Leistungen bedeute, und ob er überhaupt wisse, wer hinterher das dicke Ende tragen müsse? Die ganze Schwäche dieses Beitrags lag nicht so sehr in seinem Blödsinn, in der Staatsverschuldung einen Ware und Dienstleistungskorb für die lieben Österreicher zu sehen, der ih- nen dann hinterher - warum eigentlich? - wieder weggenommen wer- den müßte. Vielmehr hatte der Theoretiker einfach nicht beachtet, daß er es mit einem Praktiker zu tun hat, der weiß, daß sich für so etwas nicht einmal der österreichische Staat verschuldet. Roloffs Dilemma wollte er darin schon gar nicht sehen. Erstens verbat sich der Staatsmann die "seantische Differenzierung" - soll heißen, wenn Unternehmen sich etwas pumpen, steht in Ökono- mie-Lehrbüchern "Fremd f i n a n z i e r u n g", wohingegen der Staat "S c h u l d e n" mache. Zweitens gebe es ja dank Staats- ausgaben einen Boom und ob die Bremer Ökonomen - Arbeitslosigkeit vorzögen, stocherte der Vizekanzler in der Gegengutachtermentali- tät der deutschen Jungprofessoren herum, über die er offenbar noch kurzfristig informiert worden war. Das war der Einstieg für Professor Hickel, der sauertöpfisch an seinem Kinnbart nestelte, weil soeben wieder das Gutachten des Sachverständigenrates Schlagzeilen machte, statt der siebten (oder war es die neunte) Auflage seines und seiner Kollegen Ge- gengutachten. Haben sie nicht eigentlich das gemacht, was ich seit Jahren der Bundesregierung predige, wenn, auch eher "austro- -keynesianisch", also nicht ganz so, wie ich's mir gedacht habe? Er spielte auf seine These an, daß die Förderung des Kapitals nur gelingt, wenn der Staat mit seinen Investitionshilfen dafür sorgt, daß die Konjunktur nicht am "Arbeitsmarkt vorbeidonnert." Senator Scherf traf mit seinem einzigen nennenswerten Beitrag die Situation tatsächlich richtig, als er feststellte, daß "wir es hier mit einem heimlichen Co-Referenten zu tun haben." Herr An- drosch wurde deutlicher und verbat sich den gegenökonomischen Firlefanz. "Ich habe nur durchgestartet", wiederholte der Öster- reicher souverän und machte den Bremer Sachverständigen darauf aufmerksam, daß auch in der österreichischen Republik und Politik das Ziel "Vollbeschäftigung" nur eine Ecke im magischen Viereck der Ökonomie darstellt, wenn auch, wie in jeder Rede zu diesem Thema, eine außerordentlich "primäre" Ecke. Er hatte die Sache mit den wirtschaftspolitischen Idealen von wegen Gleichgewicht in der Zahlungsbilanz, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und wirt- schaftliches Wachstum voll drauf, der Finanzminister Androsch, weil er sie als Politiker und Praktiker brillant zu umgehen weiß. Denn auch in der österreichischen Schibrettproduktion kommt es nur auf eine Ecke als Ziel an: Wachstum. Den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung über "mixed policy, deficit-spending mit Ober- und Untergrengen, beg- gar-my-neighbour-Politik" den der Vizekanzler allein bestritt, hat das Publikum einschließ- lich des Stuga-Vertreters aus dem Fachbereich Ökonomie nicht über die volle Distanz wachen Auges überstanden. Letzterer wachte noch einmal kurzzeitig auf, als der Österreicher die Investitionen in Bauernhäuser und Blumenkästen für den Fremdenverkeh - "Wir in Österreich haben in Sauberkeit unseres Landes inve- stiert!" als Ansatz "politischer Produktion" jenseits der Alpen feiern ließ. Einerseits waren sich Theoretiker und Praktiker sicherlich näher gekommen, wie die mehr als mäßige Stimmung im Saal wie auf dem Podium Formalisierte. Den an dieser Universität gepflogenen Um- gang mit wirtschaftspolitischen Idealen beherrscht selbst ein österreichischer Vizekanzler lässig. Andererseits hatte der Poli- tiker jedoch klargestellt, daß auch im Alpenland Politik nicht in Lehrbüchern steht, sondern ihre eigenen Gesetze hat, die nicht beherzigt, sondern durchgesetzt sein wollen, worauf beide Seiten beschlossen, so weiterzumachen, wie bisher. Um den kleineren Miß- helligkeiten zu begegnen, die diesen Konsens überschatteten, wurde den Bremer Diskutanden nach bislang unbestätigten Meldungen je ein Paar zollfreie original österreichische Fischer-Schi zugeeignet. Ob die anwesenden Professoren auch das Angebot eines Gaststipendiums für die Uni Innsbruck angenommen haben, um sich dem Studium des Modell Österreich intensiver zu widmen, ist bis zur Stunde nicht bekannt. zurück