Quelle: Archiv MG - EUROPA AUSTRIA - Unsere neutrale Ostmark
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Bruno Kreisky in Österreich
EIN KANZLER FÜR SCHWERE ZEITEN
Unlängst hat der "Spiegel" nach Jahren abgeklärter Bewunderung
für den "aufgeklärten" Staatsmann in Wien am Lack des Nachbar-
kanzlers zu kratzen begonnen. Die Story über die "marode Alpenre-
publik" hat zwischen Bregenz und dem Neusiedler See die Presse
mobilisiert, die sich mit dem Tenor vor ihr Staatswesen stellte,
die Deutschen hätten es gerade nötig. Daß es mit dem Bonner Kanz-
ler auch nicht mehr weit her ist, dazu mußte man nur denselben
"Spiegel" zitieren, der Kreisky "Abnutzungserscheinungen" vor-
rechnete. Der österreichische Nationalismus gefällt sich seit je-
her darin, den Umstand, daß der neutrale Kleinstaat kein Macher
des Imperialismus, sondern Nutznießer westlicher Herrschaft auf
dem Globus und auf dem Weltmarkt ist, deshalb weder politisch
noch ökonomisch mit der BRD mithalten kann, dafür aber auch einen
geringeren Preis für die Freiheit entrichten muß, noch dazu immer
erst ein paar Jahre später, als besonderes Geschick der Nation,
ihrer Politiker und der Österreicher überhaupt zu beschreiben.
Die von den führenden Staaten des Westens beschlossenen "schweren
Zeiten", mit denen den Bürgern der politische Beschluß mitgeteilt
wurde, daß die Politik angesichts ihrer weltweiten Ziele auf ihr
privates Auskommen noch weniger Rücksicht zu nehmen gedenkt als
bisher schon, diese "Krise" trifft Österreich jetzt dadurch, daß
sich seine Ökonomie einer schärferen Gangart in der internationa-
len Konkurrenz ausgesetzt sieht. Der Kanzler an der blauen Donau,
der mit sozialdemokratischer Reformpolitik 6 Jahre vor seinem
Bonner Kollegen ans Ruder kam, kratzt folglich jetzt ebenfalls
mit ein paar Jahren Verspätung die Kurve vom gemütlichen "roten
Monarchen" zum beinharten Krisenverwalter, und ähnlich wie
Schmidt vor 2 Jahren gilt er als haushoher Favorit für die Natio-
nalratswahlen von 1983. Während die SPD jedoch beim Übergang von
der Reformpolitik zum Krisenmanagement die führende Figur aus-
wechselte, ist Bruno Kreisky ein Mann für alle Jahreszeiten, was
ihn nicht nur zum erfolgreichsten österreichischen Nachkriegspo-
litiker, sondern auch zum dienstältesten europäischen Regierungs-
chef werden ließ.
"Kreisky hat sich voll durchgesetzt"
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1970 versprach Kreisky mehr Gesundheit.
1982 verspricht Kreisky, daß er gesund bleibt.
1970 versprach Kreisky den Kampf gegen die Armut.
1980 versichert Kreisky, daß es in jeder Gesellschaft Armut gäbe.
1970 versprach Kreisky Mitbestimmung in allen Lebensbereichen.
1982 bestimmt Kreisky auch weiterhin in allen Lebensbereichen
mit.
Der erfolgreichste österreichische Nachkriegspolitiker hat den
Wahlkampf eröffnet.
Die österreichische Öffentlichkeit widmet sich seit Wochen sor-
genvoll der Gesundheit ihres alternden Kanzlers und bringt ihre
Übereinstimmung mit dessen Politik in dem ernstgemeinten Tadel
vor, am Alten "Regierungsmüdigkeit und Lustlosigkeit" festge-
stellt zu haben. Bei einer solchen Sorte Berichterstattung kann
sich der Kanzler auf das nötige Maß an Untertanenmentalität ver-
lassen. Die Hofberichterstattung goutiert die demonstrativ ge-
wählte schärfere Gangart ihres Herrn gegen Parteiopposition und
Wählerwillen als deutliches "Signal für eine neue Lebendigkeit"
des Kanzlers "nach Monaten der politischen Zaudrigkeit".
Der Volkswille demokratisch: zu dürfen, was man muß
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Womit versucht der Kanzler sein Wählervolk von der Notwendigkeit
weiterer 4 Jahre Kreisky zu überzeugen? Zunächst wartet er mit
der öffentlichen Klarstellung auf, wofür ein demokratischer Poli-
tiker den zu "Sachfragen" einberufenen Volkswillen benutzt: als
Mittel der Herrschaftsausübung.
Daß sich dabei ein Demokrat durch die "Störrigkeit" des Herrn
Volk, der in Sachen Zwentendorf und UNO-Konferenzzentrum die von
ihm verlangte Zustimmung zum beschlossenen Programm verweigerte,
nicht von "Notwendigkeiten der Politik" abbringen läßt, hat
Kreisky mit der jahrelangen öffentlichen Diskussion über die be-
ste Methode der Mißachtung des Atomentscheids zur Genüge bewie-
sen. Der öffentlichen Besprechung, wie man den Volkswillen im
Parteienstreit um die Öffnung des Atomkraftwerks Zwentendorf nut-
zen kann, hat der Kanzler in seiner ersten Wahlrede einen neuen
Maßstab gegeben: Er denunziert d e m o n s t r a t i v das
Volksabstimmungsergebnis als Unreife des Stimmviehs, dem es vom
Standpunkt des nationalen Wohls entgegenzutreten gelte, und macht
aus dieser noblen Pflicht noch ein Argument für s i c h.
Kreisky räumt dabei mit dem demokratischen Schein auf, daß der
Wählerwille eine andere Aufgabe hätte als das zu wollen und zu
bestätigen, was der Kanzler mit ihm vorhat. Und wo das Volk die-
ser Staatsbürgerpflicht nicht mit der genehmen Antwort nachkommt,
wird ihm die Souveränität seiner politischen Repräsentanten durch
seinen Kanzler klargemacht:
"Bis zu den nächsten Wahlen fühle er sich an das Sperrgesetz ge-
bunden, in der kommenden Legislaturperiode aber wolle er eine Re-
vision erreichen, sagte der Kanzler."
Krise - die moderne Schicksalsgemeinschaft
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Für die Notwendigkeit von 6 österreichischen Atomkraftwerken ar-
gumentiert der Kanzler mit der modernen Variante der demokrati-
schen Erzlüge von der Interessenidentität zwischen dem Bürger und
seiner Herrschaft: der K r i s e.
"Das Land befinde sich in einer schwierigen Lage, man müsse eine
ganze Reihe von Betrieben zusperren, wenn wir so weitertun
(gemeint ist der Verzicht auf AKW)."
Natürlich weiß jeder, daß die großen Pleiten bei EUMIG, Klima-
technik, Kneissl etc. nicht wegen des f e h l e n d e n Atom-
stroms passierten. Streng nach der Methode, immer das
F e h l e n dessen, was es gerade politisch durchzusetzen gilt,
als den Grund allen Übels anzuprangern, hat Kreisky aktuell den
nicht vorhandenen Atomstrom als Krisenverursacher auf die Tages-
ordnung gesetzt. Die Logik des Arguments von den "Zeiten wie die-
sen", die heutzutage als Grund für sämtliche innen- und außenpo-
litischen Entscheidungen herhalten muß, zielt in ihrer Idiotie
auf einen vollpolitisierten Adressaten, der sich bei jeder poli-
tischen Tat nur eine Sorge macht: die um sein geliebtes Öster-
reich. Demnach muß man sich die Nation in Gefahr vorstellen.
Freilich kommt in diesen "erschütternden" Zuständen die SPÖ-Re-
gierung gar nicht erst vor. Sie steht diesem selbstgemalten Bild
des drohenden nationalen Bankrotts als O p f e r wie jeder an-
dere Bürger gegenüber. Allerdings mit dem ungeheuren Nachteil ge-
genüber dem normalen Alpenrepublikaner ausgestattet, daß Kreisky
und sein Team als die eigentlich Leidtragenden unter Aufbietung
all ihres politischen Sachverstandes und den hohen Erfahrungswer-
ten des "elder statesman" zur Bewältigung dessen antreten, was
ihnen im Krisengedanken als unverschuldeter nationaler Schick-
salsschlag gegenübertritt.
So stellt sich Kreisky als kompromißloser Retter des angeschlage-
nen Österreichs dar. der Vertrauen für die Fortsetzung der nun-
mehr 12 Jahre betriebenen Politik fordert, die mit der aktuellen
"Krisenlage" nicht das Geringste zu tun hat. Mit der einfachen
Behauptung, daß Politik nicht mehr so einfach ginge, führt sich
Kreisky als kompetenter und aufopferungsvoller Politiker wider
die angeblichen Schwierigkeiten auf und verordnet dem Volk souve-
rän die "Lage", die er gerade zu bemeistern angibt. Mit der ideo-
logischen U m k e h r u n g des staatlichen Umgangs mit seinem
Volke profiliert sich Kreisky mit der D e m o n t a g e der
"Reformpolitik" und des sozialen Netzes, was beides als originäre
Leistungen Kreiskys auf dem "österreichischen Weg" gehandelt
würde. Die Umkehrung besteht darin, daß der Staat bei der Erfül-
lung seiner sozialen Anliegen in Nöte geraten wäre, weswegen er
s i c h bei der Beförderung seiner Bevölkerung beschränken
müsse. Das Volk kommt in dieser Darstellung als eine Last vor,
die dem Staat das Regieren schwer macht. So hat der Kanzler sich
sein Volk für die nächsten 4 Jahre zurechtdefiniert, wie er es
gerne haben "möchte": ein Volk, das die im Zuge der
"Krisenbewältigung" einhergehenden Einschränkungen der Konsumtion
auszubaden hat, weswegen es ihm auch gleich seine Stimme bei der
nächsten Wahl geben soll.
"In dieser Situation werde man also 'wieder einmal die Bevölke-
rung fragen müssen'."
Der Staatsbürger bekommt somit die seltene Gelegenheit, vom
Standpunkt des Kanzlers, der er nicht ist, sich über die Lästig-
keit seiner eigenen Existenz als Volkskörper klar zu werden. Un-
verhüllte Arroganz der Macht - das ist 1983 auch in Österreich
eine Stimme wert!
...und als österreichischer Staatsmann in der Weltpolitik
DER ÖSTERREICHISCHE WEG GEN OSTEN
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Daß die Neutralität ein politischer Zustand ist, in dem ein Land
unbehelligt vom Unbill der "Weltlage" seinen Handel zum nationa-
len Gedeih betreibt, Völkerfreundschaften nach eigenem Gutdünken
schließt oder es auch bleiben läßt, widerlegt der österreichische
Bundeskanzler derzeit mit seinem verständnisheischenden Eintreten
für eine Beibehaltung der Entspannungspolitik entgegen den Kon-
junkturen in der Ostoffensive, wie sie die amerikanische Regie-
rung für die NATO vorgesehen hat. Wenn Kreisky im nationalen In-
teresse für die Fortsetzung des Osthandels plädiert, trägt ihm
das härteste Kritik von seiten des freiheitlichen Journalismus
ein - was von Österreichs Nachrichtenmagazin "profil" bis hin zur
"linken" taz reicht -, weil er über einer mehr als unsicheren
wirtschaftlichen Paktiererei mit dem Osten die großen politischen
Aufgaben des Westens boykottiere:
Ein gemäßigter Politiker
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In der öffentlichen Meinung des Westens wird Bruno Kreisky als
gemäßigter, konsensbereiter Außenpolitiker gehandelt und kriti-
siert. Warum eigentlich?
"profil: Sie sagen: 'Wir dürfen einem Regime, das gegen sein Volk
kämpft, nicht die Hand reichen.' Das ist meinem Gefühl nach sehr
feige und opportunistisch formuliert. Müßte die Erklärung eines
mutigen, westlichen Sozialdemokraten und freiheitsliebenden
Staatsmannes nicht - um in Ihrem Bild zu bleiben - lauten: 'Wir
müssen einem Regime, das gegen sein Volk kämpft, die Faust zei-
gen!'?
Kreisky: Die Faust können Sie zeigen. Aber es ist eine sehr
machtlose Faust."
Das öffentliche Ärgernis über die Feigheit ihres Kanzlers vor dem
Feind hat mit der betriebenen Polenpolitik Österreichs nur sehr
bedingt zu tun. Das Urteil spiegelt vielmehr die Radikalität der
Gegnerschaft österreichischer Pressefritzen zum Ostblock wider,
die die Verschärfung im Umspringen des Westbündnisses mit dem
Osten nicht nur ungezwungen mitmachen, sondern in ihrer Militanz
auch noch übertreffen. Es ist die Radikalität einer m o r a l i-
s c h e n Verurteilung p u r des östlichen Unrechtssystems,
die jede politische Konfrontation unterhalb des Einsatzes der
ä u ß e r s t e n Waffe als Zaudrigkeit und politische Klein-
geisterei verurteilt:
"Kreisky: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man interveniert,
das heißt Krieg...
profil: ...Atomkrieg...
Kreisky: Ja, das heißt Atomkrieg. Da man zu einer solchen militä-
rischen Intervention nicht bereit ist" (wer sagt das?) "und auch
nicht das moralische Recht" (das hat ein erfolgreicher Politiker
doch immer!) "hat...
profil: ...müssen die Grenzen der Unfreiheit und des Hungers in
Europa für alle Ewigkeit festgeschrieben bleiben."
Wo das nationale Gewissen nur mehr den einen Inhalt formuliert,
daß die Roten nach Polen, Afghanistan, SS 20, wegen der Freiheit
und überhaupt endlich fertiggemacht gehören, steht ein Politiker
wie Kreisky, der sich noch überlegt, wie diese westliche Offen-
sive mit seinem nationalen Interesse zusammengeht, schlecht da.
Während der österreichische Kanzler mit der moralischen Verurtei-
lung des Ostens für seine gerade als notwendig erachtete Politik
agitiert, fordert seine militant-moralische Presse, von jeglichen
ökonomischen Kalkulationen und politischen Vorteilsrechnungen
emanzipiert, die umstandslose Vernichtung des kommunistischen Un-
freiheitssystems. Von diesem Standpunkt aus läßt sich die öster-
reichische Außenpolitik als "kurzsichtiges Schielen auf vorder-
gründige Wirtschaftsvorteile" an der "verantwortungsvollen",
"opferbereiten", "charakterstarken" und "so wenig bedankten" Rea-
ganpolitik kritisieren, weil er den praktischen amerikanischen
Weltherrschaftsanspruch als gerechten Ausdruck ihrer moralischen
Offensive versteht.
Doch was ist denn jetzt am "österreichischen Weg" und seinen an-
geblichen Differenzen zu der inzwischen sehr einheitlich gewor-
denen westlichen Ostpolitik wirklich dran?
Kreisky - ein politischer Realist 1982
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Die Beschreibung der Reaganschen Außenpolitik als "radikal" und
des "österreichischen Weges" als "gemäßigt" macht den Fehler, die
realen Differenzen zwischen den nationalen Souveränitäten durch-
zustreichen, denen die beiden Staatsmänner vorstehen und aus
denen sich die Unterschiedlichkeit, ihrer politischen Konzepte
ergibt. Reagan, mit der größten Militärmacht der Welt im Rücken,
droht mit Verhandlungsstop und totalem Osthandelsboykott, weil
ihm die Russen bei der weltweiten Durchsetzung von Demokratie und
Kapital im Weg sind und er diesem politischen Entschluß Geschäft
und alle internationalen Kontakte unterordnet - um sowohl die
Ökonomie wie auch die Abhängigkeit anderer Staaten von den diplo-
matischen, politischen und ökonomischen Zuwendungen der USA als
Mittel gegen den Feind im Osten zu nutzen.
Kreisky formuliert seine Kritik an der amerikanischen Eskalation
der Offensive als ö s t e r r e i c h i s c h e r Politiker.
Für die Fortsetzung der Entspannungspolitik setzt er sich vom na-
tionalen Interesse her ein, damit der gedeihliche Handel mit dem
Hauptfeind des Westens, der einen wesentlichen Bestandteil öster-
reichischen Außenhandels ausmacht sowie eine Basis für ausländi-
sche Kapitalanleger abgibt, erhalten bleibt.
"Wenn es zu dieser militärischen Intervention (der Russen in Po-
len) von außen käme, und ich wiederhole es zum x-ten Male, dann
ist die Entspannungspolitik tot. Und das schaut halt anders aus -
für uns in Wien, für die, die in Kopenhagen, in Stockholm, in
Helsinki und überall in Europa leben, und wieder anders für die,
die in Houston, Texas, leben. Wir haben uns dieses Maß an Frei-
heit, dieses bescheidene Maß an Wohlstand und Sicherheit doch nur
erringen können, weil es gelungen war, um Österreich herum eine
Atmosphäre des Friedens und der politischen Ruhe zu schaffen.
Glaubt irgend jemand, daß in Zeiten wie diesen große ausländische
Unternehmungen sich wenige Kilometer vom Eisernen Vorhang ange-
siedelt hätten? Das glaubt niemand. In Zeiten wie diesen bleibt
jeder möglichst daheim. Wir sind elementar an der Weiterführung
der Entspannungspolitik interessiert."
Freilich weiß auch Kreisky, daß das österreichische Geschäftema-
chen mit so ziemlich allen Ostblockstaaten vom in der NATO verei-
nigten Freien Westen konzessioniert ist und sich aufhört, wenn es
die westliche Offensive gegen den Hauptfeind so beschließt. 1982
verheimlicht Kreisky auch gar nicht mehr den
p o l i t i s c h e n Auftrag des Ostgeschäfts, sondern will ge-
rade diese Sorte Handel gegen die amerikanischen Überlegungen ei-
nes umfassenden Handelsstornos bewahren, indem er die Erpres-
sungsmöglichkeiten als politisches Ergebnis von 20 Jahren Osthan-
del anpreist. Klar, daß dabei von der noch vor kurzem üblichen
Sprachregelung vom "Gütertausch zum wechselseitigen Nutzen" nicht
viel übrig bleibt:
"Polen bleibt ja weiterhin dem Westen materiell verpflichtet.
Diese Situation muß man dazu nützen, die Polen an Zusagen zu er-
innern, die sie in den letzten eineinhalb Jahren gemacht haben...
Wir können schon entsprechende Anstrengungen, die zu einer inne-
ren Versöhnung und Demokratisierung führen, erwarten."
Was Kreisky zur Legitimation seiner Ostpolitik der militanten
Presse des neutralen Kleinstaates entgegenhält, ist das Einge-
ständnis, was in Zeiten der Subsumtion aller politischen und öko-
nomischen Beziehungen unter den Ost-West-Gegensatz das Kriterium
erfolgreicher Ostpolitik ist: Wie sehr s c h a d e t es dem
Osten und wieweit macht es ihn politisch gefügig. Die verheeren-
den Ergebnisse, die der Osthandel in den realsozialistischen Öko-
nomien zeitigt und die daraus resultierende Notwendigkeit
p o l i t i s c h e r Zugeständnisse Polens gegenüber dem Westen
als Bedingung weiterer Kreditierung führt Kreisky zum Beweis an,
daß die bisherige Handelsoffensive in ihrer politischen Wirkung
den "Drohgebärden" und der neuen "policy of containment" überle-
gen ist. Der Friedensdiplomat Kreisky fühlt sich 1982 als
"politischer Realist" veranlaßt, mit Ronald Reagan um die Effek-
tivität der Offensivkräfte gegen Osten zu konkurrieren.
"Allerdings ist ein Herausbrechen Polens aus dem kommunistischen
Block kein realistisches (!) Ziel. Das wäre eine so vollkommene
Veränderung der Verhältnisse, die der 2. Weltkrieg geschaffen hat
- so etwas können sich vielleicht ein paar Leute in Amerika vor-
stellen. Leute, die die realen Verhältnisse kennen, glauben das
sicher nicht. Aber: Innerhalb dieses Blocksystems gibt es mögli-
cherweise in einer Zeit, in der sich die weltpolitische Spannung
nicht extrem verschärft, vielleicht wieder eine gewisse Bewe-
gungsfreiheit und gewisse Spielräume. Wenn das stimmt, was mir
der polnische Botschafter heute geschrieben hat, dann ist es auch
die Absicht des Militärregimes, erkämpfte Freiräume zu erhalten
und die Erneuerungsbewegung zu respektieren."
Die Moral als politische Waffe
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Der rüde Ton eines "politischen Realisten" gegen den mangelnden
Sachverstand der Texaner verdankt sich dem Ärger eines an kompe-
tenter Stelle nicht gehörten "Propheten". Was Kreisky von linken
Nationalisten immer anerkennend als politische Ehrlichkeit und
Selbständigkeit gegenüber den Großen ein dickes Plus einträgt und
von der Öffentlichkeit als "Antiamerikanismus" gerügt wird, daß
er nämlich die Menschenrechtswaffe bisweilen auch auf westliche
Sympathisantenstaaten richtet, daraus macht Kreisky ein eindeuti-
ges Angebot an die Washingtoner Zentrale der Ostkämpfer, seine
besondere Glaubwürdigkeit als Entspannungspolitiker anzuerkennen
und ihn weitermachen zu lassen.
"Wir können uns auf Helsinki berufen und werden es immer wieder
tun. Aber dazu muß ich eines sagen: Der Westen wird, wenn er ehr-
lich sein will (!), unter Berufung auf die Menschenrechte nicht
auf einem Auge blind und bei gewissen Tendenzen in Spanien oder
woanders sehr viel versöhnlicher sein dürfen als bei Polen. Der
Westen wird den gewissen Unterschied zwischen Diktaturen, die ihm
freundlich gesinnt sind, nicht mehr machen dürfen. Wir haben hier
eine sehr starke moralische Position."
Die moralische D i s t a n z i e r u n g als menschenrechtliche
Auslassungen über prowestliche Militärdiktaturen von Südamerika
bis zur Türkei offeriert der österreichische Kanzler als die
b e s s e r e Verhandlungsposition für das g l e i c h e poli-
tische Ziel: Freiheit für Polen = die Freiheit des Westens i n
Polen. Der politische Verstand eines neutralen Kleinstaates bit-
tet 1982 - Zeichen der Zeit - darum, seine moralische Integrität
als Neutraler in der Freiheitsoffensive gegen Osten weiterhin
entspannt gebrauchen zu dürfen. Ganz offen spricht er dabei aus,
wozu die größte Friedenskonferenz seit Jalta und Potsdam poli-
tisch gut ist. Eine Wahrheit; die einem noch vor nicht allzulan-
ger Zeit als übelste kommunistische Hetzpropaganda ausgelegt
wurde: Daß sich seinerzeit in Helsinki der Ostblock auf die Ein-
haltung der Menschenrechte als politische Bedingung vermehrten
Westhandels verpflichtet hat, dient heutzutage westlicherseits
erstens als d i p l o m a t i s c h e W a f f e zur beliebten
Denunzierung der SU etc. als Unrechtsstaat und zweitens neuer-
dings als politische Forderung, von deren Einlösung die polnische
Zahlungsfähigkeit abhängt.
Daß Kreisky jetzt um dieses diplomatische Mittel fürchtet, mit
dessen großzügiger Handhabung er sich immer wieder ein Plätzchen
in der imperialistischen Arbeitsteilung erkämpft hat, mit dem
österreichische Delegationen ganze UNO-Beiträge bestritten haben,
ist ein Hinweis auf die Abhängigkeit neutraler Außenpolitik von
den Konjunkturen der westlichen Oststrategien. Die werden noch
allemal von der amerikanischen Regierung und ihrer NATO gesetzt.
Daß die Wucht diplomatischer Verurteilung und moralischer Waffe
gegen den Feind im Osten auch keine Frage der Glaubwürdigkeit und
Prinzipientreue ihre Proponenten ist, sondern von der politischen
G e w a l t lebt, die dahintersteckt, hat Kreisky selbst er-
wähnt. Schließlich hat er die ökonomische Abhängigkeit vom We-
sten, in die Polen über den Osthandel geraten ist, als Grund an-
gegeben, warum der Westen ein Mitspracherecht in der Organisation
der polnischen Wirtschaft und des künftigen politischen Umgangs
mit der Bevölkerung fordern d a r f: Noch an jeder der vorge-
tragenen Forderungen an die polnische Regierung blamiert sich die
von Kreisky zur Beweihräucherung seiner Friedenspolitik aufge-
machte Trennung von Politik und militärischer Gewalt: Ein Frie-
den, der den Ausverkauf des Reichtums einer feindlichen Nation
zum Ergebnis hat, wo die ökonomische Abhängigkeit eine günstige
Gelegenheit für die Erpressung politischen Wohlverhaltens bietet,
verlangt nach militärischer Überlegenheit über den Hauptfeind,
weil man diesem die G r ü n d e liefert, angesichts der verhee-
renden Auswirkungen der praktizierten Völkerfreundschaft diese
aufzukündigen. Gerade die Beteiligung an der politischen und öko-
nomischen Aufweichung des Ostblocks macht den Beitrag des neutra-
len Österreich und des erklärten "Atomkriegsgegners" Kreisky zur
Vorbereitung des nächsten Weltkriegs aus. Daß die Entspannungspo-
litik dabei ihre Dienste geleistet hat, weiß auch der österrei-
chische Kanzler in seiner Sorge darüber, ob zumindest Österreich
in Sachen Osthandel noch so weitermachen darf wie bisher. Aus der
Tatsache, daß Kreisky bei der Begutachtung der "Weltlage" auf
seinem nationalen Standpunkt beharrt und von daher weitere Eska-
lationen der westlichen Offensive nicht gutheißen kann, ihm
gleich Untreue gegen die westlichen Partner und die "uns allen
gemeinsamen Ideale" vorzuwerfen, sagt zwar einiges über die west-
liche Linientreue seiner gestrengen Kritiker und über den Maß-
stab, dem heute jede Außenpolitik genügen muß, wird aber der po-
litischen Leistung des österreichischen Kanzlers nicht gerecht.
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