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Die Aufteilung der Welt (II): Europa
DIE UNGLEICHEN BÜNDNISSYSTEME BEIDERSEITS DES "EISERNEN VORHANGS"
Der Verein Freier Westen e.V. und die Europa GmbH und Co KG
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I. NATO, Westeuropa und das Ideal des gleichberechtigten
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"Pfeilers" - Von den Prinzipien des militärischen
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Supranationalismus konkurrierender Nationalstaaten
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Die westeuropäischen Staaten tun viel für ihre Kriegsfähigkeit,
denn die ist für sie nach wie vor gleichbedeutend mit souveräner
Entscheidungsfreiheit, also die Grundvoraussetzung für die Zuge-
hörigkeit zur "Familie" der Staaten, die etwas zu sagen haben.
Dabei haben gerade die stärksten und wichtigen Nationen Westeuro-
pas - in unterschiedlichem Maß: Frankreich am wenigsten, die BRD
am meisten - ihre militärische Macht gewissermaßen getrennt von
ihrer rein nationalen Entscheidungshoheit organisiert, als quasi
selbständig operierendes Bündnis. Große Teile oder sogar die
Hauptmasse ihrer Streitkräfte haben sie regelrecht gepoolt und
einem einheitlichen Kommando unterstellt; mitten im Frieden ste-
hen Einsatzpläne und -orte für den Ernstfall, eine perfekt ausge-
arbeitete Arbeitsteilung beim Kriegführen fest. Denn der gemein-
same Feind, die Sowjetmacht, steht außer Frage; gegen ihn sind
die nationalen Streitkräfte, einschließlich bedeutender amerika-
nischer Hilfstruppen, als T e i l e e i n e s G a n z e n
nicht nur politisch gedacht, sondern aufgebaut, bewaffnet, in
Stellung gebracht und mit spezialisierten Kampfaufträgen verse-
hen. Sie bilden gewissermaßen eine supranationale Körperschaft -
ein seltsamer Fall von Kriegsallianz.
Die Ideologie dazu ist sehr kurz; sie besteht in dem Verweis auf
die Bedrohung durch eine übermächtige Rote Armee, bedarfsweise
ergänzt durch die Umdrehung eines eigenen Kreuzzugsgedankens,
nämlich die Behauptung sowjetischer Pläne zur Ausbreitung "der
Weltrevolution" per Eroberung anderer Länder, sowie durch Be-
schwerden über die Masse militärischer Machtmittel in Osteuropa,
die alles übersteige, was der Sowjetunion als "legitimer" Vertei-
digungsbedarf zuzubilligen sei - ein interessantes Kriterium im
Zeitalter des sog. "Overkill". Die drastischsten Bedrohungsge-
mälde haben freilich gar nichts mit der eigentümlichen politi-
schen Grundsatzentscheidung zu tun, auf der der nordatlantische
Kriegspakt beruht. Die daran beteiligten westeuropäischen Natio-
nen haben nämlich nicht bloß untereinander und mit den USA Hilfs-
versprechen für den Ernstfall ausgetauscht, von einem berechnen-
den Souverän an den anderen. Vielmehr haben sie prinzipiell dar-
auf verzichtet, mit der Existenz einer starken sowjetischen Mili-
tärmacht - und einer amerikanischen sowie diversen sonstigen auf
der anderen Seite - überhaupt einen berechnenden nationalen Um-
gang zu pflegen. In allen ihren nationalen militärischen Berech-
nungen gehen sie von der Entscheidung aus, ihr Verhältnis zur So-
wjetunion als ihr wichtigstes Problem anzusehen und als eine Art
prinzipiellen Kriegszustand zu definieren, dem sie allein gar
nicht, sondern bloß als Teil eines größeren, kollektiv vorgehen-
den Ganzen gewachsen sein können.
Das NATO-Programm: Der "Besitz Europas" -
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eine Frage von Weltkrieg und -frieden
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Dieser Entschluß entspringt unmöglich dem, was er sich als alles
überragendes Sicherheitsproblem zurechtlegt - der jede nationale
Kalkulation zunichte machenden "sowjetischen Gefahr" -; er ver-
dankt sich vielmehr einem ganz eigenen, souverän aufgestellten
Programm der NATO-Partner für ihren Umgang mit der Sowjetmacht.
Genauer gesagt: Er entstammt zwei etwas unterschiedlichen weltpo-
litischen Konzepten: Im Willen zur NATO treffen sich ein amerika-
nisches Vorhaben und ein Projekt der westeuropäischen Mächte, die
Großmacht bleiben oder wieder werden wollten und wollen.
- Es ist schon eine eigene Leistung der Nationen Westeuropas, ihr
Verhältnis zur Sowjetunion gleich - kaum daß der Weltkrieg zu
Ende und Deutschland geteilt war, und seither immerzu - vor allem
als K r i e g zu durchdenken, was logischerweise die Frage nach
den Siegchancen aufwirft und eine kriegsfähige und -bereite
A l l i a n z als Lösung nahelegt. Offenkundig wollen diese
Staaten eins auf gar keinen Fall: ein bloßes n a t i o n a l e s
A r r a n g e m e n t mit der Sowjetunion. D a s käme ihnen
wie eine Selbstaufgabe vor, wie die Antizipation eines verlorenen
Krieges. Von vornherein stellen sie sich auf als P a r t e i in
einem antagonistischen Streit mit der Sowjetunion; einem Streit
nicht bloß um ihr nationales Existenzrecht, sondern um die Frage,
welche Seite in Europa die andere zum Arrangement nötigt; wer die
Machtverhältnisse diktiert, mit denen die anderen ihren nationa-
len Ausgleich suchen müssen. Der westeuropäische Revisionismus,
d.h. der Wille, die Waffenstillstandslinie des Weltkriegs letzt-
lich nicht als politische Scheidelinie durch Europa hinzunehmen,
der Sowjetunion ihren defensiven "Eisernen Vorhang" nicht zu kon-
zedieren, ist bloß ein Aspekt in diesem Programm, der sowjeti-
schen Seite ein R i n g e n u m d i e H e g e m o n i e in
Europa anzutragen.
Dieser Wille zu europäischer Großmacht hat die Einigungspläne der
Nachkriegszeit hervorgebracht, die im europäischen Rahmen
zunächst alle an der nationalen Rivalität der zur Einigung ent-
schlossenen Parteien gescheitert sind - nach dem noch gegen das
besiegte Deutschland gerichteten "Vertrag von Dünkirchen" zwi-
schen Frankreich und Großbritannien der praktisch zunächst wir-
kungslos gebliebene, erst im Rahmen der NATO etwas aufgewertete
"Brüsseler Pakt" von 1948 zwischen Frankreich, Großbritannien und
den Benelux-Staaten ("Pakt zur kollektiven Verteidigung und zur
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit", spä-
ter unter Einschluß der anderen europäischen NATO-Staaten zur
"West-Europäischen Union", WEU, erweitert); dann die 1954 vom
französischen Parlament verhinderte "Europäische Verteidigungs-
Gemeinschaft" unter Einschluß der BRD -. Dieses Interesse an ei-
nem festen antisowjetischen Pakt der Westeuropäer hat auch das
Bedürfnis nach amerikanischer Rückendeckung hervorgebracht, dem
die USA auf ihre Weise, nämlich mit einer Kalkulation der welt-
herrschaftlichen Art, "entsprochen" haben.
- Es ist die durch nichts erzwungene Entscheidung der USA gewe-
sen, Europa als Konfliktfall für einen dritten Weltkrieg durch-
zudenken, also als Streitgegenstand mit der Sowjetunion, an dem
sich nicht bloß die nächste Episode in der Geschichte einiger
Kleinstaaten, sondern an dem sich die Durchsetzung oder das
Scheitern amerikanischer Weltordnungsmacht entscheiden würde und
sollte. Die Kalkulation mit dem noch vom zweiten Weltkrieg verwü-
steten Europa als neuem Weltkriegsfall ergibt sich - ganz jen-
seits der Frage, ob und welche konkurrierenden sowjetischen Vor-
haben es allenfalls gab und gibt - rein aus der prinzipiellen im-
perialistischen Entscheidung, die die USA hier, mit der Umklamme-
rung des europäischen Zentrums der Sowjetmacht, erzwingen wollen.
D a f ü r wollten die USA die westeuropäischen Staaten gewinnen;
und mit der NATO, dem wichtigsten der in Washington konzipierten
Kriegspakte, haben sie sich die dazu passenden Partner geschaf-
fen. Die fanden nämlich in diesem amerikanischen Bündnisangebot
i h r e n antisowjetischen Großmachtsstandpunkt bestens aufgeho-
ben: zwar untergeordnet unter die amerikanische Hegemonie - wo es
doch um die der Westeuropäer gehen soll! -, gegen die Sowjetunion
aber prinzipiell machtvoll ins Recht gesetzt - und darauf kommt
es den Beteiligten bis heute eben vor allem an.
Die Ungleichheit der Partner -
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Funktionsbedingung, Grund allseitiger Unzufriedenheit
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und Motor des Fortschritts der Allianz
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Die NATO ist also aus ungleichen Partnern mit unterschiedlichen
imperialistischen Interessen und Fähigkeiten zusammengesetzt; und
diese "Asymmetrie" ist ihre entscheidende Funktionsbedingung. Was
ihr Verhältnis zur Sowjetunion betrifft, so wären die westeuropä-
ischen Großmächte zu der prinzipiellen Feindseligkeit gar nicht
in der Lage, in der sie sich militärisch eingerichtet haben, als
wäre sie das Selbstverständlichste von der Welt. Speziell der so-
wjetischen Atomwaffe hätten selbst die westeuropäischen Atom-
mächte ohne amerikanische Hilfe, sogar beim Einsatz ihres eigenen
Geräts, nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Im Bündnis mit
den USA hingegen beziehen die Westeuropäer eine militärische Po-
sition, die sie zu unbedingten Gegnern der sowjetischen Militär-
macht macht. Sie sind Teilhaber und Partei in einer atomaren
Weltkriegsdrohung gegen die Sowjetunion, betrachten und behandeln
diese Drohung als quasi ihre eigene Sache, obwohl sie derer sel-
ber gar nicht mächtig sind. Dasselbe gilt für die Art ihres Zu-
sammenschlusses. Die militärische Einigkeit der Westeuropäer,
die, paradox genug, manche Hoheitsrechte ausgerechnet über das
Instrument staatlicher Hoheit nach außen, das Militär, ein-
schränkt, hat ihren festen Grund in der ihnen übergeordneten De-
finition als e u r o p ä i s c h e F r o n t. Diese von den
USA getroffene Weltkriegsdisposition stellt die I d e n t i-
t ä t der ansonsten souveränen und gar nicht automatisch
gleichgeschalteten europäischen NATO-Mächte in der Kriegsfrage
her und stiftet die Gemeinsamkeit, mit der alle Verbündeten
wiederum diese Weltkriegsdisposition aufrechterhalten. Die USA -
dasselbe umgedreht - finden in den Westeuropäern genau deswegen
so unverbrüchliche Bündnispartner, weil sie denen eine Definition
von Weltfrieden und Weltkrieg und eine bis zum strategischen
Atomkrieg entwickelte globale Feindschaft als gültige Weltlage
vorsetzen und sie zum Mitmachen auffordern, ohne sich von deren
nationalen Erwägungen irgendwie abhängig zu machen. Der Anschluß
der europäischen Staaten an die bürgerliche Weltmacht USA ist die
"Seele" des supranationalen Zusammenschlusses der NATO-Partner.
Eine solche Zusammenarbeit funktioniert natürlich nicht ohne Kon-
flikte; weder die stereotype, schon im NATO-Vertrag niedergelegte
Beschwörung gemeinsamer höherer Werte, zu deren Verteidigung man
sich kriegsbereit zusammengefunden hätte, noch die Ideologie vom
amerikanischen Schutzschirm für Freiheit und Wohlstand Europas
ändern etwas an dieser Notwendigkeit des Streitens, sie bestäti-
gen sie vielmehr. Gerade weil sie so fest gegründet ist, wird die
atlantische Partnerschaft durch wechselseitige Vorbehalte und
Vorwürfe geprägt und -vorangetrieben. Beide Seiten pflegen eine
p r o d u k t i v e U n z u f r i e d e n h e i t.
- Zur Staatsräson der U S A gehört der Verdacht gegen die west-
europäischen Verbündeten, sie betrachteten die amerikanische Rüc-
kendeckung für ihr anspruchsvolles Auftreten gegen die Sowjet-
macht als eine Obhut, durch die sie sich eigene
"Verteidigungsanstrengungen" ersparen könnten. Denn die Amerika-
ner verstehen ihre Forderung an andere Staaten, sich in die von
ihnen eröffnete antisowjetische Front einzureihen, als ein
Hilfsangebot, das durch eigene militärische Bemühungen der Part-
ner "verdient" werden muß; daß s i e den Besitz Europas zur
Weltkriegsfrage machen, dieser amerikanischen "Würdigung" haben
die NATO-Partner durch e i g e n e, im Idealfall weltkriegs-
reife militärische Leistungen gerecht zu werden. So verfolgen die
USA ihre Politik der "europäischen Gegenküste" und Front gegen
den sowjetischen Feind, der globalen Stützpunktsysteme und der
Verteilung eigener Truppen in allen wichtigen Weltgegenden im Na-
men des paradoxen Ideals, ihre Verbündeten hätten sich dadurch
als "Schützlinge" zu bewähren, daß sie "auf eigenen Füßen stehen"
und den amerikanischen "Schutz" tendenziell
ü b e r f l ü s s i g machen. Die Gefahr, daß dieses Ideal wahr
wird und die USA ehrlich auf ihre imperialistischen Ansprüche den
Verbündeten gegenüber pochen müßten, besteht zumindest solange
nicht, wie die umfassende Weltkriegsplanung der NATO in der So-
wjetunion einen Gegner findet, der ihr gewachsen ist und den
Westeuropäern allein keine Siegeschance läßt. Und solange die
westeuropäischen Mächte bei der NATO mitmachen, können die ameri-
kanischen NATO-Politiker sich sicher sein, daß ihr Wink mit der
Möglichkeit eines Disengagements in Europa von den Partnern als
Warnung und die Rede vom "europäischen Pfeiler", der größere La-
sten tragen müßte, nicht falsch als Aufruf zur Verselbständigung,
sondern ganz korrekt als Forderung nach mehr Beiträgen der Ver-
bündeten zum Bündnis und zu den Kosten amerikanischer Truppensta-
tionierung auswärts verstanden wird. Beherzigt wird das allemal
viel zu wenig - meint die Führungsmacht.
Unzufrieden sind die USA ebenso mit der Solidarität der Westeuro-
päer in allen weltpolitischen Affäre, in denen die oberste Welt-
ordnungsmacht noch außerhalb ihrer NATO-Front dauernd engagiert
ist. Tatsächlich erhält ja die amerikanische Macht weltweit die
imperialistischen Geschäftsbedingungen - bis hin zur "Freiheit
der Meere" und zum Terror gegen den Terrorismus - aufrecht, von
denen ihre Verbündeten ganz unbefangen mitprofitieren. Sie tut
dies zwar, ohne sich um das weltpolitische Urteil und die natio-
nalen Interessen ihrer Partner weiter zu kümmern. Aus amerikani-
scher Sicht mindert das aber nicht im geringsten das Recht der
Führungsmacht auf eine Allianz von Jasagern. Folglich kommen sich
die amerikanischen Weltpolitiker sehr großzügig und langmütig vor
in ihrer Unzufriedenheit mit ihren demokratischen Ansprechpart-
nern auswärts.
- Die W e s t e u r o p ä e r ihrerseits können vor allem den
Vorwurf nicht verstehen, sie machten es sich unter dem "atomaren
Schutzschirm" der USA bequem, ohne sich durch energisches Rüsten
gegen den Feind die amerikanische Bereitschaft zu verdienen, Eu-
ropa als Fall für den strategischen Atomkrieg vorzusehen.
Tatsächlich hat noch jede europäische NATO-Regierung, und zwar
ganz aus eigener nationaler Berechnung, den strategischen
S c h u t z der USA als einen solchen f ü r i h r e
m i l i t ä r i s c h e M a c h t verstanden und genommen, als
E r m ä c h t i g u n g zum Rüsten und zum Aufbau von lauter
bündnismäßig abgestimmten nationalen Sonderdrohungen gegen die
sowjetische "Supermacht", als C h a n c e für einen militäri-
schen Wiederaufstieg bzw. Wiederbeginn - und niemals als Ge-
schenk, das eigene militärische Anstrengungen e r s p a r e n
könnte. Allerdings stellt sich für die kleineren NATO-Partner
ganz anders als für die Führungsmacht die Frage nach der
P e r s p e k t i v e ihrer Rüstung.
Die Aufstellung personalstarker Armeen und ihre Ausstattung mit
immer besseren Waffen der Art, die "konventionell" heißt, ist den
Westeuropäern als ihre Hauptaufgabe im Bündnis zugewiesen. Im
Rahmen der Weltkriegsplanung, die eine letzte Entscheidung mit
Nuklearwaffen vorsieht, nimmt sich diese Aufgabe allerdings
höchst relativ aus. Und es ist für Staaten, die mit ihrer ar-
beitsteiligen Rüstung ja allemal an Bedeutung gewinnen wollen,
nicht bloß unbefriedigend, sondern unheilbar widersprüchlich,
a l l e s für etwas so Vorläufiges und Untergeordnetes zu tun.
Folglich nehmen sie größtes' Interesse an dem Atomkrieg, für den
in erster Linie die USA zuständig sind und bleiben. Aus
nationalem Eigennutz treten sie dafür ein, daß US-Truppen an der
vordersten westeuropäischen Front stationiert bleiben, so daß
i h r Interesse am Gebrauch des atomaren Schutzschirms für den
konventionellen Kampf abgedeckt wird durch ein gleichgelagertes
E i g e n interesse der amerikanischen Militärmacht. Und sie tun
alles, um Einfluß auf den Einsatz dieses Schutzschirms zu bekom-
men. Der hat sich inzwischen zweigeteilt. Er umfaßt taktische Nu-
klearwaffen fürs Gefechtsfeld, die - unter letztem US-Vorbehalt -
dem Bündnis als solchem zur Verfügung stehen, also den
"konventionellen" Armeen ein Mittel an die Hand geben, eigene
Siege auf dem Schlachtfeld auf höherer Stufe abzusichern und
Siege des Gegners zunichte zu machen. Den Einsatz dieser
"übergeordneten" Waffengattung hält die NATO allerdings nur unter
Abschirmung durch die andere Atomwaffenabteilung, die Geräte des
strategischen Zuschlagens, für verantwortbar. Das ist die Logik
der berühmten NATO-"Triade", der Konzeption einer für den Gegner
unberechenbaren Dreifaltigkeit des konventionellen, des taktisch
nuklearen und des strategisch nuklearen Zuschlagens. Fortentwick-
lung und Einsatz der strategischen Waffen bleiben freilich exklu-
sive Angelegenheit der USA; auf diesen letzten Übergang, mit dem
die amerikanische Führungsmacht geradezu ihre eigene Existenz
aufs Spiel s e t z t, haben die Verbündeten überhaupt keinen
Einfluß. Das relativiert nun aber wiederum alle Autonomie und al-
len Einfluß, den ihnen das Bündnis auf den untergeordneten Ebenen
gewährt. Die Sicherheit ihrer Kriegsführung unterliegt letztlich
alleinigem amerikanischen Ermessen.
Diese Lage erfordert viel Zutrauen - ist also ein dauernder Grund
für tiefes Mißtrauen, und zwar mit zwei komplementären Bedenken.
Der eine Verdacht lautet auf "Abkoppelung" was die gesamte kon-
ventionelle Rüstung der Westeuropäer, sogar einschließlich ihrer
eigenen "substrategischen" Atomwaffen, im Sinne ihrer ausgearbei-
teten Kriegsplanung unanwendbar, weil schutzlos machen würde -;
die andere Unterstellung heißt "Verheizen" - befürchtet also eine
amerikanische Abkoppelung mitten i m planmäßig inszenierten
Kriegsgeschehen.
Das Weltkriegsdilemma der NATO und seine bündnistreue Bewältigung
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Dieses zweifache Mißtrauen ist auch durch die Tugend des Vertrau-
ens nicht aus der Welt zu schaffen, weil es nicht bloß von der
unbeeinflußten Souveränität der amerikanischen Kriegsentscheidun-
gen ausgeht, sondern außerdem von einem objektiven militärischen
Tatbestand: Es gibt - bislang - keinen "Schutzschirm" für den
Einsatz der strategischen Waffen selbst der die Auslieferung an
einen vernichtenden Gegenschlag des Feindes wenigstens relativie-
ren könnte; die Mittel der nuklearkriegerischen O f f e n s i-
v e sind nach wie vor die "l e t z t e n" Waffen und vermögen
nichts gegen die gleichartigen Waffen der anderen Seite. Das
macht die Kalkulation mit ihrem Einsatz als Abschirmung der
untergeordneten "Kriegsszenarios" so prekär und die NATO-Triade
gerade für die Militärs so zweifelhaft, die auf ihren Feldern
alles tun, um sie unbedingt glaubwürdig zu machen. Dem
amerikanischen Verdacht, die Westeuropäer machten es sich unter
ihrem Schutzschirm bequem, steht somit der Vorwurf entgegen, die
USA k ö n n t e n gar nicht, selbst wenn sie es wollten, den
letztlich erforderlichen Schutzschirm für die europäische Welt-
kriegsfront gewähren. Und solange diese letzte Entscheidungsfrage
nicht beantwortet ist, bleibt es widersprüchlich, auf den unteren
Ebenen der NATO-Triade wie für eine anstehende Entscheidung zu
rüsten. Die Führungsmacht b i e t e t z u w e n i g, nämlich
was ihre Macht zur Bereinigung der strategischen Kriegslage be-
trifft, und v e r l a n g t z u v i e l - an Opferbereitschaft,
die letztlich bloß d a f ü r gerechtfertigt wäre.
Nun hat dieser Widerspruch die NATO-Staaten in Europa nie vom
bündnisgemäßen Rüsten abgehalten. Frankreich hat sogar ein übri-
ges getan und dem Mißtrauen in den W i l l e n der USA, Europa
wirklich als Atomkriegsfall zu werten, mit dem Aufbau einer eige-
nen, national kommandierten Atomwaffe eine konstruktive, nämlich
machtvoll gegen die Sowjetunion gerichtete Wendung gegeben. Die
BRD steht demgegenüber auf dem Standpunkt, daß - bislang - kein
nationales Gerät auch nur entfernt die Schutzschirmqualitäten
fürs eigene arbeitsteilige Kriegführen erreicht wie das amerika-
nische, wie besorgniserregend auch immer der Entscheidungsvorbe-
halt des US-Präsidenten sein mag; dementsprechend strengt sie
sich an, mit ihrer Bundeswehr "konventionelle" Kriegsoptionen zu
eröffnen, denen die USA ihren Beistand mit eigenen Truppen, also
auch die Rückendeckung durch Atomwaffen nicht versagen können.
Der eine wie der andere Weg führt zwar nicht aus der letzten Pro-
blematik des strategischen Atomkriegs heraus. Dafür machen sie
aber beide sehr schön deutlich, warum die NATO-Militärs sich
durch das sog. "atomare Patt" in ihren Kriegsvorbereitungen nicht
lähmen lassen: Sie definieren die - noch bestehende -
U n f ä h i g k e i t ihrer atomaren Führungsmacht zur strategi-
schen Defensive und Entscheidung bzw. die darin objektiv begrün-
dete letzte Unsicherheit des atomaren Schutzschirms als, in letz-
ter Instanz, doch wieder eine Frage des W i l l e n s der USA,
notfalls bis zum Äußersten zu gehen; und diesen Willen versuchen
sie nach Kräften durch ihre eigenen Rüstungsanstrengungen zu
s t ä r k e n - d u r c h e i g e n e S t ä r k e.
Ihre entsprechenden Anstrengungen bringen die Westeuropäer immer
wieder auf eine Idee, die dem paradoxen US-Ideal des Verbündeten,
der Hilfe verdient, weil er sie durch eigene Anstrengungen über-
flüssig macht, genau entspricht. Freilich verstehen sie die Sache
mit dem "europäischen Pfeiler" ein bißchen anders, nämlich als
ihr I d e a l d e r U n a b h ä n g i g k e i t vom amerika-
nischen Ermessen, diesem letzten Sicherheitsrisiko ihrer Kriegs-
planung. Daß freie souveräne Herrschaften mit den letzten Mitteln
ihrer Freiheit, Souveränität und Herrschaft nicht nach eigener
Berechnung in der Weltgeschichte herumwirken, sondern Mittel für
die Kriegskalkulation der US-Regierung abgeben, ist und bleibt ja
auch schwer - und letztlich nicht - hinzunehmen; daran muß eine
BRD-Regierung auch gar nicht erst durch ihre patriotische SPD-Op-
position erinnert werden. Andererseits bleibt dieses Ideal der
europäischen "Emanzipation" dem Standpunkt untergeordnet, daß -
bislang - n u r das Bündnis mit den USA die Westeuropäer zu ih-
rem Auftreten als in Europa bestimmen wollende Militärmacht befä-
higt, welches sie für d i e Existenzfrage ihrer Souveränität
halten; insofern leben sie dann doch wieder ganz gut mit ihrer
Knechtsrolle. Deswegen ist aus ihrem Euro-I d e a l auch bislang
noch nie das P r o j e k t geworden, innerhalb der NATO in Kon-
kurrenz zu deren Integrationsmechanismen, etwa aus der WEU, eine
vergleichbare speziell europäische supranationale Kooperation und
Integration aufzubauen. Der militärische Europa-Idealismus der
NATO-Partner diesseits des Atlantik findet sein Tätigkeitsfeld
vor allem im Bereich der R ü s t u n g s k o n k u r r e n z
mit dem "großen Bruder". Und so etwas hat das Bündnis noch immer
militärisch vorangebracht und nicht zerrissen.
Der prinzipielle NATO-Doppelbeschluß der Europäer:
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Supra- u n d Nationalismus
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Die Abhängigkeit von den USA wird eben nicht gekündigt. Ebensowe-
nig wird von den untergeordneten Alliierten der Wille preisgege-
ben, das Bündnis unbedingt zum Mittel des n a t i o n a l e n
Welterfolgs zu machen. Diesen Widerspruch werden die westeuropäi-
schen NATO-Mächte nicht los. Sie haben aber gelernt, ihn
p o l i t i s c h z u b e w ä l t i g e n; und zwar so erfolg-
reich, daß das erst recht gegen jede Kündigung der Allianz
spricht. Vor allem in Bonn, aber auch in den anderen Hauptstädten
hat man die Kunst entwickelt, die eigene Nation
p o l i t i s c h z u v e r d o p p e l n: sie n e b e n-
e i n a n d e r als NATO-Partner u n d als Nation für sich,
quasi getrennt von ihrer bündnismäßig kollektivierten Kriegs-
fähigkeit, ins Spiel zu bringen. Das ist weit mehr als die
normale diplomatische Doppelzüngigkeit. In allen ihren äußeren
Belangen und in alle Himmelsrichtungen betreiben die westeuropäi-
schen Regierungen regelrecht P o l i t i k a l s "D o p p e l-
s t r a t e g i e".
Die Teilhabe an der Kontrolle der Drittstaatenwelt als -
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fast - nur zivile Erpressungskunst
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Der Staatenwelt außerhalb des eigenen und des gegnerischen Bünd-
nisses treten die westeuropäischen Staaten - die BRD sowieso,
aber auch die alten Kolonialmächte nach der verlustreichen Ab-
wicklung ihrer letzten Kolonialkriege - mehr oder weniger ohne
Kriegsdrohungen und militärische Überfälle gegenüber. Die
"klassische Kanonenbootpolitik" der Einschüchterung mit Waffenge-
walt findet so gut wie keine nationale Anwendung mehr; Ausflüge
wie der der britischen Flotte in den Südatlantik zur Rückerobe-
rung der Falkland-Inseln für die Krone sind eine Ausnahme, die
diese Regel des betont zivilen Auftretens bestätigt. Die weltwei-
ten Beziehungen, die ein jeder auf eigene nationale Rechnung er-
öffnet, sind auf ökonomische Abhängigkeiten gebaut, pflegen poli-
tische Erpressungen unter dem Firmenschild des wechselseitigen
Nutzens, schließen einen blühenden Waffenhandel samt Export von
Ausbildern und Beratern, aber keine Reaktivierung von Kolonialar-
meen ein, verlassen sich mehr auf die normative Kraft von Schuld-
scheinen und Kreditkonditionen sowie auf die Beziehungen zwischen
europäischen politischen Parteien und deren Ansprechpartnern bzw.
Geschöpfen auswärts, die dort die Politik machen. Über diese Pra-
xis hat der Schein einer befriedeten Welt, die Gewalt als Mittel
der Außenpolitik gar nicht mehr bräuchte, an Wahrscheinlichkeit
gewonnen. Und vor allem sieht es so aus, als könnte die NATO, in
die die wichtigen europäischen Mächte die Masse ihrer Streit-
kräfte eingebracht haben, gleich gar nichts mit den Rechten zu
tun haben, die dieselben Staaten sich Dritten gegenüber heraus-
nehmen - läßt doch sogar ihre Gründungsurkunde den Zuständig-
keitsbereich der Allianz am Wendekreis des Krebses und an den Ge-
genküsten des Mittelmeers enden.
Dabei ist der Erpressungsmacht von Handelsverträgen und Schuld-
scheinen und der D-Mark- wie der Dollar-Diplomatie leicht anzuse-
hen, daß ihre Grundlage ein jederzeit aktualisierbares weltweites
m i l i t ä r i s c h e s K r ä f t e v e r h ä l t n i s ist,
das allen dritten Staaten die Alternativen zur friedlichen Öff-
nung und Kooperationsbereitschaft für den und mit dem Westen ver-
bietet und im Zweifelsfall auch verhindert. Tatsächlich i s t
ja ununterbrochen westliches Militär auf allen Kontinenten und
Weltmeeren unterwegs, und zwar mit sehr prinzipiell definierten
Aufgaben wie "Sicherung der Freiheit der Meere" oder "Bekämpfung
des internationalen Terrorismus"; "Bürgerkriege" gegen unliebsame
Regierungen werden inoffiziell angeleiert und anschließend offi-
ziell finanziert, betreut und mit Waffenlieferungen unterstützt.
Das sind nun wirklich keine Ausnahmen von einer Regel der Fried-
fertigkeit, sondern lauter statuierte Exempel, die jede Regierung
auf der Welt unmißverständlich an ihr "wohlverstandenes Eigenin-
teresse" erinnern, sich in ihre Verwendung durch die westlichen
Machthaber als souveräne Quasi-Gouverneure ihrer Länder zu fügen.
Gewiß tritt bei dieser globalen Sicherheitspolitik im Interesse
der Freien Welt nicht die NATO als solche in Erscheinung; die
amerikanische Führungsmacht nimmt hier die Hauptaufgaben gern auf
sich und legt im Unterschied zu ihren Alliierten gar keinen Wert
darauf, daß man an ihr den Weltpolizisten vom Weltwirtschaftszen-
trum unterscheidet. Vor allem trennen die USA aber überhaupt
nicht zwischen ihren beiden militärischen Rollen als allgegenwär-
tiger Weltpolizist und als NATO-Führungsmacht; f ü r s i e ist
beides letztlich dasselbe, und damit werden sie schon recht ha-
ben. Die NATO ist schließlich, nach der negativen Seite hin, die
Garantie, daß kein Konkurrent den Amerikanern ihren selbstgewähl-
ten Weltordnungsauftrag streitig macht. Darüber hinaus nehmen die
USA ihr Bündnis positiv in Anspruch als die dauerhafte organi-
sierte Solidarität der Konkurrenten, als Rückendeckung durch die
anderen kapitalistischen Mächte, die man gelegentlich auch zu ei-
ner Arbeitsteilung außerhalb des NATO-Auftrags bittet. Das klappt
immer - auch wenn sich in solchen Fällen die Beschwerden der Mit-
macher über die Selbstherrlichkeit der tonangebenden Macht häufen
-, weil die Weltordnungsfunktion der NATO tatsächlich eine noch
viel prinzipiellere Angelegenheit ist, als das in gemeinschaftli-
chen Exkursionen zum Persischen Golf in Erscheinung tritt:
Schließlich wirkt die Allianz entscheidend mit an der bekannten
"Weltlage", in der jede souveräne Regung eines Staates auf die
Ost-West-"Alternative" bezogen und mit dem gebieterischen An-
spruch konfrontiert i s t, durch Öffnung für westliche Benut-
zungsinteressen ein Bekenntnis zur richtigen Seite abzulegen.
Denn diese "Alternative" gibt es - derzeit nur - als Werk der
NATO, die daraus die Grundfrage von Weltkrieg und -frieden ge-
macht hat. D a m i t ist der "Ost-West-Gegensatz" die politi-
sche Maßgabe, an der alles sich ausrichtet, auch wenn das Gerede
vom in Wahrheit viel bedeutenderen "Nord-Süd-Konflikt" das nicht
wahrhaben will. Dabei ist doch noch in jeder Beschwörung dieses
angeblich neuen hauptsächlichen Welt-"Konflikts" erkennbar, daß
da an das Verhältnis zwischen übermächtigen und ohnmächtigen
Staaten gedacht ist und gar nicht an ein militärisches Kräftemes-
sen. Die weltpolitische M a c h t f r a g e ist eben nur zwi-
schen "Ost" und "West" gestellt, und gerade so ist sie für den
Rest der Welt erledigt.
I n s o f e r n ist j e d e r NATO-Staat als militärischer
Machtfaktor überall mit von der Partie, wo die vom Westen ok-
troyierte Weltordnung beherzigt wird; jeder ist daran beteiligt,
das globale Kräfteverhältnis so eindeutig zu garantieren, daß im
Endeffekt nicht an zahllosen Stellen nach dem Rechten gesehen und
ein nationaler Widerstand gebrochen werden muß. Auf dieser beque-
men "Konstellation" sowie auf der Sicherheit, mit der die allemal
noch nötige Drecksarbeit erledigt wird - hauptsächlich durch die
USA -, beruht der verlogene Staatspazifismus, mit dem die europä-
ischen NATO-Partner, die BRD allen voran, den Rest der Staaten-
welt behelligen. Der hat zwar seinen bündnismäßig organisierten
N a c h t e i l, nämlich eben die Freiheit der Führungsmacht,
beim Welt-Ordnen i h r e Prioritäten zu setzen, auch schon mal
die Mullahs oder den Libyer zu drangsalieren oder Israel zum Prä-
ventivkrieg zu ermuntern, ohne die Verbündeten vorher zu fragen.
Dieser Nachteil stiftet andererseits die Annehmlichkeit, daß je-
der Verbündete eben seine nationale Sonderrechnung auf der Si-
cherheit einer prinzipiell botmäßig gemachten Staatenwelt auf-
bauen kann. Ein jeder von der bundesdeutschen Außenpolitik kennt
man es besonders gut - nützt auch noch die weitergehende Bequem-
lichkeit aus, sich den besonders drangsalierten Staaten in vor-
nehmer Distanz zum amerikanischen Weltpolizisten quasi als cari-
tative Hilfsorganisation anzudienen. Ausgerechnet als die am
vollständigsten in die NATO integrierte, am pünktlichsten gleich-
geschaltete Macht distanziert die BRD sich am glaubwürdigsten von
ihrer eigenen militärischen Existenz als Helfershelfer der USA
und schmarotzt von deren "unvermeidlichen" Brutalitäten: Im Nahen
und Mittleren Osten, im Süden Afrikas, in Mittelamerika bringt
Bonn sich um so wirkungsvoller als V e r m i t t l e r zur Gel-
tung, je schmutziger die Kriege des großen Bruders verlaufen. So
entschädigt sich die BRD für den großherzigen "Verzicht" auf die
Freiheit, auswärts in eigener Regie militärisch aktiv zu werden.
Europäische Ostpolitik: Nationale Sonderrechnungen
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mit dem Feind als Angebote unterhalb der Feindlage
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Genau dieselbe Leitlinie, auf die Beziehungen - wieder vor allem
der BRD - z u r S o w j e t u n i o n und deren Verbündeten an-
gewandt, ergibt das, was man seit Willy Brandt "Ostpolitik"
nennt, zeitweise auch als "europäischen Entspannungsbeitrag" hat
bewundern oder als "Sonderweg" hat beargwöhnen dürfen. Jede euro-
päische NATO-Regierung bietet der Sowjetmacht politische Bezie-
hungen auf Grundlage der Fiktion an, ihre Nation stünde gewisser-
maßen allein und nur mit ihren beschränkten Fähigkeiten und Be-
rechnungen dem großen östlichen Reich gegenüber, also ohne jede
die Sowjetmacht gefährdende Bedrohung, schon allein mangels Größe
auf den denkbar solidesten Friedenswillen festgelegt und zu jedem
zivilen Umgang, zu jedem Handel und Wandel gemäß der Lüge vom
wechselseitigen Vorteil, zu jeder Idiotie der Völkerfreundschaft
bereit. Daß die Westeuropäer angetreten sind mit dem klaren Pro-
gramm, die Vorherrschaft in ganz Europa zum Streitgegenstand mit
der Sowjetunion zu machen; daß sie sich in der NATO als Kriegs-
bündnis organisiert haben, das die Reichweite aller ihrer bloß
nationalen Berechnungen grundsätzlich überschreitet; daß sie sich
gerade gegen die Sowjetunion militärisch zu Teilen eines suprana-
tionalen Ganzen gemacht haben: Das wird in den ostpolitischen An-
geboten der Westeuropäer regelrecht verleugnet; d a n e b e n
möchte man ein Sonderkonto der guten zwischenstaatlichen Bezie-
hungen eröffnen.
Ein A n g e b o t an die sowjetische Adresse - und zwar alles
andere als ein K a p i t u l a t i o n s angebot! - ist das na-
türlich nur, w e i l die militärische Machtfrage durch die NATO
in der denkbar härtesten Weise eröffnet i s t und weil die Al-
liierten sich in der Konkurrenz um die Vormacht in Europa recht
erfolgreich vorkommen. So wie ja auch die Sowjetunion allein we-
gen ihrer strategischen Waffen im Westen überhaupt Respekt ge-
nießt und als Verhandlungspartner ernstgenommen wird, so ähnlich
dringen die westeuropäischen Mächte mit dem "Argument" ihrer ver-
einigten und durch die USA beschirmten Streitkräfte auf sowjeti-
sches Gehör. Dabei distanzieren sie sich aber - die BRD kann das
wieder am besten! - von ihrem eigenen Dasein als NATO-Macht und
wollen d i e s e U n t e r s c h e i d u n g von ihren sowje-
tischen Partnern als Friedensangebot politisch und auch ökono-
misch honoriert bekommen. Sie gehen sogar so weit, vom Standpunkt
der doch recht geringen Gewalt, die sie a l s N a t i o n
f ü r s i c h genommen im Vergleich zur großen Sowjetunion mit
ihren Verbündeten b l o ß besitzen, Rüstungsfragen aufzuwerfen.
Ganz ohne Erpressungsangst und doch gleichzeitig so, als fände
die NATO in einer ganz anderen Welt statt, deklarieren sie dem
Osten gegenüber ihre militärische O h n m a c h t - und zwar
sehr offensiv, so als wäre die so gut wie ein u n w i d e r-
s p r e c h l i c h e s R e c h t darauf, daß die Sowjetmacht
sich zur militärischen Gleichrangigkeit mit ihren westeuropäi-
schen Nachbarn herabläßt. In die Richtung zielen jedenfalls die
A n s p r ü c h e, mit denen diese Staaten in Moskau vorstellig
werden; und wenn denen nicht entsprochen wird, dann müssen
selbstverständlich die n a t i o n a l e n "Nach"-Rüstungs-
bedürfnisse enorm anschwellen. Mit irgendeiner anderen als der
Sowjetmacht, etwa mit einem ihrer "Satelliten", vergleichen sie
sich übrigens nie; da müßten sie sich ja zu einer Größenordnung
herablassen, die weit unterhalb ihrer Fähigkeiten und Ambitionen,
also unter ihrer Würde liegt.
Außerdem behelligen die NATO-Europäer die sowjetische Führung mit
dem Ansinnen, ihre innere Ordnung so umzustellen, daß sie sich
besser für eine Verwendung von Land und Leuten durch kapitalisti-
sche Interessenten eignet und überhaupt eine bürgerlich-demokra-
tische Perspektive gewinnt; und auch diesen Antrag soll man in
Moskau als freundliches Kooperationsangebot würdigen, weil er ge-
trennt von der NATO, als gar nicht kriegerisch gemeintes Programm
und ohne militärische Drohung,- vorgebracht wird. Die Bundesre-
gierung hat es bekanntlich fertiggebracht, sogar ein nationales
Anliegen der klassisch kriegerischen Art, die Entfernung der
Nachkriegsgrenze durchs verlorengegangene Hitler-Reich, als das
bescheidene Endziel einer militärisch dafür gar nicht gerüsteten
Macht zum Dauerthema ihrer Ostpolitik zu machen; und sie ist bei
der Gegenseite auf genügend Gehör gestoßen, um diesen Revisions-
willen in lauter wirksame Einmischungen ins Innenleben der DDR
umzusetzen.
Natürlich ist diese Politik nicht bloß heuchlerisch, sondern wi-
dersprüchlich. All den anspruchsvollen "Offerten" an die sowjeti-
sche Adresse ist deutlich anzusehen, daß sie für die Europäer al-
lenfalls die zweitbeste Lösung sind; schließlich handelt es sich
um lauter letztlich u n e r f ü l l t bleibende nationale An-
liegen. Zwar sind die europäischen Alliierten nicht zuletzt wegen
dieser Ansprüche in der NATO; aber als Instrument, sie
d u r c h z u s e t z e n, und zwar ihrer Logik gemäß und ent-
sprechend dem Kriegsbild der Militärallianz g e g e n den Wil-
len der Sowjetunion, hat die NATO sich bislang eben doch
n i c h t bewährt. Die E n t s c h e i d u n g des Kräftever-
hältnisses, für die die NATO gemacht und auf die die Politik ih-
rer Mitglieder hin orientiert ist, steht dem Bündnis nach dessen
eigener derzeitiger Lagebestimmung nicht zu Gebote. Diese
tatsächliche "Ohnmacht" des Bündnisses ist der vorerst bleibende
letzte "objektive" Grund der "Doppelstrategie" der Europäer: Sie
lassen nichts nach von ihrem NATO-Willen; an die Definition der
Sowjetunion als Weltfeind rühren alle Verständigungs- und Ent-
spannungsangebote nie, eben weil es A n s p r ü c h e an den
F e i n d s i n d. Deswegen gibt es auch von westeuropäischer
Seite zwar dauernd den R u f nach einem "Abrüstungskonzept",
das eine Art Gleichgewicht zwischen Westeuropäern und Sowjetmacht
n e b e n dem strategischen Kräfteverhältnis einrichten sollte,
aber nie dieses Konzept selbst, weil es die ganze Bündnisstruktur
durcheinanderbringen würde - nationale Gleichgewichtsideale ver-
tragen sich prinzipiell nicht mit dem Gegenstand der NATO, einer
supranationalen Weltkriegsplanung. Genau diese Festigkeit ihres
Bündniswillens nehmen die westeuropäischen NATO-Regierungen ande-
rerseits als Grundlage für die Freiheit und Frechheit, mit der
sie der Sowjetunion ihre Ansprüche noch einmal getrennt als harm-
loses Friedensanliegen vorbuchstabieren.
Es spricht gegen die sowjetische Politik, daß niemals sie, son-
dern wenn überhaupt einer, dann die NATO-Führungsmacht diese di-
plomatische Selbstverdoppelung der NATO-Partner kritisiert,
durcheinandergebracht und in Frage gestellt hat, weil sie darin
eine Abschwächung des Bündniswillens ihrer national ambitionier-
ten Frontstaaten sieht. Je nach den Konjunkturen der amerikani-
schen Weltpolitik und ihrer Rüstungsdiplomatie über die letzten
strategischen Fragen werden den NATO-Partnern die Bedingungen für
ihre Sonderunternehmungen in Richtung Osten v o r g e g e b e n:
Ohne den Entschluß der USA, sich zu einer gewissen Verständigung
mit der feindlichen Supermacht, gezwungen zu sehen, hätte auch
die SPD-FDP-Koalition von Bonn aus keine "Entspannungsphase" ein-
leiten können; und mit "Nachrüstung" und SDI-Programm wurden die
Bonner "Vermittlungs"-Künstler heftig abgebremst. Ihre außenpoli-
tische Kunst ist es, gerade daraus per "vorsichtiger Distanzie-
rung" immer wieder ausgerechnet G l a u b w ü r d i g k e i t
für ihren zweigleisigen Umgang mit "dem Osten" zu schöpfen.
Das imperialistische Innenleben:
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Beschränkung als Vervielfältigung der Konkurrenz
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Noch ein bißchen vielfältiger wird die Politik der Selbstunter-
scheidung im Verhältnis der europäischen NATO-Mächte
z u e i n a n d e r und zu ihrer geradlinigen
F ü h r u n g s m a c h t.
Erstens wissen die Westeuropäer ihr nationales Interesse an mili-
tärischer Macht, ihr Interesse an der Militärmacht der NATO und
das Interesse der NATO an ihrer Militärmacht so gut auseinan-
derzuhalten, daß sie nach Bedarf auch wieder alles miteinander
vermischen können. Grundsätzlich gelten hier die schon erwähnten
Widersprüche: Ihr Interesse an militärischer Macht ist um vieles
größer als ihre nationalen Fähigkeiten; denn sie vergleichen sich
mit den beiden "Supermächten" und wollen um keinen Preis einen
geringeren Maßstab für sich gelten lassen. Deswegen ihr NATO-In-
teresse. Das Bündnis bedient nämlich einerseits ihren Willen,
eine über Weltkrieg und -frieden entscheidende Macht zu haben;
allerdings um den Preis, daß nicht sie die Richtlinien der Bünd-
nispolitik bestimmen, sondern die USA: Die Partner der USA finden
sich instrumentalisiert, wo sie gerade die Macht der Allianz,
einschließlich der amerikanischen, für sich instrumentalisieren.
Deswegen ist der Beitrag, den sie zum Bündnis leisten und auf den
das Bündnis Anspruch erhebt, Last und Chance zugleich: Er ist
L a s t, weil die gemeinsame Kriegsplanung und -vorbereitung al-
lemal viel zu sehr die der anderen ist; er ist andererseits die
C h a n c e, dem Bündnis den eigenen Stempel aufzudrücken. Dar-
aus ergeben sich allerlei Unterwidersprüche. So ist jede alli-
ierte Regierung daran interessiert, die Bündnispflichten aller
anderen möglichst hoch anzusetzen - aber auch wieder nicht an ei-
ner überragenden Militärmacht der Konkurrenten, die durch ihre
Größe die Planungen des Bündnisses normiert. Eigene Rüstungsan-
strengungen dürfen von niemandem als guter Grund genommen werden,
sich eigenen Aufwand zu sparen; andererseits sollen sie die Mili-
tärmacht aller anderen so unwidersprechlich überragen, daß die
sich den damit gesetzten Vorentscheidungen fügen. Hauptsächlich
gilt, daß Beiträge, die die militärischen "Optionen" des Bündnis-
ses erweitern, d i e Grundlage dafür sind, an seinen politi-
schen Vorhaben und strategischen Kalkulationen mitzuwirken. Eine
Garantie für die Berücksichtigung strategischer Sonderinteressen
von Frontstaaten sind sie andererseits doch nicht; deswegen liegt
immer ein Übergang zum Rüsten im Sinne einer rein national konzi-
pierten Strategie nahe - wie ihn Frankreich mit seiner "Force de
frappe" versucht hat. Damit wächst allerdings weder unbedingt der
Einfluß innerhalb der und auf die Allianz noch ist das der Durch-
bruch zu militärischer Autonomie. Weil also beim Rüsten alles
doppeldeutig ist, bekommt die Finanzfrage ein ganz eigenes Ge-
wicht: Es steht eben, paradox genug, nicht automatisch fest, daß
j e d e Mark fürs Militär eine gute Investition in die nationale
Souveränität ist. - So sucht jeder Partner ununterbrochen
s e i n e R o l l e im Bündnis; und das Bündnis ringt, gleich-
falls fortwährend, um seine E i n i g k e i t. Zwei Ergebnisse
stellen sich dabei mit tödlicher Sicherheit immer ein: Die
Schlagkraft des Bündnisses wächst, gerade mit dem und durch den
bündniskritischen nationalen Ehrgeiz der Mitmacher. Und: Der
Streit um strategische Konzepte und Sonderrollen, Lastenausgleich
und bessere Abstimmung lebt bei jedem beliebigen Anlaß immer wie-
der auf; denn zur Deckung kommt der souveräne Nationalismus mit
seinem Supranationalismus eben nie.
Folglich treffen die Westeuropäer zweitens mehrere Unterscheidun-
gen zwischen dem Feld der strategischen Grundsatzentscheidungen,
auf dem sie auf ihr Bündnis unter amerikanischer Leitung angewie-
sen bleiben, und den sonstigen Interessensgebieten nationaler
Weltpolitik. Als Wirtschaftsmächte und als Anspruchsteller gegen
Dritte k o n k u r r i e r e n sie mit aller Härte, betreiben
ihren Vorteil auf Kosten der anderen, ringen um die Herstellung
möglichst einseitiger Abhängigkeiten und scheuen sich nicht, ein-
ander ihre imperialistischen Kalkulationen und Vorstöße zu durch-
kreuzen, auch schon mal durch Hilfen für eine alternative Bürger-
kriegspartei. Sie konkurrieren, als wären sie nicht gleichzeitig
die an der Stärke ihrer Partner interessierten Verbündeten. Das
tun sie jedoch unter Verzicht auf jegliche Anwendung militäri-
scher Konkurrenzmittel gegeneinander, so als wären sie gar keine
Militärmächte, die über alle Möglichkeiten verfügen, unliebsame
Konkurrenzergebnisse durch Erpressungen der gewaltsameren Art zu
korrigieren. Daraus geht schon hervor, daß sie sich ihre Freihei-
ten beim Konkurrieren nur deswegen herausnehmen können und einan-
der gewähren müssen, eben weil sie ihre militärische Gewalt ver-
bündet und prinzipiell davon Abstand genommen haben, sie gegen-
einander zu gebrauchen.
Diese praktische Festlegung der konkurrierenden Mächte hat enorm
die Täuschung bekräftigt, die Konkurrenz der Nationen wäre ihrer
wahren Natur nach eine friedfertige Sache. Wie sehr das Gegenteil
der Fall ist, demonstrieren noch die Konjunkturen der wirtschaft-
lichen Konkurrenz zwischen den Europäern und ihrer militärischen
Supermacht: Die militärische Unterordnung ist die letzte still-
schweigende Garantie für die Haltbarkeit des Dollar als Weltwäh-
rung; und lange bevor diese Garantie in Marsch gesetzt werden
müßte, übersetzen sich die Finanzspekulanten der ganzen Welt mi-
litärische Stärke in geschäftliche Sicherheit. So ist denn auch
in den Sphären, wo die Verbündeten konkurrieren, die Konkurrenz
bei aller Härte nicht das letzte Wort, sondern die Macher der
NATO treffen sich, als so Verbündete, kontinuierlich d a n e-
b e n als "Weltwirtschaftsgipfel" und pflegen auch darunter eine
Politik der dauernden Absprachen.
Dennoch ist die politische Selbstunterscheidung der NATO-Europäer
als Wirtschaftsmächte von sich als US-Verbündete alles andere als
fiktiv. Auf dem Gebiet der ökonomischen Konkurrenz haben sie näm-
lich ein gemeinsames Interesse eigener Art aus der Taufe gehoben.
Hier, im nationalen Bemühen um die materiellen Grundlagen militä-
rischer und politischer Durchschlagskraft, erblicken sie die
Chance, ihr Ideal, zur militärisch gleichrangigen Weltmacht auf-
zuwachsen, in ein realistisches Projekt zu überführen. Als verei-
nigtes kapitalistisch-demokratisches Großunternehmen wollen sie
wirtschaftlich und politisch die Weltmacht sein, die sie militä-
risch nur dank amerikanischem Übergewicht - also n i c h t
s e l b e r haben. Das geht zwar nicht ohne neue Widersprüche
zwischen nationalem K o n k u r r e n z interesse und dem Willen
zur Gemeinschaft als einem M i t t e l des nationalen Fortkom-
mens. Aber diese Widersprüche haben die westeuropäischen Staaten,
das muß man ihnen lassen, tapfer hergestellt.
II. EG: Vorwärts zum "Binnenmarkt"
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Vom Materialismus des europäischen Weltmachtprojekts
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Das Programm der wichtigen westeuropäischen Staaten, gemeinsam zu
einem Machtblock der obersten weltpolitischen Güteklasse zu wer-
den, ist aus seiner idealistischen Anfangsphase längst heraus.
Der Materialismus, mit dem sie an ihren nationalen Grenzen zual-
lererst deren einschränkende Wirkungen auf das unter ihrer Obhut
wachsende Geschäftsleben kritisiert und eine Europäische Wirt-
schaftsgemeinschaft als Grundlage für ein einiges Europa gegrün-
det haben, erweist sich als trag- und ausbaufähig. Dieselben
Staaten, die sich eines Tages zum "europäischen Pfeiler" der NATO
entwickeln wollen, planen für die nächsten Jahre die Herstellung
binnenmarktähnlicher Verhältnisse untereinander. Der grenzüber-
schreitende Warenverkehr soll nicht mehr mit Ausgleichsabgaben
belegt, nicht mehr kentrolliert, ja überhaupt nicht mehr angehal-
ten werden. Alle nationalen Bestimmungen sollen fallen, die EG-
Ausländern irgendwelche Geschäfte im jeweiligen Inland oder auch
eigenen Bürgern gewisse - vor allem Geld- - Geschäfte im Ausland
verwehren oder erschweren; das gilt für diskriminierende techni-
sche Sicherheitsnormen ebenso wie für die Konkurrenz um Staats-
aufträge, für die Betätigungs- und Niederlassungsfreiheit von
Banken und Versicherungen ebenso wie für die Beteiligung an Wert-
papiergeschäften oder für Geldanlagen jeglicher anderen Art im
EG-Ausland. Für die Ernsthaftigkeit dieses Programms spricht nach
allgemeiner Auffassung der Betroffenen der "Kunstgriff" der EG-
Kommission, nicht auf einer Angleichung der unterschiedlichen na-
tionalen Zulassungsvorschriften - auf die ja nicht verzichtet
werden soll - zu bestehen, sondern kurzerhand die Zulassungsnor-
men jedes einzelnen Landes für im gesamten EG-Raum ausreichend zu
erklären. Und was den freien Kapitalmarkt betrifft, so besteht
Einigkeit darüber, daß damit sowohl die Angleichung der nationa-
len Steuersysteme als auch eine unwiderrufliche enge Anbindung
der nationalen Währungen aneinander und so die Vereinheitlichung
der jeweiligen staatlichen Verschuldungs- und Geldpolitik der Be-
teiligten auf der Tagesordnung steht. Sogar die einheitliche Eu-
ropa-Währung ist damit vom europabürgerlichen Ideal zum umstrit-
tenen Projekt befördert worden.
Das Projekt "Binnenmarkt": Nationale Wirtschaftspolitik als
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Konkurrenz um die freien Standortentscheidungen des Kapitals
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Der Zweck dieses Fortschritts gilt völlig unbefragt als stichhal-
tig und als verbindlich für jede moderne Staatsgewalt: Es geht um
mehr Freiheit, schlicht im Sinne eines ausgedehnteren Betäti-
gungsfeldes, fürs kapitalistische Konkurrieren. Die Regierungen
der Gemeinschaftsländer sind sich sicher, sich selbst und der von
ihnen betreuten Geschäftswelt am besten zu dienen, indem sie die-
ser letztlich kein anderes Gesetz auferlegen als die Notwendig-
keit, sich pur nach den immanenten kapitalistischen Bedingungen
des geschäftlichen Erfolgs gegen ihresgleichen zu behaupten und
durchzusetzen. Die Probleme, die sie ihren Geschäftsleuten damit
einbrocken, sind den Regierungen ebensogut bekannt wie die Chan-
cen, die sie ihnen eröffnen; denn Chancen und Probleme sind ein
und dasselbe, jeweils vom Standpunkt des Erfolgs bzw. des Mißer-
folgs aus gesehen: Schärfere Auslese der weniger Konkurrenztüch-
tigen sowie - als Mittel und Folge der verschärften, weil verall-
gemeinerten Konkurrenz - eine ganz neue Stufe der Zentralisation
des Kapitals stehen an; der Ruin ganzer nationaler Geschäfts-
zweige ist ebensowenig auszuschließen wie der Aufbau völlig neuer
Branchen, in denen das Kapital - wem auch immer es gehört - akku-
muliert. Und genau darum soll es gehen. Die nationalen Staatsge-
walten wollen nicht mehr die Hüter der unter ihrer Hoheit laufen-
den Geschäfte und die Förderer ihrer kapitalschweren Lieblings-
bürger bloß deswegen sein, weil es sich zufällig um ihre Bürger
handelt und weil ausgerechnet die gerade laufenden Geschäfte un-
ter ihrer Hoheit ablaufen. Diese Sorte nationaler Pietät gehört
nach gemeinsamem EG-Beschluß ebenso endgültig außer Kurs gesetzt
wie jedes offene oder heimliche nationale Autarkieideal. Für jeg-
liche Betätigung jeglichen Privateigentums soll die Alternative
gelten: entweder unter den Bedingungen europaweiter Freizügigkeit
konkurrenzfähig o d e r g a r n i c h t. Auf Förderung des
internationalisierten Geschäftslebens und keines anderen lautet
der EG-weit vereinbarte wirtschaftspolitische Staatsauftrag.
Das ist - entgegen manchen Gerüchten über "Deregulierung" - alles
andere als der Beschluß der EG-Regierungen, sich aus dem Wirt-
schaftsleben herauszuhalten. Der Gesichtspunkt ihres Engagements
ändert sich bzw. wird endgültig dahingehend festgelegt, nicht
mehr heimische Geschäfte um jeden Preis erfolgreich, sondern
e r f o l g r e i c h e G e s c h ä f t e b e i s i c h
h e i m i s c h z u m a c h e n. Das Kriterium aller Wirt-
schaftspolitik heißt S t a n d o r t: Die Staatsgewalten be-
trachten ihr Land, ihre nationale Klassengesellschaft, ihr eige-
nes Vorschriften-, Geldeinziehungs- und Wirtschaftsförderungswe-
sen, überhaupt alles nach seiner A t t r a k t i v i t ä t
f ü r e i n i n t e r n a t i o n a l d i s p o n i e-
r e n d e s K a p i t a l; dabei soll die Hauptattraktion eben
darin liegen, daß jedes EG-Land einen europäischen Standort zu
bieten hat, also einen, der den ganzen großen "Binnenmarkt"
erschließt. Dieser widersprüchliche Imperativ v e r-
s c h ä r f t die Konkurrenz zwischen den Partnerstaaten ebenso,
wie er das klassische Arsenal nationaler Konkurrenzpraktiken
außer Kraft setzt oder zumindest beschränkt: Jede nationale
Wirtschaftspolitik bemüht sich darum, das je bessere Angebot für
die Wachstumsstrategien des Kapitals bereitzustellen - für
Strategien, die gleich mit dem ganzen westeuropäischen Waren-,
Geld- und Kreditumsatz rechnen sollen; folglich dürfen die
nationalen Sonderangebote nicht wieder mit nationaler Beschrän-
kung oder entsprechenden Abwehrmaßnahmen der Partner verbunden,
müssen vielmehr EG-verträglich sein.
Auf diese Weise sollen alle i n t e r n e n K o n k u r-
r e n z bemühungen aufgehen in der H e r s t e l l u n g e i-
n e s g e s a m t w e s t e u r o p ä i s c h e n S t a n d-
o r t v o r t e i l s für die privaten Subjekte der Welt-
wirtschaft ein Ziel, mit dem die politökonomische W e l t-
l a g e neu bestimmt wird. Denn damit wird eine sehr viel
härtere Standortkonkurrenz gegen die zwei anderen Weltzentren der
Kapitalakkumulation, die USA und Japan, eröffnet; die dabei
angewandten Konkurrenztechniken werden gleich durch die ganze
Gemeinschaft ins Werk gesetzt.
N a t i o n a l e Wirtschaftspolitik ist unter diesen Vorzeichen
die entschlossene, selbstbewußte Dienstbarkeit nationaler Staats-
gewalten für einen einheitlichen europaweiten Kapitalismus. Das
ist insoweit eine politisch ganz unproblematische Angelegenheit,
wie sie gar nichts weiter bedeutet als ein Programm für die In-
dienstnahme von allem und jedem durch den Staat ausschließlich
fürs Kapital und ausschließlich nach dessen Erfordernissen. Die
Aufbereitung einer Nation zum immer perfekteren Kapitalstandort
hat allerdings auch ihre kostspielige Seite und damit stellt sich
für die konkurrenzschwächeren Nationen ein gewisses Dilemma ein.
Der entsprechende staatliche Finanzbedarf erfordert nämlich ent-
weder Steuern, die letztlich doch auch das im Lande tätige Kapi-
tal belasten, oder ein Verschuldung, die das im Lande zirkulie-
rende Geschäftsmittel und damit das national engagierte Kapital
entwertet. Beide Wirkungen sind vergleichsweise hinderlich für
die Akkumulation kapitalistischen Reichtums, widersprechen also
dem Zweck der Veranstaltung.
Auch die insoweit benachteiligten westeuropäischen Staaten suchen
deswegen aber nicht den Weg zurück in eine Politik der nationalen
Ausgrenzung aus der freien, internationalen Konkurrenz der Kapi-
tale und der Staaten um Kapitalanlagen - auf nationalem Boden und
in nationaler Währung -, sondern verfolgen grundsätzlich, gemein-
sam mit ihren als Kapitalstandorte begehrteren Partnern, das ge-
nannte "Vorwärts"-Programm.
Diese Politik hat zum einen in den geschaffenen ökonomischen Fak-
ten ihren Grund. Der grundsätzliche politische Wille der betei-
ligten Staaten, sich für Import und Export, für die entsprechen-
den Zahlungs- und Kreditgeschäfte, für Investitionen aus und in
fremden Ländern usw. zu öffnen; ihr Entschluß, die eigene Währung
gegen das Geld anderer Herren konvertibel zu machen und einem
Vergleich durchs Kapital auszusetzen; das daraus resultierende
Problem der Devisenzu- und -abflüsse, der Wechselkursschwankungen
und der Zahlungsbilanznöte, die durch Währungskredite fremder No-
tenbanken und des IWF überbrückt, verewigt und vergrößert werden:
Das alles hat seine Wirkung längst getan. Die nationalen Ökono-
mien der EG-Länder s i n d de facto zu national bestimmten Ab-
teilungen eines weltweiten Geschäftslebens geworden; ihr Wirt-
schaftswachstum hängt davon ab, wie gut sie sich als regionale
Geschäftssphäre, Land und Leute als Geschäftsmittel, ihre Währun-
gen als Kreditmittel des Kapitals bewähren. Der Wille der Regie-
rungen, an sich und ihre Nationen den Maßstab des Kapitalstand-
ortes anzulegen, hat dank ausgiebiger Betätigung die Festigkeit
eines ökonomischen Sachzwangs gewonnen.
Aus dieser Sachlage gedenken alle EG-Regierungen - mehr oder we-
niger - durch ihr gemeinschaftliches "Binnenmarkt" -Projekt das
Beste zu machen. Es liegt in der Natur der Sache, daß dieses Be-
ste je nach den bereits erzielten Erfolgen für die verschiedenen
konkurrierenden Regierungen einigermaßen unterschiedlich aus-
sieht.
Die Konkurrenzlage der führenden EG-Wirtschaftsmacht:
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Vom Exporterfolg zum Welterfolg der D-Mark
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Die BRD als fest etablierte Exportnation hat erst einmal keine
wirklichen nationalen Standortprobleme - die weit in die Zukunft
reichenden vorsorglichen Sorgen, ehrlich oder geheuchelt, um den
"Produktionsstandort BRD" belegen das. Aus deutschen Landen her-
aus wird in alle Welt hinaus und vor allem an Kundschaft in den
EG-Nachbarländern verkauft, was das Zeug hält, mit weltrekordmä-
ßigen Handelsbilanzüberschüssen. Entsprechend gefragt ist von da
her die bundesdeutsche Währung. Das ist die Basis für den Rang
der D-Mark als weltweit - und wiederum vor allem von den Nachbarn
- benützte Dollar-Alternative. Dies ist freilich - frei erfunden
sind die entsprechenden Besorgnisse der "Währungshüter" in Frank-
furt schließlich nicht - ein Erfolg mit Risiko. Schon längst ist
es nämlich nicht mehr einfach der internationale Warentausch mit
seinen positiven oder negativen Salden, wonach sich - "letztlich"
- die Wechselkurse der Währungen und damit die Kaufkraft nationa-
ler Gelder und die Konkurrenzfähigkeit nationaler Preiskalkula-
tionen, die Verschuldungsfähigkeit ganzer Nationen und die gülti-
gen Zinssätze - und was es sonst noch an "ökonomischen Rahmenda-
ten" gibt - richten. Das ist schon gar nicht der Fall bei den
vier oder fünf Währungen, in denen die internationalen Finanzope-
rationen abgewickelt werden. Diese Kreditgeschäfte - deren durch-
schnittlicher Umfang p r o T a g in etwa dem Gesamtwert des
Welthandels p r o M o n a t entspricht! - "machen" die Wech-
selkurse der Weltwährungen; die Finanzspekulation hat längst alle
Berechnungen der Ex- und Importkaufleute von sich abhängig ge-
macht.
Dieses Verhältnis halten alle Macher und Betreuer der nationalen
Wirtschaftslage nur unter einer Bedingung für "gesund": Die zum
universellen Kredit- und Spekulationsmittel aufgestiegene Währung
muß als Maß und Masse kapitalistischen Reichtums dadurch fest be-
gründet sein, daß sich ein produktives Geschäftsleben von welt-
wirtschaftlich bedeutender Größenordnung "naturwüchsig" darin be-
wegt und für "reale" Bilanzposten sorgt, die der internationalen
Finanz- und Geschäftswelt Eindruck machen. Auf die Konjunkturen
solcher Bilanzen beziehen sich nämlich alle Agenten dieses Gewer-
bes noch allemal als handfestes Korrektiv in ihre freihändigen
Handwerk: Finanzpolitiker lesen daran - im Verhältnis zu den ent-
sprechenden Daten der Konkurrenznationen - das Maß ihrer Freiheit
zu weiterer Kreditschöpfung ab; Finanzanleger stellen solche Zah-
len als gewichtige Argumente für oder gegen die Wertstabilität
ihrer Finanzanlagen in Rechnung; Nationalbanken schätzen danach
die Güte ihrer verschiedenen Gattungen von Devisenreserven ab und
richten ihre An- und Verkaufspolitik auch danach ein. So handeln
alle, jeder auf seine Weise, auch nach dem Kriterium, ob und wie
leicht und verlustfrei die Materie ihrer Spekulationsgeschäfte
mit fiktivem Reichtum sich "rückübersetzen" läßt in - und die
Kreditzettel einer Staatsnotenbank sich gebrauchen lassen als
wertbeständige - K a u f m i t t e l der schlichtesten Art: Zwar
darf ein solcher Gebrauch nie mehr wirklich passieren, das wäre
eine prompte "Finanzkatastrophe"; nichtsdestoweniger g i l t
dieser Gesichtspunkt, und deutsche Bundesbanker tun überhaupt
nichts außerhalb ihres selbstgewählten Diktats der unbedingten
"Geldwertstabilität".
Ob es die gibt, hängt freilich nicht von ihnen ab. Was eine
"Weltwährung" braucht, um eine zu werden und zu bleiben, ist vor
allem anderen M a s s e an k a p i t a l i s t i s c h e m
R e i c h t u m, der sich erfolgreich dieser Währung für sein
reales Wachstum bedient; eine solche Masse nämlich, daß e r die
Spekulation ebenso bewegt, wie seine Verwendung von der weltwei-
ten Spekulation bewegt wird. Die wirklich nationale Geschäftstä-
tigkeit muß ganz einfach einen solchen U m f a n g haben, daß
die "Trends" im weltweiten Finanzgeschäft, nach denen sich Im-
portpreise und Exportchancen, Zinsen und Entwertungsraten im in-
ternationalen Vergleich richten, sich ihrerseits ganz von selbst
nach den Importen und Exporterfolgen, Zinssätzen und Inflati-
onsmargen der für diese Währung zuständigen Nation richten. Ein
Wirtschaftsraum von der für eine alternative Weltwährung nötigen
Wucht und Größe ist die BRD nicht; aber in der EG hat sie ihn
sich geschaffen u n d gleichzeitig ihre D-Mark als Weltfinanz-
mittel durchgesetzt. Denn zuerst einmal haben sich innerhalb die-
ser Freihandelszone die Handelsbilanzen so gestaltet, daß ringsum
ein handfestes Bedürfnis nach D-Mark-Zuflüssen entstanden ist.
Die Bilanzen aus Wirtschaftswachstum und Inflationsraten sprachen
ebenfalls für die bundesdeutsche Währung als solides Instrument
des Geldkapitals. Diese Bedarfslage hat sich zur notorischen
Stärke der D-Mark gegenüber notorisch schwachen europäischen Kon-
kurrenzwährungen verfestigt.
Der bundesdeutsche Beitrag zu Europa:
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Ausbau des D-Mark-Imperialismus
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Dieses Kräfteverhältnis ist im Europäischen Währungssystem, der
Antwort der wichtigsten EG-Nationen - außer Großbritannien - auf
den Dollarverfall gegen Ende der 70er Jahre, regelrecht institu-
tionalisiert. Die teilnehmenden Nationalbanken sind untereinander
verpflichtet, ihre Währungen in festen Austauschverhältnissen zu
halten, und zwar nicht per administrativer Festlegung, sondern
mit den Mitteln der bankmäßigen Marktbeeinflussung, also durch
Aufkaufen des eigenen Geldes, gegebenenfalls auch mit Hilfe von
Währungskrediten der anderen Nationalbanken, bzw. durch Verkauf
eigener Währung, sobald sich der Kurswert des jeweiligen nationa-
len Geldes um mehr als den vereinbarten Prozentsatz - 2,5 % bzw.
im Fall der italienischen Lira 6 % - vom ebenfalls vereinbarten,
als "Europäische Währungseinheit" ausgedrückten gemeinsamen Mit-
telwert der EG-Währungen entfernt. Dabei ist es keineswegs so ge-
kommen, daß die D-Mark dauernd am oberen, die anderen Währungen
fortwährend am unteren Interventionspunkt operieren würden. Der
Unterschied ist etwas anders gelagert, nämlich ein bißchen prin-
zipieller:
Die Bundesbank bezieht sich mit ihrer Kurspflege für die D-Mark
auf den Dollar; alle anderen Nationalbanken im EWS beziehen sich
auf die Relation ihrer Währung zur D-Mark. Da kommt es dann
durchaus vor, daß einem Dollarverfall durch Dollarkäufe gegen DM
entgegengewirkt wird, die innerhalb des EWS den DM-Kurs sinken
lassen; oder auch daß ein Dollarkursgewinn sich vor allem als DM-
Schwäche, auch im Vergleich zu anderen EWS-Währungen, geltend
macht, eben weil das internationale Spekulationswesen bevorzugt
diese beiden Währungen als Alternative behandelt. Auf alle Fälle
setzt die D-Mark mit ihrem gepflegten Verhältnis zum Dollar die
Angebots- und Nachfrage- sowie Wechselkursverhältnisse, an die
die anderen Währungen nach den erwähnten EWS-Regeln angebunden
sind. Folgerichtig beschwert man sich in Frankfurt gerne über die
Ansprüche der verbündete Nationalbanken, die Bundesbank sollte
ihre Geldpolitik mehr an europäischen Gemeinschaftsansprüchen als
an ihrem Dollar-bezogenen "Stabilitätsfimmel" ausrichten; wollte
an den Bundesbankern aufs Wort glauben, so wären Franc, Lira und
Pesete ein einziges Hindernis für ein korrektes Währungshüten. So
sieht die Welt allerdings wirklich nur vom bornierten Standpunkt
einer Nationalbank aus, die im gesamten Wirtschaftsgeschehen und
Finanzverkehr nichts anderes als entweder die segensreichen Wir-
kungen der eigenen Geldpolitik und Kurspflege oder lauter Gefah-
ren dafür auszumachen vermag. Tatsächlich ist das relative Ge-
wicht der D-Mark gegenüber dem Dollar, also für die beide Währun-
gen vergleichende Weltfinanzspekulation, gerade dadurch bestimmt,
daß die DM praktisch die "Leitwährung" für alle Teilnehmer am EWS
i s t - ein Erfolg, den die Bundesbanker nicht geschaffen haben,
von dem sie vielmehr profitieren bei ihrer "stabilitäts-
orientierten" Kurspflege. Die anderen Staaten - und das sind
neben den meisten EG-Partnern de facto auch noch einige EFTA-
Nachbarn - bilden insoweit nämlich tatsächlich e i n e n D M -
B l o c k, auch ohne daß sie ihre Schillinge oder Franken
umbenennen müßten.
Von dieser Errungenschaft eines europäischen DM-Blocks geht die
bundesdeutsche Wirtschaftspolitik bei ihrer Zukunftsplanung aus.
In Frankfurt und Bonn will man sich unter einer "Entwicklung" in
zum europäischen Binnenmarkt nur vorstellen können, daß die An-
bindung der anderen Währungen an die DM immer einseitiger und
vollkommener wird. Man fordert die totale Freizügigkeit des Kapi-
tals - wobei stillschweigend unterstellt ist, daß die vermehrte
Freizügigkeit selbstverständlich hauptseitig eine solche i n
d i e D - M a r k h i n e i n ist, also der Position der D-
Mark als Welt-Finanzmittel gut bekommt. In diesem Sinn regi-
striert man bereits und erwartet für die Zukunft eine schwindende
Bedeutung jenes "Eurodollarmarkts", wo auf Dollar lautendes Fi-
nanzkapital sich frei von nationalen Auflagen und Schranken um-
herbewegt; er gilt als eine Art vorläufige Ersatzlösung für den
wahrhaft freien Eurokapitalmarkt, den man in den nächsten Jahren
durchsetzen will. Den Sorgen gewisser Partner wegen dann womög-
lich drohender Kapitalflucht aus Lira und Franc heraus wird kei-
nerlei Berechtigung zugebilligt: Genau diesem Problem
s o l l e n die anderen sich stellen und mit der Gleichschaltung
ihres Geldausgabewesens, vom Haushaltsgebaren des Staates bis zur
Kreditpolitik der Nationalbank, auf die bundesdeutsche Linie da-
für sorgen, daß ihr Geld sich fürs Kapital als Unterabteilung der
D-Mark b e w ä h r t.
Diskutiert wird die schöne Alternative, ob die Subsumtion der
Partnerstaaten unter die bundesdeutsche Finanz- und Währungspoli-
tik erst erfolgreich vollendet sein muß, bevor man dieses Ein-
heitswerk durch eine gemeinsame Währung - selbstverständlich un-
ter der Obhut einer der Bundesbank nachempfundenen Zentralnoten-
bank - "krönt", oder ob nicht umgekehrt von einer Einheitswährung
- die in dem Fall selbstverständlich erst recht unter solcher,
sprich: deutscher Obhut stehen muß - ein produktiver Zwang auf
die schwächeren Partner ausgehen könnte, alles wirtschaftspoliti-
sche Experimentieren zu lassen und sich als linientreuer Teil des
DM-Blocks einzurichten. Klar ist auf alle Fälle, daß die Wucht
der D-Mark als alternative Weltwährung nicht leiden darf, wenn
das EWS in Richtung auf eine noch engere Verkoppelung der europä-
ischen Währungen weiterentwickelt wird; eine weitergehende Bei-
standspflicht der D-Mark-Macher für schwächere Kandidaten kommt
nicht in Frage. Wenn umgekehrt alles der D-Mark hilft, läßt man
über deren europäischen Einheitsnamen mit sich reden.
Diese Sorte V e r e i n h e i t l i c h u n g der nationalen
Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitiken halten Bundesbanker und
-regierung für die unerläßliche Voraussetzung, um einer
V e r e i n i g u n g der europäischen Staaten zu e i n e r
wirtschaftlichen Weltmacht näherzurücken. Sie stellen sich sogar
auf den Standpunkt, vor allen Vereinigungsschritten müßte es den
Staaten, die mit schlechteren Bilanzen dastehen, erst einmal ge-
lingen, ihre Defizite im Außenhandel wie im Vergleich der Infla-
tionsraten, bei der Freizügigkeit des Kapitals und gleichzeitig
in ihrer Zahlungsbilanz, in Sachen Staatsverschuldung usw. abzu-
bauen und auszugleichen. Die Verlogenheit dieses Anspruchs wird
sogleich deutlich, wenn man ihn einmal in Gedanken in der Weise
ernst nimmt, daß dann ja wohl alle bundesdeutschen Bilanzüber-
schüsse und vergleichsweisen Vorteile hinfällig würden: Es ist ja
gar nicht gemeint, daß die anderen wirklich "gleichziehen", son-
dern daß sie sich darum b e m ü h e n, und zwar nach genau dem
Kodex der uneingeschränkten kapitalistischen Konkurrenz, mit dem
die bundesdeutschen Wirtschaftspolitiker sich so stark fühlen und
ihrer Ü b e r l e g e n h e i t sicher sind. Man könnte sich im
übrigen auch fragen, weshalb es eigentlich keine Außenhandelsbi-
lanz-Ungleichgewichte zwischen den europäischen Partnern soll ge-
ben dürfen, b e v o r das "Einigungswerk" weitergeht, wenn doch
mit der Einrichtung des europäischen B i n n e n markts der Han-
del zwischen den EG-Nationen den Charakter des A u ß e n handels
verlieren soll, so daß mit den entsprechenden Bilanzen auch deren
etwaige Defizite schlicht hinfällig würden. Auf dem Standpunkt
eines solchen Endergebnisses wirklicher Binnenmarktverhältnisse
steht die deutschnationale Wirtschaftsleitung aber eben gar nicht
- woraus allerdings nicht zu schließen ist, die Bundesregierungen
würden dann offenbar das Ziel einer wirklichen wirtschaftlichen
Einigung Europas nicht ernstlich anstreben. Dieser Staat buchsta-
biert "europäische Vereinigung" ganz stur als V e r a l l-
g e m e i n e r u n g s e i n e r P o l i t i k. Ganz impe-
rialistisch, ist ihm die Durchsetzung von M a ß s t ä b e n,
nach denen alle Souveräne handeln m ü s s e n - so daß ihre
Souveränität immer formeller und leerer wird -, wichtiger als der
numerisch eine europäische Souverän; d e n will man in Bonn
nicht, wenn nicht klar ist, w a s f ü r e i n e n S t a a t
er regiert - so einen erzkapitalistischen nämlich wie die
bundesdeutsche Exportnation. D i e, bloß ca. zehnmal so groß,
will die deutsche Bundesregierung.
Das Europa-Programm der wichtigsten schwächeren Partner:
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Mehr Mitbestimmung im DM-Block
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Die währungsmäßig schwächeren Hauptkonkurrenten der BRD,
Frankreich und Italien, problematisieren genau spiegelbildlich
die Schranken, die das Wechselkursarrangement im EWS und das
Übergewicht der D-Mark in diesem System ihrer Wirtschaftspolitik
auferlegen - insbesondere allen Versuchen, mit Massen staatlich
geschöpften Kredits ein nationales Wirtschaftswachstum zu bewerk-
stelligen, das ihre Nation als erstklassigen Kapitalstandort emp-
fiehlt. Tatsächlich hat ja die erste sozialistische Regierung un-
ter Mitterrand ein solches Programm unter dem Druck der bundes-
deutschen Finanzpolitiker und Währungshüter, die dem verfallenden
Franc die Stützung versagten, widerrufen; die nachfolgende bür-
gerliche Regierung hat ausdrücklich die Bonner Politik des
schrankenlosen Kapitalwettbewerbs kapiert - die bestehenden Kon-
kurrenznachteile gegenüber der BRD, ablesbar an den beiderseiti-
gen Handelsbilanzen, auf diese Weise aber auch nicht verringert.
Der vom international disponierenden Kapital dauernd vorgenommene
praktische Vergleich der Währungen bringt das italienische und
französische Kreditgeld nach wie vor in Abhängigkeit von ihrem
"Vorbild".
Die ganze Wahrheit ist der Ärger in Italien, Frankreich usw. über
fremdes, nämlich deutsches Hineinregieren in den staatlichen Zu-
griff auf den nationalen Reichtum und in dessen produktive Förde-
rung allerdings genausowenig wie die bundesdeutschen Beschwerden
über die "Last" mit Franc und Lira. Das ist schon daran zu sehen,
daß diese Länder den kapitalistischen Leistungsvergleich ihres
nationalen Kreditgeldes mit der D-Mark ja w o l l e n und sogar
die Beseitigung der noch existierenden Beschränkungen dieses Ver-
gleichs, nämlich ihrer letzten Kapitalverkehrskontrollen und -
verbote, nicht bloß planen, sondern einleiten. Und dafür haben
sie ihre guten Gründe. Was nämlich vom Standpunkt des National-
stolzes aus als Unterwerfung unter teutonische Diktate erscheint,
ist im Lichte des Nationalinteresses betrachtet eben doch eine
unentbehrliche Stützung der eigenen weltwirtschaftlichen Posi-
tion: Franc, Lira u.a. sind und bleiben ein akzeptiertes Kredit-
mittel des internationalisierten Kapitals gerade w e g e n ih-
rer Unterordnung unter das bundesdeutsche Weltgeld und ihrer ei-
nigermaßen festen, garantierten Kursrelation zu diesem. Von die-
ser festgelegten Teilhaberschaft am DM-Block gehen die Regierun-
gen aus mit allen ihren nationalen Konkurrenzbemühungen. So
p r o f i t i e r e n sie von dem Zwang, an dem sie sich stören.
Inwiefern sie nach eigenem Urteil z u w e n i g profitieren,
wird aus ihrem Streit mit den Bundesdeutschen auch noch deutlich.
Denen werfen sie in der Sache vor allem vor, daß sie sich ge-
stützt auf die Gemeinschaft - hauptsächlich am Weltmarkt jenseits
der EG-Grenzen, währungspolitisch am Dollar, deswegen auch
zinspolitisch an den US-Zinssätzen usw. ausrichten würden, statt
erst einmal und vorrangig den Wirtschaftsblock selbst zu stärken.
Sie befürworten eine entschlossene Fortentwicklung des EWS in
Richtung auf eine europäische Gemeinschaftswährung und verlangen
als ersten Schritt dahin von der deutschen Bundesbank, daß sie
nicht mehr beinahe ausschließlich Dollar als Devisenreserve hält,
sondern größere Reservepositionen in EWS-Währungen aufbaut und
diese damit qualitativ aufwertet. Außerdem soll überhaupt die
"Europäische Währungseinheit" - ECU -, die fürs EWS als Rechen-
einheit geschaffene, auf eine bestimmte Summe aus den Geldern der
EG-Staaten lautende Geldgröße, zum vorrangigen Kreditmittel zwi-
schen den im EWS verbundenen Notenbanken werden und auch auf dem
europäischen Kapitalmarkt als Geschäftsmittel für Private, im
Endeffekt als neues Papiergeld eingeführt werden.
Die Absicht ist unverkennbar die, den bundesdeutschen Standpunkt
des offenen Weltmarkts, auf dem noch immer das Verhältnis zum
Dollar über Wert und Tauglichkeit einer Währung entscheidet, zu
schwächen. Ihre Abhängigkeit von der D-Mark, die sie keineswegs
kündigen, wollen die EG-Partner der BRD überführen in eine Abhän-
gigkeit aller von einem mehr als bisher gemeinschäftspolitisch
gelenkten Kreditversorgungssystem, in dem eines Tages nicht mehr
die D-Mark mit ihrem Verhältnis zum Dollar, sondern der als Welt-
währung mit dem Dollar konkurrierende kollektive Euro-Staatskre-
dit - ECU oder welchen Namens auch immer - die Vorgaben für alle
nationalen Außenbilanzen, Zinssätze und Inflationsraten setzt.
Selbst wenn die BRD dann - absehbarerweise - immer noch der
stärkste Partner bleibt, hätten zumindest nicht mehr unmittelbar
die bundesdeutschen Entscheidungen den Rang verbindlicher Diktate
für alle nachgeordneten Profiteure am DM-Block.
So soll ein vorrangig auf sich selbst orientiertes Europa entste-
hen, das den Beteiligten das Konkurrieren e r l e i c h t e r t.
Die Regierungen könnten sich leichter tun mit ihrer Kreditschöp-
fung, wenn sie entweder über garantierte EWS-Kredite oder direkt
über eine gemeinsame Währung Zugriff auf ein k o l l e k t i v,
durch die gesamte Gemeinschaft garantiertes Kreditmittel bekämen.
Diesem Kredit- und währungspolitischen Interesse - das die bun-
desdeutschen Nationalbanken als Wunsch nach "geborgter Stabili-
tät" geißeln - entspricht auf handelspolitischer Ebene der An-
trag, den europäischen "Binnenmarkt" durch eine gemeinschaftliche
Anwendung von bislang national verhängten Handelsschranken nach
außen gegen die japanische und amerikanische Standortkonkurrenz
zu kräftigen.
Mit ihrem währungspolitischen Europaideal sind die Regierungen
Frankreichs und Italiens bislang allerdings nicht sehr weit ge-
kommen. Es ist ihnen gerade gelungen, das Volumen einer Gemein-
schaftsanleihe für Währungskredite an Notenbanken mit negativer
Zahlungsbilanz von 8 auf maximal 14 Milliarden ECU zu erhöhen -
dafür haben die Deutschen härtere Bedingungen für die Vergabe
solcher Beistandskredite durchgesetzt. Und was die allgemeine
Verwendung des ECU als Kreditgeld betrifft, so hat dieses
"Währungskörbchen" im Vergleich mit D-Mark und Pfund wenig zu
melden - auch wenn zur Überraschung der Finanzwelt ausgerechnet
die britische Regierung, die sich dem EWS bislang ferngehalten
hat - obwohl ihr Pfund im ECU auch enthalten ist -, ein wenig auf
die Zukunft dieser Quasi-Währung spekuliert: Sie will eine auf
ECU lautende Staatsanleihe auflegen, also - erstmals überhaupt in
dieser Form - ihr Publikum mit Wertpapieren dieser neuen Denomi-
nation versorgen.
"Sachzwang" Verelendung, "Strukturpolitik" und Soziales
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Ideale und Praxis des Zusammenschlusses ändern nichts an dem
wirtschaftspolitischen Dilemma der schwächeren EG-Staaten, daß
ihr Bemühen um die Beseitigung nationaler Standortnachteile - im
oben angegebenen Sinn - die nationalen Finanzen strapaziert und
insofern selber einer ist. Mit jedem Schritt zu mehr Freizügig-
keit fürs Kapital wird dieses Dilemma verschärft, und zwar auf
beiden Seiten: Die Anforderungen an kapitalfreundliche Standorte
fürs Produzieren und Handeltreiben wachsen mit der Zentralisation
und den Dispositionsfreiheiten der im EG-Raum tätigen Kapitale,
und ein gigantisches Spekulationsgewerbe reagiert prompt und wir-
kungsvoll auf jedes "Schwächezeichen" eines nationalen Kreditgel-
des. So droht immer weiteres Zurückfallen der "benachteiligten"
Staaten. Um es abzuwenden, müssen die zuständigen Regierungen
planmäßig und energisch in ihrem Land die Scheidung zwischen ka-
pitalistisch uninteressanten "Randgebieten" und nationalen Zen-
tren der Kapitalakkumulation - die mit entsprechenden Freiheiten
fürs Geschäftemachen aufwarten können - betreiben; die Verelen-
dung ganzer Regionen des EG-Raumes ist damit programmiert. Auch
diesem selbstgeschaffenen Sachzwang entzieht sich keiner der Be-
teiligten sie alle machen wiederum das Beste, nämlich einen Ge-
genstand gemeinschaftlicher Politik daraus.
Europamäßig betrieben und vorangetrieben wird vor allem die
"sektorale" Scheidung der Landwirtschaft in einen verelendenden
und zum Absterben vorgesehenen Kleinbauernstand und eine konkur-
renztüchtige Agrarindustrie - mit Regelungen, die einen letztlich
aussichtslosen bäuerlichen Selbstbehauptungswillen zu einer Mas-
senproduktion provoziert haben, deren Vermarktung bis auf wei-
teres die fortwährend kritisierten zweistelligen Milliardenbe-
träge kostet. Die Regierungen engagieren sich hier heftig, aber
ganz und gar nicht für die Rettung bäuerlicher Existenzen - wie
sie gerne sagen -, sondern weil sie den EG-Agrarhaushalt, gerech-
terweise, unter dem Gesichtspunkt einer N e t t o u m v e r-
t e i l u n g v o n F i n a n z m i t t e l n zwischen den EG-
Staaten betrachten, und zwar der einzig nennenswerten. Denn wie
und an wen auch immer die Stützungs-, Interventions- oder wer
weiß was für Preise, Produktions- und Stillegungsprämien,
Existenzgründungsdarlehen und Ruhegelder letztlich ausgezahlt
werden: Für die Finanzpolitiker handelt es sich um einen echten
Transfer von Reichtum zwischen den EG-Partnern, den die einen -
vor allem die bundesdeutschen - als faux frais der Gemeinschaft,
die anderen als Zuschuß für ihre "Strukturpolitik" verbuchen.
Eine Umwälzung der herkömmlichen landwirtschaftlichen Pro-
duktionsweise machen sie nebenher sowieso alle daraus. Und dabei
setzen die Regierungen der finanzschwächeren Länder alles daran,
nicht insgesamt als uninteressanter Standort einsortiert zu
werden, sondern selbst ihr Land in verödende und boomende
Regionen zu sortieren. Die entsprechenden Erfolge finden
gemeinschaftsweite Anerkennung in Form eines vergleichsweise
lächerlich dotierten, aber mit viel Aufmerksamkeit verteilten
"Strukturfonds", der diese regionale Sortierung des EG-Raumes
wenigstens symbolisch kompensieren soll; aus seinen Mitteln
werden auf alle Fälle periodische Kataster des kapitalistischen
Erfolgs im EG-Raum erstellt.
Das entscheidende wirkliche Kompensationsmittel, über das die
verschiedenen EG-Regierungen in ihrer Standort-Konkurrenz verfü-
gen, ist ihre unumschränkte Hoheit über die Bedingungen, zu denen
das Kapital in ihrem Land die Arbeit kommandieren und ausnutzen
kann; logischerweise sorgt hier die Konkurrenz für eine Nivellie-
rung auf das höchste Niveau kapitalistischer Ansprüche. EG-weit
sind inzwischen die bundesdeutschen Gebräuche in Fragen der Ar-
beitsdisziplin durchgesetzt worden; selbst Italien und Großbri-
tannien können inzwischen melden, daß sie so gut wie
s t r e i k f r e i sind. Umgekehrt betrachtet man in Bonn ziem-
lich pauschal alle bislang erlassenen, irgendwie einschränkenden
Vorschriften für die Benutzung von Arbeitskräften und die angeb-
lich aus "Netto-" und "-nebenkosten" zusammengesetzten Löhne so-
wieso als speziell deutsche Standortnachteile, die unbedingt fal-
len müssen, bevor sie unter Binnenmarktbedingungen ihre kapital-
abschreckenden Wirkungen tun. Auf der damit vorgegebenen Linie
schreiten die Tarifpartner bereits voran; und wenn Gewerkschafter
und Bundeskanzler sich einig sind, daß unbedingt auf die "soziale
Komponente" Europas geachtet werden müsse und "Mindeststandards"
der sozialen Sicherung nötig wären, dann ist klar, was demnächst
alles im Zeichen des Binnenmarktes "zur Debatte gestellt", also
abgeschafft wird. In diesen Fragen lassen die EG-Regierungen ein-
ander freie Hand. In Fragen des Umweltschutzes dagegen haben sie
die Unerläßlichkeit eines gewissen Vorschriftenwesens als Hebel
für die seltsamsten Winkelzüge der nationalen Konkurrenz, sogar
auf der eigentlich zur Überwindung vorgesehenen Ebene der Diskri-
minierung ausländischer Produkte - selbstverständlich im Namen
eines zu verhindernden Umweltschadens -, entdeckt und gebrauchen
ihn eifrig mit dem Erfolg, daß aus Giften und Dreck des europäi-
schen Kapitals ein lebendiger Zweig der Gemeinschaftspolitik ge-
worden ist.
Grund, Zweck und Motor der europäischen Einigung:
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Eine politische Ökonomie des Antiamerikanismus
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In allen seinen errungenen und geplanten Fortschritten ist der
Staatenblock namens EG ein widersprüchliches Gebilde: In ihm ge-
hen N a t i o n a l s t a a t e n eine immer engere
G e m e i n s c h a f t ein, um die materielle Basis und die
Schlagkraft ihrer Macht zu vergrößern. Ihre Konkurrenz hört ge-
nausowenig auf wie ihr Bemühen um wechselseitige Aushöhlung ihrer
Souveränität in allen Angelegenheiten ihrer nationalen Ökonomie
durch einvernehmlich eingerichtete und gemeinsam verwaltete Sach-
zwänge. Die Einigungspolitik jedes Staates erweist sich immer
wieder als Kampf um die Benutzung aller anderen zum eigenen Vor-
teil; und diese Politik der Gleichschaltung der Partner auf Prin-
zipien des eigenen Interesses verlangt immer wieder Zugeständ-
nisse an den berechnenden Vereinheitlichungswillen der anderen.
Daß dieser widersprüchliche Wille von Nationalstaaten zur Supra-
nationalität überhaupt gefaßt wurde und - mal schnell und mal zö-
gerlich, mal methodisch und mal durch die Heraufbeschwörung so
von niemandem gewollter Sachzwänge - immer mehr supranationale
Fakten schafft, nach denen die kapitalistischen Gesellschaften
der verbündeten Nationen sich dann auch ausrichten: Das hat sei-
nen Grund folglich nicht in einem schlichten freien Beschluß der
kooperierenden Regierungen. Der Grund für "Europa" liegt
a u ß e r h a l b dieses seltsamen Gebildes.
Würden sich nämlich die konkurrierenden westeuropäischen Natio-
nalstaaten bloß a n e i n a n d e r messen, so hätte der Wille
zur Vergrößerung per Gemeinschaft überhaupt keinen praktischen
Bestand. Er hat Bestand, weil diese Staaten den produktiven
Reichtum, dessen Mehrung sie betreuen und voranbringen wollen,
und ihre dadurch materiell begründete wirkliche Souveränität al-
lesamt am M a ß s t a b d e r U S A messen und um keinen
Preis an einem geringeren Maßstab bemessen w o l l e n.
Tatsächlich ist ja auch dieser Maßstab nicht frei herausgesucht
und auch nicht bloß eine ideelle Meßlatte ihrer ökonomischen Be-
deutung, sondern eine durch die USA selbst praktisch gesetzte po-
litökonomische Vorgabe für alle Staaten, die am Weltmarkt teil-
nehmen wollen und den Ehrgeiz haben, dieses Gebilde sich nutzbar
zu machen. Keinem der bürgerlichen Nachkriegsstaaten blieb die
Entdeckung erspart, daß ihre wirtschaftspolitische Autonomie
schon ausgehöhlt ist, sobald sie sich überhaupt ins weltwirt-
schaftliche Geschehen einschalten wollen, nämlich durch die
M i t t e l, die sie dafür benutzen dürfen und müssen. Insbeson-
dere um das universelle G e s c h ä f t s m i t t e l, das ame-
rikanische Kreditgeld namens Dollar, kamen sie nicht herum; zu
ihm mußten sie sich ins Verhältnis setzen, weil in ihm jedes
freigelassene Kapital seinen Erfolg bilanziert und seine Schlag-
kraft besitzt. I n s o f e r n war der Supranationalismus des
Dollar die Voraussetzung, unter der die modernen bürgerlichen
Souveräne als politökonomische Subjekte angetreten sind; und von
da her bestimmt sich ihre Bereitschaft, gemeinsame Sache zu ma-
chen.
So war schon die Gründung der EWG die Antwort der kapitalisti-
schen Nationalstaaten Westeuropas auf die Lage, daß sie mit all
ihrer Währungshoheit dem Dollar unwiderruflich geöffnet und mit
all ihrer Wirtschaftpolitik Gegenstand der Standortentscheidungen
amerikanischen Kapitals von überlegener Größe waren. Nicht Entzug
sollte die Antwort sein, sondern Mitmachen in d i e s e r Welt-
wirtschaft, allerdings mit der Perspektive, gemeinsam in eine
insgesamt gleichartige ökonomische Größenordnung hineinzuwachsen.
Der Entschluß zur Gründung eines Europäischen Währungssystems ist
gleichfalls eine derartige Antwort auf eine durch "den Dollar"
geschaffene politökonomische Lage, freilich schon auf ganz an-
derem Niveau. Im EWS haben die teilnehmenden Länder - unter bun-
desdeutscher, damals sozialdemokratischer Führung - ihre Währun-
gen dem "verfallenden" Dollar als relativ eigenständigen Block
gegenübergestellt; als ein Maß der auf dem Globus zu bilanzieren-
den Warenwerte und als ein globales Geschäftsmittel des Kapitals,
als Kaufmittel für Regierungen und Devisenreserve für National-
banken, also als a l t e r n a t i v e s W e l t g e l d, das
seine Bewegungen nach Maßgabe der dahinterstehenden gesamteuropä-
ischen Wirtschaftskraft vollführen, insoweit Freiheit vom Dollar
und dessen Trends schaffen sollte. Das Projekt, mit der amerika-
nischen Übermacht m i t z u h a l t e n, hat genug Erfolg ge-
habt, um es in der dargestellten Weise in Richtung auf einen eu-
ropäischen Binnenmarkt fortzuführen. Dessen Reiz liegt für alle
Beteiligten in der Aussicht, so mit den USA und ihrer Dollarvor-
herrschaft in gewisser Weise als zweites Hauptzentrum der Welt-
wirtschaft g l e i c h z u z i e h e n; d a f ü r stehen die
Sprüche vom "Markt für 328 Millionen" und die stolzen Vergleiche
mit dem um ein Viertel kleineren Amerika und dem bloß ein Drittel
so großen Japan. Deswegen ist dieses Vorhaben dessen Erfolgsaus-
sichten ohnehin nicht zu prognostizieren sind - auch genau inso-
weit realistisch, wie die Partner den Druck der noch immer über-
legenen Konkurrenz Amerikas spüren; "Europa" ist allemal an den
Punkten vorangekommen, wo die Schaffung eines supranationalen Ge-
meinschaftsinstruments einen Fortschritt zu d i e s e m Ver-
gleich versprach.
In ihrer Sorge vor dem geplanten Binnenmarkt sprechen amerikani-
sche Wirtschaftspolitiker folglich nur aus, was das ganze europä-
ische Projekt tatsächlich von Anfang an war und immer erfolgrei-
cher geworden ist: der real existierende p o l i t-
ö k o n o m i s c h e A n t i a m e r i k a n i s m u s der
als Einzelstaaten hoffnungslos abhängigen Geschöpfe des Dollar-
Imperialismus in Westeuropa. Das "Mithalten" war immer ein
"D a g e g e n h a l t e n", nämlich gegen die Übermacht des auf
Dollar lautenden Kapitals und des für jedes Kapital attraktiven
Dollars; und es wurde nach den durch die USA genutzten
Bedingungen der weltweiten Freizügigkeit des produktiven
Reichtums k o n k u r r i e r t, um an S t e l l e der USA
das weltweite K o n k u r r e n z g e s c h e h e n z u
b e s t i m m e n. Heute ist weniger denn je - wie US-Politiker
sagen - die A b s c h i r m u n g des europäischen
Binnenmarktes der Witz, sondern genau umgekehrt die
W i r k u n g seiner Größe auf die Standortentscheidungen des
Kapitals, als deren abhängige Variable amerikanische Politiker
ihren Staat erstmals sehen müssen. Daß sie darin "Gefahren"
erblicken, ist sehr sachgerecht, auch wenn sie noch gar nicht
absehen, worin die eigentlich bestehen. Denn tatsächlich ändern
solche Erfolge der Europäer eine Welt, die die Konkurrenz
kapitalistischer Nationen bislang genau - und bloß! - deshalb so
locker ausgehalten hat, weil die alles entscheidende
G e w a l t f r a g e der kapitalistischen Weltwirtschaft, näm-
lich die Frage des Weltgeldes, d.h. des allgemeingültigen, die
verbindlichen Maßstäbe für alle Souveräne setzenden Nationalkre-
dits, fraglos e n t s c h i e d e n w a r. Selbst diese
"letzte Frage" des universellen Geschäftsmittels und seiner
g l o b a l e n Garantie durch e i n e n a t i o n a l e Ge-
walt bleibt nicht ausgespart, wenn die EG zum kollektiven Konkur-
renten der USA heranwächst. Sie wird durch die politökonomischen
"Sachzwänge " dieses Wachstums, durch die hochheilige Freiheit
des weltweiten Kapitalverkehrs selbst und dessen Präferenzen,
aufgerollt, ganz neu der Konkurrenz anheimgestellt - und ganz si-
cher nicht durch einen harmonischen "Weltwirtschaftsgipfel" ent-
schieden.
Europas politische Zusammenarbeit: Imperialistische Konkurrenz
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mit den USA - (noch) keine Alternative zur NATO
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Neben dieser Haupt- und Kernfrage der friedlichen imperialisti-
schen Konkurrenz gibt es ein paar Gebiete der politökonomischen
Auseinandersetzung, die auch nicht zu verachten sind. Eine Kon-
kurrenz gegen die USA hat das vereinigte Westeuropa nämlich auch
im Handel und sonstigen geschäftlichen Umgang mit Drittstaaten
eröffnet; und von diesem Wettbewerb gibt es unterschiedliche Zwi-
schenergebnisse zu vermelden. Immerhin bemerkenswert ist das
Netzwerk von Handels- und Unterstützungsverhältnissen im Rahmen
der Lome-Abkommen, mit dem die EG einen Großteil der formell
selbständigen Staatenwelt, praktisch alle Rechtsnachfolger der
alten europäischen Kolonialreiche, von sich abhängig und zu einer
Art n e o - k o l o n i a l e m H i n t e r l a n d gemacht
hat. Bemerkenswert ist daneben die Vielzahl von Handels- und Ge-
schäftsbeziehungen und neuerdings die Aufnahme kollektiver Ver-
tragsbeziehungen zu den sozialistischen Kontrahenten in Europa.
Im Abkommen mit dem RGW, den sie in keiner Weise als ebenbürtiges
Gebilde akzeptiert, hat die EG sich und ihrer Geschäftswelt die
Freiheit zu weiterer kapitalistischer Ausnutzung des "Ostblocks"
sowie zu einer differenziert fortschreitenden politökonomischen
Erpressung und Herrichtung der einzelnen RGW-Mitgliederstaaten
o f f i z i e l l a b s e g n e n lassen - ein bedeutendes,
nicht bloß welthandelspolitisches Vorrecht.
Wo immer die EG im Sinne ihrer Gründungsurkunden als kollektives
Subjekt von Handelsbeziehungen auftritt, geht es sowieso allemal
schon um mehr. Solche Beziehungen sind ein Stück Imperialismus;
das Interesse an politischer Einflußnahme aufs Weltgeschehen geht
darin aber nicht auf. Deswegen haben die EG-Staaten eigens eine
"Europäische Politische Zusammenarbeit" (EPZ) nach außen institu-
tionalisiert, ein gemeinschaftliches Vorgehen als Block mit einer
eigenen "Meinung" zu allen Streitfragen und eigenen Weltordnungs-
interessen - in Polen wie im Süden Afrikas, bei der Perestrojka
wie bei der Apartheid, im Nahen Osten wie in Lateinamerika usw.
Ihr Verein, ohnehin in Konkurrenz zur weltwirtschaftlichen Rolle
der USA, tritt da zusätzlich in Konkurrenz zu deren Weltord-
nungstätigkeit. Sicher, Großes hat "Brüssel" in dieser Hinsicht
noch nicht vollbracht. W e n n aber die Westeuropäer irgendwo
a l s "Gemeinschaft" auftreten, dann geht es immer ein wenig
darum, nicht bloß von den Leistungen des amerikanischen Imperia-
lismus, den man unterstützt, zu profitieren, sondern die Alterna-
tiven eines genuin europäischen Imperialismus wenigstens deutlich
zu machen - wenn schon kaum durchzusetzen. Und es ist zumindest
auffällig, wenn die EG-Regierungen einander und ihre Brüsseler
Gemeinschaftsorgane immer wieder zu gemeinsamen Konzeptionen in
außenpolitischen, in Rüstungs- und überhaupt in Sicherheitsfragen
auffordern, gerade so als gäbe es ihre Einigung in all diesen An-
gelegenheiten nicht schon längst als fertiges Bündnis - unter
amerikanischer Leitung eben.
So leisten sich die Macher von EG und NATO also auch noch die Ab-
surdität, zwischen sich als NATO und sich als Europa-Block mit
eigenen Weltordnungsinteressen und -ambitionen so zu unterschei-
den, daß ihr europäischer Gemeinschafts-Imperialismus zwar nicht
wirklich, aber mit der Forderung nach einem eigenen unverwechsel-
baren Programm durchaus in Rivalität zu ihrem längst praktizier-
ten NATO-Imperialismus tritt. Es ist, als würden sie vom Stand-
punkt ihrer gemeinsamen Herrschaft über einen vereinheitlichten
Wirtschaftsblock aus dieselben Bedürfnisse nach gemeinsamer mili-
tärischer Handlungsfähigkeit neu entdecken, die sie als Mitmacher
der USA im NATO-Block schon längst in kollektiver Anstrengung
aufs schönste entwickelt und befriedigt haben.
Diese seltsame doppelte imperialistische Buchführung geht im End-
effekt noch allemal zugunsten der NATO aus. Auch wo das Projekt
einer Euro-Macht o h n e USA und als deren R i v a l e ein
bißchen praktisch wird, bleibt es der westlichen Sache dann doch
ein- und untergeordnet. Die EG ist keine Kündigung der NATO;
a l s o n ü t z t sie- der Kriegsallianz, nicht zuletzt durch
die machtvolle kapitalistische Fortentwicklung der politischen
Ökonomie ihrer Partner. Und dieses Verhältnis ist so lange sta-
bil, wie die gesamtwestliche Hauptfeindschaft gegen die Sowjet-
macht erstens noch hält - und zweitens noch nicht entschieden
ist.
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