Quelle: Archiv MG - EUROPA ALLGEMEIN - Ein Zentrum des Friedens
zurück
Marktwirtschaft in Osteuropa
KEIN GRUND ZUR UNZUFRIEDENHEIT - JETZT MUSS ARMUT EINFACH SEIN!
Jahrzehntelang war sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit einig:
Den Leuten im Ostblock geht es schlecht, sie leiden unter Miß-
wirtschaft, leeren Regalen, der Rationierung von Lebensmitteln -
und all das spricht eindeutig gegen die sozialistische Planwirt-
schaft, das dortige System. Klar, was die Leute brauchen: Markt-
wirtschaft.
Heute hat in allen ehemaligen Ostblockländern eine "Wende" statt-
gefunden. Sogenannte Reformregierungen machen sich für die Durch-
setzung von Marktwirtschaft und Demokratie stark. Die Folgen ih-
rer Reformen sind bekannt und stehen täglich in der Zeitung.
Z.B.: "Seit Ablösung der Kommunisten steigen die Preise, und die
Kaufkraft sinkt ... Sinken des Lebensstandards um 30 Prozent ...
1,5 Millionen Menschen ohne Arbeit .. fast alle erwarten einen
harten Winter mit Versorgungsengpässen und ohne Heizung"
(Süddeutsche Zeitung, 19.10.).
Und nun? Spricht das gegen die Marktwirtschaft? Ruft irgendjemand
zum Sturz der Reformpolitiker auf? Im Gegenteil!
Kundigen Beobachtern im Westen fällt vor allem eins ein: "Die
beispiellose Wirtschaftskrise mit sich verschlechternden Lebens-
bedingungen sorgt für Popularitätseinbußen der Politiker". Das
ist es, was hiesige Kommentatoren an der wachsenden Armut in die-
sen Ländern stört, daß diejenigen, die sie durchsetzen, von den-
jenigen, die darunter leiden, nicht mehr begeistert gefeiert wer-
den. Dabei ist jedem klar, wie die Sache mit der Volksbegei-
sterung gemeint ist: Es ist die Sorge um die stabile Macht.
Für sie ist klar, daß die Einführung der Marktwirtschaft sein
muß. Und für sie ist auch klar: Die Streichung von Subventionen
für Lebensmittel und Freigabe der Preise; Rückgang der
Produktion, weil sie sich gemäß den neuen Kostenkalkulationen der
Betrieb nicht mehr rentiert; Arbeitslosigkeit, Schwarzmarkt und
Wucherpreise, das gehört dazu und geht deswegen auch in Ordnung.
Wenn die Leute aber das Vertrauen in ihre Politiker verlieren,
dann geht das gar nicht in Ordnung, dann sind sie es, die einen
Fehler machen. Sie dürfen sich einfach nicht soviel erwarten.
"Die Erwartungen der Osteuropäer an ihre Politiker sind einfach
zu hoch geschraubt, gemessen am tatsächlich Machbaren. Nach 40
Jahren sozialistischer Planwirtschaft sind die Menschen an ihre
soziale Sicherheit gewöhnt und waren noch nie mit dem Problem der
Arbeitslosigkeit konfrontiert."
Das ist doch mal eine offene Klarstellung: Die soziale
Sicherheit, die die Leute von der sozialistischen Planwirtschaft
gewohnt waren, die gehört in der freien Marktwirtschaft einfach
nicht zum "Machbaren". Marktwirtschaft paßt nämlich mit einem si-
cheren Arbeitsplatz und einem halbwegs anständigen Einkommen für
die arbeitende Menschheit nicht zusammen. Und daß das so ist,
spricht nicht etwa gegen die Marktwirtschaft, sondern schon wie-
der gegen das alte System, das die Leute an zuviel soziale Si-
cherheit "gewöhnt" hat.
Für die Propagandisten der Marktwirtschaft in aller Welt bedeutet
ihr Geschwätz von gestern, daß Marktwirtschaft ein einziger Segen
für die Leute sei, wenig. Und das ist auch kein Wunder, weil ja
auch nicht wegen der Leute für die Marktwirtschaft plädiert
wurde, sondern wegen der hiesigen Interessen.
zurück