Quelle: Archiv MG - EUROPA ALLGEMEIN - Ein Zentrum des Friedens
zurück Ideologie der Woche:"DAS GEMEINSAME HAUS EUROPA"
Seit Gorbatschow dieses idyllische Bild aufgebracht hat, gefällt es den Politikern ausnehmend gut, wann immer sie das diplomati- sche Ost-West-Parkett betreten, völlig losgelöst von ihren Sy- stemstreitigkeiten, Panzern, Raketen und Geschäftsangelegen- heiten, so daherzureden, als ginge es um Fragen der Innen- und Außenarchitektur. Mitterand mag da "noch nicht an die endgültige Einrichtung des Schlafzimmers den- ken, aber vielleicht an die Küche, in der man ein belegtes Brot essen kann. Das ist schon nicht schlecht. Man brauche eine Haus- ordnung, sonst wird das Leben dort höllisch." (Süddeutsche Zei- tung, 6.7.) Das Bild vom Haus Europa kann gar nicht blöd genug ausgemalt wer- den, es gibt den Staatsmännern in Ost und West Gelegenheit, ihre Streitigkeiten als D i e n s t an einer gemeinsamen I d e e, der Idee einer friedlichen Gemeinschaft, darzustellen. Um sich zu dieser ideologischen Betrachtungsweise aufzuschwingen, muß man über das wirkliche Europa eine Menge vergessen haben. Der Austragungsort des Ost-West-G e g e n s a t z e s wird als Inbegriff von G e m e i n s a m k e i t behauptet. Man beschwört Europa als geographische Nähe der beiden Kriegs- bündnisse. Damit hat man aus Systemgegnern schlichte Nachbarn ge- macht. Dann nimmt man beide Seiten in die Pflicht, auf etwas auf- zupassen, was sie, scheinbar ganz getrennt von ihrem Staatsall- tag, vorfinden: Europa, nun als ein zu schützendes Objekt und zugleich als ein einziges Sinnbild gemeinsamer Verantwortung zwi- schen Ost und West. Ja, wer oder was bleibt denn da noch übrig, um das gute Kind zu bedrohen? Im B i l d vom "Europäischen Haus" gibt es also gar kein Subjekt der Bedrohung, sondern nur die Konkurrenz verantwortungsbewußter Hausväter. Im Streit, wer es an Verantwortung fürs Hauswesen fehlen läßt, kommen dann alle Gegensätze zwischen West und Ost wieder zur Sprache - di- plomatisch versteht sich. Gorbatschow, der Erfinder dieser diplomatischen Metapher, will damit die NATO davon überzeugen, daß militärische Aufrüstung und politische Konfrontation gegen den Ostblock nicht bloß überflüs- sig, sondern für a l l e Beteiligten schädlich sind. "Entschlossen" spricht er sich für den "Aufbau eines Europa des Friedens und der Zusammenarbeit (aus) - einer europäischen Friedensordnung oder des gemeinsamen Europäi- schen Hauses - in dem auch die USA und Kanada ihren Platz ha- ben,..." (Gemeinsame Erklärung) Der Mann will ab sofort in der NATO kein Kriegsbündnis mehr se- hen, sondern eine bereits realisierte Staatengemeinschaft, deren Führungsmacht selbstverständlich in Europa einen Platz haben muß. Wenn der Westen das Bild vom Europäischen Haus aufgreift, dann dazu, um immer neue Bedingungen anzuführen, ohne deren Erfüllung durch den Osten aus dem europäischen Hausbau nichts wird. Erst hat Bundespräsident Weizsäcker seine speziellen deutschen Umbau- wünsche zu Protokoll gegeben: "... was den Umfang betrifft, in dem die Wohnungen drin für ge- genseitige Besuche zugänglich sein werden ... nicht besonders er- freut darüber, daß sich ein tiefer Graben durch ein gemeinsames Wohnzimmer zieht." Dann war quer durch alle Parteien zu hören, daß es in diesem Haus keine M a u e r geben dürfe, dafür aber ganz viele "offene Ein- gänge" wegen der gegenseitigen Besuche. Aber nicht nur der bundesdeutsche Anspruch auf die DDR, auch gleich die westliche Zielvorstellung einer Selbstauflösung des Sozialistischen Lagers - alles das läßt sich vortrefflich ins Bild vom Europahaus ein- bringen. Schließlich kann der Haussegen nie und nimmer gerade hängen, wenn zwei unterschiedliche Systeme unter einem Dach aus- und eingehen. "Wenn das Prinzip von der ungefähren Homogenität der Mieter gel- ten soll, ... wäre fast eine umgekehrte Breschnew-Doktrin von Nö- ten: daß nämlich Gorbatschow für ein einheitliches Gefolge sorgt. Seine liberale Einstellung, jedes Land solle im Innern selbst be- stimmen, ist zwar lobenswert, für den europäischen Hausbau aber nicht in jedem Falle nützlich." (Süddeutsche Zeitung, 16.7.) Früher hieß es immer, die SU solle gefälligst ihre osteuropäi- schen "Satelliten" aus dem Würgegriff entlassen. Jetzt sollen die Russen gewisse Bündnispartner dazu zwingen, sich so zu ändern, daß der Westen mit ihnen zufrieden sein kann. Denn "Selbstbestimmung" hin oder her, eins steht fest: Hausherr in Eu- ropa muß der Westen sein, sonst stimmt die Hausordnung nicht. zurück