Quelle: Archiv MG - EUROPA ALLGEMEIN - Ein Zentrum des Friedens
zurück Die deutsch-französisch-britische 'Null-Lösung':MEHR RÜSTUNG - FÜR DIE GROSSMACHT EUROPA!
"Westeuropa besorgt über totale Atomabrüstung" (Kurier-Schlag- zeile) Inzwischen ist es mehr als klar. Die Sowjetunion kann anbieten, was sie will: Sie kann von der Forderung Abstand nehmen, über ihre SS 20 verhandle sie nur, wenn auch über die britischen und französischen Atomraketen verhandelt würde und wenn die Amerika- ner ihr SDI-Programm in Frage stellen ließen; sie kann die "Null- Lösung" bei den Mittelstreckenraketen in Europa anbieten, die die USA ehemals gefordert und auf dem Gipfeltreffen in Reykjavik be- kräftigt haben. Um so mehr rücken die Amerikaner von dieser For- derung ab, erfinden lauter neue Bedingungen und Verknüpfungen mit Kurzstreckenraketen und konventionellen Waffen. Die Pershings wollen sie im Gegenzug zu den SS 20 nicht abbauen, sondern umrü- sten und die Abschußrampen stehen lassen; die Cruise missiles statt mit atomarem mit konventionellem Sprengstoff bestücken; darüber hinaus stellen sie eine neue taktische atomare Waffenge- neration für Europa auf - und zu allem soll Gorbatschow Ja und Amen sagen. Wenn dann die russische Seite feststellt, daß die NATO von ihrem eigenen Nullvorschlag abrückt und dieser Vorschlag von Anfang an nur ein "Bluff" gewesen sei, um amerikanische Atom- raketen in Europa aufzustellen, dann antworten amerikanische Po- litiker ungerührt: Das sei erstens die "übliche Taktik" der Rus- sen; zweitens sei das die Wahrheit; drittens sei es aber doch wohl selbstverständlich, daß die amerikanische Taktik in Ordnung geht: "Es ist wahr, daß die Vereinigten Staaten zuerst die Null-Lösung im Jahre 1981 vorschlugen. Aber nachdem dieser Irrtum begangen war, hauptsächlich weil man annahm, daß die Sowjets nicht akzep- tieren würden, besteht keine Rechtfertigung dafür, darauf zu be- stehen, wenn die Verwirklichung möglich ist." Jetzt bestehen die Vereinigten Staaten nämlich genau auf den Gen- fer Manövern, gegen die sich die Sowjetunion mit ihren Angeboten wendet: Sprachregelungen für "Abrüstungsverhandlungen" zu erfin- den, um gleichzeitig mit allen Kräften zu rüsten. Das beansprucht die amerikanische Seite als ihr gutes Recht und läßt erst gar keinen Zweifel aufkommen, daß ihre Rüstungsabsichten der einzige Grund und Maßstab für ihre taktischen "Verhandlungevorschläge" sind. Und - die europäischen NATO-Partner? Verpflichten sie jetzt Rea- gan auf sein gegebenes Wort? Die europäischen Kriegsverhinderer, die Frieden mit immer weniger Waffen schaffen wollen: Bestehen die jetzt darauf, daß Raketen weggehören, je mehr, um so lieber, je früher, um so besser? Die europäische Antwort: Mehr Macht in unserer Hand --------------------------------------------------- Die Bedenken der Europäer sehen anders aus: Ob nicht in Genf die Supermächte über ihre Köpfe hinweg und auf ihre Kosten Rüstungs- diplomatie treiben. Zwar ist ganz und gar nicht abzusehen, daß die USA auch nur eine einzige Rakete vom friedlichen Boden Euro- pas abziehen wollten. Im Gegenteil, sie stellen immer mehr auf und fordern bei der Sowjetunion das Recht dazu ein. Aber die Lüge, es ginge ernsthaft um die Beseitigung von Waffen, und die Diskussion über Probleme und Schwierigkeiten bzw. Chancen, die das für Europa mit sich brächte, ist die Tour, wie die NATO-Mit- macher ihre Anspruche bei den Supermächten anmelden. Europäische Politiker kennen da nichts. Sie diskutieren über atomare Abrü- stungsfragen, wie wenn sie selber Verhandlungsteilnehmer wären und Entscheidungen zu treffen hätten. Dabei ist eine interessante Rollenaufteilung zu beobachten. Immer, wenn US-Politiker, Franzosen und Briten die russischen An- gebote wieder einmal für unannehmbar erklärt haben, verkündet der BRD-Außenminister Genscher, die Busenfreunde aus Washington, Pa- ris und London wären natürlich für jede Null-Lösung zu haben; wie man sie da nur mißverstehen könnte! Anschließend pflegt er zu er- klären, wie diese offene Lüge gemeint ist: Man soll sich im We- sten nichts vergeben, propagandistisch; und weiter austesten, wann die Sowjets bei der Zumutung immer neuer einseitiger Waffen- verzichte ihrerseits endlich Nein sagen. Dabei verzichtet man selbst ja bloß in leeren Worten - und er als deutscher Minister sogar bloß auf Waffen, die ihm gar nicht gehören. Das will er sich von den Russen aber um so handfester belohnen lassen: mit wirtschaftspolitischen Sonderbeziehungen und anderen sowjetischen Freundlichkeiten wie in alten "Entspannungs"-Tagen. Und außerdem mit immer weitergehenden Erklärungen der sowjetischen Seite, wel- che Aufrüstungsschritte des Westens sie als gerechten "Nachrüstungs"-Bedarf der westlichen Armeen zugesteht. Solche Ansprüche gelten BRD-Kanzler Kohl und seiner CDU/CSU als so g e m ä ß i g t, daß sie ihnen unmöglich zustimmen können. Sie schließen sich lieber gleich den verbündeten Atomwaffenbesit- zern an und erklären das Verschwinden der Mittelstreckenraketen aus Ost- und Westeuropa für eine strategische G e f a h r er- sten Ranges. Dann hätte die Sowjetunion nämlich immer noch Kurz- streckenraketen - und wenn man ein bißchen schwindelt, die Reich- weite richtig definiert und alle Flugzeuge und die französischen und britischen Raketen und die NATO-U-Boot-Raketen und noch so manches wegläßt, dann hat n u r sie Atomraketen, und "wir" ha- ben gar nichts. Das sowjetische Angebot, auch diese Waffengattung wegzutun, war für diese Politiker aber erst recht kein Erfolg, sondern eine noch größere russische Tücke: Bei einer "Denuklearisierung Europas" käme ja nur die gewaltige strategi- sche Ungerechtigkeit zum Tragen, daß die Sowjetunion mehr oder weniger ihr gesamtes militärisches Potential diesseits des Ural stationiert hat - ihr Zentrum ist nun einmal dummerweise das eu- ropäische Rußland -, während die Führungsmacht der NATO erst hin- ter dem Atlantik wohnt. Das ergibt ein unmöglich hinnehmbares strategisches Übergewicht des Ostens. Und deswegen müssen vor al- ler Abrüstung zuerst einmal die BRD und ihre europäischen Partner kräftig aufrüsten und so stark werden, daß Europa allein der So- wjetunion gleichberechtigt einen Krieg an tragen könnte - nur dann ist der Frieden sicher, und ohne das müssen "wir uns" ganz entsetzlich vor einer drohenden Kriegsgefahr fürchten. Im Sinne dieses Anspruchs formulieren die christlichen Weltpolitiker in Bonn den "Verhandlungs"-Auftrag, den sie in Genf von den US-Un- terhändlern vertreten haben wollen: "Als Ergebnis aller Verhandlungsschritte ist Parität bei kampfentscheidendem Großgerät in den vergleichbaren Teilregionen, als deren Summe Parität in Gesamteuropa vom Atlantik bis zum Uralt anzustreben. Die Leistungen sind nahezu einseitig vom Warschauer Pakt zu bringen. Uns ist bewußt, daß dieses Konzept nur schwer verhandelbar sein wird." Wie wahr! Europa muß Supermacht werden! ----------------------------- Das Entsetzen über eine drohende "Denuklearisierung" und der An- spruch, Europa zur echt gleichberechtigten militärischen "Supermacht" auszubauen, hat die französische und die britische Regierung schon längst auf seiner Seite. Der französische Mini- sterpräsident fährt eigens nach Washington, um die USA zu ent- schiedener Härte in der Frage der Mittelstreckenraketen zu ermun- tern; denn er weiß, daß die Gleichrangigkeit Westeuropas mit der sowjetischen Atommacht noch eine Leihgabe der Amerikaner ist. Währenddessen fährt seine britische Kollegin nach Moskau, um diese Härte gleich direkt im Reich des Gegners zu demonstrieren. Als wollte sie testen, wieviel an Provokation der oberste Russe schluckt, erklärt sie ihm "offen und ehrlich", daß man ihm nicht trauen kann, solange er nicht seinem "realen Sozialismus" ab- schwört und überhaupt noch nach eigenen Vorstellungen eine Welt- macht regieren will. Deswegen hätte er sich mit europäischer Auf- rüstung bis zur hausgemachten Gleichrangigkeit mit dem Warschauer Pakt abzufinden das hat die Lady aus London ihren Gesprächspart- nern als den neuen westlichen Realismus dargelegt. Die Regierung in Bonn wiederum hat die Gelegenheit ergriffen und nahtlosen Schulterschluß mit ihren Alliierten demonstriert: "Die Sowjetunion muß lernen, daß sie es immer weniger mit deut- schen, britischen oder französischen Positionen zu tun haben wird, sondern mit gemeinsamen westeuropäischen." Europa ist nämlich der Name für den weltpolitischen Standpunkt, nach dem die europäischen Großmächte sich immer gesehnt haben und der ihnen jetzt endlich zum Greifen nahe scheint: den Standpunkt einer unangefochtenen Weltmacht. Was Hitler gewollt, Stalin ge- schafft hat und die USA sowieso sind nach ihren gewonnenen Welt- kriegen das soll der deutsch-französisch-britische Dreierbund samt Anhang endlich werden, noch bevor das Jahrtausend zu Ende geht. Und schon heute führen die nationalen Führer dieses län- derübergreifenden Großreiches sich so auf, als wären sie's be- reits: die Weltmacht, die von gleich zu gleich mit den USA kon- kurrieren und die Sowjetunion von Polen bis Afghanistan, von den Raketen bis zu den Dissidenten und überhaupt in die Schranken weisen kann. "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen"? So sieht er aus, der Friedensstandpunkt der europäischen Weltstrategen. Bild ansehen Nachrüstung - wie und wo? zurück