Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK UMWELTPOLITIK - Smog und Molke - alles im Griff!


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       "Die Benzol-Kinder von Dortmund":
       

DER ALLTAG GESCHÄFTSMÄSSIGER LEUTEVERGIFTER

Bei insgesamt 32 Kindern in Dortmund-Scharnhorst und Derne wurden bei medizinischen Untersuchungen Knochenmarksentzündungen und eine damit einhergehende Schwächung des Immunsystems festgestellt - hervorgerufen durch ein paar hochgiftige chemische Verbindungen wie Benzole, Toluole und Xylole. Die Lehren, die die heimische Presse und die örtlichen Politiker daraus zogen, sind reichlich dreist: - Von einer dicken "Überraschung" war die Rede, die die Untersu- chung ans Tageslicht gefördert hätte - gleich daneben wird von einem Arzt berichtet, dem die Krankenkasse schon die Abrechnungen kürzen wollte, weil er seit Jahr und Tag in Scharnhorst über- durchschnittlich viele Kinder mit Knochenmarksentzündungen behan- delt! - "Die Behörden rätseln noch über die Ursachen... keine eindeuti- gen Hinweise auf einen bestimmten Schadstoff "(NRW-Gesundheitsmi- nister Heinemann) die "Westfälische Rundschau" setzt ein heiteres Ursachenraten in Gang und läßt irgend jemanden von blauem Lehm und schwarzer Erde erzählen, - die er vor 30 Jahren (!) gesehen haben will und ähnlicher Unfug mehr - gleich daneben liest man, daß die giftigen Stoffe "großtechnisch meist bei Prozessen der Kohleveredelung (Verkokung) gewonnen werden", zitiert wird dazu das "Fachlexikon ABC Chemie". Und daß Scharnhost von drei Kokereien und der Sin- teranlage der Westfalenhütte eingekreist ist, weiß sowieso ein jeder! - Nichtsdestotrotz haben "erste Meßergebnisse keine Anhaltspunkte gebracht. Aber wir bleiben dem Täter auf der Spur" (NRW-Gesund- heitsministerium). Und überhaupt: "Die Untersuchungen im Famili- enkreis der betroffenen Kinder sollten abgewartet werden" (vielleicht habens' die Kinder von der Mutter geerbt?!) und "Scharnhorst darf nicht in eine Quarantäne-Situation gebracht werden", so läßt sich die SPD-Ratsfraktion vernehmen. So wird einerseits nichts verschwiegen, was Vergiftungsursache und -quelle angeht. Auf der anderen Seite wird sich munter blöd gestellt, beschwichtigt und abgewiegelt, was das Zeug hält. Das kommt daher, daß die zuständigen Politiker einerseits genau w i s s e n, was Hoesch, die Ruhrkohle AG und all die anderen Unternehmer an Gesundheitsschäden kontinuierlich so anrichten (an den Arbeitsplätzen sowieso, und eben auch an Verseuchung der nä- heren und weiteren Umgebung), andererseits an den einschlägigen Geschäftspraktiken, die solche Wirkungen so sicher wie das Amen in der Kirche hervorbringen, nicht rütteln w o l l e n. Auf das Gelingen unternehmerischer Kalkulationen mit diversen Dreck- schleudern, die Profit bringen sollen, sind unsere kommunalen Wirtschaftspolitiker schon wegen ihres Stadtsäckels so scharf. Also sind sie um die zynische Klarstellung nicht verlegen: Kapitalismus ist nicht zum Nulltarif zu haben --------------------------------------------- Die Politiker rechnen so, weil sie von der Realität ausgehen, daß die kapitalistische Produktion in der Befriedigung der Bedürf- nisse der Leute - Vermeidung von Schäden eingeschlossen - ohnehin nicht ihren Zweck hat. Sie rechnen mit einem Reichtum, der sich in Geld bemißt - egal, welche schädlichen Seiten diesem Reichtum ansonsten innewohnen. Und sie sind der Auffassung, daß die rui- nösen Auswirkungen lohnender Produktionszweige und -verfahren als "Preis modernen Wirtschaftens" wegzustecken sind - und zwar von denen, die da innerhalb und außerhalb der Werkstore der schlei- chenden Vergiftung ausgesetzt sind. D e s w e g e n darf man anläßlich eines "Skandals" wie in Scharnhorst, der wieder mal keiner wird, weil so etwas längst zum Alltag kapitalistischen Wirtschaftens gehört, zuallerletzt daran denken, daß einem in Zukunft etwas erspart bleiben möchte. D e s w e g e n hat man sich auf Anweisung der Behörden auf die neue alte Lage einzustellen: "Sobald die Benzol-Quelle gefunden ist, werden Konsequenren gezogen" (Minister Heinemann). Und d e s w e g e n soll man sich darüber beruhigen, daß "die da oben" sich um die Sache kümmern (SPD) / sich nicht gekümmert haben CDU) / sich mehr drum kümmern sollten (Grüne) - ausgerech- net! Da sind sich Rote, Schwarze und Grüne einig: außer A u f s i c h t u n d K o n t r o l l e bei und wegen fortwäh- rendem Gang der Vergiftung der Landschaft samt lebendigem Inven- tar - hat der Mensch nichts zu erwarten. *** So ein blöder Zufall! --------------------- Damit konnte aber der zuständige Minister Matthiesen wirklich nicht rechnen! Da hatte er im März 1986 - nach der Vorlage einer "Verursacheranalyse", die die Kokerei Gneisenau "mit großer Wahr- scheinlichkeit" (sic!) als Quelle der seit Jahren erhöhten Werte in Derne ausmachte - ein medizinisches Untersuchungsprogramm an- geordnet: Liegt es wirklich an der Kokerei?! Sind die Leutchen wirklich krank?! Sind sie wirklich mehr gefährdet als andere?! Und jetzt kommt - nur weil zufällig Scharnhorst als Vergleichsort gewählt worden ist - raus, daß dort die Vergiftung (auch) über- durchschnittlich ist. So ein Pech aber auch. Aber noch ist nicht alles verloren: "Die Untersuchungen haben ein Ergebnis gebracht, das uns nicht plausibel erscheint" (amtliche Mitteilung an die Eltern der"Benzol-Kinder") Also: neue Untersuchungen, Nachunter- suchungen, Erweiterung des Personenkreises der Untersuchten, Ver- gleichsuntersuchungen. Ob Matthiesen mit dem nächsten Stadtteil (Hombruch, Aplerbeck...) mehr Glück hat? zurück