Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK UMWELTPOLITIK - Smog und Molke - alles im Griff!
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Asbest in Schulen, Arbeitern und unserer Uni-Mensa
ANMERKUNGEN ZU NOCH EINEM SKANDAL
Man ist daran gewöhnt. Mindestens einmal wöchentlich versorgen
Politik und Öffentlichkeit das aufgeklärte Umwelt- und Gesund-
heitsbewußtsein mit einem Skandal: Die eine Woche Speiseöl, die
andere Joghurts, dazwischen ein bißchen Hochwasser. Die Hamburger
Gesundheitsbehörde hat zur Abwechslung Asbest auf die oberste
Hit-Liste der "Unwelt-Gifte" gebracht. D.h. schuld an diesem ak-
tuellen Umweltskandal sind unschuldige Kinder, die ihrer Schul-
pflicht in mit reichlich Asbest zusammengeschusterten Pavillons
nachgehen. Noch nicht durch jahrelange Bekanntschaft mit den
vielfältigen Umweltgiften, die die Geschäftswelt abläßt und be-
reithält, an die einschlägigen gesundheitlichen Gefallen gewöhnt
wie die Alten, die sich ihre Krebse oftmals für den Lebensabend
aufheben, sind die Kleinen "besonders gefährdet", wenn Asbestfa-
sern durch die Lüfte fliegen. Kaum gelangen nämlich die Statisti-
ker vom Gesundheitsamt zu dem Ergebnis, daß die Asbest-Verseu-
chung bei Kindern die Volksgesundheit tangiert, d.h. die natio-
nale Krebsrate über Gebühr strapazieren könnte, kommt auch unsere
Gesundheit zu ihrem Recht. Genauer zu einer aufgeregten Debatte.
So als wäre sie hierzulande ein veritabler Maßstab, nach dem sich
irgendetwas richten müßte, darf sich öffentlich beschwert werden.
Womit offenbar für Unterhaltung gesorgt ist.
Asbest ist gefährlich
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Damit auch jeder merkt, wie sehr es uns allen um die Gesundheit
geht, wird erst einmal ausgeführt, wie gefährlich dieser Stoff
Asbest ist. Material dafür ist in Fülle vorhanden: vor 20 Jahren
haben "mindestens 6000 HDWler direkt mit Asbest zu tun gehabt"
bei Schiffe bauen, vor 15 Jahren haben 20 Arbeiter den Tunnel un-
ter der Elbe, wo heute noch die beliebtesten Staus der Gegend ab-
gehalten werden, "mit 20 Tonnen Asbest abgedichtet". Ihr selbst-
loser Dienst am Werft- und Baukapital ist diesen Helden der Ar-
beit schlecht bekommen: soweit noch vorhanden, bestehen ihre Lun-
gen aus "nadelförmigen Asbestfasern" und der Medizinmann diagno-
stiziert Asbestose, die, wenn sie allein nicht ausreicht für ein
unseliges Ende zu Lungenkrebs führt. Außerdem verursacht Asbest
Rippen- und Bauchfellkrebs.
Die Entdeckung ist so neu zwar auch wieder nicht und die Aufre-
gung ist eine ausgemachte Heuchelei. - Daß die Gefährlichkeit von
Asbest um die Jahrhundertwende erforscht worden ist und Abestose
seit 1936 als Berufskrankheit gilt, hätte man einfach nachschla-
gen können. Aber was soll's. Als Beleg für die verantwortungs-
volle Sorge - um unsere liegen Kleinen zumal - taugt's
vollkommen. Ganz Kritische dürfen auch noch anmerken, daß sie vor
der Gefahr schon länger gewarnt haben und noch lauter "Skandal"
denken. Das war's.
Als wäre das hierzulande ein Grund
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Solange das giftige Zeug verarbeitet wurde, galt für die Beschäf-
tigten dieselbe Richtlinie wie aktuell z.B. bei denen in Kern-
kraftwerken. Also erstens relativ ungefährlich, zweitens wir ha-
ben alle Gefahren im Griff und drittens bleibt schlimmstenfalls
ein niedliches Restrisiko. Nach dem Verbot gibt's nur noch Fach-
leute: Spritzasbest mit 90%igen Asbestfasergehalt und nur 10% Ze-
ment - das konnte ja nicht gutgehen! Dafür ist heute der Asbest-
zement bestens beleumundet, mit seinen klitzekleinen 10% dieser
pieksenden Fasern. Was soll an so einem bißchen Asbest gefährlich
sein? Daß sich die staatlichen Aufsichtsbehörden mit der
Asbestindustrie irgendwie darauf geeinigt haben, den Asbestzement
bis irgendwann um 1995 aus dem Verkehr zu ziehen, deutet zwar auf
das Gegenteil hin - so ist immerhin sichergestellt, daß nach 95
schauerliche Geschichten über das Elend von Arbeitern, die mit
Asbestzement zu tun hatten, in Druck gehen können.
Die vorbildliche Leistung dieser Besprechung der Wirkungen von
Asbest, die von unsachgemäßem Umgang und von Unachtsamkeiten zu
berichten weiß, besteht darin, über den stimknormalen geschäfts-
mäßigen Umgang mit lebensgefährlichen Stoffen, die unablässig Op-
fer fordern, kein böses Wort zu verlieren.
Die Bauwirtschaft ist keine Einrichtung Gesundheitspflege der bei
ihr Beschäftigten. Wenn bekannte Eigentümlichkeiten verwendeter
Stoffe zu nachteiligen Folgen bei der Mannschaft führen, die mit
dem Zeug gehen hat, ist das überhaupt kein Grund, die Finger da-
von zu lassen. Gesund muß auch in den Branchen, die mit Asbest zu
tun haben, nur eines sein: die Bilanz. Überall, wo ein bißchen
Schutz gegen Feuer, Lärm oder sonstige unerwünschte Eindringlinge
technisch nötig und gesellschaftlich vorgeschrieben ist, haben
vor allem Bremsen-, Schiff- und Wohnungsbauer jede Menge Asbest
reingetan. So läuft der Laden in diesem Gewerbe: Der Kapitalist
kauft die benötigten Baustoffe ein, ihre Brauchbarkeit und Kosten
sind die einzigen "Risiken", die er dabei kennt, die Sorge um die
Auswirkungen des Zeugs auf die Umgebung sind nicht geschäftsdien-
lich und darum kennt er die auch nicht.
Das wäre für das Geschäft nur hinderlich: so vorsichtig ans Werk
zu gehen, daß nichts passieren kann und sich von gesundheitsge-
fährdenden Stoffen fernzuhalten oder sich solchen Dingern besten-
falls unter garantierten Schutzmaßnahmen zu nähern. Ob, wann,
wielange und womit gearbeitet wird, entscheidet sich nicht an so
kleinlichen Abwägungen, ob es den Beteiligten zuträglich ist oder
nicht sondern nur daran, ob es gut ist fürs Geschäft. Die Folgen
dieses ganz gewöhnlichen Umgangs sind längst bekannt: Für sie ist
die Kategorie der Berufskrankheiten erfunden worden. Wer nachwei-
sen kann, daß sein Lungenkrebs nicht durch notorisches Einatmen
schlechter Luft oder Schmökern zustandegekommen ist wird für die
flötengegangene Gesundheit mit einer kleinen Rente "entschädigt".
Die derzeitige Aufführung bedauernswerter Asbestose-Zombies unter
Entsetzensschlagzeilen wie "Hamburgs Werften: 6000 Männer ohne
Schutz im Asbest" ist also eine einzige Heuchelei. Den ruinösen
Umgang mit seinem Menschenmaterial will dem Kapital niemand ver-
sagen. Aber darauf wird Wert gelegt: wenn mal ein Boehringer
dichtgemacht oder eine Asbestsorte verboten worden ist, dann sind
hinterher die zuvor angefallenen Opfer eigentlich unerträglich.
Geachtet wird auf die Volksgesundheit.
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Über den ordnungsgemäßen Verbrauch von Gesundheit wacht der
Staat. Er setzt fest, wieviel wovon bekömmlich zu sein hat:
Richt- und Grenzwerte Für Asbest hat das Amt für die Bundesge-
sundheit geschlossen daß 1000 Fasern pro Kubikmeter als unbedenk-
lich gelten können. Wer sich in asbestverarbeitenden Betrieben
aufhält, kann schon mal 500000 Fasern im Kubikmeter Luft ver-
tragen. Mehr ist untersagt. Übervorsichtige Naturen neigen zur
Radikallösung: das einzig asbestfreie Gebäude in Hamburg ist das
Rathaus. Mit einem Wort: "Krebserzeugende Stoffe wie Asbest sind
immer gefährlich" (ein Meßtechniker vom TÜV). Drum kommt es auf
die Dosierung an! Weniger Asbest ist relativ ungefährlicher als
viel davon. Es gibt also viel aufzupassen und alles zu regeln für
die politischen Aufseher und ihre Beamten. Alles unter Kontrolle
meldet der Bundesumweltminister: "Der kleinere Teil der
Asbestfasern (die bei verwitterndem Zement frei werden), weniger
als die Hälfte wird an die Luft abgegeben. Der Rest gelangt über
das Regenwasser in den Boden.
Und damit dürften die paar Kleinigkeiten und Reste an Gift so gut
verstreut sein daß mehr als 1000 Fasern auf einen Haufen eher
selten sind. So ist umsichtig dafür gesorgt daß die Rate von
Krebserkrankungen im vorgeschriebenen Rahmen bleibt und die Leute
nicht mit Asbestosequoten über die Stränge schlagen und die
Volksgesundheitsstatistiken versauen. Ein beamteter Wasserträger
von der wissenschaftlichen Fraktion des Umweltministers hat es
durchgerechnet:
"Wenn eine halbe Million Schüler zehn Jahre lang wöchentlich 48
Stunden Klassenluft mit 1000 pro Kubikmeter einatmen, sei, rein
statistisch, nur mit einem Krebstoten zu rechnen." (Der Spiegel)
Das ist der aktuelle Kurs: ein hochgerechneter Toter pro halbe
Million Manövriermasse ist dem umweltbewußten Staat mit Sitz in
Bonn der Erfolg seiner asbestverarbeitenden Industrie wert.
Die stärker gefährdeten Proleten des Gewerbes werden mit der Ge-
fahrstoffverordnung extra betreut. Der derzeitige Wechselkurs
Krebs gegen Geschäft wird noch errechnet. Daß Asbest weiter im
Menschenversuch getestet werden soll, steht fest und gibt die
Grundlage für einen gediegenen Streit zwischen Hamburger und Bon-
ner Experten ab. Hamburg rät, die Asbestverarbeitung "ab 1. Ja-
nuar 89" zu verbieten (den Rest bis Dezember verbauen?); Bonn
empfiehlt, "Asbest vorläufig nicht ganz verbieten". Weil sich
nämlich die einschlägige Industrie "selbst auferlegt hat, die
Verwendung von Asbest beständig abzubauen" (Töpfer).
Damit ist auch Entwarnung angesagt. Immer weniger Asbest, immer
weniger Asbestose. Und wenn die Asbestindustrie endgültig auf an-
dere Stoffe umsteigt, darf sie ihr Geschäft mit der "Sanierung"
ihres alten Asbest machen.
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