Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK UMWELTPOLITIK - Smog und Molke - alles im Griff!
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UMWELTSKANDAL - DAS BEISPIEL DIOXIN
Umweltskandale sind eine noch nicht sehr alte Form des Skandals,
also des öffentlich breitgetretenen Vorwurfs, der Staat bzw. ge-
wisse seiner Agenten hätten Aufgaben schändlich vernachlässigt.
Aber sie haben ihren Höhepunkt schon hinter sich. Atomkraftwerke
sind längst kein Problem mehr, Östrogen gegessen... Skandale le-
ben schließlich von der Außer-Ordentlichkeit. Die Umweltskandale
haben ihre Funktion gehabt. Sie haben ein Umweltbewußtsein ge-
schaffen, das sich täglich darüber informieren läßt, was heute
alles normal ist: Siehe Dioxin!
Die - inzwischen, dank ihrer Erwähnung in jedem zweiten der wö-
chentlichen Dioxin-Bulletins, berühmt gewordene - Freisetzung von
Dioxin im BASF-Werk Ludwigshafen anno 1953, bei der 55 Arbeiter
zum größten Teil bleibende schwerste Gesundheitsschädigungen er-
litten, war damals kein Umweltskandal, sondern ein tragischer Be-
triebsunfall, wie er "leider" in der chemischen Industrie nie
ganz zu vermeiden sei.
Weder ein Umwelt- noch sonst ein Skandal war der tonnenweise Ein-
satz von dioxinhaltigen Entlaubungsmitteln im Vietnamkrieg.
Mit Seveso hingegen wurde Dioxin zum Skandal-Thema: nämlich als
exemplarische Entdeckung dessen, was die Industrie so alles an
Giften unter die Leute bringt, wenn der Staat sie läßt. Entspre-
chend war Seveso freilich ein t y p i s c h i t a l i e-
n i s c h e r Skandal, den sich der dortige Staat durch seinen
schlampigen Umgang mit bestehenden und durch das Fehlen
schärferer Sicherheitsbestimmungen für die Industrie selbst
eingebrockt hatte.
Anläßlich der gesamteuropäischen Suche nach den 41 Seveso-Fässern
im letzten Jahr wurde das Dioxin schließlich zu einer Affäre, an
der der eigene bundesdeutsche Staat gefälligst beweisen sollte,
wie verantwortungsvoll er mit dem gefährlichen Zeug umgeht. Ein
Beweis, der dem Staat gegenüber seiner bereitwilligen Öffentlich-
keit nicht schwer fiel: ein bißchen lärmende außenpolitische Be-
triebsamkeit, und es stand fest: Der Staat hat die Fässer in
Griff.
Inzwischen ist die vom "Spiegel" bei der fröhlichen Fässersuche
zu Pfingsten 1983 ausgegebene Skandal-Losung "Überall ist Seveso"
dank "umfassender staatlicher Ermittlungen und genauerer Meßver-
fahren" belegt worden. Dioxin ist in der Hamburger Müllhalde Ge-
orgswerder und einigen anderen Deponien entdeckt worden. Ein
rechter Skandal will eben deswegen nicht draus werden. Mit der
u n i v e r s e l l e n P r ä s e n z des "Supergifts" auf ver-
mutlich dem größten Teil der Müllkippen in diesem unseren Lande
fiel das wichtigste Element eines anständigen Skandals weg: ein
Versäumnis, mit dem ein ansonsten funktionierender Staat öffent-
lich konfrontiert und an seinem eigenen Maß gemessen werden
könnte.
Dafür gibt es seitdem in jedem Magazin, das was auf seine öffent-
liche Veramtwortlichkeit hält, den nahezu wöchentlichen Bericht
von der Dioxin-Front, aus dem der geneigte Leser vor allem eines
herauslesen darf: Das Dioxin (nebst den übrigen hochgiftigen Che-
mieabfällen) ist unser Schicksal, der Preis, den "wir" für das
"sorglose Wachstum der letzten Jahrzehnte" zu zahlen haben. Also
erfährt man der Vollständigkeit halber, daß man sich bis vor we-
nigen Jahren u.a. mit den gebräuchlichsten Holzschutzmitteln Dio-
xin reingezogen hat, wobei es einige Mitbürger besonders übel er-
wischte. Die A r b e i t e r, die berufsmäßig jahrelang das
Zeug verarbeitet haben, kommen in solchen Berichten allerding
nicht vor, nur die unschuldigen Bewohner der dioxinimprägnierten
Holzhäuser und -zimmer. Oder doch, indirekt kommen sie dann doch
vor: Aus den "für die Hobbymärkte bestimmten" Lieferungen ist der
dioxinhaltige Wirkstoff von den Herstellern herausgenommen worden
- in der gewerblich verwendeten Produktion also noch drin.
Man erfährt, daß polychlorierte Biphenyle (die hätten es sich
auch nicht träumen lassen, daß sie nochmal in aller Munde sind,
mit d e m Namen!), aus denen im Brandfall Dioxine entstehen,
ein verbreitetes synthetisches Schmier-, Kühl- und Isoliermittel
sind - kurz: Der vollständige Beleg des Menetekels "Dioxin ist
überall" macht dieses zur sachlichen Feststellung. Und das ist
die passende Grundlage dafür, sich gefaßt die Gedanken des Staa-
tes zu machen: "Müssen wir" damit leben, oder können "wir uns"
die Beseitigung des vorhandenen Dioxins und das Verbot seiner
Ausgangsstoffe leisten?
E i n e n Skandal hätte es über dem Dioxin aber beinahe noch ge-
geben. Haben doch die berüchtigten Skandalfernsehmagazine und
eine Hamburger Skandalillustrierte als vorläufige Krönung ihrer
Dioxin-Berichterstattung die Behauptung in die Welt gesetzt, so-
gar das heiligste Nahrungsmittel der Nation, das Unterpfand unse-
rer Zukunft, die M u t t e r m i l c h sei dioxinverseucht.
Diese Schreckensmeldung konnte gottlob dementiert werden. Erstens
ist alles andere noch ungesunder für die Babys, und zweitens wird
Gift in der Muttermilch durch den Gehalt an seelischer Bindung in
derselben lässig kompensiert.
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