Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK STAHLINDUSTRIE - Der Fall Rheinhausen usw.


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DAS REVIER IN DER KRISE

Kapital... ---------- Es heißt nach einem Fluß, steht auf steinkohlehaltigem Grund und ist von vorn bis hinten ein pures G e s c h ö p f d e s K a p i t a l s, das für seine Akkumulation dort einen Standort- vorteil gefunden hat: Der Kohleabbau wurde zum Geschäft, weil zur günstigen Geschäftsbedingung für die kapitalistische Produktion erstens von, zweitens mit Stahl. An Gebrauchsgütern aus Stahl hatte nicht bloß die Geschäftswelt, sondern vor allem das Militär einen uferlosen Bedarf. So sicherte die staatliche Kaufkraft dem Stahlgeschäft einen seiner Märkte und dem Kapital an der Ruhr vor den Weltkriegen seinen Auf- schwung. Hinterher, nach der Niederlage, wollte das erste Mal die französische Republik sich die einschlägigen Produktionsmittel aneignen, beim zweiten Mal die britische Besatzungsmacht sie de- montieren. Doch daraus wurde nichts. Das deutsche Nationalinter- esse an einer eigenständigen Produktion der industriellen "Rohstoffe" Energie - aus heimischer Kohle - und Stahl bekam in beiden Fällen recht - von den Amerikanern. Der Wille der westlichen Siegermächte des 2. Weltkriegs, die strategischen Schlüsselindustrien des zerschlagenen deutschen Reiches dauerhaft ihrer Kontrolle zu unterstellen, schuf Anfang der 50er Jahre eine supranationale Institution, die das politi- sche Regime gleich über das gesamte Kohle- und Stahlgeschäft der beteiligten Nationen übernehmen sollte: die "Europäische Gemein- schaft für Kohle und Stahl" (EGKS oder "Montanunion"). Eine Frei- handelszone für diese beiden Artikel wurde geschaffen, in der das Geschäft, vor allem mit dem zunehmend gefragten Werkstoff Stahl, in ungeahntem Ausmaß expandierte (in den sechs Gründerstaaten von 42 Mio. Tonnen 1952 auf 133 Mio. Tonnen 1974). Das Ruhrgebiet war immer - und ist bis heute - für ein rundes Drittel dieses Geschäfts gut. Seine Stahlunternehmen betrieben die härteste Rationalisierungspolitik und nötigten die großen Nachbarn, ihre nationale - teilweise verstaatlichte - Stahlpro- duktion mit milliardenschweren Zuschüssen vor dem Ruin zu retten: Dies die Wahrheit in dem von westdeutschen Großindustriellen in Umlauf gebrachten, heute gläubiger denn je von Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten nachgebeteten Gerücht, die rheinisch-westfä- lischen Hüttenkonzerne hätten, ungerechterweise, gegen ganze Staatshaushalte statt bloß gegen fremde Kapitalisten zu konkur- rieren. ...Lohnarbeiter... ------------------ Es ist der Standort einer Arbeiterschaft, die durch nichts als den Kräftebedarf des akkumulierenden Kapitals aus verschiedenen Ursprungsländern dort zusammengewürfelt worden und durch nichts als ihre Benützung überwiegend in großen, seit jeher gewerk- schaftlich betreuten Betrieben erzogen worden ist. In kaum 100 Jahren hat diese Mannschaft es zu einer Tradition gebracht, die das Herz aller ehrlichen und berechnenden Arbeiterfreunde höher schlagen läßt. Dem geschichtsbewußten Linken hat das Proletariat an der Ruhr immerhin einen erfolgreichen Generalstreik zu bieten: 1920 gegen die Freikorps des Putschisten Kapp. Schon das blutige Ende dieses ersten "Aufruhrs an der Ruhr" taugt allerdings nur für die Liebhaber heroischer Niederlagen (ebenso wie die kommunistischen Aktionen nach dem 2. Weltkrieg): Die (sozial)demokratischen Nutznießer der "Unruhen" machten ihnen gewaltsam ein Ende. Sozial und patriotisch gesinnte Demokraten können daher schon mehr Freude an den sozialen Leistungen der Industriearbeiter- schaft des Ruhrgebiets haben. Dem Widerstand gegen Kapp und dem "maßvollen" Ende folgte drei Jahre später der von oben angeord- nete "Ruhrkampf", die Opposition gegen die französische Beset- zung; das haben auch die Nazis den "Ruhrkumpels" hoch angerech- net. Nach dem verlorenen Krieg Nr. 2 haben die Arbeiter sich wie- der gegen die Demontage der Industrieanlagen gewehrt; auf deren Enteignung haben sie nicht bestanden. Statt dessen ließen sie sich von ihren neuerstandenen Gewerkschaften für Mitbestimmungs- modelle einspannen. So haben sie d a s "Deutschland wieder auf- gebaut", auf das die regierenden Demokraten so stolz, mit dem die Manager des Kapitals so zufrieden - und über dessen schäbigen "Dank" die Ruhrpöttler im nachhinein so enttäuscht sind. ...und der ganze Rest --------------------- Es ist eine "Welt für sich", die mit der blöden Überraschung des auswärtigen Besuchers darüber kokettiert, daß es da außer Betrie- ben und Arbeitersiedlungen durchaus auch Grünland, Kultur und einen "Mittelstand" gibt. Dabei macht das ganze Ensemble bloß an- schaulich, was im Kapitalismus überhaupt gilt: Alles, was da sonst noch sein Geld verdient - neben dem Kapital, das akkumu- liert, und den Lohnarbeitern, die dafür gebraucht werden -, lei- stet dafür seine funktionalen Dienste; selbst die Sphäre der Un- terhaltung und Erbauung, dieses Refugium der Freiheit, hat ihren Bestand und ihr Existenzrecht einzig und allein als funktionale Fußnote zu Kapital und Arbeit. Der namensgebende Fluß heißt wie eine Krankheit, der bekannteste Konzern auch, und sogar die Berge kommen aus dem Bergwerk. Das alles sind natürlich überhaupt keine Hindernisse für das ideali- sierende Bekenntnis zur Abhängigkeit, das "Heimatgefühl" heißt - genausowenig wie Meer oder Gebirge gute Gründe für diese Schick- salsideologie darstellen. Daß alles, sogar die Landschaft, von vergangener und gegenwärtiger kapitalistischer Nutzung, auch als "Infrastruktur" oder Dienstleistungs-Überbau, zeugt, scheint eher ein extra guter Nährboden für die Täuschung zu sein, der ortsan- sässige Menschenschlag hätte sich da sein Revier geschaffen. Das ideelle Eigentumsverhältnis zu allem, wovon man sich abhängig und bestimmt weiß, gewinnt offenbar bloß an Glaubwürdigkeit, wenn die reellen kapitalistischen Eigentumsverhältnisse den ganzen Rest als ihre abhängige Variable bestimmen: wenn Wohnungen, Einzelhan- del, Krankenversorgung und Schulbildung aus den sozialpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen einiger großer Firmen hervorgegangen sind; wenn die Industrie- und Handelskammern gemeinsam mit den Gewerkschaften das Kulturleben der Region regeln und den Univer- sitäten den letzten Schein von "Elfenbeinturm" nehmen; wenn sogar die Pfaffen mit ihren "Kolpingsfamilien" die Figur des Arbeits- manns verhimmeln. Daß man lebt, um zu arbeiten: Das ist der Stolz dieser Region; und zwar so ungeschminkt, daß sich niemand übermäßig gedrängt fühlt, diese kapitalistische Gleichung zu beschönigen. Schon gar nicht die Politiker. Denen gefällt diese Elementarform des prole- tarischen Nationalismus - als wäre der Dienst am Reichtum, von dem alles abhängt, ein moralischer Rechtstitel a u f alles - so gut, daß sie ihn einfach als Kompliment ausdrücken: "Ein starkes Stück Deutschland!" zurück