Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK BETRIEBE - Vom Umgang mit dem Arbeiter
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CONTI PRODUZIERT REIFEN - UND KREBS
Bei der Reifenproduktion werden Arbeiter systematisch vergiftet.
Beim Vulkanisieren sowie beim anschließenden Lagern der Reifen
entstehen Dämpfe, die krebserregende Stoffe, Nitrosamine, enthal-
ten. Nun wäre das für sich gesehen ja noch kein Grund, wieso
Leute diese Dämpfe auch e i n a t m e n sollten. Offenbar ist
die Arbeit bei Conti allerdings so organisiert, daß auf die Qua-
lität der Reifen ziemlich viel, auf die Vermeidung von Schäden
bei den Leuten, die sie herstellen, sehr wenig Wert gelegt wird.
Das liegt in der Natur der kapitalistischen Sache: wo die Produk-
tion Gewinne über Kosten erbringen soll, ist jede Kost, die nicht
dem Voranbringen der Fertigung dient, im Prinzip überflüssig.
Dieses Faktum wurde nun neulich in der NEUEN PRESSE groß ausge-
breitet. Dabei ist es keineswegs neu. Gemessen wird das Zeug in
den Conti-Werkshallen schon seit Jahren. Entsprechend den staat-
lichen Auflagen wurde die eine oder andere Filteranlage einge-
baut; eine Notwendigkeit, etwa wegen der weiterhin anfallenden
gesundheitlichen Schäden für die Arbeiter diese Sorte Arbeit ein-
zustellen, wurde deswegen noch lange nicht entdeckt. Kunststück:
die sind nämlich nie gefragt worden, ob ihnen solche Arbeits-
bedingungen passen. D i e sind ja gar nicht für ihre eigene Ge-
sundheit zuständig - jedenfalls nicht im Betrieb.
Zuständig sind vielmehr das Gesundheitsministerium, das Gewerbe-
aufsichtsamt, der Werksarzt und nicht zuletzt der Betriebsrat.
Die sind es jetzt auch, die plötzlich an diesen Krebserregern ein
Problem entdecken. Und warum? Nein, nicht auf einmal wegen deren
Wirkungen auf die Arbeiter. Sondern weil es seit Oktober
eine neue staatliche Gefahrenverordnung
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gibt. Die weist neuerdings das Dimethylnitrosamin als "extrem
krebserregend" aus. Wozu im übrigen schon einiges gehört: zu die-
ser staatlichen Schadens d e f i n i t i o n (die mit einem wis-
senschaftlichen U r t e i l über den Stoff nicht zu verwechseln
ist) sieht sich das Gesundheitsamt nämlich erst dann veranlaßt,
wenn so ein Stoff in den Fabriken massenhaft vorkommt, Krebsfälle
in einer Zahl anfallen, die den Gesundheitswächtern Anlaß zu der
Sorge gibt, ob nicht hier der Volkskörper über Gebühr frühzeitig
verschlissen wird.
Deswegen gibts ein Problem - für das Hannoveraner Gewerbeauf-
sichtsamt. Nicht wegen der Vergiftung - die läuft ja unterdessen
ungehindert ihren Gang. Sondern weil der Reifenproduktion seit
eben diesem Datum im Oktober "die Rechtsgrundlage fehlt". Und
deswegen m ü ß t e das Gewerbeaufsichtsamt eigentlich ein-
schreiten. Denn:
"Einige hundert hannoversche Contimitarbeiter werden den Krebser-
regern ausgesetzt, ohne daß eine Ausnahmegenehmigung vorliegt."
(NEUE PRESSE)
D a s ist schlimm: Conti vergiftet Leute, ohne es zu
d ü r f e n. Dabei wäre die Erlaubnis so leicht zu haben - und
das Gewerbeaufsichtsamt sein Problem los. Denn die Gefahrstoff-
verordnung schreibt zwar vor, daß "Arbeitnehmer krebserzeugenden
Gefahrstoffen nicht ausgesetzt sein dürfen", aber
"Die zuständige Behörde kann im Einzelfall eine Ausnahme zulas-
sen, wenn nach Stand der Technik die Einhaltung des Gebotes nach
Satz 1 nicht möglich ist."
Und daß das bei Conti der Fall sein m u ß, sieht man ja schon
daran, daß Conti ein moderner Betrieb ist und seine Produktion
eben so eingerichtet h a t, daß die Leute das Zeug abkriegen.
Da ist sich der Mensch von der Gewerbeaufsicht mit dem Betrieb
völlig einig: was Conti "technisch" nicht m a c h t, das
g e h t auch gar nicht. Es ist schon lustig: einerseits wird dem
aufgeklärten Zeitungsleser ständig erzählt, daß technisch - von
der Raumfahrt bis zum Superchip - nichts unmöglich ist; und
wenn's gerade paßt, darf man umgekehrt wieder glauben, daß die
Schädigung von Leuten beim E i n s a t z dieser Technik ganz
und gar unvermeidlich sein soll. Wo im Interesse des gewünschten
Produkts staubfreie Räume verlangt sind - kriegt "die Technik"
das lässig hin. Aber krebserzeugende Atemluft verhindern: einfach
u n m ö g l i c h!
Also sind alle Voraussetzungen gegeben, um das "Problem" aus der
Welt zu schaffen. Conti bekommt seine Ausnahmegenehmigung, die
Welt ist wieder in Ordnung. Wer will schon Conti irgendwie in
seinem Geschäftsgang behindern?
In der Hinsicht sind sich gottseidank
alle einig:
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Gewerbeaufsichtsamt, Betriebsleitung und Betriebsrat. Aufsichts-
beamter Sander: "Das kann vom Verordnungsgeber nicht gewollt
sein, daß man ganze Betriebsteile stillegt." Recht hat er, der
Mann: eine Störung der Gewinnproduktion war wirklich nicht beab-
sichtigt. Zumal Conti doch ansonsten in Sachen Arbeitsschutz soo
vorbildlich ist... Arbeitsdirektor Kauth: "Die Gummi-Industrie
ist eine alte Industrie, und die Sterblichkeit ihrer Mitarbeiter
weicht nicht vom Bevölkerungsdurchschnitt ab." Na eben. Wo
kapitalistische Fabriken ihre lieben Mitarbeiter alle gleicherma-
ßen verschleißen, sollte man wirklich nicht so auf Conti rum-
hacken. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Alt: "Wir hören von den
Chemikern, daß bei der Reifenproduktion das Entstehen der Nitro-
samine nicht zu vermeiden ist. Wir können ja nicht für die Stil-
legung der Gummi-Produktion eintreten." Nein, lieber Rudi, das
könnt ihr wirklich nicht. Wo blieben denn dann die Arbeitsplätze?
Und einen Arbeitsplatz, der sein Gift nicht wert wäre - den gibt
es doch nicht, oder?
Und weil das so ist und der Krebs eben zur Gummiproduktion gehört
wie Dallas zu Dienstag, darf man auch getrost mal wieder daran
erinnern, daß die Gesundheitsgefährdungen überall lauern:
"Es ist nicht möglich, eine Krebserkrankung auf eine bestimmte
Ursache zurückzuführen. Viele Faktoren spielen mit: ist der Er-
krankte Raucher, wohnt er in der Stadt oder auf dem Land...? (NP)
Eben. Schließlich bekommen ja nicht alle Conti-Arbeiter Krebs,
sondern nur etwa 7 %. Und die hätten ja vorher an die DDR-Grenze
ziehen und das Rauchen unterlassen können - dann wären sie ja
vielleicht noch am Leben.
Merke: wer eine ordentliche gewinnbringende Reifenproduktion
will, soll über das bißchen Krebs nicht meckern. Und die Ge-
fahrstoffverordnungsverfasser sollen demnächst mal ein bißchen
besser aufpassen, daß sie nicht mit ihren Vorschriften renom-
mierte Firmen kurzzeitig zu Rechtsbrechern erklären!
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