Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK BETRIEBE - Vom Umgang mit dem Arbeiter
zurück1000 MAL PROBIERT, 1000 MAL IST NICHTS PASSIERT
Tatort: LD, Montag, 3.50 Uhr Tatwaffe: Ein mit flüssigem Stahl gefüllter Behälter und die dazugehörigen Arbeitsplätze Tatopfer: Ein Toter, vier Leicht- bis Mittelschwerverletzte und ein unter Schock stehender Kranfahrer Die anlaufende Untersuchung hat bisher ergeben, daß die Tat von langer Hand geplant war. Als Belastungszeuge wird der Betriebsrat angeführt: "Es sei ein wahres Wunder, daß in den vergangenen 14 Jahren noch nichts passiert sei." Der Eigentümer der Tatwaffe hat daraufhin folgende Stellungnahme abgegeben: "Firmenleitung und Gewerbeaufsichtsamt haben inzwischen Gespräche begonnen mit dem Ziel, Arbeitsabläufe aus dem Gefahrenbereich der glühenden Stahl- transporte in sichere Entfernungen zu verlegen." Wer ist also der Täter? Wo liegt das Motiv? ------------------------------------------- Das Geständnis, seit Jahren die Arbeitsplätze so eingerichtet zu haben, daß Arbeiter unter schwebenden Lasten, "im Gefah- renbereich", zu arbeiten haben, hat mit Mord ---- natürlich nicht das mindeste zu tun. Wir raten dringend davon ab, mit einer Klage nach Paragraph 211 Strafgesetzbuch gegen die Hütte vorgehen zu wollen. Wenn es im Paragraph 211 unter anderem heißt: "Mörder ist, wer... aus Habgier... grausam oder mit gemeingefähr- lichen Mitteln... einen Menschen tötet", dann heißt das noch lange nicht, daß man der Hütte Habgier vor- werfen könnte. Wenn die Hütte Arbeitsplätze unter dem Gesichts- punkt lohnender Kost einrichtet, so daß das Prinzip der Organisa- tion der Arbeit darin liegt, mit der Zuhilfenahme von Kränen Ar- beitsplätze zu beschicken, an denen gleichzeitig gearbeitet wer- den soll, dann handelt es sich nicht um Habgier, sondern um einen Beitrag zum Aufschwung, und der dient angeblich "uns allen". Man läge auch völlig schief, wollte man den Tod des einen und die Verletzungen der anderen Gießer, so "grausam" das auch war, als bezweckte Grausamkeit beurteilen. Die Hütte beabsichtigt sicher nicht, ihre Gießer unter die Erde zu bringen. Sie sollen bloß so arbeiten, wie es am Arbeitsplatz vorgesehen ist; und jeder Tote wird doch ordentlich von der Hütte bedauert. Und schließlich ist es auch nicht im Sinne des Strafgesetzbuches, Stahlbehälter oder gar Gießerarbeitsplätze als "gemeingefährliche" Mordinstrumente zu charakterisieren. Schließlich stehen sie unter ständiger Beob- achtung von Sicherheitsingenieuren und Gewerbeaufsichtsamt. Selbst der Tatbestand, der Fahrlässige Tötung ------------------ heißt und im Paragraph 222 zu finden ist, hat mit den Gießerar- beitsplätzen nichts zu tun. Denn von "Fahrlässigkeit" kann nicht die Rede sein: die Sicherheitsvorschriften hängen in jedem Mei- sterbüro, und Sicherheitsanzüge sind von der Hütte bereitgestellt worden. Wenn Arbeiter die Arbeit, die sie zu erledigen haben, im- mer dann erledigen, wenn der Betrieb sie anfallen läßt, und zwar so, wie der Betrieb sie organisiert, dann kann nur noch passie- ren, daß der Betrieb ihnen Fahlässigkeit vorwirft. Der Kranfahrer muß sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht doch schuld an dem Unfall war, und von den Gießern behauptet die Betriebsleitung scheinheilig, daß sie überhaupt nicht wüßte, was die dort zu su- chen hatten. Was also vorliegt, ist nicht nur strafbar, sondern umgekehrt: Es liegt ein Fall von gesetzlich geschützter und geförderter Lohnarbeit ---------- vor. Das ist der Skandal! Gesetzlich abgesichert und gefördert ist der Zweck einer rentablen Stahlproduktion, und der Einsatz von Mensch und Maschine ist dafür das Mittel. Man tut die Arbeit so, wie vom Betrieb vorgesehen, und viel aufzupassen gibt es nicht, eher viel technischer Fortschritt, an den man sich anzu- passen hat. Lauter technische Sachzwänge - vom betrieblichen Zweck gewollte! - bestimmen die Art, Geschwindigkeit und den Raum, in dem die Arbeit zu laufen hat. Anders geht das nicht. Denn ernstgenommen wäre der Gesichtspunkt, daß man auf sich ach- tet, eine einzige Verhinderung der Arbeit. Dann würde die Arbeit nicht mehr gehen. Den Schuh will sich aber keiner anziehen, also wird weitergearbeitet, bis der Betrieb nach einem Unfall be- schließt, daß die Arbeit anders organisiert gehört. Dann werden die Scherben aufgeräumt und die neuen Anweisungen befolgt. Damit ist auch dieser Unfall bewältigt. Mit viel Verantwortung seitens der Betriebsleitung wird alles ge- tan, damit die Arbeit ohne solche "Störungen" weiterlaufen kann - was dieser Unfall den Betrieb gekostet hat, kriegt man noch nach- gerechnet - und mit ein bißchen Mitbestimmung seitens des Be- triebsrates wird der Schein gepflegt, alles würde zum Schutz des arbeitenden Lebens stattfinden - Beileidsbekundungen für die To- ten inbegriffen. Menschliches Versagen oder technische Unzulänglichkeiten? --------------------------------------------------------- Diese Frage wird in solchen Fällen immer aufgeworfen. Wie sieht es bei menschlichem Versagen aus? Irgendjemand hat was falsch ge- macht oder hat nicht richtig aufgepaßt. Kann mal passieren. Und es kann in beiden Fällen sogar passieren, daß irgendjemand dabei verletzt wird. Das muß man eben abstellen. Daß Gießer an ihrem Arbeitsplatz arbeiten, während der Transport läuft oder Packer immerzu unter schwebenden Lasten arbeiten, ist weder ein Zufall, noch einfach übersehen worden. Das ist das Resultat einer be- trieblichen Kalkulation, bei der Mensch und Maschine kost-. und raumsparend eingesetzt werden, die Arbeiten deswegen so or- ganisiert werden, daß sie neben- und untereinander ausgeführt werden müssen, und es den Leuten zur eigenen Aufgabe gemacht wird, mit den so eingerichteten Arbeitsbedingungen zurechtzukom- men! Dann ist die Tatsache, daß ein Fehler - von welcher Seite er auch immer passieren mag - gleich zu einer Katastrophe werden kann, eine berechnete Notwendigkeit und ausschließlich eine Leistung des Kapitals. Es liefert schließlich immerzu lauter Gelegenheiten dafür, daß menschliches oder technisches Versagen zur Gefährdung von Leben und Gesundheit führt. Von einer Bramme zerquetscht im WW, von einem Paket erschlagen im KW, vom flüssigen Eisen verbrannt, neulich im LD. Daß morgen ir- gendetwas anderes passieren wird, weiß jetzt schon jeder, der ein Interesse an diesem Geschäft hat. zurück