Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK BETRIEBE - Vom Umgang mit dem Arbeiter
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DER LOHN, DER IST ZUM KÜRZEN DA, FALLERI UND FALLERA!
Daimler-Chef Reuter hat jüngst mit seiner Forderung, das Inter-
esse an Lohnkostensenkung dürfe vor den Löhnen nicht halt machen,
sonst wären Massenentlassungen unausweichlich, für einigen Wirbel
gesorgt:
"Reuter, der SPD-Mitglied ist, erklärt: "Es muß, wenn wir nicht
zusätzliche Arbeitslosigkeit, ich fürchte relativ dramatischen
Ausmaßes, produzieren wollen, so schnell wie möglich ein Konsens
aller Beteiligten darüber gesucht werden, daß die Kosten - ich
spreche hier konkret von den Lohnkosten und auch von den Lohn-
nebenkosten - zurückgeführt werden müssen." Die Frage, ob dies
keine Lohnsteigerungen mehr bedeute, hatte der Daimler-Chef mit
einem klaren Ja beantwortet. Gleichzeitig hatte Reuter eine Sen-
kung der Löhne nicht ausschließen wollen." (Weser-Kurier)
Dabei ist die Frage, ob in Tarifrunden nicht auch einmal
L o h n s e n k u n g e n beschlossen werden müßten, erstens
eine a l t e Frage und zweitens längst in der Praxis positiv
beantwortet. Das kann nur leugnen, wer das Kunststück beherrscht,
Reallohn und Nominallohn zu verwechseln: Als käme es den Lohnemp-
fängern darauf an, Zahlen auf dem Lohnzettel zu beglotzen, statt
mit einer Geldsumme den Haushalt zu versorgen. Und da zählt nun
einmal das, was man für das Geld b e k o m m t. N e u ist da-
gegen, N o m i n a l l o h n s e n k u n g e n und auch noch
offensiv und rücksichtslos zu fordern. In einer Tarifrunde hat
diese "Anregung" Reuters sofort offene Ohren gefunden. Seine Kol-
legen vom Stahl sind dabei, ihre Forderung nach einer Lohnkürzung
- Arbeitszeitreduzierung o h n e Lohnausgleich - salonfähig zu
machen. Eine Wende in der deutschen Nachkriegstarifpolitik: Der
Lohn, der ist zum Kürzen da, falleri und fallera!
Als ob das Kapital Bilanz gezogen und folgendes festgestellt
hätte: ,Erstens interessiert uns die L e i s t u n g der Leute,
also Arbeit pro Zeit, da kann uns sowieso niemand reinquatschen.
Die A r b e i t s d a u e r - zweitens - wird zunehmend eine
Größe, die wir nach unseren Kriterien flexibel einsetzen können.
Gut so! Und auch - drittens - in der Frage der A n z a h l
d e r B e s c h ä f t i g t e n können wir schalten und walten
nach unseren Vorstellungen. Dafür sorgen Kündigungsschutzgesetze
und "Krisengerede". Aber beim Lohn, da gibt es einen alten
Brauch, der störend ist: In Lohntarifrunden wird immer über die
Frage "Wieviel m e h r?" verhandelt! Der einzelne Lohn - wohl-
gemerkt nicht die Lohnkosten insgesamt - ist uns noch viel zu we-
nig flexibel. Das muß geändert werden.
Reuters Forderung gibt das Signal, an dieser Front offensiv zu
werden.
"Steinkühler: Das bedeutet Reallohnsenkung. Denn da Herr Reuter
die Preisstabilität nicht garantieren kann, läuft ein Lohnstop
praktisch darauf hinaus. Aus der Sicht von Daimler ist dies abso-
lut ungerechtfertigt; denn bei dem Unternehmen sind die Lohn-
stückkosten in den letzten Jahren ständig gesunken; und über die
Gewinnlage will ich mich als Insider nicht weiter verbreitern.
Was Herr Reuter bei einer Betrachtung über Daimler-Benz hinaus
unterschlägt, ist die Tatsache, daß für die Arbeitgeber ja nicht
die Tarif-, sondern die Effektivlöhne als Kosten maßgebend sind.
Und auf die Effektivverdienste haben wir nur ganz bedingten Ein-
fluß. Tatsache ist aber, daß die Effektivverdienste beachtlich
über den Tarifvereinbarungen liegen; das haben allein die Un-
ternehmer zu verantworten und nicht wir." (Süddeutsche Zeitung,
5.2.)
Was stört den IGM-Chef Steinkühler an Reuters Absicht, das offi-
zielle Tabu von tariflichen Nominallohnsenkungen zu knacken? Ei-
nes auf jeden Fall nicht: Daß ein Bestandteil des Lohns der Daim-
ler-Beschäftigten n i c h t gewerkschaftlich abgesichert ist.
Wer in betrieblichem Übertarif immer noch einen A u f t r a g
für die Gewerkschaft entdecken möchte, der Mehrbezahlung durch
den Unternehmer seinen willkürlichen Charakter zu nehmen, dem
stößt Steinkühler sehr hart bescheid. Klartext:
'1. Daimler-Benz hat doch immer bekommen, was es wollte. Niemand
hat dem Werk bei seinen Lohnstückkostensenkungen durch Rationali-
sierung und Intensivierung einen Knüppel zwischen die Beine ge-
worfen. Wir von der Gewerkschaft schon gar nicht. Deswegen ist
Reuters Drohung mit Entlassungen ungerecht. Wir sind zutiefst be-
leidigt!
2. Wenn Daimler-Benz die Löhne zu hoch sind, dann sollten sie
sich nicht über die Tarifpolitik beschweren. An der liegt das
nämlich garantiert nicht. Das kann man daran sehen, daß die Ef-
fektivlöhne bei Daimler ü b e r den Tariflöhnen liegen. Da soll
sich Daimler-Vorstand Reuter doch erst einmal an die eigene Nase
fassen. E r bezahlt den Leuten doch soviel. Wenn es wirklich um
Lohnkürzungen ginge, bräuchte er nur die Effektivlöhne zu senken.
Das könnten wir gar nicht verhindern. Das haben allein die
Unternehmer zu verantworten und nicht wir. Wir sind also zutiefst
beleidigt!
3. Das Schlimme an Reuters Vorstoß besteht also nicht darin, daß
er den Leuten den Gürtel enger ziehen will, sondern daß er völlig
ungerechtfertigterweise die Gewerkschaft verdächtigt, sie hätte
etwas dagegen. Noch einmal: Haben wir etwas gegen Lohnstückko-
stensenkungen unternommen? Nein! Stellen wir uns auf den Stand-
punkt, Effektivlohnsenkungen können wir nicht verhindern? Ja.
Mit dieser Stimmungsmache gegen die Gewerkschaft, sie würde gegen
die Unternehmensinteressen den Lebensstandard der Leute halten
oder gar ausbauen wollen, muß ein für allemal Schluß sein. Sonst
sind wir zutiefst beleidigt!'
So wird 1988 von den Tarifpartnern um Euren Lohn gestritten: Das
Kapital möchte in Sachen Lohnabbau eine neue Front eröffenen. Die
IG-Metall ist über den Verdacht erhaben, sie könnte etwas dagegen
haben, sauer!
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