Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK BETRIEBE - Vom Umgang mit dem Arbeiter
zurückDER VORWURF DER BETRIEBSLEITUNG, DIE ARBEITER WÜRDEN ZU VIEL BLAU MACHEN, UND WIE MAN DAGEGEN BESSER NICHT VORGEHT:
Auf der letzten Betriebsversammlung des Jahres hat Werksleiter Schreck die Belegschaft beschimpft und sich Besserung fürs neue Jahr erbeten. Der Gegenstand der Beschwerde ist nicht neu: regel- mäßig wird mit statistischem Material 'bewiesen', daß der K r a n k e n s t a n d z u h o c h sei; wenigstens im Ver- hältnis zu anderen Werken. Und dies, obwohl doch der Altersdurch- schnitt der Bremer Belegschaft erheblich unter dem anderer Werke liege. Hoher Kankenstand... -------------------- Der Sachverhalt ist für sich ein d o p p e l t e r Skandal: Der e r s t e ist d e r K r a n k e n s t a n d f ü r s i c h. Da bekanntlich in der letzten Zeit keine Epidemie geherrscht hat, mit Ausnahme jener "Epidemie", die chronisch die Geldbeutel der Arbeiter befällt, kann man davon ausgehen, daß der von Schreck benannte hohe Krankenstand ein Produkt der Organisation der Ar- beit im Bremer Werk ist. Offensichtlich schafft es das Werk spie- lend, das Arbeitsvermögen der Arbeiter in ziemlich kurzer Zeit so in Mitleidenschaft zu ziehen, daß es für Daimler-Benz unbrauchbar wird und ausgetauscht werden muß. Dieser Umgang mit der Arbeits- kraft der Leute im Betrieb erfüllt mehrere Straftatbestände von der einfachen Körperverletzung über die Nötigung bis hin zur schweren Körperverletzung mit Todesfolge. Genauer gesagt: der Sachverhalt w ü r d e mehrere Straftatbestände erfüllen, wenn, ja wenn es sich hier nicht um eine gesellschaftlich anerkannte, für nützlich befundene und deshalb auch trotz ihrer Auswirkungen gewünschte Form der Gesundheitszerstörung handeln würde. Nur ein- mal anders herumgedacht: Wenn jemand dem Schreck als Antwort auf seine Frechheiten eine gescheuert hätte, dann wäre das unter Körperverletzung gefallen, weil man so etwas nicht tut und es niemandem nützt - ausgenommen dem Adrenalinspiegel des "Schlägers". Man darf daraus durchaus den Schluß ziehen, daß diese Sorte kapital-nützlicher Angriffe auf Knochen, Bänder, Or- gane und - nicht zu vergessen - den Geist hierzulande g e s e t z l i c h g e s c h ü t z t ist. ...als Vorwurf an die Belegschaft... ------------------------------------ Der z w e i t e Skandal besteht darin, daß Schreck a u s d e m K r a n k e n s t a n d einen V o r w u r f a n d i e B e l e g s c h a f t macht. Dafür hätte er eine verdient!!! Der Betrieb macht die Leute ziemlich schnell fix und alle. Und dann müssen sie sich anhören, daß man sie auch noch für ihre Krankheit beschimpft. Wo sind wir denn eigentlich? Na, wo sind wir schon: In der schönen Markwirtschaft, Abteilung Daimler-Benz, sind wir. In der ist es absolut üblich, daß Krankheit nicht als das, was sie nun einmal ist, betrachtet wird, nämlich als eine mit Be- schwerden einhergehende reparable oder irreparable Störung von Körperfunktionen, die dem Betroffenen in der Regel hübsch zu schaffen macht. Sondern in dieser besagten Marktwirtschaft, da können es sich anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Le- bens leisten, diesen von ihrem Betrieb hergestellten Zustand als einen einzigen ungehörigen Angriff auf i h r Interesse zu wer- ten; welches darin besteht, keinen Pfennig für Lohn auszugeben, wenn er sich nicht in nützlicher Arbeit für den Betrieb nieder- schlägt. Dies ist aber beim gegenwärtigen Stand der Sozial- und Arbeitsgesetzgebung unter bestimmten Umständen nicht zu ver- meiden. Im Kopf von Schreck gibt es dies alles umgedreht: Da sind es nicht die von ihm eingerichteten Arbeitsverhältnisse, die für Krankheit und Invalidität sorgen, sondern da sind es umgekehrt die Leute, die dem Betrieb angeblich ziemlichen Schaden zufügen. Denn: Ihnen muß während der Krankheit eine zeitlang Geld gezahlt werden, obwohl sie sich doch in dieser Zeit kein bißchen nützlich machen können für die Firma! ...wird schwer übelgenommen... ------------------------------ Wie die Daimler-Arbeiter auf Schrecks Vorwürfe reagiert haben, das grenzt ebenfalls an einen Skandal. Sie haben nämlich dem Werksleiter seine Beschwerde ü b e l g e n o m m e n. Sie woll- ten den unausgesprochenen Verdacht, sie würden zuviel blau ma- chen, nicht auf sich sitzen lassen. Und das ist für sich genommen schon ziemlich blöd: Wieso muß man sich denn gegen einen solchen Vorwurf überhaupt z u r W e h r setzen? Wieso soll es denn e h r e n r ü h r i g sein, mal blau zu machen? Da mißt Schreck in seiner Beschwerde die gesamte Lebenszeit der Arbeiter an s e i n e m Maßstab, daß sie nämlich lohnende Arbeitszeit für den Betrieb zu sein hat, und Daimler-Arbeiter ziehen sich diesen Schuh auch noch an! Partout wollten sie der Werksleitung bewei- sen, daß sie hochanständige Arbeiter sind, die fürs Freimachen überhaupt keine anderen Gründe als die gerade noch e r l a u b t e n kennen. Es ist schon ein ziemlicher Unter- schied, ob man eine Beschwerde ü b e l n i m m t oder ob man dem Werk bedeutet, es könne sich diese Anmache sonstwo hinstec- ken! Übrigens sollte man sich mal klar machen, welche Beweislast man sich selbst aufhängt, wenn man sich gegen den Vorwurf des Blau- machens entrüstet zur Wehr setzt: Will man ab sofort nur noch dann krankmachen, wenn man wirklich nicht mehr schnaufen kann? Das will doch auch in Zukunft keiner! Also soll man sich auch nicht so aufführen, als müßten die e i g e n e n Gründe für ein paar arbeitsfreie Tage vor den Maßstäben des B e t r i e b e s Bestand haben. Wie soll das denn gehen, wo gerade diese in der Arbeit angewandten betrieblichen Maßstäbe das Bedürfnis, einmal außer der Reihe auszupennen und die Knochen zu pflegen, hervorge- bracht haben! Die Daimer-Arbeiter führen sich leider so auf, als müßten sie den Betrieb davon überzeugen, daß Schreck sie völlig zu Unrecht ge- scholten hätte. ...und zurückgewiesen. ---------------------- Auf der Betriebsversammlung ging es los und die "Kollegen" setzen in Nr. 165 ihrer "Nachrichten und Meinungen" die Aufzählung der sogenannten "Krankmacher" fort. Aus allen Hallen wurden und werden Arbeitsbedingungen gemeldet, die zu Sehnenscheidentzündungen, Rückenproblemen, Verspannungen, Wirbelsäulenschädigungen, Gelenkentzündungen, Gehörschäden, Ma- gen- und Kreislaufbeschwerden usw. führen. Es gibt offensichtlich keinen Arbeitsplatz im Werk, keinen Handgriff und keine Arbeits- verrichtung, an welcher die Berichterstatter nicht irgendwelche "Krankmacher" entdeckt hätten. Im Info der "Kollegen" wird noch extra darauf verwiesen, daß nur die "Arbeiten mit den g r ö ß t e n gesundheitlichen Belastungen" aufgezählt worden seien. Der Beweiszweck dieses von den Fakten her sicherlich zu- treffenden Einblicks in die Hallen des Aushängeschilds der deut- schen Automobilindustrie lautet: "Von 'Krankfeiern' kann hier ja wohl keine Rede sein!" Folglich, so darf man weiterdenken, ist der Herr Dr. Schreck im Unrecht, wenn er die Arbeiter des Blau- machens verdächtigt, und sind die Arbeiter völlig im Recht. Denn wenn sie einmal krank sind, dann sind sie es wirklich - ohne Schummeln und ohne wehleidiges Getue. Wenn der Betrieb sich also an dem Krankenstand stört, dann solle er sich lieber an die ei- gene Nase fassen. Angesichts dieses Beweis z w e c k s und des vorgelegten Be- weis m a t e r i a l s kommen uns Zweifel, ob die "Kollegen" und alle, die sich diesem Theater angeschlossen haben, noch recht bei Trost sind: - Werdet Ihr eigentlich nicht stutzig, wenn Ihr k e i n e n einzigen Arbeitsplatz im Betrieb findet, an welchem die Leute nicht früher oder später über alle möglichen Beschwerden klagen? Dies kann doch unmöglich an der P f l i c h t v e r- g e s s e n h e i t des Betriebes liegen! An so ziemlich j e d e m Arbeitsplatz soll der Betrieb v e r g e s s e n oder ü b e r s e h e n haben, was er da den Arbeitern zumutet!? So blauäugig könnt Ihr doch gar nicht sein? - Merkt Ihr denn nicht, daß den Schreck an Eurer K r a n k h e i t nur interessiert, was diese ihn k o s t e t, nämlich Geld, für das Ihr nichts tut! Daß folglich Eure Liste von 'Krankmachern' an der Sache völlig vorbeigeht. Denn für den Be- trieb bedeutet die Krankheit nur, daß I h r nicht für seine A r b e i t, keineswegs aber, daß diese A r b e i t nicht für E u c h taugt! - Ist Euch denn entgangen, daß Schreck eine S t a t i s t i k zitiert, die für ihn nur eines heißt: In anderen Werken ist der Krankenstand bei g l e i c h e n A r b e i t s b e d i n g u n g e n niedriger als in Bremen. Schreck will eben nur seine Statistik im Werksvergleich verbes- sern, keinesfalls aber Euch "gesündere Arbeit" verschaffen. Für ihn gibt's deswegen auch nur die Alternative: die Leute sollen die Zähne zusammenbeißen, oder man muß sie auswechseln. Der Ar- beitsmarkt gibt's her! So senkt das W e r k den Krankenstand, so verbessert Schreck seine Statistik, ohne daß sich für Euch an der Arbeit was ändert. - Habt Ihr denn nicht mitbekommen, was Ergonomen (Arbeitswissenschaftler) und Arbeitswirtschaftler treiben, wenn sie an Euren Arbeitsplätzen mit Stoppuhr und Metermaß rumfummeln? Die fragen sich doch allein, wie bei einer Vereinfachung der Handgriffe, bei einer körpergerechten Arbeitsorganisation oder bei einem neuen Rotationsmodell aus Euch in gleicher Zeit mehr Leistung herausgeholt und/oder der eine oder andere Belastungs- punkt eingespart werden kann. Und da führt Ihr Euch mit einer Latte von Verbesserungsvorschlägen noch wie die Handlager dieser Leistungsoptimierer auf! Und selbst wenn durch Höhenverstellung beim Hinterkotflügeleinbau oder durch einen Schrägförderer beim Auspuffeinbau wirklich eine Entlastung Eurer Knochen zu spüren ist - heißt das wirklich etwas anderes, als daß Ihr den Job nicht nur 10, sondern vielleicht 20 Jahre durchhaltet? Ist es das, was Ihr wollt? Den Beweis antre- ten, daß mit einigen ergnomischen Veränderungen wirklich eine "olympiareife" Belegschaft hervorgezaubert werden kann, die jeden Vergleich mit Sindelfingen, Wörth oder Düsseldorf aushält? Das ganze Getue taugt also allenfalls zur Pflege Eures gekränkten Stolzes. So kann man s i c h vielleicht beweisen, daß man zu Unrecht der Krankfeierei bezichtigt worden ist. Nun gut, dann holt man sich eben hoch erhobenen Hauptes den nächsten Kranken- schein. Aber sollte es das sein!? Hatte man sich denn nicht ir- gendwo schon darüber beschwert, daß der Betrieb die "olympiareife Belegschaft" binnen kurzer Zeit zu "dopingabhängigen Sportkrüp- peln" macht? War es nicht das? Da muß man sich eben entscheiden, ob man gegen die Ursachen des eigenen Verschleisses am Arbeitsplatz etwas unternehmen will, oder man sich mit seiner Berufskrankheit als Anschauungsmaterial für eine Betriebsratspolitik hergeben will, die den Werksvorstand ständig an Pflichten erinnert, die dieser sich gar nicht aufer- legt, und an Zwecke gemahnt, die mit denen eines kapitalistischen Betriebes nichts zu tun haben. *** Anstrengung und Leistung soll man nicht verwechseln --------------------------------------------------- Aus der Halle 9 z.B. wird über das Sitzeeinbauen gemeldet: "Ein Sitz wiegt bis zu 27 kg. Das Einbauen der Sitze erfolgt un- ter sehr ungünstiger ergonomischer Körperhaltung. Mit der Modell- plfege hat sich die Situation durch Passungsprobleme weiter ver- schlechtert. Die Folge war, daß der Krankenstand sehr stark an- stieg..." (Kollegen-Info) Soweit der Bericht, der bis auf den Schluß sicherlich zutreffend ist. Aber daß der Krankenstand die Folge des Hebens schwerer Sitze bei zusätzlichen "Passungsproblemen" ist, leuchtet nicht ein. Denn 27 kg beim Umzug gehoben, machen doch auch nicht krank - es sei denn, die Bandscheibe ist schon hin. Und daß solche Freizeitvergnügungen wie Rasenmähen, Gartenumgraben und Surfen in "günstiger ergonomischer Körperhaltung" erfolgen, wird niemand behaupten. Krank werden muß man davon noch lange nicht. Passieren kann das schon, wenn man's übertreibt. Aber im Betrieb geht ohne 'Ü b e r t r e i b u n g' gar keine Arbeit. Die ist dort D a u e r z u s t a n d. Niemand kann aufhören, wenn die Arme länger werden oder der Rücken schief. Niemand kann aufhören, wenn er die Schnauze voll hat. Und um Vergnügen, für das man sich schon mal Blasen oder ein paar Beulen gefallen läßt, geht es schon gleich gar nicht. Krank machen bei Daimler also nicht Gewichte, Körperhaltungen und "Passungsprobleme" bei der Arbeit. Krank macht die Verrichtung jedes Handgriffs in jeder Körperhaltung, wenn sie unter dem Dik- tat des Daimler-Tempos, der Daimler-Zeiteinteilung, der Daimler- Qualitätsstandards, des Daimler-Schichtplans, wenn sie also als L e i s t u n g acht Stunden am Tag, fünf Tage in der Woche und dies eben nicht nur vorübergehend verrichtet werden muß. Das Geld, das den Leuten für diese Leistung gezahlt wird, soll sich nämlich für den Profit des Werkes auszahlen. Und weil es um den geht, werden die Arbeitsplätze so konstruiert, wie sie sind, und wird an ihnen so gearbeitet, wie es den Beschwerden über 'Krankmacher' unschwer zu entnehmen ist. Profit ist nämlich nicht einfach ein Haufen Geld, das nach dem Verkauf der Autos bei Daim- ler-Benz in der Kasse klingelt. Der Profit wird in der Produktion sichergestellt - durch genau jene Organisation von Arbeit, die den Daimler-Arbeitern auf Dauer gar nicht bekommt. zurück