Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK BETRIEBE - Vom Umgang mit dem Arbeiter
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Wochenarbeitszeitverkürzung bei Daimler-Benz:
DIE BILANZ DER 38,5-STUNDENWOCHE
VOR DEM EINTRITT IN DIE 37-STUNDENWOCHE
Bilanz I: Für die Daimler-Arbeiter
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Diese Bilanz fällt kurz und nüchtern aus. Drei Jahre sind herum
und an der effektiven A r b e i t s z e i t hat sich
n i c h t s geändert: Die 8-Stundenschicht ist geblieben. Über-
stunden fallen eher mehr als weniger an. Für bestimmte Beleg-
schaftsteile gehören Samstags- und Sonntagsarbeit wie eh und je
zur Arbeitswoche. Überflüssig zu sagen, daß Überstunden und Son-
derschichten fleißig vom Betriebsrat genehmigt werden; es sei
denn, die IG Metall hält es für nötig, ihren Be-
schäftigungsstandpunkt zu betonen, dann wird schon mal was ver-
weigert, was sich aber auch wieder nacharbeiten läßt. Dies der
"erste Schritt in die Arbeitszeit der Zukunft" (IGM)! Daß diese
"Zukunft" Vati gelangweilt zu Hause herumsitzen läßt, kann wirk-
lich niemand behaupten.
Natürlich darf laut Tarifvertrag Daimler-Benz auch nach wie vor
i n j e d e A r b e i t s s t u n d e genauso viel hinein-
packen wie es möchte. Wenn so ein Arbeitstag 5 x absolviert
worden ist, dann weiß jeder Daimler-"Mitarbeiter", daß er sich
"sein Wochenende verdient" hat. Klagen über fehlende Auslastung
nach Inkrafttreten des Tarifvertrages sind uns bislang nicht zu
Ohren gekommen. Und daß der bekannte Vati am Wochenende nicht
wüßte, was er mit seiner überschüssigen Energie anstellen soll,
läßt sich ebenfalls nicht beobachten.
Beim L o h n schließlich... Da kann man sich die Bilanz ohnehin
sparen, weil nur ein "Ausgleich" w e g e n der Arbeitszeitver-
kürzung, aber keiner f ü r die Leistungssteigerung vereinbart
worden war.
Das wäre sie, die Bilanz I. Alles kann man über sie behaupten,
nur nicht, daß sie einen guten Grund für die Fortsetzung
d i e s e r Wochenarbeitszeitverkürzung enthält. Was sich
n i c h t gelohnt hat, davon läßt man die Finger. Davon will man
nicht n o c h m e h r!
Genau umgekehrt sieht das natürlich die IG Metall. Man könne doch
"vom ersten Schritt nicht schon erwarten, was ganz am Ende des
Weges herauskommen soll", sagt sie. Zumal da immer noch die
"Arbeitgeber" sind, die einfach den beschäftigungspolitischen
Sinn der gewerkschaftlichen Arbeitszeitverkürzung nicht verste-
hen, geschweige denn umsetzen wollen. Das stimmt! Die wollen
wirklich etwas anderes - ihr F l e x i b i l i s i e r u n g s-
k o n z e p t. Das mißfällt der IG Metall; hat sie allerdings
1985 nicht daran gehindert, es zu unterschreiben. Zur Freude der
Unternehmer. Das zeigt
Bilanz II: Für das Werk
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Die betriebsdurchschnittliche 38,5-Stundenwoche ist nämlich
n i c h t n u r eine einfache Rechenoperation für den Computer.
Je nach dem zu welcher Zeit-Kategorie die Daimler-Leute gehören -
37, 38,5- oder 40-Stündler -, bekommen sie bekanntlich pro
Schicht einige Minuten auf ihrem "Freischichtenkonto" verbucht.
Über dieses Konto führt das Werk bzw. der Werks-Computer genau
Buch. Da werden sorgfältig auch A b z ü g e berechnet. Jede
F e h l z e i t durch Verspätung, Freistellung oder zusätzlichen
Urlaubstag taucht auf der Minusseite dieses Kontos auf. Das ist
praktisch und reduziert die in Daimlers Gesamtbilanz zu Buche
schlagenden Fehlzeiten nicht unerheblich. Jede Fehlzeit ist näm-
lich jetzt der v e r w i r k t e A n s p r u c h a u f
e n t s p r e c h e n d e F r e i s c h i c h t e n. Anders ge-
sagt: Die Fehlzeit wird wie eine bereits abgefeierte Freischicht
berechnet. Je mehr Fehlzeiten, desto geringer die Zahl der Frei-
schichten auf dem Zeitkonto. Von diesem darf man sich allerdings
auch nicht nach eigenen Freizeitvorstellungen die freien Tage ab-
buchen - sofern auf der Haben-Seite noch etwas steht. Freischicht
buchstabiert sich für das Werk als die Zeit, in der der Kontoin-
haber ohnehin im Werk nicht benötigt wird. Deswegen werden ge-
plante und vom Computer auf dem Abrechnungsstreifen ausgedruckte
Freischichten auch schon mal wieder a b g e s e t z t, wenn es
in der Abteilung "eng wird", und a n g e s e t z t, wenn die
Abteilung zufällig mal weniger Ausfälle als im Durchschnitt ein-
geplant zu verzeichnen hat. Ganz schön "flexi" bereits: Da wird
aus den Fehlzeiten von früher eine g u t k a l k u l i e r-
b a r e A r b e i t s z e i t r e s e r v e. Insgesamt
s p a r t das b e z a h l t e N i c h t - A r b e i t s-
z e i t und kommt dem Ideal des Betriebes wieder ein Stück
näher, daß überhaupt nur tatsächlich geleistete Arbeitszeit
bezahlt wird und die Arbeiter immer dann auf der Matte zu stehen
haben, wenn sie ordentlich benutzt werden können. Wenn nicht,
dann nicht.
Bei geleisteten Ü b e r s t u n d e n hatten sich Ge-
schäftsleitung und Betriebsrat ergänzend noch etwas besonderes
einfallen lassen: Die Leute dürfen sich aussuchen, ob sie die
Überstunden abfeiern oder bezahlt bekommen wollen. Das ist sehr
großzügig, zumal diese "Freiheit" 1. natürlich nicht bedeutet,
daß abgefeiert wird, wenn es dem Daimler-Arbeiter in den Kram
paßt; und zumal 2. der Anspruch auf Freizeitentgelt für Über-
stunden nach einer gewissen Zeit entfällt und der Arbeiter dann
automatisch Geld statt Freizeit bekommt. Für ihn ist die
Alternative bekanntlich weder so noch anders rum sehr lustig. Für
das Werk sieht das anders aus: Wenn es auf die Arbeit scharf ist,
dann stellt sich Daimler eben auch lässig auf den Standpunkt des
Löhnens. Irgendwie scheinen die Herren ziemlich genau zu wissen,
daß der Geldreichtum, den Arbeiter in einer Stunde h e r-
s t e l l e n, in keinem Verhältnis zu jenem bescheidenen Geld-
quantum steht, das ihnen pro Stunde oder Überstunde a u s-
g e h ä n d i g t wird.
D i e s e Bilanz kann sich schon eher sehen lassen. Zufrieden
sind die Unternehmer mit ihr deswegen noch lange nicht. Weswegen
sie bekanntlich die diesjährige Tarifrunde zum Anlaß genommen ha-
ben, weitergehende F o r d e r u n g e n zu stellen. Ihnen hat
der Tarifvertrag von 1985 und seine dreijährige praktische Bewäh-
rung Mut gemacht. Der IG Metall fällt bei dieser Verkehrung der
Fronten nichts auf. Sie möchte - "als nächsten Schritt in die Ar-
beitszeit der Zukunft" - vom Tarifpartner ja auch nur das Zuge-
ständnis erhalten, sich das gewünschte "Flexi-Konzept" in ganz
viele, durch die Arbeitszeitverkürzung "induzierte" neue
Beschäftigungsgelegenheiten umrechnen zu dürfen. (Das dürfen und
machen sie ja nun prompt.)
Des Rätsels Lösung,
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warum sich eine Plus-Minus-Null-Bilanz bei den Arbeitern in ein
ziemlich ordentliches Plus bei dem Betrieb auflöst, liegt auf der
Hand: 1. ist mit dem Manteltarifvertrag von 1985 der erste
Schritt gemacht worden, Betriebsbedürfnisse, die einst nur über
A u s n a h m e r e g e l u n g e n durchgesetzt werden konnten,
denen also immer noch ein leichter Hauch von "Sittenwidrigkeit"
anhaftete, nun als höchst b e r e c h t i g t e und ganz nor-
male z u r R e g e l zu machen. Sie standen irgendwie schon
immer auf dem Standpunkt, der jetzt zur Leitlinie von Tarifver-
trägen wird: Betriebsnotwendigkeiten werden nicht "auch berück-
sichtigt", sondern sind das e r s t e R e c h t. 2. steht der
Betrieb auf dem Standpunkt, daß erst am Schluß abgerechnet wird,
dann also, wenn sich alle Zeitanforderungen an die Leute und de-
ren Kosten vollständig summiert haben. Und da hat sich herausge-
stellt, daß das "Kleinvieh" der letzten Tarifrunde einen ganz
hübschen Haufen "Mist" produziert hat.
Falsch liegen folglich wieder einmal all jene "Realisten", die
sich ihre
Bilanz III
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zurechtgelegt haben. Abwinkend verkünden sie, schon immer gewußt
zu haben, daß "von der Tarifrunde nichts zu erwarten und deswegen
jede Aufregung fehl am Platze ist". Daß in den letzten drei Jah-
ren für die Leute im Prinzip alles beim alten geblieben ist, daß
auch in den nächsten drei Jahren die Daimler-Mannschaft nicht
groß überrascht werden wird, also nichts passieren wird, was ih-
nen unbekannt ist, das trifft zu. Sich damit allerdings jede Auf-
regung über das tariflich abgesegnete Verhältnis von Geld und Ar-
beit in Zeit zu verbieten, ist saublöd. Das ist die Leistung all
derer, die sich ohnehin nicht vorstellen können, daß im Werk et-
was anderes gilt als der Anspruch des Daimler-Konzerns. Daß immer
nur zählt, was das Werk will, d a s hat sich in der Tat über-
haupt nicht geändert. In dieser Hinsicht können diese "Realisten"
wirklich n i e überrascht werden. Denn daß sie immer die Dödels
sind, haben diese Schlaumeier immer schon behauptet.
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