Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK AUTOINDUSTRIE - Von Daimler bis VW
zurück Anläßlich der Mißhelligkeiten im Umfeld der Verleihung der Ehren- doktorwürde an den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, Herrn Prof. Dr.-Ing. e.h. Niefer, hat die Öf- fentlichkeit ein Recht darauf, die Lobrede der Universität auf den Kandidaten in vollem Umfang zur Kenntnis zu nehmen.LAUDATIO
zur Begründung des Antrages zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Herrn Prof. Dr.-Ing. e.h. Werner Niefer (stellv. Vorstands- vors. der Daimler-Benz AG) Mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde sollen die außergewöhnli- chen wissenschaftlichen Leistungen von Herrn Niefer gewürdigt werden. Das mag befremdlich klingen für einen Mann, der Autos baut; genauer: bauen läßt. Aber kaum ein Autodidakt hat es seit der Entdeckung der Gravitation so wie er verstanden, die Praxis- relevanz der vielfältigen modernen Wissenschaften in einem ein- zigen Automobilkonzern zu dokumentieren. So erscheint, was einmal Ausbeutung gescholten wurde, schon in der publikumswirksamen Namensgebung des Werkes als wissenschaftlich angeleiteter Huma- nismus: "Der gute Stern auf unseren Straßen." Dabei hat es der Geehrte auf den verschiedensten wissenschaftlichen Gebieten zu ähnlich herausragenden Leistungen gebracht. Die Jury hat sich vor der Verleihung des Hutes vom ordnungsgemä- ßen Zustand der Promotion des Herrn Niefer überzeugt. Ein Plagiat liegt nicht vor. Seine wissenschaftliche Leistung ist so einmalig wie der Stern, dem er dient. Naturwissenschaft und Technik ----------------------------- unter besonderer Berücksichtigung der Spezies Mensch lagen ihm von jeher am Herzen. "Eine optimale Synthese von Mensch und Automatisierung" (der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG über Herrn Niefer) war ihm und der Geschäfts- leitung stets Verpflichtung: Kein Fließband, an dem nicht die vielen Schraubenschlüssel im Takt der Maschine geschwungen wür- den. Schon früh sorgte Herr Niefer mit der Einführung von Zwei- schicht-Betrieb und Samstagsarbeit dafür, daß die Synthese von Mensch und Werkzeug nicht brüchig wurde. Einer allzu starren und unmenschlichen Zeitstruktur wirkte er durch gelegentliche Son- derschichten und Sonntagseinsätze entgegen, so daß mit einem Höchstmaß an Flexibilität der Humanisierung der Arbeitswelt und der Bilanz gleichermaßen gedient war. Vor einer D o p p e l- belastung hat Herr Prof. Dr.-Ing. e.h. Niefer seine Mitarbeiter jedoch in der Regel bewahren können. Sie haben nur für die E r w i r t s c h a f t u n g der Gewinne geradezustehen. Die aufreibende Tätigkeit der Kalkulation von Kosten und Ertrag ruht auf den Schultern des Herrn Niefer. Sein Kopf hat es zu herausra- genden Leistungen auf dem Gebiet der angewandten Volkswirtschaftslehre --------------------- gebracht. Das Gesetz der Knappheit hat Niefer durch seine Lohnpo- litik auf eindrucksvolle Weise bestätigt. Sein Beweis ist so ein- fach wie bestechend: Wer nichts kriegt, der hat nichts; und wer nichts hat, der kriegt nichts. So kann jeder Lohnempfänger in seinem Portemonnaie sehen, wie knapp die Güter sind, die die Wa- renhäuser füllen. Wäre ohne Herrn Niefers Lohnpolitik mit Augen- maß dieser wissenschaftliche Lehrsatz jemals populär geworden? Hoch anzurechnen ist dem gelernten Techniker, daß er in Sachen Knappheit nicht in Dogmatismus verfällt, sondern einen diffe- renzierten Ansatz favorisiert. Was beim Lohn seine Berechtigung hat, wäre bei der Leistung der Mitarbeiter völlig verfehlt. So kommt es, daß sich Herr Dr.-Ing. e.h. Niefer auch auf dem schein- bar abgelegenen Gebiet des Breitensports ------------- seine Verdienste erworben hat. Bandgeschwindigkeit und flexible Arbeitszeit sorgen dafür, daß in Daimler-Werkshallen dauernd Cal- gary ist. Das fördert den Teamgeist. Ganze Belegschaften verwech- seln sich mit olympiareifen Mannschaften, bis manchen Enddreißi- ger die Sehnsucht nach Frühverrentung beschleicht. An solchen Knotenpunkten der Praxis bewährt sich Herrn Niefers intime Kennt- nis der Betriebswirtschaftslehre. ------------------------- Gewiß, er versteht sich als Arbeitgeber. Aber er ist ein Arbeit- geber, der sich nicht zum Sklaven seines Rufes macht. Mit natür- licher Fluktuation verschafft er dem Betrieb eine Frischzellen- kur, wo es sein muß, und für die leistungsschwachen Abgänge ent- fällt ja mit dem Lohn auch die Last. Entlassen wird bei Daimler streng nach den Regeln des Lehrbuches: um Arbeitsplätze zu ret- ten. Nämlich die, die nicht gestrichen werden sollten. Die ge- strichenen Arbeitsplätze tun zwar als Lohnkostensenkung ihre heilsame Wirkung auf die Bilanz. Aber es wäre ein unverant- wortlicher wissenschaftlicher Reduktionismus, wollte man den Blick darauf beschränken. Die eigentlich zu würdigende Leistung besteht in der Schaffung jenes großen Arbeitslosenmarktes, der uns so vielfältige und interessante Probleme für Forschung und Lehre bereitgestellt hat. Angenehm zu sehen, daß sich der Daim- ler-Konzern dabei nicht mit spektakulären Massenentlassungen in den Vordergrund drängt. Prof. Niefer und Kollegen ziert ihre Be- scheidenheit und stille Demut, mit der sie den Arbeitslosenmarkt bedienen. Was wäre denn die Psychologie ----------- ohne Herrn Niefers Beitrag zur Arbeitslosigkeit? Die ganze Sinn- problematik ist doch undenkbar ohne Arbeitslose! Wir alle wissen: Hinter jeder Nummer verbirgt sich ein Schicksal, und Schicksale wollen verarbeitet sein. Hier hilft die Wissenschaft der Psycho- logie. "Die A r b e i t ist der Sinn des Lebens!", soll Freud einmal ausgerufen haben, als er dem Schuhputzer kein Geld geben wollte. Seither wissen sogar die Arbeitslosen, was ihnen wirklich fehlt, wenn mit der Arbeit das Geld ausbleibt: ein Sinn, mit dem man sein hartes Schicksal meistern kann. Gruppendynamische Töp- ferkurse für entlassene Karosserieschlosser sind nur ein Beispiel aus dem breitgefächerten Angebot der Psychologie. Arbeitslosig- keit ist immer auch Chance! Wer wollte einen Arbeitslosen um den Zugang zu einem alternativen Lebenssinn betrügen - und den Fach- bereich Psychologie um seine ABM-Stellen? Herr Prof. Dr.-Ing. e.h. Niefer jedenfalls nicht. Nicht nur außerhalb, auch innerhalb des Werkes ist er unermüdlich im Sinne einer praxisnahen Geistes- wissenschaft tätig. Die Begabungstheorie, ----------------- so oft im abgehobenen Streit zwischen Umwelt- und Anlagevertre- tern zerredet, ist dort einfach als praktische Bandarbeit model- liert. "Jeder ist seines Glückes Schmied", das ist hier kein lee- res Wort. Alle Arbeiter und Angestellten haben gewiß ihr Bestes gegeben. Und doch hat sich nach jahrelangen praktischen Experi- menten in allen Daimler-Werken immer dasselbe Ergebnis einge- stellt: Etwa 8- bis 15-tausend Hilfsarbeiter werden durch drei bis sechs Niefers geführt. Und das, obwohl alle unter denselben Umweltbedingungen gestartet sind: Es handelt sich b e i a l l e n Versuchspersonen ausschließlich um Mitarbeiter der Daimler-Benz AG. Das erhärtet die Hypothese der pädagogischen Psychologie, daß die übergroße Mehrheit der Menschen in der ori- ginären Fabrikarbeit eine ihren natürlichen Anlagen entsprechende Tätigkeit gefunden hat. Das ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus erfreulich, zumal die umgekehrte Relation die Kapazität der Universität für Ehrendoktorhüte bei weitem gesprengt hätte. Natürlich liegt auf dem Wort von den "natürlichen Anlagen" eine historische Erblast. Aber nicht auf Herrn Niefer, der sich zwei- felsfrei als Wegbereiter einer aufgeklärten Völkerkunde ----------- ausgewiesen hat. Rassistische Vorurteile gegen slawische Fremdar- beiter waren seinem Konzern schon verhaßt, als er für Hitler wirkte. Türkische Gastarbeiter, um ein Modewort zu gebrauchen, dürfen sich heute ebenfalls um Daimler verdient machen. Selbst Ostfriesen, jenes durch zahllose Witze stigmatisierte Volk der Deutschen, findet im Musterländle des Musterkonzerns eine offenes Tor. Diese gegen jeden Ethnozentrismus gewandte Weltoffenheit hat Herrn Niefer bis nach Südafrika geführt. Schwarze Lohnsklaven, jenes Produkt der Apartheid, welche wir alle nicht verehren, dür- fen bei Daimler am Band ihre Gleichberechtigung beweisen. Sogar gegen ein kleines Entgelt. 'Toleranz zahlt sich aus' sei ein Wahlspruch des Hauses Daimler, so hört man aus der Umgebung von Prof. Niefer. Insofern ist es nicht nur ein Gebot der Konzernbi- lanz, sondern vor allem der Gesinnungsethik, dieselbe Toleranz wie gegenüber den Negern auch gegenüber Herrn Botha, ihrem Lager- verwalter zu üben. Hier zählt kein Idealismus der leeren Worte, Taten sind verlangt. Und wieder kann sie Herr Niefer vorweisen. Sie lesen sich wie praktische Übungen im Fach Internationale Politik. ----------------------- Mit dem Export von militärischen Nutzfahrzeugen und einer eigenen Produktionsstätte in die Kap-Region hat Herr Niefer wesentlich zur Stabilität der Region beigetragen. Durch ein komplexes und fein abgestimmtes G l e i c h g e w i c h t konnte der soziale Friede gerettet werden: Die herrschenden Buren fahren Daimler- Unimogs, und für die breite schwarze Masse fällt auch mancher abgefahrene Reifen zum Verheizen an. Aber nicht nur kurzatmiger Konzernegoismus ist hier am Werk, sondern ein wissenschaftlich fundierter Blick für die Konfliktträchtigkeit weltweiter Inter- dependenz. Von diesem Ansatz her ist Prof. Niefers 'Ja' zur Ge- walt wissenschaftlich begründet und polizeilich nicht verboten: "Wir haben den besonderen Belangen der Bundeswehr Rechnung getra- gen." (Niefer, Wehrtechnik 11/77) Und zwar nicht durch den Bau verbotener Präzisionszwillen, sondern durch den Aufbau einer deutschen Wehr- und Friedensindustrie: AEG, MTU, Dornier und dem- nächst MBB sichern unter dem Dach von Daimler die Wehrkraft für deutsche Friedenspolitik bis hinter den Ural. Der militärisch- industrielle Komplex verdient gewiß die kritische Begleitung durch die Wissenschaft, die für ihn arbeitet. Herr Dr. Niefer aber ist einer der Garanten dafür, daß deutsche Kopfarbeit nicht noch einmal für einen chauvinistischen, übersteigerten, ag- gressiven und b o r n i e r t e n Nationalismus mißbraucht wird: Frieden in Freiheit w e l t w e i t - wer wollte sich da- gegen verschließen? Die Universität nicht, die Daimler-Benz AG nicht, die BRD nicht, ja nicht einmal die NATO. Der Vollständigkeit halber seien auch noch die Leistungen auf dem Gebiet der schönen Künste erwähnt, die diesen großen Kopf ab- runden. Für Kunst und Kultur ---------------- hat Dr.-Ing e.h. Niefer Großartiges getan. Nur im kleinen Lese- zirkel der Daimler-Familie ist sein Einsatz für ein men- schenwürdiges Umfeld der Arbeitsplätze bekannt geworden. Mit dem schlichten Stilmittel "ansprechender Farbgebung" sind aus grauen Fabrikmauern gelbe geworden - das Auge arbeitet auch mit! Furore machte der gelernte Werkzeugmacher-Lehrling, als er eine Hin- terachse als Revolutionierung der Fahr k u l t u r einführen ließ. Mit dem Einstieg in die Mittelklasse des 190er gab sich der Konzern sogar volksnah, verhinderte aber durch eine geschickte Preispolitik den Absieg in die Massenkultur. Für die Wissen- schaftskultur kommt Herrn Prof. Dr.-Ing. e.h. Niefer die Rolle eines selbstlosen Förderers zu. Gekauft hat er die beiden Titel zwar nicht. Aber als Dauerleihgabe läßt er sie gerne auf sich sitzen. Für den Dr.-Ing. e.h. hat er der Universität Stuttgart den Kopf hingehalten, für den Professor der TH Darmstadt. Wie kein anderer verkörpert Herr Werner Niefer den Brückenschlag zwischen Forschung und Lehre, Industrie und Politik. Ich, der Rektor, freue mich, den Rektor, deshalb heute ganz besonders, Herrn Niefer für diese wissenschaftlich herausragende Leistung den Ehrendoktorhut anzutragen, ohne jedoch ein Dilemma zu verschweigen, das schon im Namen wissenschaftlicher Redlichkeit ausgesprochen zu werden verdient: Die beeindruckende Leistungsbi- lanz der Laudatio hat n e u n Hüte, aber nur e i n e n Kopf ermittelt. Hut auf, Herr Niefer. gez. Der Rektor, für die Universität zurück