Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK AUTOINDUSTRIE - Von Daimler bis VW


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       Korrespondenz
       
       Audi-Ingolstadt: Mit Stimmzetteln für Arbeitsplätze kämpfen?
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       "Seit Jahren  verteilt Ihr  regelmäßig Eure  Zeitschrift vor  den
       Werkstoren der  Audi in  Ingolstadt, und  ich denke,  Ihr habt in
       dieser Zeit  doch einen  gewissen Leserkreis  erreicht, in dessen
       Namen ich  Euch für  Euer Engagement  danken möchte. Gleichzeitig
       möchten wir Euch bitten, ob Ihr vielleicht in der Ausgabe vor den
       Kommunalwahlen einen  Artikel veröffentlichen könntet. Es handelt
       sich um folgendes:
       Die Audi  möchte ein Motorenwerk errichten; bei der Standortfrage
       geht es  nun darum,  ob das  Werk in der Region Ingolstadt gebaut
       wird oder  irgendwo anders. Sollte das Werk nicht hier in der Re-
       gion gebaut werden, sind ca. 2.500 Arbeitsplätze des jetzigen Mo-
       torenbaus und der Mechanischen Abteilung verloren.
       Der Betriebsrat  blockt Aktionen  von seiten  der Arbeiter ab mit
       dem Argument,  sie würden  schon "alles  Mögliche machen". Die IG
       Metall unternimmt  auch nichts Wesentliches. Dabei ist abzusehen,
       daß das Werk andernorts gebaut wird. Es handelt sich dabei um In-
       vestitionen um weit über 1 Mrd. Mark.
       VW bestimmt,  was Audi macht, und Audi bestimmt, was der Stadtrat
       von Ingolstadt  zu tun  hat; und dieser CSU-Stadtrat spricht sich
       plötzlich gegen  Anreize steuerlicher  oder anderer  Art für  das
       Großkapital aus; d.h. VW will sein Motorenwerk lieber in Hof (Hof
       ist im  Gespräch) sehen,  wo viele DDR Kollegen anstehen, um sich
       die Konsumträume des Westens zu erfüllen.
       Die SPD würde im Falle eines Wahlsieges die Gewerbesteuer senken.
       Wir wollen aber auch nicht die SPD unterstützen.
       Es geht  also darum,  daß die Arbeiter von keiner Partei etwas zu
       erwarten haben,  da es eine grundsätzliche Frage ist, daß wir Ar-
       beiter nicht  über die  von uns geschaffenen Werte bestimmen kön-
       nen, geschweige denn über notwendige Investitionen.
       Es gibt auch keine Partei weit und breit, die uns in dieser Frage
       unterstützt; und  deshalb sollen die Kollegen ungültig wählen mit
       einem riesigen  Kreuz über  dem ganzen Wahlzettel mit Hinweis auf
       das Motorenwerk.
       Wir sind Kolleginnen und Kollegen aus den Abteilungen Mechanische
       / Motorenbau  / Werkzeugbau  / Preßwerk / Lackiererei / Sattlerei
       und Montagen ..."
       
       An die Belegschaft von AUDI
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       Wenn wir nicht vor den Kommunalwahlen auf Euren Brief geantwortet
       haben, so deshalb, weil wir keinen Grund wissen, wozu das gut ge-
       wesen wäre.  Ihr schreibt  ja selbst, daß Ihr von keiner der Par-
       teien etwas  zu erwarten  habt. Dann ist es aber auch total über-
       flüssig, irgendwie in diese Wahl eingreifen zu wollen. Und es ist
       eine verlorene  Mühe, mit  ungültigen Stimmen  den Parteien einen
       Denkzettel zu  verpassen. Wenn  Euch doch klar ist, daß alle Par-
       teien nach  politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ent-
       scheiden und nicht nach Euren, was soll dann Euer "riesiges Kreuz
       über den  ganzen Wahlzettel  mit Hinweis auf das Motorenwerk"? Da
       werdet Ihr unter "ungültig" abgebucht und fertig.
       Wo die  Firma VW/AUDI ihr neues Motorenwerk baut, das entscheidet
       sie nach  ihren Kostenerwägungen.  Dafür spielen  steuerliche Be-
       dingungen, Kreditbegünstigungen  der Kommunen  und nicht  zuletzt
       die Lohnkosten  eine Rolle. Wo sich das alles vorteilhaft für den
       Betrieb zusammenrechnet,  dort wird  das Werk  gebaut. Wo  da wer
       seinen Arbeitsplatz  verliert oder  einen bekommt,  ist für diese
       betriebswirtschaftlichen Abwägungen  der Firma  völlig gleichgül-
       tig.
       Ihr seid  betroffen von  einer betrieblichen  Maßnahme, die immer
       wieder und  überall in  unserer schönen Marktwirtschaft stattfin-
       det: Eine  Fabrik wird  an einem  Standort dichtgemacht, weil dem
       Konzern ein  neues Werk  an einem  anderen Standort lohnender er-
       scheint. Euch  trifft die  anerkannte kapitalistische  Rechnungs-
       weise, daß  Arbeitsplätze, die  sich für  den Betrieb  nicht mehr
       lohnen, abgeschafft werden. Und daß keine politische Partei, kein
       Betriebsrat, keine  Gewerkschaft so  etwas  verhindern  oder  gar
       diese  Normalität  des  Kapitalismus  bekämpfen  will,  wißt  Ihr
       selbst.
       Ist es da nicht fehl am Platze zu beklagen, daß man in Ingolstadt
       Arbeitsplätze verliert  und daß alle Verantwortungsträger dagegen
       nichts tun,  sondern machen,  was sie  wollen?  Mal  ehrlich!  Im
       Grunde habt  Ihr Euch  mit dem,  was kommt,  schon abgefunden und
       glaubt selbst  nicht daran,  daß ein  bißchen Öffentlichkeit  für
       Euer Anliegen am Lauf der Dinge irgend etwas ändern würde.
       Und diese trostlose Aussicht muß auch herauskommen, wenn man sich
       erst dann  beschwert, wenn  Arbeitsplätze wegfallen.  Wenn man in
       Sachen Lohn,  Arbeitszeit und  Arbeitsbedingungen immer alles mit
       sich machen  läßt; wenn man sich nie gewehrt hat dagegen, wie die
       Firma mit  einem umspringt, und die Gewerkschaft dabei hat mitma-
       chen lassen, wie man's von ihr kennt, dann kann die Firma machen,
       was sie  will -  auch Arbeitsplätze  wegbauen. Und denen soll man
       dann nachseufzen.
       Dann bleibt  wirklich nur  noch die  hoffnungslose Klage, daß man
       Opfer der  Machenschaften der  Firma, der  Parteien, der  Gewerk-
       schaften usw. geworden ist.
       

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