Quelle: Archiv MG - BRD WIRTSCHAFTSPOLITIK ALLGEMEIN - Erfolgsrezepte einer Nation
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Die Ideologie der Woche
STRUKTURKRISE UND STRUKTURWANDEL DES RUHRGEBIETS
Beweise, daß das Ruhrgebiet zur Zeit eine schwere K r i s e
durchleide, werden zuhauf angeboten: dort, wo früher viele Zechen
und große Stahlwerke standen, sind die meisten verschwunden oder
geschrumpft; in ihnen arbeitet nur noch ein Bruchteil der Be-
schäftigten vergangener Jahre; dafür sind die Arbeitslosenzahlen
im Revier bundesweit Spitze, wohingegen aus dem Süden der Repu-
blik die größeren Wirtschaftswachstumsraten gemeldet werden. Doch
was beweisen diese immer wieder ausgebreiteten Vergleiche mit an-
deren Zeiten und anderen Landstrichen tatsächlich? Die Existenz
einer ökonomischen Krise gewiß nicht: keiner der Konzerne, die da
fleißig stillegen und rationalisieren, hat Konkurs angemeldet,
sondern alle wollen mit den Entlassungen ihre Gewinne vergrößern.
Nicht mal ein anomaler Geschäftsgang läßt sich ihnen entnehmen:
es sind haargenau die gleichen Rentabilitätskalkulationen, nach
deren Maßgabe früher Bergleute und Stahlkocher zu Tausenden ein-
gestellt und heute arbeitslos werden; weil es sich gelohnt hat
für die Unternehmen, sind Zechen und Stahlwerke aufgezogen wor-
den, und aus keinem anderen Grund werden heute die Gewinne vor-
zugweise in anderen Branchen und anderen Regionen angelegt. Es
ist eben immer und überall das Geschäft, das sich damit machen
läßt, welches darüber entscheidet, was wo von wem produziert
wird. Und über die Gültigkeit dieses marktwirtschaftlichen Maß-
stabs hat keiner der vielen Ruhrgebietskrisenbeschwörer geklagt.
Umso mehr beschwert sich jeder darüber, daß dabei fürs Revier zu
wenig abfällt. Verglichen mit dem, was ihn nach der Meinung der
einschlägigen Regionalkundler eigentlich zusteht. Und Liverpooler
oder Lothringer Verhältnisse sind das gewiß nicht. Die werden
doch deswegen immer so gerne zitiert, um vorzuführen, was aus ei-
ner Industrielandschaft werden kann - aber aus dem Ruhrgebiet
nicht werden darf. Denn das ist zu Größerem berufen.
In der Sicherheit, daß es die allernatürlichste Mission des Ruhr-
gebiets ist, den nationalen Vorzugsstandort für die wichtigsten
und erfolgreichsten Unternehmen abzugeben (eine Sicherheit, die
eigentümlicherweise ihre Argumente stets aus vergangenen Parade-
Zeiten bezieht), machen sich Revier-Forscher aller Disziplinen
auf die Suche nach den Gründen, warum die Region zwischen Rhein
und Ruhr derzeit so wenig ihrem Bild entspricht. Und der Grund,
den alle finden, besteht aus einem Wort: Struktur. Die hat näm-
lich beim Ruhrgebiet einen ganz entscheidenden Fehler. Sie ist
mono und nicht poly. Ein ziemlich gedankenloser Befund. Denn mit
der "Wirtschaftsstruktur" der Region wird ja nichts anderes be-
sichtigt als das Resultat der zweckmäßigen Herrichtung und Benut-
zung dieser Gegend samt seines toten und lebendigen Inventars
durch und für die so überaus erfolgreichen Geschäftsinteressen
der Kohle- und Stahl-Konzerne. Beurteilt wird dieses Produkt ka-
pitalistischer Landschaftsgestaltung unter dem sachfremden Ge-
sichtspunkt, ob es den vorgestellten zukünftigen Erfordernissen
eines vorgestellten zukünftigen Wirtschaftswachstums entspricht -
und da für außerordentlich unzweckmäßig befunden. So kommen die
politischen und ökonomischen Größen des Reviers in den Ruch,
heute "die Zukunft verschlafen zu haben" - ausgerechnet, weil sie
gestern all das getan haben, was gestern so richtig war, und der
S t r u k t u r w a n d e l des Ruhrgebiets wird das wirt-
schaftspolitische Gebot der Stunde. So heftig dieser Auftrag auch
als unser aller Gemeinschaftsanliegen Nr. 1 propagiert wird, so
einseitig sind doch Auflagen und Aussichten verteilt, wenn die
sachverständigen Empfehlungen darangehen, durchzumustern, was
diesem Wandel zum Besseren störend im Wege liege die Löhne stehen
prinzipiell im Verdacht, zu hoch zu sein, während die
"Flexibilität" und "Mobilität" der Arbeiter nie hoch genug sein
kann; von der Staatsbürokratie heißt es, sie behindere allenthal-
ben, obwohl sie doch nur damit beschäftigt ist, das Wirtschafts-
wachstum zu befördern; und über die Gesetze und Verordnungen, die
den Verschleiß der Leute und die Zerstörung der Natur geschäfts-
dienlich regeln, weiß man zu sagen, daß sie den Firmen viel zu
viel verbieten, was man sich heutzutage im Revier nicht mehr er-
lauben kann. Und der Ruhrschnellweg ist sowieso eine einzige Ka-
tastrophe. (Den Unternehmen mangelt es auch an etwas, und zwar an
"Eigeninitiative", was soviel ist, wie der Mut zum eigenen Inter-
esse.) Mit derlei Mahnungen und Warnungen wird von den Ruhrge-
biets-Experten das hiesige "Investitionsklima" beschworen, daß es
fast so aussieht, als wären die Investitionen die "Frucht" gün-
stiger Wirtschaftsbedingungen und nicht zum Zwecke seiner Vermeh-
rung verausgabter Reichtum.
In der gleichen Absicht läßt sich derselbe Gedanke auch umgekehrt
aufsagen. Genauso wie sie alle "Strukturmerkmale" der Ruhrge-
bietswirtschaft als Schranke für den erforderlichen Wandel ausma-
len, um den ganz konkreten praktischen Ratschlag folgen zu las-
sen: "Es muß etwas getan werden!", beherrschen die Reviersachver-
ständigen die Kunst, diese Region als eine einzigartige Ansamm-
lung günstiger Chancen fürs Investieren zu porträtieren. Da ist
dann das Autobahnnetz eine einmalige Infrastruktur, die Hoch-
schullandschaft sucht in Europa ihresgleichen, und nicht zuletzt
die Arbeiterschaft gilt seit jeher als fleißig und willig, also
prächtig anspruchslos. So daß es wirklich nur noch als eine Frage
der Zeit dasteht, bis aus all den Möglichkeiten, die das Ruhrge-
biet bietet, eine florierende Wirklichkeit wird. Und auch da kann
nichts mehr schiefgehen. Denn das ist ja das Schöne am Struktur-
wandel: so unbedingt notwendig er ist und so sehr alles für ihn
getan werden muß, so sicher ist auch, daß er kommt. Und zwar fast
wie von selbst. Jede neue Klitsche, die zumindest einen Arbeits-
platz aufweisen kann, ist ein Stück von ihm; keine Investition,
die heute getätigt wird und von der sich nicht mit Fug und Recht
behaupten ließe, eine "Zukunfts"investition zu sein; jede Maß-
nahme der Landesregierung bricht ihm Bahn; ja selbst Entlassungen
und Firmenschließungen erscheinen im richtigen Licht, wenn man an
ihnen entdeckt, daß da wieder was von der alten, überlebten
Struktur verschwindet. So ist das eben, wenn man von Politik und
Wirtschaft ganz kritisch "verlangt", sie sollten den Erfordernis-
sen von "Strukturkrise und Strukturwandel" Rechnung tragen: dann
erscheint alles, was sie machen, auch schon als ein Schritt in
die richtige Richtung.
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