Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK RENTEN - Die Oma unterm Wertgesetz
zurück Sozialreport Das Lehrstück von "beinahe düpierten Rentnern" oderSOZIALE GERECHTIGKEIT - WIE GEHT DAS?
Der Sozialstaat ist wieder einmal ins Gerede gekommen, wegen der diesjährigen Rentenerhöhung. Die Not der Alten füllte die Tages- schau; ihre vergangenen Leistungen die "Süddeutsche"; "Bild" fiel plötzlich das Mißverhältnis von Rentenanstieg und Inflationsrate auf; der "Spiegel" ertappte Blüm bei der schweren Bürde seines Amtes; die "Frankfurter Rundschau" vermißte die umfassende Ren- ten-Reform; die Gewerkschaft lamentierte über die Armut, die ganz neu und versteckt ist. Kurz: Alle waren sich einig. So geht es nicht! Mit 0,7% Rentenanstieg kann man die Rentner nicht abspei- sen! "Wohin ist der Sozialstaat gekommen!", entsetzten sich die Kommentatoren. Mit etwas über 1% sehen sie ihn durch die Bank wieder auf die rechte Bahn gekommen zumindest prinzipiell. Das Problem ----------- Zum 1. Juli steht die diesjährige Rentenerhöhung an, und dank dem segensvollen Mechanismus ihrer Berechnung wird sie von Haus aus mäßig ausfallen. Bekanntlich richtet sich der individuelle Ren- tenanspruch je nach dem Verdienst und der Anzahl Jahre, die man sich nützlich machen und Beiträge zahlen durfte, und nicht nach den Ansprüchen, die sich so ein Mensch selbst nach einem langen Arbeitsleben nicht ganz abgewöhnt hat. Da die Rente auf jeden Fall gehörig niedriger als der Lohn ist, die Anzahl der Beitrags- jahre aber sehr hoch, und da der Staat Anwartschaft und Beitrags- höhe ziemlich frei festsetzt, ist damit erst einmal grundsätzlich gewährleistet, daß für den Staat die Beiträge fließen, für die Rentner aber die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Damit das so bleibt, hat der Gesetzgeber - im berechtigten Vertrauen auf die konjunkturunabhängige Bescheidenheit der Gewerkschaften - auch den jährlichen Rentenzuwachs an die durchschnittliche Lohnsteige- rung gekoppelt. Dank dieser Erfindung dürfen die Rentner mit 2,8 bis 3,2% rechnen - genau weiß das die Regierung erst nach Ab- schluß der statistischen Berechnung. Jedenfalls hat sie sich nach eigener Auskunft wieder mal in den Gewerkschaften getäuscht und zuviel Lohn- und damit Rentenerhöhung prognostiziert, auch wenn sich die Gewerkschaften an die Lohnleitlinien der Regierung wie an ein Tabu gehalten haben. Egal, die Agitatoren gegen steigende Lohnkosten stellen nun bedauernd fest, daß die Renten leider nicht "wie erwartet" steigen "können". Auf der anderen Seite "kann" die Regierung sehr wohl, wenn es um die Benutzung der Rente als Finanztopf für staatliche Stellen geht. Für dieses Jahr hat sie z.B. neben anderem neue Abgaben der Rentner vorgesehen: Der erst jüngst eingeführte individuelle Bei- trag zur Krankenversicherung sollte von 3 auf 5% der Rente erhöht werden. Die Rente sollte also von vornherein nur um ca. 1% stei- gen, eine gesalzene Verschlechterung angesichts der steigenden Kosten, wie jeder weiß. Unter dem Titel 'jährliche Rentenerhö- hung' sollen also auch diese Minderbemittelten die Löcher stopfen helfen, die die Politiker ständig in den Sozialkassen entdecken, weil sie sie so knapp bemessen, daß die Beiträge laufend erhöht und die Leistungen gesenkt werden "müssen". Soweit alles durchaus folgerichtig, geplant, gewohnt und gerecht. Schließlich leuchtet jedem ein, daß die Haushaltstöpfe, die der Staat beschließt, Sachnotwendigkeiten darstellen. Im einzelnen darf dann natürlich gestritten werden. Soweit gar kein Problem. Das eigentliche Problem ----------------------- besteht zunächst einmal darin, daß bei der üblichen Nachkorrektur der nominellen Rentenerhöhung die Rentner sich diesmal dank der niedrigen Lohnabschlüsse und des zusätzlichen 2%-Abzugs mit weni- ger als 1% hätten zufriedengeben müssen. Und an der "magischen Zahl" 1 hängt, so heißt es, die soziale Glaubwürdigkeit der Re- gierung. 0,7 oder 1,1%, das soll für die "psychologische Darstel- lung der sozialen Symmetrie", also für die Selbstdarstellung der Regierungskoalition entscheidend sein. Ein apartes Problem, so recht nach der sozialfriedlichen Kassenwarte. Bei den betroffenen Alten reißt darüber keine bleibende Staats- verdrossenheit ein. Wer sich heute mit 10 DM mehr bei 800 bis 1000 DM monatlich abspeisen läßt, der tut es auch mit 8 DM, zumal er im sinkenden Lohn und den vielen Arbeitslosen ohne Lohn einen bescheidenen Vergleichsmaßstab hat, was ihm nicht zusteht. Wenn die soziale Symmetrie an 0,3% hängt, dann hat das Verlangen nach Gerechtigkeit längst jeden Anspruchscharakter verloren. Und wenn sich die Rente überhaupt nach allem anderen berechnet, nur nicht nach dem denkbaren Lebensbedarf derjenigen, die sie beziehen, dann können die Betroffenen auch nie und nimmer ein ernsthaften Argument abgeben. Im Ernst geht es um nichts Geringeres als um Die Glaubwürdigkeit der Regierungspolitik ----------------------------------------- Und die hängt an den Grunddogmen moderner Sozialpolitik: Sanie- rung des Haushalte, Senkung der Schulden, also Vermehrung der La- sten, bis sie "ausgeglichen" sind. Dabei denkt die Regierungsko- alition an die bevorstehenden Landtagswahlen und daran, daß die Opposition aus dem Thema Renten Wahlstimmenkapital schlagen könnte. Für die gehört es sich schließlich, Mitleid mit "den ar- men alten Leuten" zu heucheln und den christlichen Vorwurf des sozialliberalen "Rentenbetrugs" zurückzugeben. Deshalb will die Regierung das Thema Renten vorab erledigen - und zwar wahlkampf- wirksam. Wie es sich für eine funktionierende Demokratie gehört, weiß das auch jeder und bekommt es öffentlich mitgeteilt. Schließlich sind taktische Umgehensweisen mit den Lebensumständen des Volks zwar Zynismus, aber eben deshalb ein Gütesiegel gelun- gener Politik. Eher schon sorgt man sich im Zweifelsfall, ob nicht wegen der leidigen Wählerstimmen die Politiker die Härte vermissen lassen. Die Lösung ---------- Natürlich gibt die Regierung in keinem einzigen Punkt nach. Ge- nial wie einfach löst sie das Selbstdarstellungsproblern dadurch, daß sie den alten Beschlüssen ein neues Gesicht gibt: Die Kran- kenkassenbeiträge werden für dieses Jahr um 1,5% Punkte gestei- gert, so daß unterm Strich rechnerisch auf jeden Fall 1% Renten- steigerung übrigbleibt, also die selbsterkorene magische Glaub- würdigkeitsziffer sozialer Fürsorge erreicht wird. Sodann rechnet die Regierung die Steigerung der Beiträge als Verlust gegenüber den geplanten 2% aus und macht auf die klaffende Lücke in der Krankenversicherung aufmerksam. 700 Millionen (das heißt, sie er- spart jedem Rentner dieses Jahr im Schnitt ca. 5 DM! Wahnsinn!), das ist untragbar! Stoltenberg weiß natürlich nicht, wo er das Geld hernehmen soll. Und so erfährt die Menschheit ganz nebenbei, daß im nächsten Jahr, wenn die Wahlen vorbei sind, das halbe Pro- zent zusätzliche Beiträge auf jeden Fall nachgeholt, wenn nicht wegen des diesjährigen 'Verlustes' noch ein halbes draufgeschla- gen werden soll. Alle können zufrieden sein: Den bescheidenen sozialen Ansprüchen der Rentner ist im Prinzip recht gegeben worden. Jawohl, der Staat tut für sie, was er kann. Zugleich sind sie in ihre Schran- ken gewiesen worden. Denn die unbescheidenen finanzpolitischen Ansprüche des Staates standen nie auf dem Spiel. Jawohl, die Re- gierung nimmt das Sparen weiterhin unerbittlich ernst. Kaum kas- siert eine Instanz nicht soviel, wie Blüm und Stoltenberg für un- verzichtbar erklärt haben, schon gilt das als äußerstes Entgegen- kommen an die Geschröpften, und schon werden daraus die dring- lichsten Argumente, künftig mehr einzunehmen und weniger auszuge- ben. Die Opfer des Sozialstaats dürfen sich genauso betrachten, wie sie in der Rechnung der Politiker vorkommen: als Zahler, (Nicht-)Arbeiter und leidige Kostgänger des Staates. Was mit 0,3% mehr oder weniger Rente für dieses Jahr nicht alles klargemacht werden kann! Bild ansehen Sozialreport zurück