Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurückWAS IST AN DER VOLKSGESUNDHEIT ZU TEUER?
Die Kosten für die Gesundheit seien in diesem Staat viel zu hoch, ja "unbezahlbar" geworden, meint Sozialminister Blüm und bastelt mit seiner Mannschaft eine Reform. Er klagt über eine "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen. Die Statistiken mögen schon stimmen. Aber was haben unsere marktwirtschaftlichen Sozi- alpolitiker denn überhaupt für ein Problem? Sonst ist für sie doch jede Umsatzsteigerung Anlaß zur Freude über das Wachstum der Branche. Und das kann keiner bestreiten: Das Geschäft mit der Ge- sundheit leistet mit einer Wachstumsrate von ca. 3,5% pro Jahr doch einen prima Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Und dessen Zu- nahme kommentieren Politiker allemal mit einem dicken Selbstlob. Die Medizin - eine Wachstumsbranche... -------------------------------------- Schließlich haben die Politiker es auch so gewollt, als sie die medizinische Betreuung ihres Volks als Geschäftssphäre organi- sierten. Sie wollen ja nicht einfach nur die medizinische Versor- gung der Bevölkerung sicherstellen, das wäre ja fast Planwirt- schaft wie drüben. Wie alle anderen Gebrauchswerte soll auch die Gesundheit ein Geschäftsartikel sein. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung soll sich lohnen: Zuallererst für die Ärzte, die pro erbrachter Leistung ein mit den Krankenkassen abgestimmtes Honorar berechnen das ihnen ihren Einsatz für den Patienten erst so richtig sinnvoll erscheinen läßt. Damit ihre Geschäftskalkula- tion nicht den medizinischen Fortschritt in ihren Praxen behin- dert, gewährt ihnen der Staat großzügige Abschreibungstechniken. Außerdem stehen für ihre Kalkulationen zu Diensten die Herstel- lerfirmen von medizinischen Geräten mit speziellen Leasing-Ver- trägen die das Nachfolgegerät immer gleich mitverkaufen ein flot- ter Gebrauchtwarenhandel mit abgeschriebenem medizinischem Gerät und nicht zuletzt ein auf die Bedürfnisse von Arztpraxen Kranken- häusern etc. zugeschnittener Immobilienmarkt etc. Für das in die- sem Zulieferbereich "arbeitende" Kapital gilt dasselbe Gesetz wie für jedes andere Kapital: es muß sich rentieren; das hat seinen Preis. Auch die Krankenhäuser dürfen seit einigen Jahren Gewinne infolge "wirtschaftlicher Betriebsführung" einsacken und müssen Verluste selbst tragen, ein Risiko, das sie u.a. mit einer gezielten Bet- tenbelegungspolitik und ständiger Ausweitung ihrer medizinisch- technischen Anwendungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Einsparung von Personal auszuschalten trachten. Die Pharma-Industrie schließlich bekommt staatlicherseits die Preise für die Arznei- mittel garantiert eine Unterbietung durch geschäftstüchtige Apo- theken ist untersagt. Dank dessen ist sie zur erstklassigen Macht auf dem Weltmarkt für Medizinisches und zu einem Exportgeschäft der höchsten Güteklasse geworden. Die Blümsche Idee ihr Monopol doch etwas durch die Konkurrenz anzuknacksen, indem die Kassen billige Nachahmerprodukte bevorzugen sollen, kontert die Pharma- Industrie mit dem Verweis auf die therapeutische Unvergleichlich- keit ihrer Produkte, die sie notfalls unschwer mit einer gering- fügigen Variierung der Zusammensetzung "beweisen" könnte. ...mit langlebiger Zukunft -------------------------- Es boomt also programmgemäß auf dem Gesundheitsmarkt. Natürlich könnte zu denken geben, womit da eigentlich ein Geschäft gemacht wird. Es ist ja gar nicht so, daß die Menschheit immer gesünder würde. Daß die Leute sich jetzt sogar ihre Kosmetika auf Kranken- schein abholen würden will der Blüm zwar glauben machen aber im Ernst glaubt das keiner. Die Medizin selbst erobert sich immer neue Aufgaben: Indem sie den im und durchs Arbeitsleben rampo- nierten Menschen hilft, schafft sie sich eine Dauerkundschaft. Denn gegen die Ursachen des Gesundheitsverschleisses geht der Ärztestand nicht vor; das fällt ja nicht in den Aufgabenbereich der Mediziner. Sie verhelfen ihren Patienten dazu m i t ihrer lädierten Gesundheit weiterhin ihre Jobs ausüben zu können und auch privat klarzukommen. Diese Hilfen haben Nebenwirkungen und die weitere Vernutzung des medizinisch aufgemöbelten Menschen hat Folgewirkungen: Der Pati- ent bekommt weitere Leiden. Die wiederum abzumildern, werden ständig neue Medikamente, Therapien an irgendwelchen Geräten etc. erfunden und produziert - mit demselben Effekt. Daß die so unter Einsatz des zur Verfügung stehenden medizinischen Wissens erzeug- ten Krankheiten immer aufwendigere und vor allem ständig neue Mittel ihrer Verarztung erheischen, darin liegt der Preis des me- dizinischen Fortschritts, dessen Ideal der voll einsetzbare Krüp- pel ist. An dieser Geschäftsgrundlage gibt es keine Kritik. Und im Rahmen der Reform des Gesundheitswesens schon gleich gar nicht. Und das gerechterweise: Denn beim Wirtschaftswachstum, das unsere Marktwirtschaft braucht, kommt es auf Bedürfnisse und Ge- brauchswerte nie an. Im übrigen sorgt der Sozialstaat selbst dafür, daß die Finanzie- rung all dessen gewährleistet ist. Der medizinische Fortschritt soll nicht durch die begrenzte Zahlungsfähigkeit des Publikums gebremst werden. Deshalb erlaubt der Staat seinen Krankenkassen mit einer Gleitklausel, sich bei Bedarf bei ihrer Klientel zu be- dienen, indem sie die Beitragssätze erhöhen. Der Beitragszahler kann's nicht verweigern, ihm wird das Geld vom Lohn abgezogen, noch ehe er eine Mark davon gesehen hat. Auch die Gleitklausel ist ein Stück staatliche Absicherung der Geschäfte auf dem Wachs- tumsmarkt Gesundheit. Und wo das so gut klappt, betätigt sich der Staat selbst noch zusätzlich als Kostentreiber. Er brummt seinen Krankenkassen Leistungen auf, die mit Gesundheitsfürsorge wenig zu tun haben: Lohnfortzahlung, Schwangerschaftsurlaub, neuerdings auch die Pflegefälle, die bisher ein Posten der Sozialhilfe wa- ren. Soweit geht also die ganze "Kostenexplosion" sozialstaatlich voll in Ordnung. Weshalb dann gleichzeitig die Klage über zu hohe Kosten? Lüge und Wahrheit des Lohnnebenkosten-Arguments ----------------------------------------------- Daß die Krankenkassenbeiträge bei 80% der Leute in Form der sog. "Lohnnebenkosten" Bestandteil des Lohns sind, insofern "unsere" Wirtschaft belasten, darin liegt des Ministers Ärger. Er könnte sich den Lohn ohne die lästigen Beiträge, die die Unternehmen ab- führen, niedriger vorstellen, das brächte die deutsche Wirtschaft noch ein gutes weiteres Stück voran. Zu teuer sind in den Augen der Politiker nicht die Leistungen, die die Kranken beziehen, sondern die Leute selbst. Ob s i e wirklich soviel kosten müs- sen, das ist der Gesichtspunkt, unter dem das florierende Ge- schäft mit der Gesundheit zum staatlichen Betreuungsfall erklärt wird. Der sieht entsprechend aus: Keine Reform will das Geschäft unter- binden, sondern alle wollen an der Lastenverteilung etwas drehen. Nicht alles an der Teuerungsrate des medizinischen Fortschritts soll durch höhere Beitragssätze kompensiert werden und damit die Unternehmen "belasten", hier ist der Patient gefragt. Ihm muß seine Gesundheit künftig mehr wert sein: für Rezepte, Medika- mente, Brillen, Zahnersatz, Prothesen etc. muß er künftig zusätz- lich zu seinen gestiegenen Beiträgen privat mehr berappen. "Eigenverantwortlichkeit" wird wieder einmal enorm groß geschrie- ben. Die besieht dann darin, daß er zwischen verschiedenen Übeln wählen kann, die ihm der Staat serviert: Wenn er seinen kaputten Zahn einfach vergammeln oder gleich rausreißen läßt, kann er eventuell tausend Mark sparen. Hat er Schmerzen und geht nicht zum Arzt, spart er Rezeptgebühr, Medikamenteneigenbeteiligung etc. Ganz "eigenverantwortlich" soll sich der Mensch zwischen solch schönen Alternativen entscheiden, da nimmt ihm der Staat nichts ab - nachdem er ihm alles ab- und in die eigene Hand ge- nommen hat. zurück