Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Bremer Hochschulzeitung Ausgabe Naturwissenschaft, 23.06.1980KÖHNLECHNERS BOULEVARDBLATT-KREBS
Neben Bettgeschichten und der Bebilderung der Abgründe des Menschseins durch beilschwingende betrogene Liebhaber, zählt die Gesundheit zu den liebsten Themen nicht nur der Boulevardpresse. Das große Leserinteresse beruht auf der Tatsache, daß der gewöhn- liche Mensch mit der staatlichen Gesundschreibemedizin dazu ge- zwungen wird, mit seinen Krankheiten zu leben. Eine besondere Stellung nimmt hierbei der Krebs ein, da Krebs zu haben "auch im Zeitalter der Mondfahrt" (?) ein ziemlich sicheres Todesurteil bedeutet. Dabei gilt gemeinhin über diese Krankheit, sie sei ein Rätsel, würde 'heimtückisch' zuschlagen und sich we- gen ihrer besonderen Kompliziertheit dem Zugriff der Forscher entziehen. Es zeugt aber allein die Anerkennung von bestimmten Krebsen als Berufskrankheiten davon, daß es an Wissen um die Ur- sachen nicht fehlt und in medizinischen Lehrbüchern steht keines- wegs ein Fragezeichen unter der Überschrift Krebs. Genauso klar ist jedem, daß die Krankheit Krebs nicht vollständig geklärt ist und auch keine sicheren Heilmittel zur Verfügung stehen. Doch diese Tatsache ist noch lange kein Grund, aus dem Gegenstand der Untersuchung selbst erst einmal einen Mythos zu drechseln. "Haben wir wirklich die Wahl, ob wir an Krebs erkranken, oder ist Krebs ein Schicksal, an dem wir nichts ändern können?" Die Scheiße, daß die Abschaffung dieser Volkskrankheit nicht auf der Tagesordnung steht, nutzt jeder sich zum Journalismus berufen fühlende Medizinmann aus, um Lügen in die Welt zu setzen. Für Manfred Köhnlechner "gehört Krebs nun einmal zum Leben jedes Men- schen", denn "es ist ganz normal, daß ich Krebs in meinem Körper habe" - ein hanebüchener Schmarrn, der aus der Möglichkeit, Krebs zu be- kommen, macht, daß jeder Krebs hat: Er ist nur noch nicht ausge- brochen. Als ob jeder mit einem Beinbruch auf die Welt käme, nur weil er Beine hat. Streng biologisch liest sich dies Urteil folgendermaßen: "Die einzelne Körperzelle ist ein treues, williges Mitglied in der unvorstellbar großen Zellgemeinschaft, aus der jeder Mensch besteht. Unter den Millionen. Billionen, Trillionen Zellen finden sich immer Zellen mit einem "Geburtsfehler" oder mit einer durch spätere Störfaktoren erworbenen Schädigung. Das sind dann Zellen, die sich nicht mehr dem allgemeinen Wohl des Ganzen unterordnen, sondern hemmungslos alles unternehmen, um nur sich selbst zu för- dern: Krebszellen." Der Heilpraktiker hält sich etwas darauf zugute, die Resultate der Wissenschaft dem gemeinen Volk zugänglich zu machen. Seine Parabel leuchtet ein; schließlich beruht alles Böse in der Welt darauf, daß, wenn sich nicht ein jeder ein wenig gewaltig am Rie- men reißt, unser Gemeinwesen den Bach runtergeht. In solch einem Bild der Hüter der Ordnung nicht fehlen, der außer Rand und Band geratene Individuen in Zaum hält "In jedem Staat gibt es eine Polizei, deren Aufgabe es ist, den Staat und die Staatsbürger vor solchen einzelnen Verbrechern und Terroristen zu schätzen, so gibt es auch in unserem Körper eine Polizei, die gegen die Krebszellen eingesetzt wird." Durch das "Wiederentdecken" allseits vertrauter Staatshandlungen in der Natur wird dieser ihre Funktionsweise gleich als ihr Zweck angedichtet. Die Natur funktioniert, gottlob, schon so, wie sie funktionieren soll. Und wenn sie einmal nicht ganz so funktio- niert, wie sie selber eigentlich will - "wenn entweder die Zahl der Krebszellenbildungen stark ansteigt. oder aber die Kraft der körpereigenen Abwehr erlahmt. Oder wenn beides zugleich geschieht: Wenn eine Überzahl an Verbrechern ei- ner geringeren Zahl geschwächter Polizisten gegenübersteht" - dann ist das Krebs. Krebs ist also, wenn er überhand nimmt; oder: Krank ist man, wenn einem die Gesundheit fehlt. Diese Einstellung zum Krebs - 1., daß er as natürlichste von der Welt ist und 2., daß es die Natur schon regeln wird, wenn man sich nur naturgemäß verhält -, die er dem Leser hier verpaßt, bildet den Auftakt zu einem "hervorragenden Kapitel Lebenshilfe". Hot dog mit Stäbchen -------------------- "In Japan ist der Magenkrebs weitaus häufiger als in Amerika, während in Amerika der Dickdarmkrebs weitaus öfter vorkommt als in Japan.... Für den Magenkrebs scheint die japanische Küche mit- verantwortlich zu sein.... Für die erschreckend hohe Zahl von Dickdarmkrebs in Amerika ist sicherlich die Vorliebe für stark weißmehlhaltige und zuckerhaltige Nahrung und Getränke mitverant- wortlich, besonders aber der Mangel an Faserstoffen (zu finden in Obst, Gemüse und besonders in Kleie)" Also 1., japanisches Essen für Amis, damit die nix am Dickdarm kriegen aber 2. "american food" hinterher, damit der Magen in Ordnung bleibt und überhaupt 3. einen Eßlöffel Kleie hintennach - oder wie oder was? Der Lungenkrebs ist sozusagen aus der Luft gegriffen, und beim Gebärmutterkrebs, da wird's noch dialektischer. Statistiken bele- gen "die erhöhte Zahl an Gebärmutterkrebs bei Nonnen und das gehäufte Vorkommen von Gebärmutterhalskrebs bei Dirnen." Drum merke: Die Extreme sind zu meiden. "In der Woche zwier schaden weder ihm noch ihr." (Martin Luther) Die Logik dieser moralischen Unterweisung besteht darin, daß Be- dingungen für die Krebsentstehung (wie für jede andere Krankheit) als ihr Grund ausgegeben werden, und der Grad der Ursächlichkeit ist die Häufigkeit des Zusammentreffens: Je mehr Raucher an Bron- chialkrebs erkranken, desto mehr ist das Rauchen der Grund dafür. Noch schlagender Köhnlechner selbst: "Krebs ist altersabhängig. Je mehr ältere Menschenes gibt, um so mehr Krebs kann auftreten." Weil Krebs Schicksal ist, soll einer sein Schicksal in die Hand nehmen, weswegen Köhnlechner liebevoll ein Sittenbild des moder- nen Menschen auspinselt: "Der schwergewichtige Stubenhocker in einer abgaserfüllten Groß- stadt, der stressgeplagt und unter familiärem Zwist leidend täg- lich Zigaretten raucht, harten Alkohol kippt und überflüssige Me- dikamente schluckt, der zuviel wertlose Nahrung in sich hinein- stopft, der dürfte, - falls er nicht längst von einer anderen Krankheit dahingerafft wurde - mit Sicherheit z u f r ü h an Krebs erkranken und daran sterben." Fazit deshalb: "Ein Mensch dagegen, der innerhalb einer harmonischen Lebensge- meinschaft in Ruhe und Frieden lebt, der einen seelischen Halt hat, nicht raucht, mäßig trinkt und unnötige Medikamente meidet" (am besten gar nicht erst krank wird), "der sich maßvoll und mög- lichst naturgemäß ernährt, dürfte (!) dadurch bereits sehr viel dazu beigetragen haben, um nicht vorzeitig an Krebs zu sterben." Endlich hat Köhnlechner die natürlichen Ursachen dort hin ge- kriegt, wo sie hingehören ins Abseits -, um sein eigentliches An- liegen, den Einfluß der Psyche, als die griffige Erklärung aufzu- fahren. Ob man von Strahlen Krebs kriegt, hängt noch sehr davon ab, inwieweit einem der Ärger mit der Schwiegermutter zu Herzen geht. "Die Psyche ist bei jedem Krebsgeschehen beteiligt. Sie kann dar- über entscheiden, ob Krebs entsteht, ob er fortschreitet, oder ob es doch noch zu einem Stillstand der Krankheit kommt." Ein sehr schlagendes Beispiel belegt dies auch noch: "Eine Frau bildet über Jahre hinweg... 'schlafende' Krebszel- len... Lebenspartner verläßt sie... Schock... hormonelle Störein- flüsse... Brustkrebs!" (Gott sei Dank hat sie keinen Bart ge- kriegt) So kommt Köhnlechner zu dem nicht mehr überraschenden Resultat: Krebs ist zwar Schicksal, aber eines, das man mitbestimmen kann. Wer krank ist, ist selber schuld. zurück