Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Münchner Hochschulzeitung, Sonderausgabe Medizin, 30.06.1981 Zum 84. Deutschen ÄrztetagÄRZTLICHES ETHOS AUF DER HÖHE DER ZEIT
Daß Ärzte ausgerechnet mit der K r a n k h e i t ihr Geschäft machen, gilt als Skandal - zu Unrecht, wie wir meinen; denn G e s c h ä f t e werden in dieser Gesellschaft mit allem ge- macht. Bei einem Geschäft hat alles seinen Preis, und so werden in unserem "freiheitlichen Gesundheitssystem" über den Preis der Dienstleistung diejenigen, die sie sich nicht in ausreichendem Maß leisten können, von der optimalen medizinischen Versorgung ausgeschlossen. Die Größe der zwangseingetriebenen Beiträge zur Krankenkasse stellt das Maß für den Umfang ärztlicher Leistungen dar, die zum jeweils "erreichbaren" Stand der Volksgesundheit beitragen Wer gegen diese Sorte Gesundheit etwas hat, sollte de- ren gesellschaftlichen Grund angreifen und nicht "d i e" Ge- sundheit - welche soll das eigentlich sein - für zu schade zu be- finden, Gegenstand des Geschäfts zu sein. Wem dient er eigent- lich, wenn er das I d e a l seiner dosierten Versorgungslei- stungen, "die Gesundheit" der Patienten beschwört? Seinen Patien- ten? Die bräuchte er nur besser zu versorgen - mit allen Konse- quenzen, die das gegenüber den offiziellen Stellen, die das be- streiten, mit sich bringen würde. Wenn er das nicht will, dann soll er seine Klienten doch bitte mit der Agitation für "die Ge- sundheit" verschonen. Der Arzt, der lebt vom Kranken... --------------------------------- Wenn der Staat heute das Sparen an den Leistungen - wer leistet die eigentlich! - für seine zwangsversicherten Untertanen aufs Programm gesetzt hat, weil er angesichts der "schweren Zeiten" das Geld für die Aufrüstung verwenden will und so seinen Bürgern bedeutet, daß er für ihr Überleben weniger Geld ausgeben will, so heißt das, daß die Leute noch mehr als bisher gezwungen werden, ihre Krankheiten auszuhalten: "Wir bekennen uns auch zu der Pflicht, sich selbst gesund zu halten." (Ministerpräsident Vogel am Ärztetag) Die Ärzte, denen "die Gesundheit" ihrer Patienten das Gebot ihres Handelns abgibt, zeigen sich als in der Wolle gefärbte Heuchler, indem sie mit dem staatlichen Gesundheitsprogramm für Gesundheit eintreten, die ohne diese nicht zu haben sei. Sie beklatschen ihr verlogenes Getue auf dem Ärztetag als "möglichst gute individu- elle patientenorientierte ärztliche Versorgung mit möglichst vollständiger Verhütung von Krankheiten einschließlich der not- wendigen Prävention und Rehabilitation", wobei die "patientenorientierten Möglichkeiten" einiges darüber verraten, daß es darauf ankommt, was der Staat nur "gut, vollständig und notwendig" erachtet. Die "politischen Gegebenheiten", die es re- alistisch zu sehen gilt, malt dann der Ober-Arzt Vilmar so aus, als wäre er der dicke Genscher persönlich. Er erfindet wie dieser lauter "Sachzwänge" - "die Rohstoff- und Energiepreise haben sich stark verändert" wir leiden unter dem "Exportdruck aus fernöstli- chen Ländern", schließlich das "hohe Zinsgefälle" zu den USA und endlich die "leichter beurteilbaren Wechselwirkungen zwischen so- zialistischen Systemen und unterschiedlichen Staatsformen" -, Subjekte, die die staatliche "Handlungsfähigkeit" hinsichtlich seines eigentlich beabsichtigten menschenfreundlichen Tuns angeb- lich verunmöglichen, weshalb "wir" gar keine andere Wahl haben: "Diese Veränderungen können wir bei der Gestaltung unserer Ge- sundheits- und Sozialpolitik nicht außer acht lassen " Mit diesem Lamento über die Sachzwänge verwandelt der Ärztepräsident die Be- schneidung der Sozialleistungen in etwas Unumgängliches und macht das Programm des Staates zu seinem Anliegen. Volksgesundheit in schweren Zeiten ---------------------------------- Sah der wohlverstandene ärztliche Einsatz für das Gemeinwohl noch vor Jahren so aus, daß die Ärzte sich mit dem immer heißen Argu- ment, um die Gesundheit der Leute sei es schlecht bestellt, an den Staat wandten, um ihm uneigennützig, wie es sich gehört, vor- zurechnen, daß durch vermehrte ärztliche Leistungen sich die Volksgesundheit bessern und über die langfristige Verminderung der Krankenzahlen schließlich etwas für den Staat rausspringen könne, weshalb er doch mehr Geld locker machen sollte - was schon damals etwas anderes war als für das Wohlergehen der einzelnen Patienten zu sein -, so hat der Einsatz als einer für's Gemein- wohl heute einen etwas anderen Charakter angenommen. Das Diktum: "Um die vor uns liegenden Probleme zu bewältigen, ist wieder mehr Einsatz für das Gemeinwohl nötig" besagt, daß z e i t g e- m ä ß e s ärztliches Ethos in der gerechten Verteilung des jetzt leider knapp gewordenen Guts ärztlicher Leistungen besteht. Damit ist auch denjenigen in den eigenen Reihen eine Absage er- teilt - "ideologische realitätsferne Weltverbesserer" -, die sich vor den ärztlichen Pflichten, auf die aktuellen politischen Gege- benheiten zu achten, drücken und - keineswegs aus dem staatlich geforderten ärztlichen Ethos heraus, sondern "rein egozentrisch" - durch ihr geltend gemachtes Beharren auf mehr ärztliche Lei- stung für die Patienten sich selbst eine "parasitäre Selbstver- wirklichung" ermöglichen wollen. Aber soll doch Herr Vilmar seine "Pflicht" zu ordentlicher ärztlicher Behandlung wahrnehmen, an- statt den Grund für den ausgebluteten Zustand des demokratischen Volkskörpers auf minder völkisch bewußte Kollegen zu schieben. Doch demokratisch geht es bei solchen Überlegungen auch zu: Wenn die Leute mehr von dem knappen Gut Gesundheit haben wollen, müs- sen sie sich das halt mehr kosten lassen, und wenn in einer Um- frage "bei 63% der Wunsch nach Gesundheit an erster Stelle steht" (warum wohl!), dann darf deshalb der Beitragssatz zur sozialen Krankenversicherung von jetzt durchschnittlich 11,3% keine "gottgewollte Schallgrenze" sein. Bei alledem läßt Dr. med. Vil- mar eben nicht aus den Augen, daß seine Profession darin besteht, mit dem "Helfen und Heilen" zu verdienen, schließlich geht es, wenn Ärzte tagen, ----------------- darum, wie unter den jeweiligen "politischen Gegebenheiten" das ärztliche Geschäft auch weiterhin seinen menschenfreundlichen Na- men verdient. Deshalb treten die Ärzte mit ihren Vorschlägen den schon bemühten billigen Beweis an, daß mit ihnen zu sparen nicht heißt auch an ihnen zu sparen. Da pochen sie dann auf die noch nie so notwendige Freiheit und Gesundheit und empören sich künst- lich, daß alles zu Lasten der Patienten gehe, wenn sie nicht eigenverantwortlich regeln dürften, was denen eh längst zugedacht ist: "Es ist nicht mit sinnvollem ärztlichen Handeln vereinbar, der Bevölkerung die nach politischem Beschluß zur Bestimmung des Be- darfs festgesetzten Gesundheitsleistungen nur noch (!) zuzutei- len." Keineswegs "unvereinbar" mit sinnvollem ärztlichen Handeln ist deshalb die B e s c h r ä n k u n g der Leistungen gemäß dem nach staatlichen Beschluß festgesetzten "Bedarf", unverzichtbar ist aber dabei, den Ärzten bei der Verweigerung medizinischer Versorgung freie Hand zu lassen. So setzen sie den staatlichen Sparbeschluß in die Tat um, indem sie sich angesichts des "einnahmeorientierten Topfes der Bei- träge" mit ihrem medizinischen Sachverstand überlegen wie sie bei knapp gehaltenen Mitteln ohne Geschäftseinbußen wegkommen. Daß es dabei zu "Verteilungskämpfen" zwischen den Ärzten kommt, war nach soviel Einverständnis nicht zu erwarten. Und so hatten denn auch die Krankenhausärzte, die bekanntlich sehr zum Schaden der Patienten überlastet sind, nach intensiver "Vorabstimmung" soviel Umsicht, die kostengünstige Entlastung ihrer Betten von allzu anspruchsvollen Kunden gleich ihren Kollegen von der ambu- lanten Versorgung zukommen zu lassen - stellt diese doch die "zeitgemäße ärztliche Versorgung" dar. So war der "gute alte Hausarzt" in neuem Gewande der Tagungs-Champion - "der Allgemein- medizin soll wieder der Stellenwert eingeräumt werden, wie ihn der Hausarzt alten Stils hatte"! Die niedergelassenen Fachärzte kommen dabei nicht zu kurz, wofür die uralte originelle Devise taugt: "Soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie notwen- dig", mehr "delegierende Zusammenarbeit" der Niedergelassenen, mehr Mut zum Risiko beim "ambulanten Operieren", Arztpraxen auch an Mittwochnachmittagen und am Wochenende offen, um die "verbliebenen Freiräume durch Leistung und Präsenz wirksam zu verteidigen" - fleißig, fleißig! zurück