Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Gesundheitsserie IVTECHNISCHER FORTSCHRITT ODER WAS GEHT UND WAS NICHT GEHT
Vollautomatische Transferpreßstraßen bringen in einer Schicht mehr Teile aus als drei Vorgängerpressen in derselben Zeit - und das mit einem Sechstel des alten Bedienungsaufwands. Hänge- schwenkförderer 'servieren' den Montagearbeitern die Autokarossen in Arbeitshöhe und so hingedreht, daß Überkopfarbeit und Bücken dort der Vergangenheit angehören. Mit dem Heben und Halten schwe- rer Lasten kann man sich sein Kreuz mancherorts auch nicht mehr ausrenken. Fördermittel und Kräne, Ausgleichsgewichte an Monta- gewerkzeugen usw. entlasten den heutigen Arbeiter. Fragt sich nur, zu was! Weniger geschafft oder gesünder schauen Arbeiter heutzutage nicht aus. Nach Aussage der Arbeitsmediziner sind Wirbelsäulenschäden und Verschleißerkrankungen am Bewegungs- und Stützapparat unter Arbeitern stark im Kommen. Ganz allgemein ist die Frühinvaliden- rate bei den "gewerblichen Arbeitnehmern" schlicht beeindruckend. Wie geht das zusammen? Ganz einfach: Was im Kapitalismus an "technischem Fortschritt" geht und was nicht, was sein muß an "Belastungen der Arbeits- kräfte" und was nicht, das ist überhaupt keine Frage der Technik und ihrer Fortschritte, sondern: Welchem Maßstab der Einsatz der Technik gehorcht ------------------------------------------------ - Erstens sind Arbeitsplätze, denen man ansieht, daß sie 'ihren Mann schaffen', keineswegs ausgestorben, obwohl Abhilfe durch technische Einrichtungen kein Problem wäre - jedenfalls kein technisches. Für solche Arbeiten gilt, daß der damit ins Werk ge- setzte Verschleiß der Arbeitergesundheit erst einmal eine Frage der L ä n g e d e s A r b e i t s t a g s ist. Das galt auch schon für Zeiten, als noch keine vollautomatischen Arbeitsmittel zur Verfügung standen. Von wegen, körperlich schwere Arbeit ginge nicht anders zu machen: k ü r z e r ginge sie allemal - unab- hängig davon, was gerade so der "Stand der Technik" ist. In der guten Fabrikluft oder im vollklimatisierten Büro ist bei einem normalen Arbeitstag von acht Stunden oder mehr selbst die robu- steste Schleimhaut bald chronisch erkrankt. Die raffinierten Mix- turen in der chemischen Industrie, Asbest und Lacke, Staub und garantiert staubfreie Arbeitsplätze vergiften und belasten auf die eine oder andere Weise die Arbeiterschaft, die mehr Zeit in den Produktionsstätten als an der auch nicht mehr so sauberen freien Luft verbringt. Und während eine Stunde wohldosierter Schwerarbeit nie die Knochen und Gelenke ruinieren könnte, schafft eine Arbeitswoche auf dem Bau, in der Chemie oder in der Schmiede jeden Mann, egal, wie seine flexiblen Schicht- und Frei- schichtpläne aussehen. Vom Standpunkt der bereits beanspruchten Knochen und Organe ist es eben gar nicht egal, ob man an die be- reits abgeleistete Arbeit noch eine 2., 4., 7. oder 8. Stunde, einen weiteren Arbeitstag, eine weitere Woche ... dranhängen muß. Wo der Betrieb in jede Stunde soviel Arbeit reinpackt, daß sie sich für i h n lohnt, also gerade keine Leistungsunterschiede macht zwischen den acht Stunden täglich, macht es für die Arbei- tergesundheit einen entscheidenden Unterschied. Wo fällige Erhol- zeiten fehlen, wächst der Verschleiß unverhältnismäßig. Daß man freilich wegen seiner Gesundheit bloß halb so lang arbeiten will, das sieht der freie Kapitalismus nicht vor. Wer sich nicht 37 - 40 Stunden vernutzen lassen will, der kriegt keinen Pfennig Geld. Als Teilarbeiter verdient er keinen vollen Lohn, dafür sind seine Arbeitsstunden aber um so intensiver mit Arbeit ausgefüllt. - Und was ist, wenn es Maschinen gibt, die einen höheren Wir- kungsgrad haben, d. h. in derselben Zeit mehr Produkte herstellen können als die alte Maschinerie? Und was folgt für Arbeiter dar- aus, wenn Metallbetriebe ihre alten Werkzeugmaschinen ausmustern und sich neue computergesteuerte CNC-Maschinen hertun, die in we- sentlich kürzerer Zeit drehen und fräsen können? Daß produktivere Maschinen ein Mittel sind, Arbeit zu ersparen, hat einem L o h n a r b e i t e r noch nie auch nur ein Fitzelchen Arbeit erspart. Im Gegenteil. Die produktiveren Maschinen nehmen Be- triebe dafür her, um sich Arbeit e r zu ersparen, sich also Lohnkosten vom Hals zu schaffen. Während den verbliebenen Arbei- tern Gesundheitskosten durch den 8-stündigen oder längeren Ge- brauch ihrer Arbeitskraft entstehen, zählen allein die Kosten des Kapitals: Mit weniger Lohnempfängern mehr Produkte herstellen lassen, das senkt die Stückkosten des Betriebs. D a f ü r wird der "technische Fortschritt" angeschafft. Deswegen arbeiten in derselben Fabrik Punktschweißer und Schweißroboter nebeneinander. - Was haben Montagearbeiter davon, daß manche Autofirmen ihnen durch den Einsatz von Hängeschwenkförderern die Überkopfarbeit abgenommen und ihnen diese Anstrengung erspart haben. Eine Er- leichterung kam für sie nicht zustande, dafür haben die Unterneh- men gesorgt. Denn kaum sollen die Proleten nicht mehr überkopf die Schrauben reindrehen, sondern auf mittlerer Arbeitshöhe, schon ist Opel der Meinung: Dann hat das Schraubendrehen auch gleich viel schneller zu gehen. Jede Entlastung eines Körperteils an der einen Stelle durch entsprechende Änderung an der Maschine oder am Montageband ist Grund genug, die verbliebene Belastung zu erhöhen. Nach demselben Prinzip wird auch in der chemischen Indu- strie verfahren: Wenn ein moderner Facharbeiter seine Reaktions- kessel schon per Schaltanlage aus bedienen kann, wenn "ja nur noch" das Beobachten von Instrumententafeln verlangt ist, dann darf der Chemiearbeiter gleich mehrere Anlagen überwachen. So holt ein Betrieb aus derselben Arbeitsstunde mehr für sich raus, indem er seine Leute i n t e n s i v e r arbeiten läßt. Für sich genommen einfache Handbewegungen, beanspruchen an modernen Arbeitsplätzen einzelne Körperteile und Organe, oder die Aufmerk- samkeit und Nerven bis aufs letzte. Der Betrieb spart Lohnkosten, wenn er die Belegschaft mehr Arbeit leisten läßt. Also werden Vorgabezeiten verkürzt, das Band immer wieder neu durchkalkuliert und leistungsgerechter, d. h. leistungsfördernder eingerichtet. Das lebende Inventar merkt's an seinem Verschleiß an den men- schengerechten, humanen Arbeitsplätzen. Im Dauereinsatz führen an sich läppische immergleiche Bewegungen zu chronischen Gelenk- und Sehnenentzündungen, die Anlagenüberwacher kriegen Nerven, Bild- schirmtippsen und Computer-Arbeitsplatzbesitzer spüren an Augen und Rücken, daß sie zu lange und anstrengend arbeiten. usw. Und so geht immer gerade die Technik und kommt stets soviel "technischer Fortschritt" in den Fabriken zustande, wie das Kapi- tal mit dem Verschleiß der Arbeitskraft sein Geschäftsinteresse gerade am besten gewahrt sieht. Deshalb sterben mit dem techni- schen Fortschritt die kräftezehrenden Arbeitsumstände nicht aus, werden die Bedingungen am Arbeitsplatz nicht erträglicher, son- dern bloß immer ausgeklügelter auf einen möglichst kostengünsti- gen Produktionsausstoß ausgerichtet. Deshalb geht jede Arbeitserleichterung mit neuen Belastungen und einer Ver- einseitigung der Arbeit einher. Bequemes Arbeiten, also die Ge- sundheit der Arbeiter, ist ein Gesichtspunkt, der im Kapitalismus einfach nicht zählt. zurück