Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Münchner Hochschulzeitung, Sonderausgabe Medizin, 30.06.1981 Vortrag der Bestseller Autoren"GESUNDE GESCHÄFTE"
"Also, dieses Buch ist saustark. Es ließt sich wie ein Krimi, ist ja eigentlich auch einer; es werden jede Menge Betrügereien, wenn man hinter die Zeilen ließt, schwere Körperverletzungen, ja auch Morde geschildert." (Buchbesprechung der Breiten Liste Gesund- heit) Noch bevor ein einziges Wort der Kritik an der Pharmaindustrie gefallen war, kam Applaus auf. Die vom Arbeitskreis "3. Welt und Medizin" Geladenen ließen sich im großen physiologischen HS vor ca. 300 Interessierten feiern ob "ihres Mutes", die übermächtigen Pharmakonzerne zu "entlarven", unter Aufgabe ihrer Existenz ("Wo kommt ihr jetzt bloß unter" - eine besorgte Frage an die Best- steller-Schreiber) und daß sie jetzt sogar unter minderem Honorar angetreten seien als der Verlag gefordert hatte. Die in ihrer Person vorstellig gemachte Lauterkeit der Absicht war der Auftakt zu einer Kritik der Pharmaindustrie, die dieser eben jene ab- sprach. Da handelt es sich nämlich um Typen die gemessen am Zweck für Gesundheit zu sorgen, ziemlich schlecht aussehen. Und weil die Erkenntnis, daß es sich bei der Pharmaindustrie um ein ge- schäftliches Unternehmen handelt und nicht um die Heilsarmee, nicht besonders originell ist, selbst wenn sie aus Wien stammt bedurfte es zwar keines weiteres Arguments aber eine Menge au- thentischer Belege, um damit Furore zu machen. Wie tief der Sumpf ist und daß "alle Bereiche der Branche Medizin ... vom privatwirtschaftlichen Denken und Handeln der Multis durchdringen (sind)", belegen die Wiener Walraffs in über 40000 "erschütternden" Dokumenten - und das Publikum war begeistert. Daß damit keineswegs einer "allgemeinen Verurteilung der Markt- wirtschaft" das Wort geredet werden soll, betonten die Saubermän- ner des Medizingeschäftes auch sofort und beklagten, "daß Medika- mente zu weit überhöhten Preisen verkauft werden". (- Prompt wurde ihnen dieser "Nachweis" als gelungener Beitrag zur Kosten- dämpfungsdiskussion in Österreich auch mit einer Parlamentsde- batte belohnt!) Freispruch für Staat und Ärzteschaft ------------------------------------ Auf der Anklagebank saß die Profit g i e r der Pharmakapitali- sten, die sie immer nur an das eine denken läßt: "Umsatz, Umsatz über alles!" Die Autoren blähten die Pharmaindustrie zum profit- gierigen Moloch auf, weltumspannend (Multis!), mit besten Bezie- hungen und finanziellem Nachdruck (Lobby!), der keine Mittel scheut, sich die Welt der Medizin dienstbar zu machen. Die norma- len Geschäftspraktiken des Kapitals wurden vorgestellt als er- schreckliches Arsenal modernster Erpressungsmittel, dem die Be- teiligten am Medizingeschäft natürlich hoffnungslos ausgeliefert sind - die Pharmaberater, die nur noch mitmachen, weil sie ständigem "Psychoterror" = Prämiendruck! ausgesetzt sind, - die Ärzte, deren eigentliche medizinische Entscheidung bei der Wahl und Menge der Medikamente durch massiven Einsatz von "Weckern", "Fischereigerät", "Stempeln", Reisekostenzuschüsse und dergl. den Interessen der Konzerne unterworfen wird. Abgesehen davon, daß für den Patienten kein Vorteil rausspringt, wenn er statt der blauen ß-Blocker von Hoechst die gelben von Bayer schluckt und das beileibe nicht die "Entscheidung über Leben und Tod" ist, zu der die Autoren das Verschreibungsgebaren der Ärzte hochjammern, wird hier gerade den Ärzten unterstellt, nicht "kostenbewußt" zu entscheiden! Wo der Staat mit von der KV durch- geführten Regressen sehr effektiv, weil an den eigenen Geldbeutel rührend, die Ärzte auf die "erforderlichen" Medikamente ver- pflichtet und diese das bereitwillig auf dem Rücken der Patienten austragen, entdeckt die "Viererbande" (Eigenlob der Autoren aus Wien die Werbemethoden der Pharmaindustrie als die eigentlichen Krankheitserreger der Nation! - und all dem gegenüber bejammern sie die "Ohnmacht des Staates" mit zu wenig Gesetzen, Überwachungspersonal, Finanzen und Infor- mationen, wo der doch gerade so seine Macht dafür einsetzt, die für ihn kostensenkende privatwirtschaftliche Arzneimittelherstel- lung zu regeln. "Ein Menschenleben ist unbezahlbar" ----------------------------------- Die besondere Perfidie der Pharmaindustrie liegt in dem Mittel, mit dem sie sich bereichert: die Gesundheit, "das höchste Gut des Menschen". Der harte Vorwurf an die Pharmakapitalisten lautet, daß sie ihren eigenen (Werbe-)Slogan nicht ernst nehmen: "Pharma- Forschung ist teuer, aber ein Menschenleben ist unbezahlbar". Von wegen unbezahlbar! Wo die Wirtschaft sehr genau damit kalkuliert, was so ein Arbeiterleben als Mittel des Profits wert ist, wo Krankenkassen und Gesundheitsministerium festlegen, wie groß das kostengedämpfte Quantum Gesundheit zu sein hat, das dem Bürger zusteht, und die Berechnung des Verhältnisses von medizinischem Aufwand und Überlebensrate längst zum Standard medizinischer Wis- senschaft gehört, verfechten die Autoren ungerührt ihr Ideal "eines Gesundheitswesens, das seinen Namen verdient", und finden ausgerechnet in Staat und Ärzteschaft ihre Verbündeten, denen es - im Würgegriff der Pharmamultis - nur hoch nicht ganz gelungen ist, ihren "ethischen Prinzipien" gerecht zu werden. Die Lösungsvorschläge sind denn auch allesamt ein Appell an das gute Gewissen, ein Plädoyer für mehr Verantwortlichkeit und schärfere Kontrolle von seiten des Staates. Daß die intendierten Erfolge mittels "besserer Überwachung" der Pharmaindustrie mit der Abschaffung der beklagten "Sauereien" nichts zu schaffen hat, beweist der Staat den Fans staatlich kontrollierter Gesundheits- verwaltung gerade in den Konsequenzen, die das BGA aus der Veröf- fentlichung gezogen hat: Die deutschen Behörden sorgen dafür, daß gesetzwidrige Abweichungen vom normalen Pharmageschäft angepran- gert und geahndet werden. Die inkriminierten klinischen Versuche, die "ohne Einwillgung der Patient vonstatten gingen, werden jetzt eben mit Einwilligung durchgeführt, und da die Vorschriften für die klinische Prüfung zur Arzneimittelzulassung zu nichts anderem taugen, als die staatliche Erlaubnis zu bekommen, den Versuch in großem Rahmen eben an der Gesamtbevölkerung durchzuführen, ist weiterhin für Contergan, Mexaform und Nocerton-"Skandale" ge- sorgt. Auch der neu eingeführte Haftungsparagraph für Arzneimittelschä- den ist ein 'Erfolg', bei dem gerade die Gewißheit unterstellt ist, daß weiterhin Pharmakrüppel produziert werden. Immerhin ist die Vergabe der Almosen geregelt, die jetzt nicht mehr der Staat, sondern die Industrie zu spenden hat. Erfolge mit der "Sensibilisierung der Öffentlichkeit" ------------------------------------- haben die Autoren auch an anderen Fronten: - einige Patienten und welche, die es werden wollen, organisieren sich in "Patientenrechtskollektiven", wobei der riesige Vorteil darin besteht, jetzt ihre Gesundheit in die eigenen Hände nehmen zu dürfen bzw. die Schäden, die sie erlitten haben, rechtskundig gemacht werden, falls ein Verstoß vorliegt... - Die (Ex-)Kollegen der Pharmamanager brauchen in Zukunft nicht mehr schlechten Gewissens die "Sauereien" der Pharmaindustrie mitzumachen, haben ihnen doch die Autoren gezeigt, wie man mit sich ins reine kommt: "Es gibt inzwischen in vielen Firmen Roland Werners. Sie haben das Material geschickt, um ihr Gewissen zu er- leichtern". - Auch bei den Studenten war ein Erfolg zu verzeichnen: Der Appel an die eigene Verantwortlichkeit fand bei den Jungärzten begei- sterte Aufnahme. Weil sie das normale, gesetzlich geregelte Ge- schäft von Pharmaindustrie und Ärzten nicht angreifen wollten, verfielen sie auf den Gedanken, "ärztlich unsaubere Machenschaf- ten" im Pharmageschäft zu "entlarven" und als "Auswüchse" anzu- prangern - womit sich Autoren und Publikum zufrieden auf die Schulter klopfen konnten, werden doch diese zukünftigen Ärzte ihr Geschäft "sauber" versehen. Dabei braucht man gar nicht auf die paar Annehmlichkeiten wie z.B. Gratismedikamente von Pharmaver- tretern zu verzichten - und befördert, mit dem guten Gewissen, unbeeinflußbar zu sein, den Umsatz der Pharmaindustrie. Denn de- ren Geschäft ist jedesmal gesichert, wenn der gewissenhafte Arzt die Leute nach den Regeln der kassenärztlichen Kunst arbeitsfähig macht, Antirheumatika verschreibt um die durch die Arbeit erlit- tenen "degenerativen" Schäden erträglich zu gestalten, den durch die Hetze steigenden "essentiellen" Hochdruck mit Betablockern in Grenzen hält oder mittels Psychopharmaka das weitere Mitmachen "psychovegetativ entkoppelt" ermöglicht. zurück