Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens


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       Blüms Strukturreform des Gesundheitswesens:
       

EINE VERBILLIGUNG KRANKER LOHNARBEITER ZUR STÄRKUNG DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT

"Ein Krankenversicherungssystem, dessen Kosten weiter so steigen wie in den letzten Jahren, würde sich selbst ruinieren." (Blüm, Frankfurter Rundschau, 14.11.87) Daß es mit der sogenannten "Kostenexplosion im Gesundheitswesen" irgendwie "so nicht weitergehen" könne, meint hierzulande nahezu jeder vom zahlenden Krankenkassen-Mitglied bis zum deutschen Bun- deskanzler. Bloß - wenn ein Arbeits- und Sozialminister Blüm von "unzumutbar hohen Beiträgen" zur Krankenversicherung redet, dann treibt ihn keineswegs die Sorge, die in der gesetzlichen Kranken- kasse zwangsweise Versicherten, die gewöhnlichen Leute also, könnten die ständig steigenden Kosten für ihre Gesundheit nicht mehr verkraften. Vielmehr hat Blüm, um den "unzumutbar hohen Bei- trägen" zu Leibe zu rücken, die stets gleiche "tatsächlich origi- nelle Idee" (Blüm über seine Reform, Spiegel 51/87): Zahlt der Kranke selbst, ist seine Krankenkasse gesund ------------------------------------------------------ Das Kernstück der auf die politische Tagesordnung gesetzten "Reformen des Gesundheitswesens" heißt: Die Leute sollen für ihre Krankheiten p r i v a t mehr zahlen. Für die Behandlung von al- lerhand Erkrankungen und Gebrechen kommen die Kassen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt auf. Diesmal hat sich Blüm unter an- derem folgendes ausgedacht: - Festbeiträge für Medikamente, bzw. prozentuale Selbstbeteili- gung; d.h. die Patienten müssen einen größeren Teil der Pillenko- sten selber tragen. - Weitere Medikamente werden zu Mitteln gegen "Bagateller- krankungen" - sprich: gerade die besonders häufig auftretenden Gesundheitsstörungen - erklärt, für die nicht mehr die Krankenkasse zuständig ist, sondern der Geldbeutel der Versicher- ten. - Wer schlecht sieht, muß das Brillengestell selbst bezahlen, die Gläser zum Teil. - Bei Zahnersatz (Gebisse, Kronen, Brücken) zahlt die Kasse nur noch die Hälfte der Billigstausführung. - Schwerhörige erhalten nur noch einen Zuschuß zum Hörgerät. - Zuschüsse der Kassen für Krankengynnnastik, Kuren, Taxifahrten ins Krankenhaus und Begräbnisse werden weiter reduziert. Und so weiter. Vor den allseits beklagten "unzumutbaren hohen Beiträgen" sollen die Leute "geschützt" werden, indem sie eben mehr Krankheitsko- sten p r i v a t finanzieren müssen. Also: Damit die V o r s o r g e für den Krankheitsfall nicht noch teurer gemacht wird, kostet jeden Kranken die e i n g e t r e t e n e Gesund- heitsstörung mehr Geld. Zum Wohl des Geldbeutels oder der Gesund- heit der Leute wurde die Reform also ganz bestimmt nicht erdacht. "Ohne Reform kommt der Ruin" (Blüm) heißt vor allem: Dringend ge- schützt werden muß das deutsche Krankenversichervngssystem - vor seiner Inanspruchnahme durch Kranke. Bei der gesetzlichen Kran- kenversicherung, bei der eine Kündigung verboten ist, wird es ih- rem obersten Verwalter als "politische Verantwortung" zugutege- halten, wenn der den versicherten Leuten damit kommt, sie würden durch die Inanspruchnahme ihrer Versicherung, auf die sie a n g e w i e s e n sind, diese gefährden - und damit letztlich sich selbst. Was hat es mit dieser Institution, die allenthalben als d i e soziale Errungenschaft gepriesen wird, auf sich? Die gesetzliche Krankenversicherung - ------------------------------------- eine Institution zur Verwaltung nützlicher Armut... --------------------------------------------------- Tatsächlich sind die meisten Leute auf die Krankenversicherung angewiesen. Und das liegt an der L o h n a r b e i t, von der diese Leute abhängig sind. Der Staat zieht einen Teil ihres Lohns als Krankenversichervngs- beitrag gleich "an der Quelle" ab, weil er sich über zweierlei vollkommen sicher ist: a) daß Lohnarbeit krank macht, und b) daß der Verdienst dieser Leute gering genug ist, daß der für den Krankheitsfall zu sparende Anteil anderweitig ausgegeben würde, würde man ihn den Lohnabhängigen zur freien Verfügung überlassen. So ergeht es in der sozialen Marktwirtschaft Leuten, die außer Ihrer Arbeitskraft n i c h t s b e s i t z e n und daher ihre Gesundheit bei der Arbeit für Lohn ordentlich v e r b r a u c h e n, also damit rechnen müssen, daß die ver- schiedenen Organe, Knochen und Gelenke verschleißen. Die Arbeit im Dienste der Vermehrung fremden Eigentums kommt ihnen zweifach teuer zu stehen. Sie sind 1. wegen der ungesunden Folgen der Ar- beit und 2. wegen des ihnen dafür zugestandenen Lohns von einer gesetzlichen Krankenversicherung a b h ä n g i g. Und diese Ab- hängigkeit soll f ü r diese staatliche Einrichtung sprechen? Die Wahrheit ist, daß gerade der vielgepriesene S o z i a l staat sich als K l a s s e n staat erweist, der ganz genau um die doppelte Not der Mehrheit seiner Untertanen weiß - Lohnarbeit macht krank, bringt aber nicht die Geldmittel für die nötigen Gesundheitsmaßnahnnen ein - und deshalb Lohnarbeitern ein gesetzliches Z w a n g s s p a r e n zur Vorschrift macht. Mit der Einrichtung Krankenversicherung wird die gesamte Lohnar- beiterschaft also mit Zwangsbeiträgen dazu verpflichtet, s e l b e r für die mit Sicherheit eintretenden Krankheitsfälle "vorzusorgen". Der S t a a t mit seiner Hoheitsbefugnis ist es hingegen, der festlegt, 1. wie hoch die Beiträge sind und 2. wel- che "Versicherungsleistungen" zum Gesundheitswesen gehören sol- len, was also z u r Z e i t als bundesdeutscher "Gesund- heitsstandard" gilt und von der Kasse bezahlt wird bzw. welche Krankheiten "Bagatellangelegenheiten" und daher Privatan- gelegenheit sind. Mit diesen beiden Sorten Abzug vom Lebensunter- halt Krankenversicherungsbeitrag und private Krankheitskosten - müssen die Leute dann selber fertig werden. Und wenn es üblich wird, daß z. B. etliche ältere Leute wieder zahnlos herumlaufen, weil der eine oder andere sich ein Gebiß einfach nicht mehr lei- sten kann, ist dies - staatlich verordnet seine höchstpersönliche Angelegenheit. "Da Zahnersatz keine akute Krankheit" (Blüm, Spie- gel 51 /87) ist, hätte doch jeder rechtzeitig selber vorsorgen = sparen können, nicht wahr? Wovon auch immer. Fragt sich bloß noch, was den Staat eigentlich an "zu hohen Bei- tragssätzen" stört, wenn es die Sorge um finanzielle und körper- liche Unversehrtheit der Zwangsversicherten garantiert n i c h t ist. Runter mit dem Lohn - diesmal als Lohn"nebenkost" ------------------------------------------------- "Stabile Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht nur wirtschaftlich notwendig, sondern auch" (nämlich deshalb) "gesundheitspolitisch zu verantworten." (Frankfurter Allgemeine, 24.12.87, aus Blüms Entwurf zum Gesetz zur Struktur- reform) Bekanntlich wird hierzulande der Zwangsbeitrag zur Krankenversi- cherung vom "Arbeitgeber" überwiesen. Dabei heißt die eine Hälfte des Versicherungsbeitrags "Arbeitgeberzuschuß", ist also als zweckgebundener Abzug vom Ertrag des Unternehmers definiert. We- gen dieser Art der Beitragserhebung wirkt eine gesetzliche Sen- kung der Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung wie eine a l l g e m e i n e L o h n s e n k u n g zugunsten des Kapi- tals. Die Arbeiter kommen den Unternehmen billiger, wenn Blüm s o die "Kostenexplosion im Gesundheitswesen" dämpft, daß die "Lohnnebenkosten" sich verringern. Fürs Wachstum der deutschen Wirtschaft ist es also sehr gesund, möglichst viel Kosten für die Gesundheit dem Geldbeutel der Leute aufzuhalsen, die sich für die deutsche Wirtschaft verschleißen müssen. Und es ist ferner vollkommen sachgerecht - sachgerecht für die Behandlung der verschiedenen Klassen in der "sozialen Marktwirtschaft"! -, wenn der Herr Blüm beim "Kostendämpfen" den gewöhnlichen Leuten mit ausgesuchter Kleinlichkeit weitere Nach- teile im Geldbeutel und bei der Krankheitsbehandlung verordnet, während er den diversen Nutznießern der Folgen des proletarischen Gesundheitsverschleißes, von der Pharmaindustrie bis zu den Zahnärzten, wahrhaftig nicht zu nahe tritt. Was soll denn bei den "Reformen", die die Sozialstaatsabteilung des demokratischen Ka- pitalismus unternimmt, anderes herauskommen, als daß die "Armen und Bedürftigen" noch ein Stück ärmer gemacht werden! zurück