Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens


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       Die bayerische Aids-Verordnung
       

EIN VIRUS WIRD VERHAFTET

1. Faschisten mögen die Vokabel "gesund". Was ihr Ideal einer or- dentlich funktionierenden, zu jeder nationalen Großtat allzeit bereiten Volksgemeinschaft stört, ist für sie k r a n k h a f t - ein Urteil, das aufs A u s m e r z e n aller unliebsamen Ele- mente zielt; mit Krankhaften diskutiert man schließlich nicht. Wenn sie umgekehrt eine Krankheit entdecken, die von Individuen verbreitet wird und die Volksgesundheit ankratzen könnte, dann tun sie mit Freuden so, als wären sie empirisch bestätigt, und behandeln die Infizierten entsprechend: als S c h ä d l i n g e, für die in ihrem Weltbild und - sofern sie regieren dürfen - in ihrem Gemeinwesen die gesundheitspolitischen Kammerjäger zustän- dig sind. Denn wer das Volk gefährdet, ist letztlich nicht krank, sondern k r i m i n e l l; und Kriminelle schont und pflegt man nicht, sondern die sperrt man ein. (Mindestens.) 2. Den Beschluß, Aids-Infektionen so ähnlich wie eine staatsabträg- liche Gesinnung zu verfolgen und Infizierte wie potentielle Kri- minelle zu behandeln, rechtfertigt der zuständige Ministerpräsi- dent mit dem menschenfreundlichen Grundsatz, die Gesundheit der Gesunden ginge vor. Wo bleibt da bloß das gelassene Verhältnis zum "Restrisiko", das er als bekennender Christ doch für sich in Anspruch nimmt und mit Bezug auf Wackersdorf jedermann empfiehlt? 3. Dem bayerischen Innenministerium genügt als rechtliche Begründung für sein Durchgreifen die Berufung aufs Bundesgesetz über Seuchen und deren gesundheitspolizeiliche Behandlung. Und zwar ganz zu recht. Entgegen allen liberalen Mutmaßungen ist dort nämlich nicht vorgeschrieben, die Verhaftung von Infektionsherden wäre nur zum Zwecke ihrer Heilbehandlung zulässig. Das staatliche Ge- sundheitsrecht legt hier die Bedingungen fest, unter denen ein Kranker als öffentliche Gefahr zu behandeln und wie sein Wille zu brechen ist. Mehr will und mehr kann die Staatsgewalt gar nicht - aber d a s kann sie gut und will sie per Gesetz. 4. Sie kann sich natürlich auch entschließen, Aids einstweilen gar nicht als Fall- fürs Seuchengesetz zu behandeln. Die guten Gründe dafür werden den "krachledernen" Bayern, die da mal wieder "vorgeprescht" sind und - schlimmstes Verbrechen! - eine Koaliti- onsabsprache über ein einheitlichas Vorgehen gebrochen haben sol- len, jetzt von allen Seiten vorgehalten. Genaugenommen ist es üb- rigens nur einer: i n e f f e k t i v. Wie will man denn das Anziehen von Kondomen behördlich kontrollieren? Und selbst wenn das in den Puffs eine so große Schwierigkeit nicht ist - zumin- dest läßt sich da mit Strafandrohungen ein bißchen Stimmung ver- breiten -: Um den Pariser zur a l l g e m e i n e n Gewohnheit zu machen, braucht selbst der Staat den freien Willen seiner Mas- sen. Durch Kriminalisierungsaktionen der bayerischen Art - so lautet die Befürchtung - ist der nicht zu manipulieren. 5. Wie aber dann? Den Methoden der einfühlsamen Propaganda mißtrauen die bayerischen Scharfmacher. Und dafür haben sie zwar kein libe- rales Ideal, aber alle Lebenserfahrung im bürgerlichen Staat auf ihrer Seite. Daß da jemand aus einer anderen Einsicht als aus der in einen staatlich verhängten Zwang handelt, ist nicht bloß in München und Umgebung unüblich. Weil es nämlich ganz abwegig ist, daß der bürgerliche Staat sich auf so etwas verläßt und sich in einer Sache, die ihm wichtig ist, vom Verstand seiner Bürger und deren Willen a b h ä n g i g macht. 6. Bleibt die Warnung des Senators Fink aus Berlin: Die Vernichtung jeder bürgerlichen Existenz von Aids-Infizierten - auf die vor allem die Pflichtuntersuchungen für Beamtenanwärter zielen - könnte eine Gruppe von Desperados schaffen, die die terroristi- sche Gefahr in unserer zwar aids-infizierten, staatsmoralisch aber saumäßig gesunden Republik vergrößern könnten. Das ist eine schöne Retourkutsche auf das Schreckbild vom Aids-infizierten, aus Bosheit Ansteckung verbreitenden Nihilisten, das Meister Gau- weiler sich zur Begründung seines Feldzugs ausgedacht hat "und aus Gründen, denen wir hier nicht weiter nachgehen wollen sehr plausibel findet. Herr Fink hat allerdings nicht bedacht, daß sein Einwand nur Wasser auf die Mühlen der CSU ist: Das Schöne am Terrorismus ist doch der Vernichtungsfeldzug, den die Staatsge- walt gegen seine Urheber führen muß. Zumindest sehen Faschisten das so. Und außerdem alle demokratischen Innenpolitiker, denen die moralische Volksgesundheit am Herzen liegt. 7. Ein paar schöne letzte Stunden für Aids-Kranke? Wer kommt in un- serer ordentlichen Gesellschaft denn auf s o was!! zurück