Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Krankheit - ein guter Grund zu fehlen?KRANKHEIT - EIN VERTRAGSBRUCH DES ARBEITERS!
Ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts, betreffend das Verhältnis von Lohnarbeit, Krankheit und Kündigung, beschert dem Betrieb heutzutage ein paar zusätzliche Bequemlichkeiten, wenn er wegen Fehlzeiten entlassen will: "Der Zweck eines Arbeitsverhältnisses ist der Austausch von Ar- beitsleistung gegen Zahlung von Arbeitsentgelt. Von daher ent- spricht es einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers festzu- stellen, inwieweit dieses Austauschverhältnis durch Krankheits- und Fehlzeiten gestört ist." (BAG-Urteil vom 11.3.86) Aus dem Austausch von Arbeitsleistung gegen Zahlung folgert das Gericht nicht, daß "von daher" der B e t r i e b das Aus- tauschverhältnis stört, wenn er miesen Lohn zahlt und so das In- teresse des Arbeiters an seinem Job "stört". Laut höchstrichter- lichem Beschluß besteht eben der Z w e c k eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich in der Bedienung des Interes- ses e i n e r S e i t e - der K a p i t a l seite. Daher gilt es nicht als "Störung" des Arbeitsverhältnisses, wenn die Kapita- listen Krankheits- und Fehlzeiten zum Anlaß nehmen, einem Ar- beiter zu kündigen, ihm also den Lohn streitig zu machen. Das ist kein Vertragsbruch des Unternehmers, sondern die Wahrnehmung sei- nes "berechtigten Interesses". Wer krank ist, hat nämlich nach richterlicher Ansicht das Recht des Kapitalisten auf ununterbro- chenen Gebrauch des Arbeiters gestört. Darum kann rechtlich Krankheit der Arbeitsverweigerung gleichgestellt werden. Mit diesem Grundsatzurteil gelten mit Krankheit begründete Ent- lassungen ab sofort nicht mehr als nur in Ausnahmefällen gesetz- lich erlaubt. Der Betrieb spart sich also lästige Rechtsstreite- reien bzw. die Mühe, einen anderen Kündigungsgrund zu erfinden, wenn er einen Mann wegen Fehlzeiten loswerden will. Jede nicht abgeleistete, aber bezahlte Arbeitsstunde, egal warum einer fehlt, egal ob mit Krankschreibung oder auf 3-Tage-Re- gelung, gilt ab sofort als Vertragsbruch des Arbeiters und be- rechtigt den Betrieb damit (auch während der Krankheit) eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, wenn er die "wirtschaftliche Belastung" nicht mehr tragen will. Weitsichtig wie die Regierung nunmal ist, arbeitet sie derzeit an einer ergänzenden Bestimmung, der Karenztageregelung. Die soll dem Unternehmer erlauben, für die ersten drei Krankheitstage keine Lohnfortzahlung zu tätigen. So kann der Betrieb sich Lohn- fortzahlung auch dann ersparen, wenn er einen Arbeiter nicht gleich feuern will, sondern seine Leistung ansonsten noch bean- spruchen will. Wirklich sehr passend: Lohnfortzahlung kann der Betrieb dann auf zwei Weisen umgehen - entweder er kündigt oder er zahlt auch bei bestehendem Arbeitsvertrag keinen Lohn. Lauter Schläge ins Gesicht des gesunden Rechtsempfindens? So ein Empfinden sollte man schleunigst ablegen. Vielleicht ist das Recht nämlich einfach nicht besser als es ist. Vielleicht hat es der Gesetzgeber einfach darauf abgesehen, daß sich seine Lieb- lingsbürger von der Kapitalseite an den Arbeitern gesundstoßen. zurück