Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens
zurück Laut "Bild" klagen die Arbeitnehmer in der ehemaligen DDR gegen den Einigungsvertrag. Sie führen folgende Gründe an: - die Senkung der Löhne um 55% unter westdeutsches Niveau bedeu- tet für sie das sofortige Ende; - dieser Lohn liegt deutlich unter den derzeitigen Lebenshal- tungskosten; - sie sehen sich nicht in der Lage, ihre Arbeit so billig ablie- fern zu können, und rufen zum Boykott auf; - sie wollen beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen. Diese Meldung ist frei erfunden. Es handelt sich natürlich um die Pharma-Industrie, die einen Preisabschlag auf ihre Produkte um 55% nicht hinnehmen will. Sturm im Reagenzglas -------------------- PHARMAINDUSTRIE BOYKOTTIERT ZONIS ================================= Einen Tag lang stand im neuen Deutschland die Menschlichkeit auf der Kippe. Die Pharmaindustrie/West mochte nicht einsehen, warum sie ihre kostbaren Produkte noch nicht einmal zum halben Preis mit den AOKs der ehemaligen DDR abrechnen sollte. Sie stoppte die Belieferung der Ost-Apotheken - und erntete einen gewaltigen Pro- test. Die Apotheker, die weniger zu verkaufen hatten, sperrten ihren Laden demonstrativ ganz zu; die betroffenen Patienten durf- ten sich öffentlich beschweren; und die menschenfreundliche Öf- fentlichkeit war empört. Denn das sah ja glatt so aus, als wäre den kapitalistischen Arzneimittelproduzenten das Geschäft wichti- ger als ein gesunder Blutdruck in der Ostzone: "Hört die Einheit vor der Apotheke auf? Müssen erst Menschen sterben? Politiker empört: Erpressungsversuch, vaterlandslose We- gelagerer." (Bild-Zeitung) Überraschend schnell siegte dann die Menschlichkeit in Gestalt des Norbert Blüm: "Ab 1. April gelten Preise wie im Westen. Die dadurch bei den Krankenkassen entstehenden Defizite werden von Pharmaindustrie, Apothekern und von dem Finanzminister ausgeglichen." Der Sozialminister hat es mal wieder hingekriegt: den Kompromiß zwischen den beiden entgegengesetzten Geschäftsinteressen, um die es bei dem ganzen Streit überhaupt bloß gegangen ist. Auf der einen Seite hat unser Sozialstaat nämlich grenzenloses Verständ- nis für den Profitbedarf der nationalen Pharmaindustrie, die es fertigbringt, darüber zu jammern, daß 45% ihres Endverkaufsprei- ses "kaum" ihre Kosten decken. Geschäft mit der Gesundheit soll und muß sein; genau dafür werden ja die gesetzlichen Krankenkas- sen mit guten 12% der deutschen Lohnsumme ausgestattet. Anderer- seits müssen die Lohnkosten in den neuen Bundesländern bekannt- lich unbedingt niedrig sein; sonst verlieren unsere risikofreudi- gen Unternehmer die Lust, drüben zu investieren. Auch das ein Staatsbeschluß. 12% von wenig Lohn sind aber wenig Geld; zu wenig für das Recht der deutschen Pharmaindustrie, teuer zu sein. Das war der Konflikt. Der Kompromiß wahrt das Menschenrecht der bundesdeutschen Arznei- mittelhersteller auf ihr gewohntes westdeutsches Preisniveau. Er sichert den Arbeitgebern im Osten der Nation gleichzeitig ein zu- tiefst menschliches Lohnniveau. Und wenn darüber in Gesamt- Deutschland das Kranksein teurer wird, dann sorgt Minister Blüm für ein neues nationales Gesundheitsniveau. Denn schließlich steht der Mensch im Mittelpunkt. zurück