Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK GESUNDHEIT - Ökonomie des Gesundheitswesens


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       Gesundheitswesen
       

DER NUTZEN DER PHARMA-INDUSTRIE

Die Pharmaindustrie kommt aus der schlechten Presse nicht heraus: Ob es die Preise sind, die "unser Gesundheitswesen in den Ruin treiben", oder Medikamente, die wegen zu vieler Toter wieder aus dem Handel gezogen werden, die "erschreckenden" Umsatzzahlen von Psychopharmaka, die an Kinder verabreicht werden, oder Rheumamit- tel, die angeblich bei falscher Indikation eingesetzt werden und/oder zumindest Darm und Leber schädigen, schuld an den "Skandalen" soll eines sein: das Geschäft, das mit der Krankheit gemacht wird. Dabei handelt es sich da um Ein Geschäft wie jedes andere... -------------------------------- Da gibt es erstmal ein B e d ü r f n i s nach Heilmitteln, an Krankheit ist kein Mangel und Hilfe wird benötigt - doch daß der Kranke die bekommt, ist keineswegs selbstverständlich, denn Medi- kamente und ärztliche Leistungen gibt's nur gegen Geld. Befrie- digt wird die N a c h f r a g e nur, wenn sie zahlungskräftig ist, lautet das Prinzip dieser Marktwirtschaft eben für alle Dinge, die man zum Leben braucht, und die Sorge der Leute um die Mittel zur bloßen Existenz bildet die sicherste G e s c h ä f t s b a s i s für die Anbieter. Um an ihren Le- bensunterhalt ranzukommen, verfügt die Mehrzahl der Leute nur über eines: den Einsatz ihrer Arbeitskraft, die zur Ausnutzung anderen überlassen werden muß, und zwar unter den Bedingungen, die die Gegenseite festlegt. Daß dies in der Regel den Ruin der Gesundheit bedeutet, wissen auch die Pharmahersteller, wenn sie mit Bildern aus der Arbeitswelt für ihre Produkte werben: eine einzige Illustration der Folgen der Ausbeutung, die von der soge- nannten degenerativen Arthrose des Bandarbeiters bis zur Sehnen- scheidenentzündung der "Tippse" reichen. So erklärt sich auch ganz einfach, wie die schier unerschöpfliche Nachfrage nach Mit- teln zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit zustande kommt und warum die Pharmaindustrie blüht und gedeiht. Die Wahrheit des Schlagworts vom "Geschäft mit der Gesundheit" sieht also anders aus, als jene Kritiker glauben machen wollen, die überhöhte Preise, zu große Gewinnspannen und hinterhältige Werbetricks anprangern und damit lauter V e r s t ö ß e n gegen die geheiligten Prinzipien der Marktwirtschaft die Schuld geben, daß es schlecht um die Gesundheit steht. Weil der Verbrauch der Gesundheit d a s Mittel des Geschäfts ist, geht sie kaputt, und ihre Instandsetzung für die erneute Vernutzung wird zum eigenen rentierlichen Geschäftszweig. Wo die Besitzlosigkeit die Leute zwingt, ihre Haut zu Markte zu tragen und im Dienst am Reichtum ihre Gesundheit zu verausgaben, soll darin der Skandal liegen, daß auch aus der Krankheit, die notwendig Folge ist, noch Kapital geschlagen wird? ...mit staatlich garantierter Zahlungsfähigkeit ----------------------------------------------- Damit die Restauration der Gesundheit des Arbeiters aber auch so- weit gelingt, daß er wieder arbeitsfähig wird, bedarf es aller- dings noch einer s o z i a l s t a a t l i c h e n Hilfestel- lung: Denn, wenn das Geld, für das ein Lohnarbeiter sich veraus- gabt und seine Gesundheit aufbraucht, reichen würde, um ihn im absehbaren und sicheren Krankheitsfall wieder herzustellen, dann hätte er sich wahrhaftig gar nicht erst zu verschleißen brauchen: Dann wäre ihm ja wohl seit jeher die "Schonung" und das "gesunde Leben" gelungen, die sein Hausarzt ihm mit dem standeseigenen Zy- nismus ans Herz legt. Weil der Lohn aber so bemessen ist, daß es mit der Lohnarbeit auch dauerhaft und zweckentsprechend vorangeht - nämlich so, daß mit jeder absolvierten Arbeitswoche der ökono- mische Zwang zur verlangten Leistung sich erneuert -, deswegen reicht er nicht, um dem Arbeiter über Zeiten des krankheitsbe- dingten Lohnausfalls hinwegzuhelfen, geschweige denn zusätzlich die Kosten für die Wiederherstellung einer arbeitsfähigen Physis zu bestreiten. Deshalb organisiert die öffentliche Gewalt in so- zialer Sorge um die Bereitstellung eines ausreichenden Quantums an arbeitsfähiger Bevölkerung mit der ganzen lohnarbeitenden Klasse ein umfangreiches Zwangssparen und kürzt den Lohn vorweg um die Krankenkassenbeiträge. Frei vom unmittelbaren Verhältnis von Leistung und individueller Gegenleistung steht die große zwangsersparte Summe den verschiedenen Fraktionen der Hersteller und Verschreiber von Kompensationsmitteln für die ruinierte Ge- sundheit zur Verteilung zur Verfügung, ohne in der allzu be- schränkten Zahlungsfähigkeit ihrer Klientel auf ein Hindernis zu stoßen. Dies ist die Grundlage für ein krisensicheres und gewinn- trächtiges Geschäft - den Firmen ist der Erfolg gesichert, wenn die Kassen ihre Produkte als "Fortschritt in der Therapie" in Ab- wägung zu anderen Heilmethoden honorieren (Tagamet contra OP) und in ihre Zahlungspflicht aufnehmen. Daß dabei auch der vom Staat beabsichtigte N u t z e n, dessentwegen er die einen zur Zah- lung und die anderen zum Gewinn verpflichtet hat, rauskommt, da- für sorgt allerdings der Markt schon selber: Heilung um jeden Preis ---------------------- Denn da ist jede "Volkskrankheit" erstmal ein Angebot für Umsatz und Gewinn. Die Planung nach dem zu erzielenden Profit bringt die F o r s c h u n g s zentren der Pharmakapitale da auf Hochtouren, wo etwas "realisiert" werden kann: Entsprechend der Größe des Markts sind deshalb auch "Hunderte" von Antirheumatika oder Herz- kreislaufmitteln kein Wunder, geschweige denn "nutzlos". Denn ihre Wirkung entspricht durchaus dem geäußerten Bedürfnis: Sie machen nämlich die erlittene Schädigung a u s h a l t b a r und werden deshalb besonders erfolgreich dort eingesetzt, wo die Schädigung so weit fortgeschritten ist, daß sie sich schmerzlich bemerkbar macht. Daß eine Arthrose oder sog. degenerative Erkran- kung dabei ebensowenig wie eine Coronarsklerose noch zu beseiti- gen geht, tut dem medizinischen Erfolg keinen Abbruch, besteht die Wirkung doch gerade darin, sie erträglich zu machen, damit man sich der weiteren Schädigung wieder aussetzen kann. Darin be- steht der Nutzen der "Umsatzschlager", den freilich niemand kri- tisieren will. Er soll allenfalls perfektioniert werden: "Was als Heilmittel gegen Rheuma angeboten wird, lindert oder un- terdrückt bestenfalls einige Krankheitszeichen - heilen tut es nicht. Das ist nicht verwunderlich: Was Rheumatismus wirklich ist, weiß Kein Arzt. Die Ursachen der Volkskrankheit sind nach wie vor unbekannt. Viel Mühe hat man sich mit der Grundlagenfor- schung bisher auch nicht gegeben." ("Spiegel"-Titel: Zweifelhafte Therapien). Bekannt u n d als unumgänglich anerkannt ist bei Ärzten die Ur- sache von Rheuma schon, wie ihre Definition von Rheuma als "Sammelbegriff für Abnutzungsschäden am Muskel- oder Skelettsy- stem" bezeugt. Aber eben deshalb erübrigen sich auch große "Mühen bei der Grundlagenforschung" und penible Typologien der Krank- heitsformen, weil bei solchen Sorten von Krankheit nichts als der U m g a n g mit der Schädigung zu tun bleibt. Und diesem Zweck der Medizin entsprechen die modernen Arzneimittel. Ihr Wirkprin- zip ist die Blockade: Beta-Blocker hemmen die Erregbarkeit des Herzens so, daß die Anstrengung weitergehen kann, ohne die unmit- telbaren Auswirkungen auf Herz und Blutdruck zu spüren; H2- Blocker vollbringen dasselbe am Magen, so daß der Ärger und die Anspannung ohne den ständigen "Druckschmerz im Epigastrium" oder das Wiederaufflackern eines Geschwürs abläuft und Psychopharmaka schaffen das Durchhalten in nervenaufreibenden "Situationen" durch "psychovegetative Entkoppelung" = Dämpfung der Erregungs- zentren im ZNS. Weil die Medikamente also dazu helfen, daß der Kranke wieder so- weit gesund wird, um in die Arbeit zu gehen, wo er sich erneut der Schädigung aussetzt, taucht er nicht nur über kurz oder lang wieder bei seinem Arzt auf, der dann den Fortschritt der körper- lichen Zerstörung als "chronische Erkrankung" diagnostiziert, sondern er kommt schließlich ohne medikamentöse Dauerbehandlung überhaupt nicht mehr über die Runden. So produziert dieser Kreis- lauf den Zwang zu lebenslanger Medikamenteneinnahme, und der per- manente chemische Eingriff in den Organismus zeitigt todsicher seine Wirkung. Lächerlich ist also die Klage über eine "verbreitete Medikamentensucht in der Bevölkerung" (Bestseller "Krankheit auf Rezept"), für die auch noch die Werbespäße - "Manipulation" - der Pharmamanager verantwortlich sein sollen. Und verharmlosend ist die beständige Rede von den "Nebenwirkungen", die der Pharmaindustrie den Vorwurf einbringen, sie sei "ineffektiv" bei der "Heilung". Ein Vorwurf, der von dem Ideal lebt, die Wirkungen der Lohnarbeit ungeschehen zu machen, ohne an ihr kratzen zu wollen - und diese Pille muß erst noch er- funden werden! Bis dahin werden die angeblichen "Verlegenheitslösungen der her- kömmlichen Therapie" realistisch mit a l t e r n a t i v e n M e t h o d e n d e s A u s h a l t e n s ergänzt: Vom Sand- sack gegen Rheuma bis "zu einer grundsätzlich neuen Einstellung zu Krankheit (nicht immer schlecht), Gesundheit (immer darum küm- mern) und Gefahr der Medikamente (mit Vorsicht zu genießen)" ge- langen "neue kommunikative Heilmethoden" (viel labern erleich- tert) zum Einsatz, um denselben Effekt ohne die chemische "Neben"wirkung zu erzielen! (alle Zitate aus: "Krankheit auf Re- zept") Der Fortschritt des Geschäfts ----------------------------- Freilich sind die Erfolge dieser Anmache zu Aushalteübungen not- wendig bescheiden, und die segensreichen Bemühungen der Pharmain- dustrie um Fortschritte in den medizinischen Reparaturverfahren bleiben unverzichtbar. Die Suche nach "nebenwirkungsarmen" Sub- stanzen, die Verfeinerung bekannter Therapien, ist längst will- kommenes Mittel der Konkurrenz auf dem Pharmamarkt, ebenso wie die Erforschung neuer Wirkstoffe. Ob sich dabei "aussichtsreiche Forschungsfelder" eröffnen, hängt allerdings nicht zuletzt davon ab, was Kassen und Behörden vom Standpunkt der Volksgesundheit als behandlungswürdige Krankheit definieren und was in die neuer- dings entdeckten "Bagatellerkrankungen" oder in die "natürlichen Folgen des Alterungsprozesses" eingereiht wird. Damit der Maßstab des Gewinns die Grundlagenforschung nicht zu sehr einschränkt, belohnt der Staat sie mit einer zusätzlichen Gewinnsicherung und versieht Neuentwicklungen mit einem entsprechend langen Patent- schutz für die alleinige profitliche Nutzung. Und wenngleich "Innovation" nicht der Zweck der Bemühungen ist, findet rege For- schungstätigkeit statt - wobei auch schon mal eine Molekülvari- ante bei der Abwandlung schon bekannter (erfolgreicher) Substan- zen ausreicht, den Patentschutz zu umgehen und auf der anderen Seite eine schon entdeckte Substanz eben noch nicht zur "Marktreife" entwickelt wird - bis der Markt dafür reif ist. Und ist eine neue Substanz gefunden, so erfordert das Konkurrenz- interesse die m ö g l i c h s t r a s c h e R e i f u n g, um andere nicht gleichziehen zu lassen und möglichst rasch in das Geldverdienen reinzukommen, was nicht ohne Folgen für die Q u a l i t ä t d e r P r o d u k t e bleibt: Die massenhafte Anwendung hat Versuchscharakter, und schädliche Wirkungen werden erst dann "entdeckt", wenn die Zahl der Toten zu hoch ist. Über- schritten wird das in Kauf genommene Maß jedenfalls, wenn wie beim Contergan-Skandal der hoffnungsfrohe Nachwuchs in Pharma- Krüppel verwandelt wird; etwas großzügiger wird hingegen verfah- ren, wenn es sich um ein paar hundert sowieso schon abgewrackte Alte handelt: "Wir haben eine Zahl tödlicher Zwischenfälle festgestellt. Aller- dings ist eine Behandlung bei der Schwere dieser Rheuma-Erkran- kungen und im fortgeschrittenen Alter immer mit hohem Risiko ver- bunden." (Ein Sprecher von Ciba-Geigy) Dieser Mann beruft sich sehr selbstbewußt auf eine Kalkulation von Schaden und Nutzen, die im neuen Arzneimittelgesetz festge- legt ist: "Unbedenklichkeit heißt, daß das mögliche Risiko in einem ver- tretbaren Verhältnis zur angegebenen Indikation und zum erwarte- ten therapeutischen Nutzen steht." Vertretbar ist das Risiko, wenn es dem "Stand des medizinisch Ma- chbaren" entspricht, die "Fehlschläge" im Rahmen der vorausgegan- genen gesundheitlichen Ruinierung bleiben und die Behandlung per Saldo positiv für die Volksgesundheit zu Buche schlägt - was "Zwischenfälle" obiger Art durchaus einkalkuliert. Dem Staat sind die Wirkungen der auf dem Prinzip des Profits be- ruhenden Bereitstellung von Mitteln der Kompensation also erstens bekannt und zweitens nicht gleichgültig. Es geht ihm darum, diese Wirkungen zu begrenzen und die resultierenden Schädigungen h a n d h a b b a r zu machen, ohne das Gewinnprinzip, das sich für ihn so nutzbringend erweist, ernsthaft zu beschränken. Mit Gesetzen und Re gelungen nimmt er Partei für das Prinzip der ka- pitalistischen Pharmazeutikaproduktion gegen deren negative Aus- wirkungen: Im Wissen um die Schädlichkeit der Produkte hat er dem Hersteller eine Offenbarungspflicht über schädliche Wirkungen seines Präpa- rates auferlegt und die Ärzteschaft zu einer Informationspflicht darüber vergattert, um die Auswirkungen auf ein für ihn tolerab- les Maß zu begrenzen. Und weil der "Verdacht irreführender oder gar betrügerischer Versprechungen" bezüglich der Wirkung, Indika- tion etc. zum Geschäft gehört, wird der Hersteller verpflichtet, Beweise für "Qualität und Wirksamkeit" zu liefern, damit der Nut- zen nicht nur auf dem Papier steht. * Beliebt ist die Kritik, daß das Ganze n i c h t s n ü t z t, dennoch. Und zwar in einer Hinsicht: Ihr taugt der Umstand, daß "zwei Millionen Bundesdeutsche an schwerem Rheumatismus leiden, weitere zwanzig Millionen klagen über Schmerzen im Bewegungsappa- rat" (Spiegel), nicht als Beleg für den Grad der Zerstörung, sondern als Ausdruck einer v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n V e r s c h w e n d u n g, gemessen an den Kosten, die dafür aufgewendet werden und die keinen Ertrag mehr versprechen. Damit ist der eigentliche Schaden ausgemacht: "Der Rheuma-Schaden liegt bei 45 Milliarden Mark pro Jahr; Ten- denz steigend. Das sind knapp drei Prozent des Bruttosozialpro- dukts." zurück