Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK FAMILIE/FRAU - Fröhliches im Intimbereich


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       Münchner Hochschulzeitung Sonderausgabe Medizin, 15.07.1980
       
       Diskussion über den Paragr. 218
       

AUSCHWITZ IM KREISSSAAL

- der STERN entlarvt "Doppelmoral" der Ärzte Der Stern hat "enthüllt", daß deutsche Frauenärzte Schwangeren, die abtreiben lassen wollten, die Indikation und damit den lega- len Abbruch verweigerten, sie aber zu dem Eingriff nach Öster- reich schickten. Grund für diese Form der Kollegialität ist, daß die in Wien praktizierende Ärztin sich für die Überweisung er- kenntlich zeigt und den deutschen Kollegen ein Drittel des Ho- norars, immerhin 300 Mark, zukommen läßt. "Jeden Tag kommen mindestens zehn Frauen aus Süddeutschland in die Wiener Gutenberesssse 1, zweiter Stock, Tür 7. In diese Ab- treibungspraxis werden sie von Ärzten geschickt, die nicht bereit sind, ihnen in der Heimat legal zu helfen, aber für die Überwei- sung an die Wiener Adresse noch Geld kassieren. Der Stern ent- hüllt die Machenschaften der Wiener Ärztin Dr. Michaela Radauer und ihrer deutschen Makler." (Stern, 23/80) Das bekannte Vorurteil, die Ärzte seien Zyniker, die ihre Ideale nur gebrauchen, um sich umso schamloser am Leid der Menschen zu bereichern, wird vom "Stern" aufgewärmt mit dem Gestus, er müsse seine Leserschaft aufklären über die Unmoral der Ärzte. Damit ist klar, daß es um eine B e urteilung, was an dem Vorurteil stimmt, nicht geht, sondern um eine V e r urteilung - denn nur Verwerfliches muß verborgen und somit "enthüllt" werden, wie an- dererseits die Konstatierung der Offenheit eines Tuns schon des- sen Lob bedeutet. Weißblaue Engelmacher --------------------- Der vom "Stern" aufgeführte "Beweis für die Doppelmoral von "Ärzten" stellt klar, daß es dem "Stern" sicher nlcht um die Frauen geht. Die Gemeinheit, die die Ärzte praktizieren, wenn sie ihren Patientinnen die Wiener Schmuddelpraxis zumuten, sind ihm als schlechte Moral kritikabel, weswegen zur Demonstration des Gegensatzes die "offizielle" Moral der Ärzte auch ausgedehnt vor- geführt wird. Der Skandal ist, daß dieser Dr. Multerer nicht das tut, was er sagt: "Also ich bin für eine strenge Indikationslösung. Wo kommen wir hin, wenn jede Frau abtreiben kann? In jede Familie gehören zwei Kinder. Das sage ich den Frauen auch. Abbruch auf Wunsch - nein, das verstößt gegen die ärztliche Ethik. Ich bin Arzt und konser- vativ." (Dr. Multerer) - denn der ärztlich-ethische Einsatz für das ungeborene Leben ist allemal anerkannt. Das Pochen auf das Ideal des Helfens und Hei- lens, der Sorge um "das Leben" gehört eben zu einem Geschäft, das in der Verwaltung von Krankheit besteht - weswegen es auch keine "Doppel"moral ist, wenn das normale Geschäft eine Form annimmt, die über ihre Illegalität in Mißkredit gerät. Demokratischer Gebärzwang ------------------------- Gegen die staatliche Reglementierung des Kinderkriegens hat der "Stern" nichts. Der Gesetzgeber regelt mit dem Paragr. 218, wann ein Arzt zuzustimmen hat, wenn eine Frau mit dem Anliegen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, in seine Sprechstunde kommt. Ne- ben der "medizinischen" Indikation gibt es dabei die "Notlagen- indikation": eine Abtreibung ist statthaft, "um von der Schwangeren die Gefahr einer Notlage abzuwenden, die a) so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und - b) nicht auf andere für die Schwangere zumutbare weise abgewendet werden kann." (Paragr. 218) - und weil es der Staat ist, der so über die Zukunft der Frau be- stimmt, gilt es nicht als Nötigung. Im Ermessen, was "zumutbar" ist und was nicht, gibt es Unter- schiede: mancher Arzt sieht eine Notlage erst als gegeben an, wenn das zehnte Kind eines arbeitslosen Hilfsarbeiters ansteht, ein anderer schon, wenn eine unverheiratete Angestellte schwanger ist - alles getreu im Rahmen des Paragr. 218, dessen Gebrauch der Stern den 32 "namentlich bekannten" Ärzten als Mißbrauch vor- wirft. Die Grundlage des Umgangs der Ärzte mit ihren Patientin- nen, sie in diese medizinisch fragwürdige Praxis zu schicken, ist der Paragraph - weswegen der "Stern" auch danebenliegt, wenn er diese Ärzte anklagt, "durch ihren Widerstand gegen den legalen Schwangerschaftsabbruch Frauen in solche Notlagen gebracht (zu) haben": Für das Verbot ist schließlich der Staat verantwortlich. Der Umgang der "verständnisvollen Gynäkologen" mit ihren Patien- tinnen ist nicht weniger ekelhaft, wenn sie die Frauen ihre Pri- vatangelegenheiten vor sich ausbreiten lassen, um dann gönnerhaft und ungeheuer verantwortlich die staatliche Kalkulation exekutie- ren, wann die Schwangerschaft zumutbar ist und wann nicht, wann also die Gewißheit, sich einen Sozialfall oder eine Verrückte mehr aufzuladen, den Staat veranlaßt, den Schutz des Lebens so zu gestalten, daß abgetrieben wird. Moderne Volkstumspolitik ------------------------ Mit der Kodifizierung zeigt der Staat sein Interesse am er- tragreiehen Geschlechtsverkehr seiner Bürger zur Erhaltung seines Menschenmaterials, die um so wichtiger ist, als die Politiker kalkulieren, wieviele beim Erst-, Zweit- usw. -schlag draufgehen, wieviele also zur Verteidigung erforderlich sind. Wie die Erhaltung bzw. Vermehrung des Volkes am wirkungsvollsten ins Werk zu setzen ist, ist Gegenstand des öffentlichen Streits, der auch seit der Einführung des neuen Paragraphen 218 mit unver- minderter Heftigkeit geführt wird, und dessen eine Position als "Diffamierungskampagne gegen hilfsbereite Ärzte" vom "Stern" ge- brandmarkt wurde. Die faschistische Diskussion, wie Volkstumspo- litik zu gehen hat, wird dabei offen geführt als Meinungsstreit über ihre Effizienz. "Was ist das Ziel unseres Staates? Seine Selbserhaltung zu besor- gen oder sich aus der ganzen Geschichte davonzustehlen, indem man den eigenen Selbstmord auf die nachfolgende Generation verschie- ben läßt, welche gerade mit Hilfe der Abtreibung gar nicht mehr ensteht!" (Münchner Ärztliche Anzeigen 49/79), fragt da ein Dr. Mayer als 2. Vorsitzender des Münchner Ärztli- chen Kreis- und Bezirksverbandes: der Staat ein feiger Selbstmör- der, der sich selber abtreibt. Ihm ist allein die Kalkulation, ob das Kind "zumutbar" (Paragr. 218) ist oder nicht, schon gleichbe- deutend mit dem Untergang der Nation. Perverserweise wird von denen, die so mit dem Faschismus liebäu- geln, der Faschismusvorwurf ins Feld geführt: "Das, was in unserem Volk passiert, ist exakt der Weg zurück nach Auschwitz." (Dr. Holzgartner) Eine "ungeheuer geölte Tötungsmaschine, die jährlich eine Stadt etwa in der Größe zwischen Ulm und Augsburg ausradiert," (ders. in der SZ vom 7.7.80) bringt unseren Staat an den Rand des Ruins - die "internationalen Sozialisten" wollen vermutlich den Staat schwächen, um ihn den Russen auszuliefern. Dieser Vorwurf hindert den Holzgartner aber nicht, sich mit den von ihm als "Verbrecher" und "Mörder" titulierten Politikern an einen Tisch zu setzen und darüber zu diskutieren, ob die Wortwahl nicht "zu hart", "plakativ" etc. war; und jemand, der dies als Aufruf zur Gewalt (miß-)verstanden und die "pro familia"-Stellen angezündet hat, muß ganz einfach spinnen: "Ein 25jähriger, der nach ersten Anga- ben der Polizei offenbar den Eindruck geistiger Verwirrung machte" (Deutsches Ärzteblatt 27/80). Die als links verschriene "pro familia" ließ mit dem Konter gegen den Faschismusvorwurf nicht lange warten: "Ab 1933 finden wir jene Methoden in Vollendung, die Sie" (gemeint ist der Ärztekammerpräsident Dr. Vilmar) "wiederum in Ansätzen empfehlen und in angeblich humaner Absicht diskutieren." (Prof. Amendt, "pro familia", Bremen, im Deutschen Ärzteblatt 31/79) Die Nazis betrieben die frauenverachtende "vollkommene (!) Funk- tionalisierung des weiblichen Körpers" (Modell "Lebensborn") "- die totale Aufhebung individueller Entscheidung." (ders.), eine Politik, die nicht mehr in die heutige Zeit paßt. Der Einsatz für die "freiheitliche" Funktionalisierung beseitigt jeden Gedanken daran, daß es um die "konkreten Bedürfnisse und Lebenssituationen der Frauen und ihrer Partner" (ders.) geht: "Auch der Nationalsozialismus konnte - trotz aller Repressionen - jedoch nur (!) einen kurzfristigen" (immerhin!) "Geburtenunstieg erreichen. Und selbst dieser Anstieg verliert viel von seinem na- tionalsozialistischen (?) Glanz: er blieb unter der Durch- schnittshöhe der Jahre 1922 bis 1926 der Weimarer Zeit," wo "der Abbruch überall geduldet wurde." (Prof. Amendt) Wie der Staat am besten an seine Soldaten kommt, wird also offen und frei diskutiert - mit der ganzen Wucht der ärztlich-ethischen Verantwortlichkeit für "das Leben"! zurück