Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK FAMILIE/FRAU - Fröhliches im Intimbereich


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       Korrespondenz
       
       "Unredliche Kritik an klassenkämpferisch gesinnten Menschen"
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       Zu MSZ  2/86 -  "Ordnung muß  sein!" (Über  aktuelle  alternative
       Staatstheorie)
       
       Ihr seid  schon komisch: Da schreibt Ihr ein Buch, in welchem Ihr
       - zutreffend  allemal - den Staat ableitet. Dann beklagt Ihr, daß
       sich sowieso  keine Sau für den theoretischen Mist interessiert -
       und meint,  mit Artikeln  in der  Weise von  Schlaglichtern  (MSZ
       2/86: Wallmann-Artikel) sei das geleistet, was Ihr in der Einlei-
       tung zu  Eurer Staatsableitung  als Erschließen  des Grundes  der
       "aktuellen Kollision  von Staat  und Bürger"  aus ihr  selbst be-
       zeichnet.
       Und wenn dann schon mal ein paar klassenkämpferisch gesinnte Men-
       schen wie  Gremliza, Amendt, Ebermann daherkommen und die theore-
       tische Debatte über den Staat, die ja immer auch Strategiedebatte
       ist, aufleben  lassen -  ja dann stülpt die MSZ dem ganzen Unter-
       fangen die grüne Zipfelmütze über, und schon ist das garstige Ur-
       teil fertig: Ordnung muß sein!
       Eure Verurteilung  der Hamburger Debatte, die - nebenbei gesagt -
       alles andere  als eine  grüne Kungelei  darstellte,  unterschlägt
       nicht nur  die unterschiedlichen Positionen der revisionistischen
       Teilnehmer; Euch wird doch noch der Unterschied zwischen Revisio-
       nisten vom Schlag Amendt/Gremliza auf der einen, Ebermann auf der
       anderen Seite  geläufig sein.  (Hierzu ein Hinweis für die MGler,
       die außer  MSZ, "Titanic"  und "Essen  und Trinken" nichts lesen:
       Die Zeitschrift  "Konkret" veranstaltet eine Diskussionsreihe; in
       Hamburg war  Nr. 1  eine Veranstaltung  mit dem Titel "Ist dieser
       Staat unser  Staat?", zu  der Amendt (DKP), Ebermann (GAL, früher
       KB), Schily (Grüne) und eine Susanne v. Paczensky (Frau, SPD) re-
       deten.)
       Daß Schilys  Standpunkt mit  dem von Ebermann identisch ist, wird
       von Euch  durch die  Zitierweise zwar suggeriert, aber wohl nicht
       im Ernst  behauptet. Daß  beider Standpunkt  der der Ordnung ist,
       behauptet Ihr  zwar; das beweisen aber nicht mal Eure Zitatcolla-
       gen. Ebermann,  mit dem  Eure Zitatensammlung  beginnt, führte in
       der   Debatte    gerade   nicht    aus,   was    es    mit    den
       "Bewegungsmöglichkeiten" auf  sich hat;  hätte er's  getan,  wäre
       wohl ziemlich  krauses Zeug  herausgekommen -  da teile  ich Eure
       Meinung. Aber  nie könnt  Ihr ausgerechnet  aus dem  ersten Zitat
       eine Relativierung  seiner Staatskritik  ableiten. Gleiches  gilt
       für das  zweite Ebermann-Zitat  mit dem  Konsens: Geschenkt,  daß
       sich der Staat in seinen Entscheidungen nicht vom Konsens der Un-
       tertanen abhängig  macht -  behauptet Ebermann  auch nicht. Aber,
       und da  ist Ebermann, der alte Kämpfer, doch ein Stück weiter als
       Ihr mit  Eurer revolutionären  Beamtenmentalität, die  Ihr  nicht
       eine betriebliche Auseinandersetzung anders als kommentiert habt:
       Ebermann   w i l l  politisch eingreifen, er will Leute bewegen -
       nur so kann er dem Ziel der Kommune näherkommen; er weiß - und da
       kann man  ihn lang und breit zitieren - daß der Staat zerschlagen
       werden muß  (auch wenn "Konkret" das in Anführungszeichen setzt).
       Verrückterweise ist er ja mit dieser Absicht zu den Grünen gekom-
       men -  als wäre nicht der Fortschritt von der marginalen Existenz
       als Kommunist zum Mitglied dieser grünen Partei verbunden mit der
       theoretischen wie  praktischen Relativierung seines Ausgangspunk-
       tes durch  die Aufnahme  der  demokratischen  Konkurrenz  um  die
       Macht.
       Daß Ebermann  kein korrektes Staatsverständnis hat, wird angedeu-
       tet in  seiner Äußerung  vom "Staat  als  konzentriertes  gesell-
       schaftliches Kräfteverhältnis"  (von  Euch  zitiert);  deutlicher
       wird er,  wenn er  über "Risse  im Staatsapparat" (von Euch nicht
       zitiert) redet  und hierfür den Offiziersaufstand in Portugal be-
       nennt. Natürlich  ist Ebermanns  Alternative -  monolithisch oder
       rissig -  blöd; das sind Bilder, die die Erklärung nicht ersetzen
       können. Ihre  Intention ist  klar festzumachen:  Ebermann mustert
       die Welt  nach Chancen  für die Durchsetzung seiner geliebten Ar-
       beiterklasse durch - und kommt, wie alle Revis, auf den Staat.
       Und das  genau ist der Unterschied zu Schily, den Ihr im Fortgang
       Eures Artikels  zitiert, diesmal merkwürdigerweise mit Namensnen-
       nung: Für  Ebermann soll der Staat Mittel sein, ihn abzuschaffen;
       Schily, der  alte Rechtsverdreher,  liebt seinen  Beruf  viel  zu
       sehr, als daß er ihn mitsamt Staat abschaffen wollte. Eure Kritik
       ist unredlich,  da sie  diesen  Unterschied  unterschlägt.  Dabei
       müßte Euch  doch aufgefallen  sein, daß Michael Stamm von der GAL
       vollkommen zutreffend  gegen Schilys  Wolfsnatur-Geschwalle Stel-
       lung nahm;  daß Ebermann  gerade das  Schily-Wort, was  Ihr  ohne
       Kennzeichnung an  den  Schluß  Eures  Artikels  gestellt  habt  -
       "luxurierende Kritik  am Staat"  -, als  "unglaublich brutal" ab-
       lehnte.
       Ich kann  nicht glauben,  daß Euch das nicht aufgefallen ist. Ihr
       insistiert auf  der Identität der Resultate von Standpunkten, die
       offenkundig nicht  herzustellen ist - wobei Ihr selbst die Unter-
       schiede in  den Standpunkten  dem Leser  unterschlagt. Schludrig-
       keit? Absicht?  Beleidigt sein,  weil man zu der Diskussion nicht
       eingeladen war?  - Ich wähle die erste Möglichkeit, weil ich Euch
       immerhin als  Analytiker, wenn  schon  nicht  als  Klassenkämpfer
       schätze.
       
       N.D., Bonn
       
       Staat und Recht als Chance
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       Was die  von uns  vernachlässigten Unterschiede  in der Hamburger
       Debatte angeht,  so hast  Du ja  nun ein paar "Differenzierungen"
       nachgereicht. In  der Beantwortung der Frage, warum wir wohl säu-
       mig geworden  seien, liegst Du allerdings schief. Auf die Sortie-
       rung der  Positionen und die relative Ehrenrettung der einen oder
       anderen Mannschaft ist es uns schlicht und einfach nicht angekom-
       men. Und zwar deswegen, weil wir angesichts  d i e s e r  Debatte
       nur  eines   für  wichtig   hielten:  zu   zeigen,  mit   welchen
       M a ß s t ä b e n   sich heute die Leute ans Werk machen, die als
       Kritiker gelten.  Dafür steht  auch unsere "Zitierweise", die gar
       nichts "suggerieren"  soll, sondern nur die Logik belegt, mit der
       so unerquickliche Streitereien inszeniert werden. Ein anderes Mal
       steigen wir  schon wieder  den einzelnen "Linien" nach und werden
       den ihnen  eigentümlichen Fehlern und Zielsetzungen "gerecht". Im
       übrigen stellen  die nun  abgedruckten Argumente  von Dir ja auch
       nicht gerade eine Rechtfertigung von Positionen dar, die - sobald
       man sie  "näher" betrachtet  - wunder  was für sich haben. Daß Du
       mit Deiner Charakterisierung nichts von ihnen hältst, ist kaum zu
       übersehen. Leider läßt Du es damit nicht sein Bewenden haben. Ge-
       gen die Gemeinsamkeit der Abteilungen des politischen Verstandes,
       die sich  da ans Fragen machten, führst Du schon noch einen rela-
       tiven Vorzug  an -  getrennt von  und zusätzlich  zu den Befunden
       über die  gebotenen "Theorien". Dem mögen wir uns nicht anschlie-
       ßen und sagen auch gleich, warum.
       1. Der  "Rechtsverdreher" verwandelt jeden gesellschaftlichen Ge-
       gensatz und  seine politische Verwaltung in eine Frage des Rechts
       - teils in eine der Anwendung des geltenden Rechts, teils in sol-
       che der  Maßstäbe, die er mit Verfassungsinterpretation etc. ver-
       wirklicht sehen  will. Zur  politischen Opposition zählt er sich,
       weil er  dem Recht eine Eigenschaft anhängt, die es nicht hat: Er
       nimmt es  als  d a s  Mittel aller möglichen Geschädigten und Zu-
       kurzgekommenen -  und bisweilen zählen auch die "Verfassung", die
       "Demokratie" oder  die "politische  Kultur" zu den Leidtragenden.
       In Sachen  Kritik bringt  dieser praktizierte  und durchaus aner-
       kannte Rechtsidealismus nur Unwahrheiten zustande, was die Gründe
       betrifft, die  Bürger gemeinhin als "Mißstände" verstanden wissen
       wollen. Seiner  ideologischen und praktischen Wirkung nach stellt
       dieses  Verfahren   des  öffentlichen   Einwands   eine   einzige
       V e r p f l i c h t u n g s k a m p a g n e   dar -  und zwar auf
       die staatlich  gesetzten Regeln,  nach denen Ausbeutung und Impe-
       rialismus so erfolgreich abgewickelt werden. Was sich Schily seit
       seinem Aufstieg  zum politischen  Protagonisten so geleistet hat,
       dürfte Dir ja genauso stinken wie uns: Im Innern hat er dem Klas-
       senstaat das  Bedürfnis nach  Saubermännern entgegengeschleudert,
       und sein außenpolitischer Nationalismus ist mit der Zuständigkeit
       des imnperialistischen  Deutschland für  Gott und  die Welt recht
       zufrieden. Seine  "Alternativen" haben  den Standpunkt  "unserer"
       Verantwortung stets in Ehren gehalten.
       Daß ein  gestandener Revisionist  nicht dasselbe treibt, wolltest
       Du uns  nun in Erinnerung bringen. Gut so. Umgekehrt erlauben wir
       uns jedoch,  auf die  handfesten Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Wie
       geht denn  die politische  Kritik am Klassenstaat bei den langsam
       aussterbenden Jungs von der Stamokapfront? Ist da nicht der Staat
       "eigentlich" ganz in Ordnung? Wird er nicht  m i ß braucht, durch
       die Reichen  und für ihren Profit? Gehört nicht zum Revisionismus
       seit jeher  die ätzende  Vorstellung, ein  konsequent angewandtes
       Grundgesetz wäre  ein einziges  Bollwerk gegen  die Ausbeutung in
       der Fabrik und anderswo? Wer will denn immer alles noch gerechter
       verteilen, und  wer will  denn den "Kampf um Rechte" immer wieder
       aufpolieren? Noch dazu mit dem sagenhaften Argument, daß das erst
       einmal   günstig    zurechtgekämpfte   Recht   eine   erträgliche
       B e d i n g u n g   wäre -  für die  Opfer des  Rechts und  ihren
       Kampf!
       Kurz -  die Identität  beider Linien  gibt es durchaus. Staat und
       Recht gelten ihnen als Bedingung = Chance = Hebel!
       2. Diese Gemeinsamkeit bildet dann auch die Grundlage für den ach
       so fruchtbaren  Diskurs zwischen  den Lagern.  Wir, denen  Du das
       Kompliment verabreichst,  über den  Klassenstaat Bescheid zu wis-
       sen, finden  diese Debatte  abgeschmackt - und das hätten wir als
       Kritik an  der ominösen  Frage auch dem Kongreß in Hamburg zu er-
       zählen gewußt:  "Ist der  Staat unser  Staat?" wird  ja nicht ge-
       fragt, um zu klären, wie das Verhältnis von Staat und seinen Bür-
       gerabteilungen geht.  So rätseln  Leute herum,  die sich um ihren
       Staatsladen Sorgen machen, weil sie nie ein objektives Urteil su-
       chen,   sondern    mit   der    Bedingungs-   und    Chancenlogik
       a n f a n g e n.   Und da  ist es  allemal konsequent, wenn statt
       Erkenntnissen lauter Bekenntnisse ausgetauscht werden. Der Unter-
       schied zu uns liegt deshalb auch nicht darin, daß die Diskutanten
       von Hamburg  fürchterlich   p r a k t i s c h  sind, wir hingegen
       n u r  s c h l a u.  So praktisch wie die sind wir schon 20 Jahre
       lang und  das Kompliment,  die  wollten  "politisch  eingreifen",
       "Leute bewegen" unterschlägt das Wie und Wozu!
       3. Vielleicht  wunderst Du  Dich, zu  hören, daß wir es nicht für
       "verrückt" halten, sondern für konsequent, wenn Revisionisten bei
       Grünen antanzen, um mit ihnen über "Strategie" zu streiten. (Vgl.
       dazu MSZ  3/1985) Der  Opportunismus, der  sich hier  zu schaffen
       macht, setzt  die Bedingungslogik  in Sachen  Staat nur fort. Das
       bißchen  revisionistischer  Arbeiterkampf  "berücksichtigt"  halt
       sehr gern  die  Kräfteverhältnisse,  die  "wirklichen";  entdeckt
       "Bedingungen" fürs  "politische Eingreifen", fürs "Bewegenwollen"
       in jeder  Bewegung, die  sich bewegt.  Daß dem "Erfolgskriterium"
       der politische  Inhalt geopfert wird, daß aus vielen Ex-Revis ge-
       standene Friedensmenschen geworden sind, macht da gar nichts. Man
       ist ja  wo dabei, wo was läuft - und kann rückblickend die "Krise
       des Marxismus" ausrufen, von dem man nie sonderlich viel verstan-
       den und  gehalten hat. Und sich den Ehrenbutton umhängen, furcht-
       bar praktisch zu sein und sich an Wahlkämpfen zu begeistern.
       Warum wir Dir das erzählen? Weil Du Dich dieser Tour des Ersatzes
       von Klassenkampf  durch Wahlkampf zumindest in dem Vorwurf an uns
       anschließt, wir  würden nur  "kommentieren". Wie sollen Marxisten
       denn sonst  Arbeiter, die  ebenso  politisiert  denken  wie  brav
       Schaffen, auf die Notwendigkeit bringen, die Bande davonzujagen -
       als durch  korrekte Erklärungen  über Politik und Kapital, Wahlen
       und Lohnarbeit?  Daß aus unseren Zeitungen kein Kampf wird, liegt
       weder daran,  daß wir sie zu knapp verteilen und den chinesischen
       Imperativ unserer Revi-Freunde aus vergangenen Tagen meiden. Noch
       daran, daß  wir die  Hamburger "Strategie-Debatte" geschwänzt ha-
       ben. Wenn den Marxisten einiger Mißerfolg in diesem unserem Lande
       beschieden ist  (und anderswo), so geht nämlich nicht daraus her-
       vor, daß sie  i m  U n r e c h t  sind und sich einfach etwas an-
       deres vornehmen als das, was sie eingesehen haben...
       Oder, um  es ganz  deutlich zu  sagen: Du  schätzt uns nicht "als
       Klassenkämpfer", obwohl  Du weißt,  daß wir als einzige überhaupt
       noch organisiert für Klassenkampf eintreten. Und die anderen, die
       sich von  solchen Geschichten längst verabschiedet haben, kriegen
       Deine Anerkennung?  Mit welcher  Begründung eigentlich außer der,
       daß sie "was machen", halt bloß verkehrtes Zeug?
       4. Welchen  Widerspruch Du  ganz nebenbei  an M.  Stamm studieren
       kannst. Wenn  unser alter Freund wieder einmal was Richtiges ver-
       lauten läßt  - und das kommt oft vor -, freuen wir uns jedes Mal.
       Uns fällt  bloß auf,  daß er es gegen die Szene und Bewegung tut,
       in der er sich zu schaffen macht. Seine Agitation steht zu seiner
       politischen Umwelt  nicht nur  in dem Verhältnis einer Kritik von
       anderen, verkehrten Anschauungen, die er zu korrigieren versucht.
       Vielmehr hat es der gute Stamm mit Leuten zu tun, die sein Wissen
       nie mehr brauchen werden in diesem Leben, weil sie erklärtermaßen
       auf einen  anderen Zug aufgestiegen sind. Die meisten wollen doch
       gar nicht  wissen, wie  Politik und Kapital gehen, weil sie sie -
       bedingt, wie  es sich für kritische Demokraten gehört - schätzen.
       Und das  reicht nicht nur für eifrige Einmischungsversuche in die
       demokratische Konkurrenz  um die  Macht (die  Du ja mißbilligst),
       sondern auch für manche saftigen Antikommunismen.
       
       MSZ-Redaktion
       
                                     ***
       
       "Wesentliche Bestandteile menschlicher Existenz"
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       Betrifft: MSZ  Nr. 3/4 1986 "Recht und Moral vor den letzten Fra-
       gen"
       
       Zu Ihrem Beitrag:
       1. Entgegen  Ihrer Ansicht  sind Leben,  Sterben und Gehurt keine
       'Grenzfragen' oder  gar 'letzte Fragen' des menschlichen Daseins,
       sondern notwendige und wesentliche Bestandteile menschlicher Exi-
       stenz.
       Sie folgen  der christlichen  Ethik, die  diese letzten Dinge mit
       einem gesellschaftlichen Tabu belegt hat.
       Danach darf sich der Mensch selber keine Gedanken über diese Fra-
       gen machen, sondern muß die Lehren der geoffenbarten Religion und
       ihrer Vertreter  in Kirche  und Staat widerspruchslos übernehmen.
       Schon gar  nicht darf er sich das Recht herausnehmen, selber dar-
       über zu bestimmen, da es ja dem profanen Gebrauch der 'WELT' ent-
       zogen ist und somit 'heilig' ist.
       Nur die,  nach HEGEL u. a. selber heilige bzw. göttliche Institu-
       tion 'STAAT'  darf diese  Fragen per Dekret ihren Untertanen vor-
       schreiben. So  muß sich notgedrungenerweise auch die Jurisprudenz
       (BVerfGer.) damit  beschäftigen. So  wird wieder  einmal ein men-
       schlicher Bereich  juristisch kriminalisiert  (vgl.  Paragr.  218
       StGB u.a.m.), obwohl es Fragen der religiösen Ethik und nicht von
       Schuld und Sühne im juristisch-kriminalistischen Sinne sind.
       2. Daß,  wie Sie treffend erkannt haben, die BRD in Art. 2 Abs. 2
       ihres Grundgesetzes  das Recht  auf Leben  und körperliche Unver-
       sehrtheit garantiert,  ist richtig.  So heißt  es weiter, daß die
       'Freiheit der  Person' unverletzlich  sei und daß in diese Rechte
       nur aufgrund  eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Dies halte
       ich für  einen eklatanten Widerspruch, denn wenn etwas UNVERLETZ-
       LICH ist,  darf es  auch ein  Gesetz nicht  abändern oder  gar de
       facto beseitigen.
       Ich bin  deshalb dafür,  diesen 3. Satz des Abs. 3 ganz zu strei-
       chen, da er widersprüchlich und somit überflüssig ist.
       3. Da  jeder Mensch  das Recht auf Leben, körperliche Unversehrt-
       heit und  persönliche Freiheit  hat, ist er auch berechtigt, über
       Zeugung, Geburt  und den  eigenen Tod  selbst zu entscheiden. Ein
       BRDigungsinstitut mit  einem 'staatlichen  Anspruch auf das Leben
       seiner Bürger von der Wiege bis zur Bahre' ist mit humanistischer
       Ethik nicht  vereinbar. Deshalb  ist 'Aufklärung  der Ausgang des
       Menschen aus  seiner selbstverschuldeten  und - obrigkeitlich ge-
       förderten'- Unmündigkeit = (1. KANT).
       4. Das  von Unionschristen  und reaktionären Kräften jeder Schat-
       tierung geäußerte  Argument, das  'Leben schützen zu wollen', ist
       scheinheilig und  unglaubwürdig. Vielmehr geht es ihnen neben bi-
       gotter Selbstdarstellung  um die  Macht über  'unsterbliche  Men-
       schenseelen', egal  ob im  Mutterleib oder anderswo dahinvegetie-
       rend.
       Es ist  zutiefst widersprüchlich,  nur Anfang und Ende des Lebens
       schützen zu wollen. Wenn dies jemand aus einem christlichen Welt-
       verständnis her  tun will, muß er auch das dazwischenliegende ei-
       gentliche Menschenleben schützen.
       Willkürliches Einsperren  in Gefängnisse  und 'Irrenhäuser', Ver-
       haltensmaßregelungen durch eine undurchdringliche Bürokratie, Ar-
       mut und  Massenarbeitslosigkeit, Entfremdung  in Familie  und Ar-
       beit, Tötung  in 'gerechten' oder gar 'heiligen Kriegen', massive
       Gewaltanwendung durch Polizei und Militär, Bespitzelung durch Ge-
       heimdienste, Mauern  und Stacheldrähte  an 'Friedensgrenzen', das
       alles wären  Aufgaben für  den, der  vorgibt,  das  Menschenleben
       'schützen' zu wollen.
       Doch das  bleibt mit  Gottes Segen  bis zum besseren Jenseits der
       'ganz normale Wahnsinn'.
       
       K.W. B., Nürnberg
       
       Eine gutgläubige Täuschung über das Recht
       -----------------------------------------
       
       Ihre Absicht,  die Menschheit vor den rechtlichen und moralischen
       Anschlägen von Kirche und Christenpolitikern retten zu wollen, in
       allen Ehren. Bloß:
       1. Die  Ironie im Titel "Letzte Fragen" haben Sie glatt übersehen
       und unserem  Artikel partout  nicht entnehmen wollen, daß wir uns
       ziemlich ethikfeindliche  Gedanken gemacht  haben, warum  und wie
       Kirche und  Politik (die  Justiz eingeschlossen, die ja nun alles
       andere als  ein Opfer  der politischen  Interessen, vielmehr  ihr
       Diener ist)  die geistige  und wirkliche  Macht  über  Leben  und
       Sterben beanspruchen  und  durchsetzen.  (Daß  wir  lauter  Tabus
       brechen, wollen  wir gar  nicht erst behaupten; das ist denn doch
       zu einfach!)  Das liegt daran, daß Sie von Ihrem Glauben an Recht
       und Moral  - ein  besseres und  eine ehrlichere  -  nicht  lassen
       wollen. Die gesetzlichen Vorschriften, wie man es mit Abtreibung,
       Sterbehilfe usw.  zu halten  hat, sind Ihrer Auffassung nach eine
       ungebührliche  Bevormundung   eines  an   sich  aufgeklärten  und
       selbständigen Bürgers  und eine  Vergewaltigung des  Rechts durch
       ihm wesensfremde  kirchlich-ethische Staatsgewalt,  letzteres ist
       eine gutgläubige Täuschung über das Recht.
       2. Das Grundrecht auf Leben, Unverletzlichkeit... samt seinen Zu-
       satzbestimmungen ist  kein Widerspruch,  der sich einfach dadurch
       auflösen läßt,  daß man den ungeliebten Zusatz beseitigt; der ist
       nämlich alles  andere als  überflüssig, er  ist der Witz, der dem
       hehren Hauptparagraphen seinen rechtlich einwandfreien Sinn gibt:
       Die gnädige  Erlaubnis zum  Leben, Personsein usw., die der Staat
       da seinen  Bürgern verpaßt,  verbietet nämlich nur denen, sich an
       diesen Rechtsgütern  zu vergehen.  Sich selbst  aber  gesteht  er
       'ausnahmsweise' jeden  Eingriff zu,  der ihm nötig erscheint. Wie
       immer, wenn  es um  Rechte und  Pflichten geht, entspringen beide
       Seiten dem  staatlichen Anspruch,  sich die  Entscheidung darüber
       vorzubehalten, was  seinen Rechtsuntertanen  zusteht. Er bestimmt
       mit ihren  Freiheiten auch deren Grenzen - Unversehrtheit und Le-
       ben eingeschlossen. Wenn es nicht ums Verbieten und um die Siche-
       rung staatlicher  Rechte gegen  Bürgeransprüche ginge  - er müßte
       ihnen  ja  wohl  nichts  erst  erlauben.  Das  Recht  prinzipiell
       hochzuhalten, die  Pflicht aber  als Verstoß  gegen  das  Prinzip
       streichen zu  wollen, das  ist zwar  menschenfreundlich  gedacht,
       aber wenig 'aufklärerisch' gegenüber Grundgesetz und Verfassung.
       3. Die Pflicht verschwindet bei Ihnen denn auch gar nicht aus der
       Welt. Sie  feiert als persönliches Verantwortungsgefühl eines mit
       'humanistischer Ethik'  ausgestatteten 'mündigen'  Menschen  ihre
       Auferstehung. (s.  Kant!) Soll  man denn wirklich, kaum wehrt man
       sich gegen  die gewaltsame  Verfügung über  Leib und Leben, schon
       wieder der  Auffassung sein, man hätte es mit den höchsten Gütern
       zu tun  und deshalb den Umgang damit entsprechend zu verantworten
       - und  sei es  auch vor  den Grundsätzen des eigenen guten Gewis-
       sens, durch  das sich  das Recht  auf eigene Entscheidung legiti-
       miert?
       4. Im  Versprechen, das  Leben staatlich zu "schützen", entdecken
       Sie nicht  die Anmaßung,  die Umstände  des täglichen Lebens "von
       der Wiege  bis zur  Bahre" staatsdienlich  einzurichten - von Ge-
       waltfreiheit, von  freiem Wollen  und ungezwungenem  Tummeln, von
       gutem Auskommen, kurz: von einem zufriedenstellenden Leben ist ja
       aus gutem  Grund im  Grundgesetz nicht  die Rede, sondern von dem
       abstrakten Grundsatz  'Leben' und  dessen Grenzen  an staatlichen
       Belangen -  ganz jenseits  der Mittel, mit denen man dieses Leben
       gestalten kann.  Dagegen lesen Sie ungefähr solche Versprechen in
       die Paragraphen  hinein, mißverstehen das mit dem "Schutz" gründ-
       lich, denken  also all die menschenfreundlichen Bestimmungen ein-
       fach wieder  ins Recht  hinein, von denen das gerade wohlweislich
       abstrahiert - und behaupten deshalb, der ungemütliche rechtsförm-
       liche Staatsalltag  sei ein einziger Widerspruch zur christlichen
       Moral, zu  rechtsstaatlichen Grundsätzen  und zu  christliberalen
       Politikversprechen. Bloß,  seit wann hat denn "christliches Welt-
       verständnis" sich je an den Lebensumständen der lieben Gotteskin-
       der gestört und nicht umgekehrt darauf gedrungen, sie gott-gefäl-
       ligst zu ertragen?! Seit wann schützt denn der Rechtsstaat ausge-
       rechnet den  Menschen vor  der Gefahr, daß die Bürger sich zuviel
       Freiheiten gegenüber  der Obrigkeit  herausnehmen  könnten?!  Die
       Vorstellung, Politik  - die "reaktionäre" jedenfalls; wie steht's
       denn mit den sozialliberalen politischen Lebemännern?! - verginge
       sich "wahnsinnig"  am versprochenen Recht auf ein besseres Leben,
       ist -  wie aufrichtig immer gemeint - dreimal unglaubwürdiger als
       die berechnende Scheinheiligkeit der christlichen und sozialdemo-
       kratischen Politiker und ihrer moralischen Stützen in den Gottes-
       häusern. Die  haben nämlich wirklich das Recht und die Verfassung
       und damit die anerkannte Macht auf ihrer Seite.
       
       MSZ-Redaktion
       

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