Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut
zurück Münchner Hochschulzeitung, 13.05.1981 Sonderausgabe Sozialwesen DiskussionsveranstaltungZUR ZEITGEMÄSSEN KORREKTUR DES SOZIALSTAATS
Eins ist sicher: Wer vom Sozialstaat lebt, sind die Sozialarbei- ter - sie üben schließlich in seinen Diensten ihren Beruf aus. Aber wer sonst: "Das Finanzverhalten der Bundesbürger hat sich trotz der ungün- stigen konjunkturellen Entwicklung nicht nachhaltig verändert: Überziehungskredite auf Lohn- und Gehaltskonten erfreuen sich im- mer größerer Beliebtheit, wie eine dpa-Umfrage ergab. Obwohl der Zinssatz mit 15% sehr hoch ist, sind diese Kredite immer noch billiger als andere Kreditformen, da sie relativ schnell mit dem Eingang des neuen Gehaltes ausgeglichen werden können, erläuterte ein Bankensprecher. Hinzu kommt, das die Dispositionskredite dem Sparkassen- oder Bankkunden auf unbürokratischem Wege individuell gewährt werden." Was wird im Wirtschaftsteil so ganz nebenbei in einer Kleinstmel- dung der Öffentlichkeit mitgeteilt: Die Bundesbürger nehmen zur Zeit keine echten Kredite auf und überziehen ihre Konten statt- dessen durch die alltäglichen Ausgaben. Wie sieht das der Wirt- schaftsfachmann als "Beliebtheit" von Überziehungskrediten - nichts lieber als mehr auszugeben als man hat -, und schon werden die Banken, die aus der Armut Kapital schlagen, zur menschen- freundlichen Institution, die den Wünschen ihrer Kunden durch hohe, i.e. relativ niedrige Zinsen entgegenkommt. Die Freude des Autors an solchen Zusammenhängen ist unverkennbar. "Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg braucht 4,8 Mrd. DM mehr als die bisher vorgesehenen 3,7 Mrd DM als Zuschuß des Bun- des für das zu erwartende Finanzierungsdefizit für 1981. Der Ver- waltungsrat hat den vor der Bundestagswahl 1980 abgeschlossenen Haushalt um 4,7 auf 28,4 Mrd. DM erhöht. Er muß noch von der Bun- desregierung genehmigt werden. Allein der Ansatz für Arbeitslo- sengeld erhöht sich um über 2 auf 12,6 Mrd. DM. Der Verwaltungs- rat hat den Gesetzgeber aufgefordert, die finanziell bindenden Gesetzesnormen zu überprüfen. Besondere Sorge bereite die Kosten- explosion bei den Rehabilitationsleistungen." Ist der totale Versorgungsstaat ausgebrochen, daß sich Vater Staat - obwohl, wie man hört, selbst in Geldnöten - eigens für die Arbeitslosen in Unkosten stürzt? Das Gegenteil ist der Fall: Da verkündet die Regierung seit langem, daß man damit rechnen müsse, daß die Arbeitslosenzahlen steigen - und kalkuliert dabei sehr scharf mit den Geldern, die sie für den nicht-werktätigen Teil der Bevölkerung (nicht) ausgeben will. Wo sind denn die Gelder geblieben, die den Arbeitnehmern zwangsweise vom Lohn ab- gezogen werden, damit sie gegen Arbeitslosigkeit "gesichert" sind? Daß die Unternehmer rationalisieren, um ihre Gewinne zu er- höhen, ist dem Staat offensichtlich sehr recht. Daß dabei Millio- nen arbeitslos werden und keinen Lohn mehr haben, von dem sie recht und schlecht leben können, ist d e r e n Problem. Dem Staat jedenfalls ist es eine Last, mit der er recht gut fertig wird: Um jede "Aufstockung" der leeren Kassen", nicht nur in die- sem Ressort, findet ein munteres Gerangel statt. Zwischen den verschiedenen Instanzen wird um Dinge gestritten, durch die der Betroffene in seiner Eigenschaft als Zeitungsleser sowieso nicht durchsteigt - Gesetzesnormen werden "überprüft" und vorsorglich wird die Lösung als Problem der "Kostenexplosion" vorstellig ge- macht - man wird wohl an den Ausgaben sparen müssen. Soviel ist jedenfalls klar: dafür, daß die Kundschaft der Sozial- arbeiter wächst, ist gesorgt Und woran liegt's: "Je größer die Geldsumme, die für soziale Zwecke ausgegeben wurde, um so größer wurden auch die Ansprüche vieler Bürger. Be- sitzstandsdenken machte sich ebenso breit wie die Neigung her- auszuholen, was immer die Sozialkasse hergibt. Wo früher der Wille zu Selbsthilfe dominierte, erschallt heute immer lauter der Ruf nach dem Staat, der - so Ernst Benda - 'uns gegen alle Mißer- folge und Lebensrisiken schütze soll'." Die Schuldigen sind die Betroffenen: Hätten sie ihr "Anspruchs- denken" nicht, hätte der Sozialstaat sich nicht so sinnlos verausgabt, und alles wäre anders. Wie kommt es eigentlich, daß in der bundesdeutschen Öffentlich- keit ganz offensichtlich Lügen verbreitet werden, von denen jeder weiß, daß sie nicht stimmen: L e b e n konnte man doch noch nie von dem, was der Sozialstaat einem zugesteht. Seit wann ist denn der Gebrauch des "sozialen Netzes" sein Mißbrauch; "Ansprüche" macht man doch geltend, weil der Sozialstaat an jeden Pfennig, den er rausrückt, tausend Bedingungen knüpft; und "Anspruchsdenken" gibt es doch gar nicht: daß man ohne bestimmte Dinge nicht leben kann, ist doch wohl keine Sache des Denkens, geschweige denn "überzogenen" Denkens. Was hat es eigentlich auf sich mit der Gerechtigkeit, die der Staat in seiner Sozialpolitik derzeit durchsetzen will, wenn Argumente wie "Mißbrauch" und "Anspruchsdenken" dafür ins Feld geführt werden? Von Sozialarbeitern hat man zu dieser Frage bisher nur eins ver- nommen, die Forderung "weniger Ausgaben für die Rüstung, mehr Für Soziales". Offensichtlich nehmen sie die aktuellen Praktiken des Sozialstaats einschließlich der Hetze gegen die Sozialfälle zum Anlaß, nicht weniger Klienten, sondern mehr Sozialarbeiter zu fordern. Gibt es denn wirklich nichts anderes dazu zu sagen als das selbstbewußt vorgetragene Gejammer über die mangelnde staat- liche Berücksichtigung der eigenen Bedeutung? Wir fordern auf zur Diskussionsveranstaltung über die zeitgemäße Korrektur des Sozialstaats in Bogenhausen: am Do 21.5. 15 Uhr Raum 102 Stiftungsfachhochschule: Termin wird noch bekannt gegeben zurück