Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut


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       Sozialarbeiter kritisieren die geplante Reform des Sozialhilfege-
       setzes:
       

IST DAS DENN NOCH SOZIAL?

Worum es bei dieser Blüm'schen Gesetzesnovelle geht, ist kurz ge- sagt. Blüms Kabinettsfreund Bangemann und andere Kollegen tun ei- niges dafür, daß die deutsche Wirtschaft so wuchtig wie eben mög- lich vorwärts dampft; und weil die Erfolgskriterien und -bedingungen dieser Dampfwalze ein wenig kapitalistischer Natur sind, findet sich eine immer größere Anzahl derer, die als leben- dige Kostengrößen behandelt werden, im Heer der dauerhaft Ar- beitslosen wieder, nicht wenige werden außerdem krank, greifen vermehrt zur Flasche oder in fremde Börsen etc. pp. Für Herrn Blüm bedeutet diese Folge des "Aufschwungs", daß u.a. die staat- lichen Ausgaben für Sozialhilfe ansteigen. Und was liegt da für einen Manager der Sozialkassen näher, als die Gesetzeshoheit sachdienlich in Anspruch zu nehmen, um die Finanzen für wichti- gere Dinge (z.B. die Förderung der Wirtschaft, s.o.) freizuhal- ten. Schließlich braucht dafür nicht mehr und nicht weniger be- schlossen zu werden als eine zusätzliche Verelendung derer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, wenn sie überhaupt weiterwur- steln wollen. Es wird also kräftig gedreht an den bisherigen Hilfe-Regelungen, Warenkörbe werden noch mieser definiert als bisher usw. usf. Wie es stets der Fall zu sein pflegt, wenn ir- gendein Berufsstand in staatlichen Diensten geringer dotiert wird als zuvor, erhebt sich ein Wehgeschrei unter den Agenten der So- zialarbeit. Und wie das auch anderswo üblich ist, geschieht das im Namen aller möglichen Ideale, die man sich so über den eigenen Beruf und seine Aufgabe hält. Kritik im Namen offizieller Ideologien -------------------------------------- Das hört sich dann z.B. so an: "An der Behandlung der Ärmsten ihrer armen Bürger, die von den Sparmaßnahmen der letzten Jahre besonders hart getroffen sind, erweist sich, ob die Bundesrepublik ihrem Anspruch, ein sozialer Rechtsstaat zu sein, noch nachkommt." (FR) Sollte der Kritiker mit diesem globalen Rundschlag etwa meinen, die BRD werde allmählich untragbar für ihre Bürger? Plädiert er dafür, das System abzuschaffen, wenn es seinem Anspruch nicht mehr nachkommt? Möchte er anregen, daß die Bundestagsparteien als Geste der Freundschaft und als Zeichen der Gültigkeit des Sozial- staatsanspruchs Spenden in Millionenhöhe überweisen? Meint er ernsthaft, die Behandlung der Armen sei ein "Prüfstein", an dem sich entscheidet, ob Staatsgegnerschaft angebracht sei? Ach wo! Seine Kritik ist eine einzige Vertrauenskundgabe an die Adresse der Behandlung der Armen könne den Staat in Mißkredit bringen. Er möchte ja gerne den Taten der Verantwortlichen Vertrauen entge- genbringen. Könnten diese da nicht ein Zeichen setzen, damit sich das Vertrauen auch als absolut gerechtfertigt präsentieren kann? Nebenbei bemerkt ist es schon ganz schön daneben zu meinen, ein sozialer Rechtsstaat zeichne sich dadurch aus, daß er bei Behand- lung der Armen Schamgrenzen kenne. Das genaue Gegenteil ist der Fall! Schließlich hat der staatliche Umgang mit den elendesten Opfern der marktwirtschaftlichen Ordnung nichts mit Moral zu tun (die gehört in die Sphäre öffentlicher Selbstdarstellung der So- zialpolitiker), sondern einzig mit der zugegebenen knallharten Kalkulation, wie sie am besten unter Kontrolle zu halten sind. Man kann dem Sozialstaat den Spiegel seiner Ideale auch weniger global vorhalten, um ihn daran zu blamieren: So entferne er sich von der "Bedarfsorientierung", die doch als "Grundelement der So- zialpolitik unverzichtbar" sei (FR). Was meinen Sozialpolitiker, wenn sie für ihre Aktivitäten den Grundsatz "Bedarfsorientierung" geltend machen? Eines garantiert nicht: daß sie sich bei der Festsetzung des SH-Satzes nach den Bedürfnissen der Leute oder auch nur nach einem irgendwie durchschnittlichen Bedarf richten würden. Da kämen andere Sachen heraus als 100 g Rindfleisch pro Woche und alle 10 Tage 1 Flasche Bier. Nein, sie setzen doch ganz frank und frei fest, wieviel der Staat für die überflüssig Gemachten oder sonstwie Bedürftigen springen lassen will. "Bedarfsorientierung" ist der schön klingende T i t e l, unter dem sie die SH präsentieren: als "bedarfsgerecht", will heißen: die kriegen schon, was sie brauchen! Und das ist doch wirklich nicht anders zu verstehen, als daß Sozialpolitiker denen, die nichts Anständiges leisten für's Gemeinwesen, ein paar Hundert Mark bzw. entsprechende Billigware als f ü r s i e angemesse- nen Bedarf zusprechen. Weil sie dies sowieso als gnädiges Zuge- ständnis auffassen, für das Dankbarkeit am Platz ist, nehmen sie sich auch jederzeit die Freiheit und haben dabei ein sehr gutes Gewissen diesen "Bedarf" neu zu definieren, wenn ihnen die Gelder anderweitig besser verwendet erscheinen. Wie illusionär ist dem- nach die Vorstellung der Kritiker, Politiker im Namen von deren ureigensten "Prinzipien" auf irgendein Maß der Hilfeleistung festnageln zu wollen - und sei es nur auf das vermeintlich reali- stische, der bisher Geltenden Regelung! Nicht anders verhält es sich mit dem nach Meinung von Kritikern derzeit einsetzenden "Verlust der Menschenwürde". Fragt man sich, worin diese staatlich zu schützende Menschenwürde besteht, deren Schwund doch eine so große Lücke reißen soll, so fällt einem auf, daß sie lauter Trostlosigkeiten beschreibt. Eine Erinnerung daran, daß der Mensch Bedürfnisse hat und etwas vom Leben haben möchte, ist völlig ausgelöscht. Bei wohlsituierten Leuten fällt es bezeichnenderweise keinem ein, den Maßstab der Menschenwürde anzulegen; ganz anders bei Existenzen, die sich durch besondere Drangsale auszeichnen. Ja, ein Wohnschuppen ohne Wasserklosett - da fehlt sie, die Menschenwürde! Was natürlich umgekehrt zeigt, wie billig sie zu haben ist! Es handelt sich wiederum um nichts anderes als um den moralischen Weihrauch, mit dem die Sozialpoli- tik ein Leben mit dem staatlich verordneten Existenzminimum be- sprüht. Und aus diesem Grunde gibt es auch kein Kriterium, von dem aus ein Schrumpfen dieser Würde meßbar würde: sie ist so dehnbar wie Kaugummi - weil es sich um eine wohlfeile Ideologie handelt, die von oben offiziell verkündet wird! Kritik im Namen der Betroffenen ------------------------------- Man kann sich natürlich auch auf den Standpunkt der "Betroffenen" stellen. Das sieht dann etwa so aus, daß man einen "Rechtsanspruch auf notwendige Hilfe zum Lebensunterhalt" ein- klagt, der durch eine "Zersetzung" der Sozialhilfe (keine Anhe- bung entsprechend der Teuerungsrate, Berechnung nach Niedrigst- preisen etc.) unterminiert und mit Füßen getreten werde. Forde- rungen nach Erhöhungen schwanken zwischen 10 und 30%. "...Eine solche Anhebung ist das mindeste. Immerhin beruht sie darauf, daß für den fortgeschriebenen Warenkorb - im Gegensatz zu früher - nur Durchschnittspreise der unteren Preisstufen verwen- det werden. Sozialhilfeempfänger müssen aber im Durchschnitt weit teuerer als alle anderen Bürger einkaufen. Sie haben keine grö- ßere "zusammengezogene" Summe Geld für Großeinkäufe in Billiglä- den, kein Auto als Transportmittel, sie haben Schwierigkeiten mit der Lagerung..." (Sozialmagazin) Konstruktiv-kritisch wird hier der Anspruch auf einen "realistisch gefüllten" Warenkorb angemeldet, der alle möglichen Faktoren wie Einkaufbedingungen usw. mit in Betracht ziehen müsse. Und dennoch ist diese Kritik illusionär. Das beweist schon die Tatsache, daß Inflation und Einkaufsverhältnisse für die zu- ständigen Politiker durchaus kein Grund waren, das Gesetz zu än- dern, um die Versorgung mit Konsumgütern auf dem gleichen Level wie 1970 zu halten. Die Sache mit dem gesetzlich festgelegten Wa- renkorb war eben immer schon anders gemeint: auf gar keinen Fall so, daß ein SH-Empfänger einen Anspruch hätte auf eine stets gleich große Menge und Qualität von Lebensmitteln. Er hat An- spruch lediglich auf das, was er sich mit 357,- DM "leisten" kann. Von daher hat Blüm auch kein Problem mit einer "Umfüllung" statt einer "Auffüllung". Ein "halbleerer" Warenkorb widerspricht absolut nicht einem "Recht auf notwendige Hilfe zum Lebensunter- halt." Die Rede vom Warenkorb taugt einzig und allein zur Beför- derung der Lüge, als Pauper sei man doch ganz schön versorgt, graphisch dargestellt als überquellender Picknickkorb. Ein "Rechtsanspruch" auf Hilfe ist eben nicht mit einem auch noch so mickrigen, aber immerhin vergleichsweisen Vorteil für den An- spruchsberechtigten identisch. Es handelt sich schlicht um die Form, wie Politiker ihren wenig angenehmen Entscheidungen allge- meine V e r b i n d l i c h k e i t verleihen. Als etwas Posi- tives kann man ein solches Recht nur nehmen, wenn man jedem staatlichen Zwang - hier: sich mit jämmerlichen "Hilfen" abzufin- den den Aspekt abgewinnen möchte, immerhin bestimmte Chancen ein- zuräumen, die nur leider oftmals zu gering bemessen wären. Noch ein Stück dümmer ist folgender radikaler Einwand gegen die SH-Re- form: Es dürfe nicht "ein willkürlich festgesetzter prozentualer Anstieg bis 1985 festgeschrieben werden," sondern "der notwendige Lebensunterhalt müsse nach objektiven, gericht- lich überprüfbaren Maßstäben bestimmt werden." (FR) Ach so: wenn die "Willkür" staatlicher Festsetzung des Hilfe- Satzes im Gewand "objektiver" Maßstäbe daherkommt und die pas- sende gesetzliche Form kriegt, dann ist alles gebongt und kein Einwand mehr denkbar?! Das freut den Witwer, der jetzt unanfecht- bare 385,- DM (soviel schlagen die Wohlfahrtsverbände vor kriegt... Ein ganz furchtbarer Protest ist schließlich die Klage, die neue Regelung könnte den eigenen beruflichen Einsatz erschweren, so daß der Sozialarbeiter selbst glücklich zum eigentlich Betroffe- nen erklärt wird. Und das, wo er doch voller Elan bereit ist, seinem Job nachzukommen und dem Staat bei der reibungslosen Ab- wicklung der "Armenproblematik" dienstbar zu sein. Gemein, daß die Leute jetzt weniger kriegen und Sozialarbeitern so eventuell ein paar zusätzlichen Mißerfolgen ins Haus stehen, wenn sie zum Aushalten des Elends animieren wollen! zurück