Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut
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Dortmunder Hochschulzeitung Nr. 32, 06.12.1983
Aus der Theorie und Praxis der Sozialarbeit
MÖGLICHKEITEN ALS SOZIALARBEITER
Diejenigen, die im Sozialarbeiterberuf stehen bzw. sich darauf
vorbereiten, thematisieren regelmäßig ihre Tätigkeit. Dabei sind
sehr kritische Äußerungen über die institutionalisierte öffentli-
che Hilfe durchaus üblich:
- Sozialhilfe ist zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben,
- Heimerziehung ist häufig nur die erste Stufe einer kriminellen
Karriere,
- Bewährungshilfe scheitert zwangsläufig an den Bedingungen, die
Strafentlassenen keine Chance lassen,
- Alte und Behinderte sind in Heimen wie auf einem Abstellgleis,
dazu verurteilt, vor sich hin zu vegetieren.
Immer wieder heißt es ganz allgemein:
- Sozialarbeit ist bloße Verwaltung des Elends, Sozialarbeit =
Sozialklempnerei,
- Sozialarbeiter sind zwangsläufig vor allem Kontrollorgane und
Zuarbeiter für Polizei und Staatsanwaltschaft,
- wer einmal Sozialfall geworden ist, der bleibt es meist sein
Leben lang.
Doch solche Äußerungen sind nur die Hälfte von dem, was in Sozi-
alarbeiterkreisen als Meinung über den eigenen Job zirkuliert.
Ergänzt werden sie noch stets durch das Bekenntnis: Als Sozialar-
beiter kann man aber auch durchaus einiges machen.
Wer sollte und wollte das bestreiten? Natürlich kann man "was"
machen und hat man auch "einige Möglichkeiten", ja kommt es
schließlich sogar auch durchaus darauf an, wer gerade der zustän-
dige Fürsorger ist. Nur - soll man sich deswegen gar nicht mehr
fragen, was das für Möglichkeiten sind, die man da hat? Ist es
eigentlich so klug, den Spielraum, den so manche Sozialarbeits-
stelle dem einzelnen Sozialarbeiter einräumt, für das Wesentliche
der Tätigkeit zu halten? Nach der Devise: Ich mache da sowieso
etwas ganz anderes, als man gemeinhin unter Sozialarbeit (gemäß
oben zitierter Charakterisierungen) versteht?
Auf was Sozialarbeiter tatsächlich mit ihren "optimistischen" Be-
urteilungen ("da kann man einiges machen") Bezug nehmen, ist
zunächst einmal der Umstand, daß der staatliche Auftrag an die
sozialen Berufe Ermessensentscheidungen vorsieht, und zweitens,
daß zusätzlichen Aktivitäten der Sozialarbeiter, die sich (noch)
besonders Mühe geben wollen - über ihre Pflichten hinaus - meist
kein Stein in den Weg gelegt wird, solange sie dem Zweck ihrer
Institution nicht widersprechen. Der Mitarbeiter im Jugendamt muß
also tatsächlich nicht bei der kleinsten Unregelmäßigkeit auf Er-
ziehungshilfe bestehen, er kann es durchaus erstmal mit gutem Zu-
reden gegenüber den Heranwachsenden bzw. den Eltern versuchen und
sich dabei sehr engagieren. Der Pädagoge im Freizeitheim muß ja
auch nicht unbedingt bei jeder Kleinigkeit die Polizei rufen,
sondern kann seine erzieherischen Fähigkeiten erst einmal ausrei-
zen. Bei der Vergabe der Sozialhilfe macht es für den Betroffenen
auch einen großen Unterschied, ob der zuständige Sachbearbeiter
den Antragsteller einfach abfertigt oder ihn berät, ihm Tips gibt
und die Bestimmungen großzügig anwendet. Der Bewährungshelfer
kann selbst bei der Jobsuche der Strafentlassenen helfen und
seine Beziehungen ausnutzen. Der Altenpfleger mag schließlich
hinreichend Aktivitäten entwickeln, den alten Leutchen ein biß-
chen Unterhaltung und Freude zu verschaffen. All das widerspricht
nicht dem beruflichen Auftrag, im Gegenteil, es gehört zu seiner
gewissenhaften Wahrnehmung. Ja, im Rahmen der Gemeinwesenarbeit
kann man vielleicht sogar dafür sorgen, daß die Leute, denen in
einem Stadtsanierungsgebiet gekündigt wird, einen gescheiten
Rechtsschutz bekommen, daß auf Bürgerversammlungen Politiker Rede
und Antwort stehen. - Nur, eines machen all diese Beispiele aus
der Praxis deutlich: es geht einzig und allein allemal nur um die
Ausschöpfung des staatlich festgelegten Rahmens. Der beste
Rechtsschutz führt einzig zu dem Ergebnis, daß die Kündigungen im
Einklang mit den staatlich festgelegten Eigentumsrechten der
Hauseigentümer stehen, unzulässige Willkür und Profitgier von
Vermietern wird ausgeschaltet. Eine anständige Wohnung schließt
das staatliche Recht nicht ein. Die Alternative in der Jugend-
hilfe lautet, entweder bringen es die Jugendlichen fertig, sich
anständig mit dem wenig attraktiven Angebot, ihr Leben zu führen,
abzufinden, bequemen sich also der von ihnen geforderten Moral
an, oder (und das soll wirklich erst dann eintreten, wenn die er-
ste Alternative keine Aussicht auf Erfolg mehr hat!) sie müssen
diverse Zwangsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Dabei kann der
Sozialarbeiter eine Weile entscheiden, wann er zu welchem Mittel
greifen will. Und wenn er mit größtem persönlichen Einsatz einen
Jugendlichen soweit bringt, daß er nicht mit dem Gesetz in Kon-
flikt kommt, sich also zusammenreißt, dann kann der Sozialarbei-
ter stolz sein: er hat ihn zumindest vor dem Schlimmsten bewahrt;
der Mensch kann wenigstens frei rumlaufen und sich fügen. Etwas
anderes als einen miesen Job, einen Plan, wie er mit dem wenigen
Geld seine finanziellen Verpflichtungen (Entschädigung, Schulden,
Alimente) nachkommen kann - bei größter Bescheidenheit und soli-
destem Lebenswandel, versteht sich -, wird auch der aufopferungs-
vollste Bewährungshelfer dem Ex-Knacki nicht anbieten; aber dafür
die schöne Perspektive: Womöglich sein Leben lang darauf stolz
sein zu können, es doch noch geschafft zu haben, wieder anständig
geworden zu sein (und das kann er sich und anderen dann in seiner
Strafentlassenengruppe oder -WG erzählen). Daß als gelungenste
Freizeitheimarbeit gilt, wenn zumindest eine ganze Reihe Jugend-
licher von der Straße weggeholt worden sind, im Heim Ordnung
herrscht, Schlägereien relativ selten sind, die Jugendlichen mit
ihren Problemen erstmal zum Sozialarbeiter kommen (der ihnen rät,
auf keinen Fall Dummheiten oder krumme Touren zu machen), ist
kein Geheimnis. Wie soll auch etwas anderes herauskommen, entste-
hen die "Probleme" doch sowieso woanders und ist die Einrichtung
doch auch für nichts anderes da. Und daß die Ausschöpfung auch
noch der letzten Sozialhilfemöglichkeit keineswegs Reichtum und
Luxus auf Seiten der Empfänger bedeutet, sondern Einteilen, Ver-
zichten und Sich-Bescheiden, weiß jeder Fürsorger. Nicht zufällig
gibts bei ihnen dauernd die Sprüche: ein Leben in Armut könne
auch durchaus mit viel "Sinn", "Lebensmut" und "wirklicher men-
schlicher Größe" verbunden sein, oder: Konsum versaue ja nur den
Charakter und sei der Tod für "Kreativität" und "Solidarität".
Solche Kritik an den "Möglichkeiten des Sozialarbeiters" gilt in
Kreisen der Sozialprofis freilich als "unrealistisch" bis
"zynisch".
"Unrealistisch" einfach deshalb, weil man als Sozialarbeiter doch
gar nicht mehr machen kann. Und das soll keineswegs gegen die So-
zialarbeit sprechen: daß der Staat also offensichtlich an der Be-
seitigung der Not kein Interesse hat, sondern mit ihr rechnet und
seine sozialen Dienste so ausstattet, daß sie die Leute dazu an-
halten, ihr Elend anständig zu ertragen. Im Gegenteil: Sozialar-
beit trägt den Ehrentitel "Hilfe", und zwar zu Recht allein schon
deswegen, weil es o h n e sie den Leuten meist noch dreckiger
ginge! Ist es deswegen tatsächlich unanständig, sich nach den
tatsächlichen Zwecken der staatlichen Maßnahmen zu erkundigen?
Ist eigentlich der "Realist", der dem bundesrepublikanischen
Staat unterstellt, die Ergebnisse seiner Eigentumsordnung, der
Wirtschafts-, Bildungs-, Familien-, Ausländer- und sonstiger Po-
litik seien unerfreuliche - im Grunde nicht gewollte - "Pannen",
die der Sozialstaat beheben wolle, weil in ihm die eigentliche
(gute) Absicht der Politik zum Tragen komme? Und ist der
"unrealistisch", der bei der Betrachtung der sozialstaatlichen
Maßnahmen deren Zweck zur Kenntnis nimmt: die Armut wird so orga-
nisiert, daß sie für den Fortgang des Geschäfts und der staatli-
chen Ambitionen nicht nur nicht hinderlich, sondern sehr funktio-
nal ist; der also glatt behauptet: zwischen den anderen Bereichen
der Politik und dem Sozialen besteht kein "Spannungsverhältnis",
sondern sie passen im Zweck nahtlos zusammen?
"Zynismus" ist es demnach, zu dem Urteil zu gelangen, daß Sozial-
arbeit keineswegs den Ausgangspunkt hat, auf die Bedürfnisse der
Leute einzugehen (die ja auch bei dem, was der Staat sonst unter-
nimmt und festlegt, nicht die Leitlinie sind), sondern der Umgang
mit dem einkalkulierten Ausschuß der demokratischen Rechts- und
Eigentumsordnung in der Form ist, daß Hilfe sein Angebot an die
Opfer ist, es wegen der Not doch nicht aufzugeben, sich am Riemen
zu reißen. "Zynismus" ist es also, die Sozialarbeit n i c h t
für eine menschenfreundliche Angelegenheit zu halten!
"Das Beste draus machen" ist übrigens die Devise eines jeden, der
das, was er machen m u ß (z.B. um seine Brötchen zu verdienen),
als Chance begreifen will, etwas "Sinnvolles" zu tun. Ja, wenn
man seinen Beruf nicht als eine im Prinzip feine Sache ansehen
will, die einem lauter Möglichkeiten bietet, etwas zu tun, wozu
man stehen will, und wenn man an der "Verwaltung der Armut" nicht
die Kritik hat, sie käme dem eigenen Ideal, Gutes zu tun, oft
(noch) zu ungenügend nach - dann müßte man sich ja konsequenter-
weise (neben seinem Studium oder seinem Job) damit beschäftigen,
was denn bei uns warum faul ist, und was man dagegen zu unterneh-
men hat... Aber d i e Einsicht ist ja auch überhaupt nichts
Neues - nicht wahr? -, denn einen solchen Anspruch (als Anspruch)
hat ja ohnehin fast ein jeder kritischer Sozialarbeiter/-Student
- als sein gutes/schlechtes Gewissen zum Beruf, auf den er genau
so nichts kommen läßt. Wo d e r bei der Wahl, wie man sein Moos
verdienen soll, gerade rausgekommen ist, muß er doch auch mit
viel Idealismus und verkehrtem "Realismus" betrachtet werden!
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