Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut
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Münchner Hochschulzeitung, 07.12.1983
Sonderausgabe Sozialwesen
JUGENDKRIMINALITÄT - EINE HERAUSFORDERUNG
FÜR DIE GESELLSCHAFT
Was Sozialarbeiter, Studenten wie Professoren, schon lange vermu-
tet und stets als offenes Geheimnis verbreitet haben, ist un-
längst eindrucksvoll verbreitet worden. Laut Bericht der SZ vom
8./9.10.83 hat der 19. Deutsche Jugendgerichtstag zu Mannheim
festgestellt, daß "gerade bei Jugendlichen eine harte Strafe ...
nichts bewirkt, vielmehr den Jugendlichen nur anfälliger für Wie-
derholungstaten macht". Wissenschaftlich untermauert wird dies
durch die ebenfalls zitierte jüngst erschienene Dissertation ei-
nes Kriminologen zum Thema "Kriminalprävention im Jugendgerichts-
verfahren". Der Autor, C. Pfeiffer, hat es darin für nötig befun-
den, mit exakten Daten den Nachweis zu führen, daß milde Richter
erfolgreicher sind als strenge Kollegen:
"Was heißt hier Erfolg? Ganz einfach: Wer weniger Rückfalltäter
'produziert, wessen Weisungen und Auflagen häufiger freiwillig
befolgt werden - der ist erfolgreicher als ein vergleichbarer Ju-
gendrichter. Und 'milde' ist der Richter, der vergleichsweise we-
niger Jugendliche hinter Gitter bringt als ein anderer."
Wenn die Freunde einer sanften Behandlung von Jugendlichen diesen
Nachweis für nötig halten, haben sie offensichtlich mitgekriegt,
daß "die Zeiten" sich auch im Jugendstrafvollzug geändert haben.
Die Staatsgewalt beklagt den "Rückgang an Rechtsbewußtsein" bei
Bagatelldelikten, insbesondere bei Jugendlichen, nimmt dies als
Herausforderung zur "unmittelbaren Kriminalitätsbekämpfung"
(Zimmermann) und erkennt Milde zunehmend weniger als Methode der
strafrechtlichen Behandlung Jugendlicher an. Was die Jugend-
freunde allerdings daran gemerkt haben, ist, daß man heutzutage
die Vorteile milder Strafen mit Argumenten vertreten sollte, die
auch einem Zimmermann einleuchten "müßten". Wo es doch, wie sie
sagen "ganz einfach" ist: "Milde" - die ist doch 'naturwüchsiges
s t a a t l i c h e s Herzensanliegen' weil dabei s e i n Er-
folg zählt, weniger lästige Rückfalltäter hinter Gittern beher-
bergen zu müssen'.
Zeitgemäßer Sinn der Strafe ...
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Es ist schon reichlich eigenartig, den Verantwortlichen anzutra-
gen, daß es ihnen doch um den e i g e n t l i c h e n S i n n
der Strafe, nämlich die Vermeidung von "Rückfalltätern" gehen
müsse. Uns erscheint es fast "einfacher", festzustellen, daß der
Erfolg in der Verhängung von Strafen noch nie, auch vor der
"Wende" nicht, in der V e r m e i d u n g von Strafen gelegen
hat. Gehören denn nicht die Klagen über "Rückfalltäter" und die
richterlichen Ermahnungen, sich die Strafe auch zu Herzen zu neh-
men, d a z u, daß man verknackt wird? Wenn durch Gesetze fest-
gelegt ist, was erlaubt und was verboten ist, wenn man also dann
ein Verbrecher ist, wenn man gegen die Ordnung verstößt, an der
dem Staat liegt, dann kann die E x e k u t i o n des Rechts in
der B e s t r a f u n g des Verbrechers wohl kaum der
"bestmöglichen Verhinderung" von Straftaten gewidmet sein.
Offensichtlich ist den professionellen Freunden der Jugend, die
an das Recht appellieren, doch um seines angeblichen Erfolgs wil-
len "Milde" in der Strafe walten zu lassen, eines selbstverständ-
lich: daß die Staatsgewalt das unbezweifelbare R e c h t hat,
über Wohl und Wehe ihrer Untertanen zu befinden, weshalb auch
"Strafe sein muß". Bei dem W i e?, da möchten sie ein Wörtchen
mitreden. Ihr Ideal, das sie gern ein bißchen mehr berücksichtigt
sehen möchten, ist die "freiwillige Befolgung" von "Weisungen und
Auflagen", die durch die Methode der milden Bestrafung gefördert
wird.
... Erziehung ...
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Weisungen und Auflagen, von milden Richtern verabreicht, sind für
sie eine einzige menschenfreundliche D i e n s t l e i s t u n g
an die Jugendlichen; der Z w a n g zur "anständigen Lebensfüh-
rung" e r m ö g l i c h t es ihnen sich von vornherein an die
Gesetze zu halten und so den Einsatz staatlicher Gewalt überflüs-
sig zu machen, die sie mit Verstößen gegen das Recht herausfor-
dern.
Strenge Richter "produzieren mehr Rückfalltäter", und milde Rich-
ter produzieren die "freiwillige" Befolgung ihrer Anordnungen.
Wer Alternativen staatlichen Zuschlagens so zu unterscheiden
weiß, daß, weil nicht die ganze Härte des Gesetzes zum Tragen
kommt, die milde Strafe auch schon gewalt l o s e "Erziehung"
ist, der muß schon dem Recht, dessen Gewaltcharakter er nicht
wahrhaben will, eine prinzipielle m o r a l i s c h e Berechti-
gung zugestanden haben - die nämlich, gegen die
"v e r w e r f l i c h e G e s i n n u n g" von Rechtsbrechern
vorzugehen. Wer das Recht hat, der ist im Recht. Und wer sich ge-
gen den größten Gewaltapparat, den unsere schöne Republik zu bie-
ten hat, vergeht, bei dem muß einiges im Argen liegen.
Wo so eindeutig ein "Anspruch" der Betroffenen ans Recht, zur
R e c h t m ä ß i g k e i t "erzogen" zu werden, und prinzi-
pielle Z u s t ä n d i g k e i t des Rechts klargestellt sind,
da ist es auch kein Wunder, daß die Kritik an der derzeitigen
Verurteilungspraxis als A p p e l l an die Zuständigen daher-
kommt. In der Sorge um die E f f e k t i v i t ä t des Rechts
weiß man sich einig mit der Staatsgewalt, der man, ob nun "milde"
oder "streng", die a l l e r b e s t e n A b s i c h t e n be-
scheinigt, weil nämlich "milde" wie "strenge" Richter auf je ver-
schiedene Weise um die Ziele von Gerechtigkeit Erziehung und Si-
cherheit ringen". Strafe ist wesensmäßig zuvörderst "Erziehung",
und auch wenn sie es noch nicht mal dem müden "Augenschein" nach
ist, sondern die Richter schlicht und brutal
v e r k n a c k e n, ist sie zumindest als solche g e d a c h t
- das will man mit diesem unterschiedslosen Lob milder und stren-
ger Richter gesagt haben, um auf dieser Basis kritisch anzumer-
ken, daß eine wirksame Erziehung in der gegenwärtigen Strafpraxis
nur bedingt verwirklicht werde. Die "Ü b e r z e u g u n g s-
k r a f t" von Gewaltmaßnahmen - die will diskutiert sein:
Ob "harte Strafen" auch echt "abschreckend" wirken? Ob nicht
richterliche "Robe, Juristendeutsch und Juristenmaske", diese
'menschenunwürdigen Folterinstrumente', den Jugendlichen davon
abhalten, sich die Strafe auch als Urteil über die Verwerflich-
keit seines Tuns zu H e r z e n zu nehmen? Ob nicht
"generalpräventive Erwägungen" unter dem "Gesichtspunkt der Ab-
schreckung anderer potentieller Täter" an dem betreffenden zur
Verurteilung a n s t e h e n d e n Jugendlichen vorbeigehen,
der nach "spezialpräventiver" i n d i v i d u e l l e r "Hilfe"
zur Rechtmäßigkeit verlangt? Ob also nicht die individuellen
"Schuld-Faktoren" stärker berücksichtigt werden müßten, um dem
Einzelnen in der Bestrafung "gerecht" zu werden. Und sind deshalb
nicht Resozialisierunesmaßnahmen überhaupt die beste der denkba-
ren Möglichkeiten, die Jugendlichen zum anständgen Leben zu bewe-
gen, am besten "nicht erst nach der Verurteilung, sondern schon
im ersten Stadium der Ermittlungen"?
Höflich wird der Staatsgewalt der Standpunkt der
P e r f e k t i o n i e r u n g der Strafe als ihre produktive
Ergänzung angetragen. Und weil man sich prinzipiell mit ihr einig
weiß in dem "Problem",
das die Jugendlichen i h r bereiten, wenn sie sich nicht fügen,
ist man in diesem Hinweis auf die Bedeutung der eigenen Tätigkeit
für die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit auch nach der "Wende"
ganz realistisch: Man schminkt sich die früher so beliebte Lüge
ab, die sozialhelferische Betreuung straffälliger Jugendlicher
sei das Beste für die s e l b e r, weil sie von Diebstahl Raub
und Körperverletzung abgebracht würden, sich also den Vorzug er-
würben, der staatlichen Gewalt gegen ihre Person nicht mehr aus-
gesetzt zu sein, um im Austausch dafür die Schönheiten eines nor-
malen Arbeiterdaseins ertragen zu dürfen. Heute argumentiert man
mit den K o s t e n, die dem Staat entstehen, wenn er die Reso-
zialisierungsfreunde links liegen läßt.
... spart Kosten ...
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Pfeiffer hat in Fleißarbeit ausgerechnet, daß sich der Betrag,
den ein "milder" Richter der Allgemeinheit durch kurze Gefängnis-
strafen, Strafaussetzung zur Bewährung etc. "einspart", auf sage
und schreibe DM 802.503,-- jährlich beläuft; "weit billiger" ist
dagegen die Bearbeitung jugendlicher Krimineller durch Resoziali-
sierungsprojekte. Das ist doch mal ein Hilfestandpunkt! Daß diese
Rechnung bei den Zuständigen Eindruck machen würde, darauf kann
nur einer kommen, der die von oben ausgegebene Parole "wir müssen
alle sparen" nur zu gerne für bare Münze nimmt und als an ihn ge-
richteten Auftrag "der Allgemeinheit" verstehen will.
Selbstverständlich ist für diesen Standpunkt das "Sparen" des
Staats am Lebensunterhalt seiner Bevölkerung und die offizielle
Klarstellung dessen, daß niemand ein Recht auf Auskommen hat. Ab-
gehakt ist auch, daß Politiker ganz nebenbei noch in ihren Krimi-
nalitätsprognosen ö f f e n t l i c h e r k l ä r e n, daß sie
sich des Zusammenhangs von Not und Kriminalität sicher sind. Kei-
nes Zweifels wert ist es, daß dieselben Politiker, die "auf der
einen Seite" tatkräftig für die Verarmung der Bevölkerung sorgen,
erklären, daß "auf der anderen Seite" bei allem Sparzwang" die
öffentliche Sicherheit - Polizei, Justiz und Bundeswehr - das
höchste Gut des Bürgers sind, für das keine Kosten gescheut wer-
den; daß also die Politik das R e c h t definiert, das ein Bür-
ger für sich beanspruchen darf: in Gehorsam seine tägliche
Pflicht zu erfüllen.
Einem Resozialisierungsfreund fällt zum staatlichen Sparprogramm
ein, daß Gefängnisse zur Aufbewahrung unbotmäßiger Bürger doch
tatsächlich Geld kosten - ob sich die Gewalt d a s leisten
kann.
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