Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut
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Bremer Hochschulzeitung Ausgabe Sozialpädagogik, Mai 1980
Zum "Helfer-Syndrom" in der Sozialarbeit
I GET BY WITH A LITTLE HELP FROM MY FRIENDS
Was ist los mit den Sozialstudenten? Kaum haben sie sich dazu
entschlossem Sozialpädagogik oder Sozialarbeit zu studieren, be-
kommen sie es mit der ANGST zu tun. In Seminardiskussionen, ge-
leitet von freundlichen und einfahren Dozent(inn)en, steht sie
nicht selten im Mittelpunkt, die Angst - und streitig gemacht
wird ihr dieser Platz höchstens von ihrer höheren Potenz: der
Angst vor der Angst, über sie zu reden. Da gilt es dann die
B E Z I E H U N G E N der Studenten im Seminar zu problematisie-
ren: wer hat sich wo (nicht) "einbringen " können und findet sich
von daher wo - im Seminar natürlich! - (nicht) wieder? Damit geht
das Tieftauchen in der eigenen bzw. anderen P S Y C H E los,
die Frühkindlichen werden ausgepackt, und binnen kurzem ist son-
nenklar: die versammelten Sozialarbeiter/-pädagogen Syndrome hät-
ten am liebsten allesamt erst einmal eine zünftige Psychothera-
pie.
Was also ist los mit den Sozial-Studenten? Sie, die Bearbeiter
des vom Kapitalismus ständig ausgespuckten Elends, der kaputten
Existenzen und ihrer trostlosen Existenzbedingungen, sie haben
s i c h s e l b e r zum Hauptproblem ihrer zukünftigen Tätig-
keit erkoren.
Do you need anybody?
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Jeder weiß, daß er in seinem zukünftigen Job neben Schreibtisch
und Karteikasten auch noch sein BSHG - Exemplar mit seinen Ar-
beitskollegen teilt, also alle Hilfsmittel vorfindet, mit denen
die Kundschaft abgefertigt wird. Trotzdem gefällt sich so ziem-
lich jeder Anwärter dieser Branche darin, sich als "hilflosen
Helfer" darzustellen. Und das ist einer, dem zu seiner
(künftigen) Beschäftigung mit Klienten aus der Obdachlosensied-
lung, Drogenszene oder Strafanstalt einfällt, daß er es eigent-
lich immer zugleich mit z w e i F ä l l e n zu tun hat: mit
sich selbst und mit "dem Anderen":
"Die Angst des Sozialarbeiters... Was ist die Bedrohung? Es ist
nicht die Angst vor einer realen Gefahr, der der Sozialarbeiter
ausgeliefert wäre. Es ist die Angst, daß der Andere fordert, bit-
tet, erwartet. Die Angst vor dem Moment, wo ich ihn enttäusche."
(1)
Bei solchen Äußerungen kommt es darauf an, daß man sie richtig
versteht. Es ist nämlich völlig unpassend, sie wörtlich zu neh-
men. Seit wann denkt sich ein Sozialarbeiter, wenn jemand sein
Büro betritt: Aha, ein Anderer! Und hat man schon jemals einen
Klienten sagen hören: Ich fordere. Oder: Ich bitte. Oder: ich er-
warte?
Jedermann weiß, daß es in Wirklichkeit ganz anders zugeht. Da
kommt nicht etwa ein ominöser Anderer, sondern z.B. ein Obdachlo-
ser; und er hat nicht eine Forderung schlechthin, sondern er will
eine Behausung. Eine Sozialhilfeempfängerin bittet um eine Be-
scheinigung und erwartet nicht irgendetwas, sondern genau diese
Bescheinigung. Praktisch weiß der Sozialarbeiter zwischen den be-
stimmten Begehren der verschiedenen Klienten sehr wohl zu unter-
scheiden (dementsprechend geht er ja auch mit ihnen um).
Diese Unterscheidung soll in der angeführter Äußerung auch gar
nicht bestritten werden - sie wird vielmehr
i n t e r p r e t i e r t. Der zitierte Sozialarbeiter faßt den
praktischen Umgang mit den Klienten (nach Maßgabe dessen, was
diese wollen, und was die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen
vorschreiben) so auf, daß er alles wegläßt, was mit der Obdachlo-
sigkeit und der Sozialfürsorge zu tun hat.. Ein anderer
M e n s c h (weshalb der andere hier auch großgesehreiben wird)
tritt einem (Sozial-) M e n s c h e n gegenüber. Und schon ist
die Verwaltung des Elends in einen Akt der
Z w i s c h e n m e n s c h l i c h k e i t verwandelt.
Entsprechend phantastisch erscheinen von diesem Standpunkt aus
die Vorgänge, die sich beim Zusammentreffen von Helfer und Klien-
ten abspielen. Während in - der wirklichen Welt des Sozialarbei-
ters die Forderungen, Bitten und Erwartungen der Klienten einen
Inhalt haben, dem offenkundig eine handfeste m a t e r i e l l e
N o t zugrunde liegt, erscheint in der fiktiven Welt des Sozial-
arbeiter - Interpreten der Wille des Klienten als inhaltslose
Forderung, Bitte, Erwartung, als Erwartungs - H a l t u n g,
kurz: als p s y c h o l o g i s c h e Verfassung der Klienten -
Subjektivität. Auf diese, so geht das Märchen von der Zwischen-
menschlichkeit weiter, reagiert der Sozialarbeiter seinerseits
psychologisch. In ihm steigt eine geheimnisvolle "irrationale"
Angst auf, die mit realen Gründen und Gefahren nichts zu tun hat.
Daß freilich das Gegenteil tatsächlich der Fall ist, kommt an der
Geschichte selbst heraus: "Die Angst vor dem Moment, wo ich ihn
den großgeschriebenen Anderen) enttäusche ist nichts anderes als
die psychologische Übersetzung der G e w i ß h e i t, daß die
Hilfe des Sozialarbeiters stets die Unzufriedenheit seines Klien-
ten hervorruft. Und das hat ja wohl damit etwas zu tun, worin
diese Maßnahmen bestehen. In der psychologischen Interpretation
liest sich so: Vom infantil reagierenden Klienten in die Rolle
eines "allmächtigen Vaters" (o Gott!) gedrängt, erschrickt der
Sozialarbeiter zutiefst davor, daß er an diese "Projektionen"
selber glaubt (1); worüber die schöne Zwischenmenschlichkeit in
höchste Gefahr gerät.
I just need somebody to love
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Die psychologische Interpretation des Sozialarbeitergeschäfts
verfabelt die Tätigkeit des Helfers in eine leider nur sehr un-
vollkommene "Möglichkeit, mit Menschen in einen intensiven Kon-
takt zu kommen" (2). Wie jedes Märchen, so gibt auch dieses in
verrückter Weise die Wirklichkeit wieder, die es gibt. "Ich kann
keine richtige Beziehung mit meinen Klienten aufbauen", sagt das
arme Helferlein. Es stößt sich nämlich an seinen Schwierigkeiten
mit den Klienten, denen der Sozialarbeiter hilft, ohne daß ihnen
damit geholfen wäre. Flugs verwandelt er sein gescheitertes Sozi-
alarbeiter - Ideal, seinen Schützlingen doch helfen zu wollen, in
das psychologische Ideal der "intensiven Beziehung" des Einen zu
dem Anderen.
"Jede Arbeit mit Klienten ist insofern eine Herausforderling an
mich selbst. Es ist eine Chance, mich kennenzulernen und zu ent-
falten (!), und es ist eine ständige Bedrohung meiner inneren Si-
cherheit." (1)
Daß die Sozialarbeit mit Hilfe nichts zu tun hat, erscheint in
der psychologischen Fiktion als unvollkommene Menschlichkeit von
Sozialarbeiter und sozial Bearbeitetem. So kommt der psychologi-
sche Interpret dazu, die Objekte der Sozialarbeit, vor allem aber
die Helfer selbst, als arme, beschädigte Menschlein zu bedauern,
deren Elend in ihrer mangelhaften Fähigkeit zum Gefühlsaustausch
mit jedermann liegt. Alles, was einen Sozialarbeiter so an seiner
Tätigkeit stört, ist in eine Macke seiner Innerlichkeit über-
setzt:
"Hilfe. Wenn das nicht die totale Verdinglichung des Kontakts
zwischen zwei Menschen ist.... Aber wie soll ich denn auf was Ka-
puttes reagieren? Meine eigene Kaputtheit nicht anmerken lassen.
Die ist Störfaktor Nummer eins. Und die schleicht sich trotz al-
lem ein." (2)
Das ist also das traurige Märchen vom armen, an seiner verkork-
sten Innerlichkeit leidenden Helferlein, das in seiner Psyche
d a s Hindernis für die Verwirklichung seines Helferideals ge-
funden hat. Das traurige Märchen hat aber auch seine komische
Seite. Anläßlich ihrer Unzufriedenheit mit ihrem künftigen Beruf
entfachen die Sozialmenschen einen Wirbel um die Verfassung ihres
Gemüts und machen sich auf eine billige Tour wichtig: Mit wahrer
Begeisterung hängen sie sich reihum und wechselweise perverse
Charaktereigenschaften an und belegen ihre Einbildung vom mensch-
lich miesen Helfer Menschen mit den verrücktesten psychologischen
Konstruktionen. Für so etwas bietet sich natürlich die Kindheit
an, weil keiner nichts Genaues über sie weiß.
"Woher kenne ich diese Angst? Es ist nicht das erste Mal, daß ich
sie erlebe. Ich kenne sie auch nicht erst, seit ich in einem
'helfenden Beruf' tätig bin. Sie ist älter, sie ist mir vertraut.
Ich habe immer die Augen vor ihr verschlossen." (1)
So ein vertrautes Unbekanntes in den Tiefen des Sozialarbeiters
schreit natürlich geradezu danach, sich als "verdrängter, sadi-
stischer Impuls", "unterdrückte Omnipotenzphantasie" usw. zu of-
fenbaren (3). Die Logik solcher Erklärungen ist die Psycho-Logik,
und sie präsentiert sich so bunt und vielfältig wie blöd und ein-
fach: Da will einer "mit Kindern arbeiten"? Der möchte eigentlich
selbst ein kleiner Windelscheißer sein bzw. die eigene Kindheit
wiederholen (logisch: wer Kinder betreuen will, gibt doch klar zu
erkennen, daß er selbst betreut w e r d e n will!). Die Sozial-
arbeit scheint überhaupt der Ort zu sein, wo anständige Erwach-
sene noch in die heißersehnten Pampers gelangen können: denn wer
"mit Erwachsenen arbeiten will", "denen es noch schlechter geht",
der möchte wieder nichts anderes als seine Kindheit wiederholen -
diesmal, um geliebt zu werden wie eine gute Mama (auch logisch:
wer M a m a spielen will, muß sich natürlich erstmal selber zu-
rück in den K i n d e r wagen versetzen!). "Der Helfer-Wunsch
(nicht: zu helfen, sondern ganz im Gegenteil:) geliebt zu werden"
(4) - wenn's d a r u m geht, wieso dann eigentlich so viele Um-
stände?
I get high with a little help from my friends
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Das Prinzip dieser "Aufarbeitung der eigenen Geschichte" besteht
darin, den "Wunsch zum Helfen" als Beweis für eigentliche, genau
entgegengesetzte Beweggründe herzunehmen. Die Überzeugungskraft
der angeführten Gründe wächst mit ihrer Unsinnigkeit und die
größten Stiche bei diesem Spielchen macht, wer das Einfachste und
Offenkundigste in die verrücktesten Konstrukte verdrehen kann.
Vorausgesetzt, sie stellen den Menschen mit dem "Wunsch zum Hel-
fen" als jämmerlich, lüstern oder brutal hin. Allerdings nicht,
um ihn und seine beruflichen Absichten zu dequalifizieren. Es
gilt nämlich
"festzuhalten, daß soziales Helfen eine kreativ, sehr ursprüngli-
che und spontane Eigenschaft des Menschen ist" eine "kreative,
emotional befriedigende Tätigkeit." (5)
So kann man einmal die übliche Krittelei am Sozialarbeiterjob
fahren lassen und ihn als Betätigungsfeld für die bessere Seite
des Ich im Menschen als "emotional befriedigende Tätigkeit" aus-
malen. Bei ihrer Ausübung steht man vor dem Rest der Welt als
umso wertvollere Persönlichkeit da, je größer der innere Schwei-
nehund aufgeblasen wird, gegen den man angeblich unablässig zu
kämpfen hat, um für die Menschheit Dienst zu tun. Den Sozialar-
beiter soll man eben nicht nur an seiner BAT-Besoldungsgruppe er-
kennen, sondern vor allem daran, daß er ein guter Mensch ist. Und
ein guter Mensch verdient mit seinem stinknormalen Job nicht ein-
fach sein Geld, weil die Verwaltung von Obdachlosen und Ausge-
flippten in dieser Gesellschaft zu einem ganzen Berufsstand aus-
gebaut ist:
"Der Helfer soll nicht sein Selbstgefühl verlieren, sondern es
dadurch stärken, daß er den Wert seiner Arbeit auch dann noch ak-
zeptiert, wenn die Ergebnisse und seine Motive nicht vollkommen
sind." (5)
Wo würden diese Leute nur ihr "Selbstgefühl" stärken, wenn es
keine Sozialämter gäbe?
Zitate
(1) Bernd Achterberg, in: Sozialmagazin 2/79
(2) Aike Eisenherz, in: Sozialmagazin 12/78
(3) vgl. Wolfgang Schmidbauer, Die hilflosen Helfer
(4) vgl. Nando Belardi, in: Sozialmagazin 12/78
(5) Wolfgang Schmidbauer, in: Sozialmagazin 12/78
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