Quelle: Archiv MG - BRD SOZIALPOLITIK ALLGEMEIN - Die Verwaltung der Armut
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Münchner Hochschulzeitung, 15.11.1983
Sonderausgabe Sozialwesen
WENN ARME SCHON VERTRETEN WERDEN...
Sozialarbeiter befürchten wachsendes Elend
Bad Salzuflen (dpa)
Vor dem Hintergrund weiterer Sparmaßnahmen der Öffentlichen Hand
hat der Berufsverband der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen
(DBS) in Bad Salzuflen die "Flickschusterei" kritisiert, die im
sozialen Bereich befürchtet werden müsse. An den sozialen Etats
des Bundes, der Länder und der Kommunen werden nach Ansicht der
Vorsitzenden der Organisation, Else Funke, immer mehr Abstriche
gemacht. davon seien die Ärmsten am stärksten betroffen. Schon
jetzt bezögen rund 10 Milllionen Menschen in der Bundesrepublik
und in Westberlin Sozialhilfe und Zuschüsse zur Wahrung des Exi-
stenzminimums. Viele Sozialarbeiter und -pädagogen seien zum Ver-
zicht auf etwa 10 Prozent ihrer Gehälter bereit, wenn dafür ar-
beitslose Kollegen eingestellt würden. Sollte der Gesetzgeber die
gesellschaftlichen und sozialen Probleme nicht lösen, dann müsse
langfristig mit einer "innenpolitischen Bürgerkriegslage" gerech-
net werden.
Die Wirtschaftskrise verschlechtert nach den Beobachtungen der
Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie die Chancen psy-
chisch Kranker zur Integration in die Gesellschaft. Das Grund-
recht auf ein menschenwürdiges Leben für psychisch Kranke sei
ernsthaft gefährdet, sagte Vorstandssprecherin Helga Schmidt-
Nieraese in Ludwigshafen.
Gegen weitere Einsparungen im Sozialbereich hat sich der Parla-
mentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Wolfgang
Vogt, ausgesprochen. In der Mainzer Allgemeinen Zeitung lehnte er
insbesondere die von den Arbeitgebern geforderte Korrektur bei
der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab. Zur Verringerung des
Haushaltsdefizits sei eine "Durchforstung der Subventionen und
steuerlichen Vergünstigungen vordringlich". Die Katholische Frau-
engemeinschaft hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgefordert,
die geplanten Kürzungen beim Mutterschaftsgeld zu verhindern.
SZ vom 24. Oktober 1983
Jeden Tag ist in der Zeitung zu lesen und im Fernsehen zu hören,
wofür der Staat Geld (und zwar immer gleich in Milliardenbeträ-
gen) ausgeben mag und bei welcher Spezies Mensch ihm jeder Pfen-
nig als eine lästige und zu kürzende Kost gilt. Und was fällt den
diversen "Berufsverbänden", "Gesellschaften" und "Gemeinschaf-
ten", die es hierzulande gleich im Dutzend für die "Armut" gibt,
dazu ein? Sie warnen vor "weiteren Sparmaßnahmen", wollen also
gegen die längst praktizierte politische Absicht, daß, wer hier
nichts leistet, auch nichts verdient, absolut nichts eingewandt
haben. Statt dessen
- "befürchten" sie für ihre "Klientel" "Flickschusterei im sozia-
len Bereich":
Da würde sich der Staat doch glatt ins eigene Fleisch schneiden,
lautet der Gedanke im Konditionalis, würde er dem von Sozialar-
beitern "befürchteten w a c h s e n d e n Elend" die Gewährlei-
stung von Verwaltung verunmöglichen. Je mehr Elend, desto mehr
braucht's von der großartigen sozialen Idee, daß diesem eines auf
keinen Fall verwehrt werden darf, nämlich sorgfältige Betreuung.
Das ist doch mal ein ehrliches Versprechen.
- kritisieren sie, "daß die Ä r m s t e n a m s t ä r k-
s t e n b e t r o f f e n" sind:
Wer darf's denn sonst sein? Wenn die Notgemeinschaft schon einmal
aufgemacht ist, sind "die Reichen" schon aus dem Schneider. Darf
man Kapital und Staat, die wegen Geschäft und Gewalt für Not und
Elend in der Welt sorgen, "finanziell belasten"? Ist es da nicht
besser "auf 10% der Gehälter" zu verzichten?
Wozu taugt sie denn, die Empörung, daß es 'immer auf die Kleinen'
geht? Was kann der kompetente Hinweis auf eine
H i e r a r c h i e des Elends diesem anderes einbringen als das
schmackhafte Recht eines Quasi-Standes auf viel
G e r e c h t i g k e i t bei der Verelendung?
- rechnen sie "langfristig mit einer i n n e n p o l i t i-
s c h e n B ü r g e r k r i e g s l a g e":
Vor wem oder was wird denn da bitteschön mit dieser albernen Vor-
stellung - die seitens der Gesellschaft für unbrauchbar Erklärten
erschrecken ihre Ausmusterer - gewarnt? Einer Vorstellung, in der
Sozialarbeiter gar mit ihrem eigenen Antibild für sich argumen-
tieren wollen: Sozialarbeit als 'bloß noch Kontrolle' von aufsäs-
sig gewordenen Sozialfällen?
So argumentiert jemand, den die Politik der Bundesregierung so
wenig erschreckt, daß er sie sich einfach mal als abhängig von
einer erfundenen sozialarbeiterischen Zuständigkeit: Domestizie-
rung von "Massen"-Elend vorstellen mag. Nur um die eigene Bedeu-
tung zu unterstreichen. Schließlich ist ja auch ihr "immer mehr
Abstriche an den sozialen Etats" schon die halbe Übersetzung ei-
ner Aufrüstungspolitik, die der Bevölkerung Opfer abverlangt, in
"mangelnde Anerkennung" des "Sozialbereichs". Behauptet aber die
Regierung denn, daß Armut und/oder der Umgang mit ihr schändet?
- sehen sie "d a s G r u n d r e c h t a u f e i n
m e n s c h e n w ü r d i g e s Leben für psychisch Kranke
e r n s t h a f t g e f ä h r d e t":
Auch eine Weise, sich n i c h t für mehr Geld für sein
'Klientel' einzusetzen. Nicht die "psychisch Kranken" sind von
den Kürzungen betroffen, sondern ihr "Recht auf Würde" (wo haben
sie das bloß her?) ist verletzt; ihre "Chance zur Integration"
"verschlechtert". Gesellschaftliche Ideale werden
e i n g e k l a g t in Zeiten, in denen nichts billiger zu haben
ist, als eben diese! Ein merkwürdiges Recht, das da ständig für
diejenigen reklamiert wird, die nach allen Regeln des Rechts zu
Fällen der Fürsorge erklärt worden sind und von denen bereits der
Staat erwartet, daß sie diesen Zustand mit Würde tragen. Darum
ist auch auf allen Fluren von Irrenhäusern, Gefängnissen und Ka-
sernen der Hinweis ausgehängt: "Die Würde des Menschen ist unan-
tastbar".
- "f o r d e r n" sie, "geplante Kürzungen beim Mutterschafts-
geld z u v e r h i n d e r n": Bei den Planern der Kürzungen
ist sie ja gut aufgehoben, die Forderung dieser Frauenvertreter,
"geplante Kürzungen zu verhindern". Die regierenden Politiker an
ihre "eigentlichen" Aufgaben zu erinnern, sie in Sachen Mutterse-
haft zur Verantwortung zu rufen, ist die Hervorhebung von
"Mutter s c h a f t" als zu schätzendem gesellschaftlichen Wert.
Wo die Regierung mit der Kürzung von Muttersehaftsgeld doch be-
reits auf die unbezahlbare Opferbereitschaft deutscher Mütter
s e t z t.
Diese Lobbyisten von in Nöte gesetzten deutschen Bürgern führen
nicht nur keinen Angriff gegen die systematische Verarmungspoli-
tik. Ihre Leistung ist vielmehr, darauf zu bestehen, daß die Be-
stimmung des Werts der Armut in die Zuständigkeit der Politiker
fällt. Auf Heller und Pfennig soll da etwa die Gebärfunktion
deutscher Frauen ausgerechnet werden. Das sind Forderungen, denen
ein Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums mit erfolgrei-
cher Vollzugsmeldung entgegnet: "Gegen weitere (!) Einsparungen
im Sozialbereich"! Entschieden lehnte er insbesondere die von den
Arbeitgebern geforderte Korrektur bei der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall ab." Es ist dies die Aussage: Wir haben doch jetzt
mal den Wert der Ware Arbeitskraft neu festgesetzt. Jetzt ist mal
Pause bei uns. Mit dieser Parole stellt er sich zynisch in eine
Reihe mit den Leuten, die er zur Kasse gebeten hat. "Wir", unser
Ministerium hat jetzt Opfer gebracht. Jetzt sind die anderen Mi-
nisterien dran, ihren Beitrag zu leisten.
Wer davon wohl was hat, wenn "Subventionen durchforstet" werden?
Öffentliche Verkehrsmittel werden dann mit schöner Regelmäßigkeit
teurer, und "Arbeitgeber" machen ihren Betrieb mit "gekürzten
Subventionen" leistungsfähiger.
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