Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT DEMORECHT - Die Sorge um den inneren Frieden
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Ein Lehrstück lebendiger Demokratie:
HÄNDE WEG VON WALTER WALLMANN
Die westdeutsche Demokratie lebt in ihren Spitzenpolitikern.
Diese realitätsbewußte Sichtweise hatte die Frankfurter DGB-
Spitze bewogen, die Demokratie zu verteidigen und zu ihrem all-
jährlichen Neujahrsempfang die Honoratioren der Stadt und des
Landes zu laden.
Prominente C-Politiker sollten auf den Kampf des Gewerkschafts-
bundes um ihr Wohlwollen eingestimmt werden, wenn sie schon den
Streikrechtsparagraphen 116 im Arbeitsförderungsgesetz ändern und
die gewerkschaftliche Kasse bei Streiks stärker belasten wollen.
Die Veranstalter baten zur Schlacht am Kalten Büfett, um zu be-
weisen, daß ihnen ihre schöne Kasse zum Streiken immer schon zu
schade war und daß sie die Mitgliedsbeiträge auch diesmal lieber
zur Pflege gewerkschaftlicher Public relations verwenden wollten
- doch da geschieht das Unfaßbare:
Der CDU-Bürgermeister wird bei der Feierstunde nicht genügend ho-
fiert! Zwischen Leuten, die sich mit der Politik seiner Partei
nicht einverstanden erklären, muß der arme Mann Spießruten lau-
fen! Das ist eine ganz schlimme Zumutung für einen demokratisch
ermächtigten Politiker. Außerdem soll er sogar geschubst worden
sein - das einem Mann, den sonst die erfolgreichen Knüppelein-
sätze seiner Polizei in die Schlagzeilen der Presse gebracht ha-
ben! Schließlich ist seine Festrede sogar vor lauter Pfiffen
nicht zu verstehen - weshalb sofort alle deutschen Medien damit
befaßt sind, der Öffentlichkeit die maßgeblichen Überzeugungen
dieses Politikers und seiner Standesgenossen quer durch alle Par-
teien gebührend darzustellen.
Hier waren "primitive Krawaller" am Werk "Rüpel", die "das poli-
tische Klima in der Bundesrepublik durch Meinungsterror vergifte-
ten", und "solche menschenverachtenden Methoden hätten zur Zer-
störung der Weimarer Republik geführt". Solche gewichtigen Vor-
würfe gelten ein paar Gewerkschaftlern, die ein paar Minuten lang
die Geschäftsgrundlagen der Demokratie vergessen haben. Daß der
p r i n z i p i e l l e R e s p e k t v o r s t a a t l i-
c h e n A m t s t r ä g e r n unabdingbar ist, weil sonst keine
Republik nicht gedeiht, darf als konjunkturgemäße Auskunft über
Rechte und Pflichten zur Kenntnis genommen werden. Und die
Übertreibungen bezüglich dessen, was dem Frankfurter OB angetan
worden sein soll, sind nicht erfunden worden, um Schmerzensgeld
einzutreiben. Je rücksichtsloser sich der Staat seiner Gewalt
bedient, um sein Volk zu drangsalieren und auf brauchbaren
Gehorsam zu verpflichten, desto kleinlicher wird er mit seiner
Gewaltdefinition. zumindest, was die (Un-)Taten von Bürgern
angeht.
Wie immer kommen die einschlägigen Belehrungen in Gestalt von
Einlassungen zur Meinungsfreiheit und Toleranz daher. In diesem
unseren Lande können Meinungen Andersdenkender nur das verfas-
sungsmäßige Recht der Politiker untergraben, die Marschrichtung
der Nation zu bestimmen:
"Regierungssprecher Ost erklärte in der Bild-Zeitung, Bundeskanz-
ler Kohl verurteile die gewaltsamen Attacken radikaler Kräfte ge-
gen Wallmann aufs schärfste. Er hoffe, daß sich die besonnenen
Kräfte im Gewerkschaftslager durchsetzten. Die Entscheidung über
die Änderung des Artikel 116 könne nicht auf der Straße, sondern
nur vom frei gewählten Parlament getroffen werden." (Süddeutsche
Zeitung, 13.1.)
Es gilt als Terror, seine Meinung anders denn als Affirmation
dieser demokratischen Arbeitsteilung zu äußern: Die einen sagen,
was gilt - für die anderen gilt das Gesagte. Letztere labern ja
so manches zusammen, weshalb die Meinungsfreiheit am besten bei
den Politikern aufgehoben ist: Sie denken schließlich für uns
während die anderen nach der verhindlichen Denkweise des Heiner
Geißler erst noch lernen müssen,
"damit aufzuhören, die Meinungs- und Informationsfreiheit durch
Niederbrüllen Andersdenkender zu gefährden oder gar zu beseiti-
gen." (ebd.)
Auch die liberalen Vordenker demokratischen Lebens in der Regie-
rung finden "eine freie, sachliche und demokratische Diskussion"
immer gut, in der sie gar nicht erst jemanden niederzubrüllen ha-
ben, weil sie gleich die gesamte Staatsgewalt kommandieren, die
mittlerweile auch schon in Gestalt der Frankfurter Staatsanwalt-
schaft gegen die Schreihälse ein ordentliches Verfahren wegen
"versuchter Nötigung" eingeleitet hat.
Die SPD-Opposition, die mit dem DGB eine dauerhafte Allianz zum
Zwecke des Stimmenfangs unterhält, sah sich zu einer Distanzie-
rung veranlaßt. Ein Sozialdemokrat hat heute nichts Wichtigeres
zu tun, als die guten Sitten zu beschwören, die den Inneren Frie-
den erhalten und den politischen Diskurs der Herrschenden so un-
gestört verlaufen lassen. Voller anteilnehmender Staatsraison
ruft Johannes Rau zu "Besonnenheit und Vernunft" auf:
"Die Vernünftigen müßten gemeinsam den Anfängen eines neuen
Freund-Feind-Denkens entgegenwirken. Er verurteilte in aller
Schärfe jene, die intolerant sind oder sogar Gewalt anwendeten."
(ebd.)
Die Grünen hatten in unverwechselbarer Sozialkunde-Manier schon
immer gefunden, daß Demokratie eine Gesinnungsangelegenheit sei.
Sie distanzieren sich locker von den vielen häßlichen Tönen, die
diesem Ideal zuwider hier wieder einmal aufgekommen seien. So
halten sie sich und ihre "Politikfähigkeit" als Oppositionspartei
flott im Gespräch.
Die Gewerkschaften selber können es sich nicht so leicht machen:
Als Gastgeber, die auch im Neuen Jahr wieder sozialen Frieden
pflegen wollen, fühlen sie sich in Sachen Wallmann zu konstrukti-
ver Selbstkritik aufgerufen. Sie werden künftig noch besser auf
falsche Kantonisten in ihren Reihen aufpassen. Jedenfalls können
sie hier auch ohne reale staatliche Macht sehr demokratisch auf-
treten und einige Mitglieder ihres Vereins verantwortungshewußt
denunzieren:
"Der DGB-Bundesvorstand hat die Ereignisse am Rande des Neujahrs-
empfangs beim DGB-Kreis Frankfurt auf das schärfste verurteilt.
In der einstimmig verabschiedeten Erklärung heißt es, Tumulte und
Handgreiflichkeiten seien kein Mittel gewerkschaftlicher Politik.
... Ausschlußverfahren gegen einzelne Mitgliedler seien Sache der
einzelnen Gewerkschaften und nur möglich, wenn man den einzelnen
und seine Tat genau kennt und wenn man ihn gehört hat."
So konstruktiv-rechtsstaatlich bewältigt der DGB die Peinlich-
keit, die ihm ein paar schiefgewickelte Mitglieder eingebrockt
haben: Da hat die Gewerkschaft gegen die Änderung des Paragr. 116
ein Geschrei mit allen demokratischen Übertreibungen angestimmt,
wie man es von den Wahlkämpfen der staatstragenden Parteien her
kennt; hat öffentlich um die Demokratie gefürchtet, genau so wie
ein Geißler oder ein Glotz es bei jeder Gelegenheit vorführen,
wenn ihnen jemand oder etwas nicht paßt. Und prompt wurde sie von
ein paar frustrierten Vertrauensleuten falsch verstanden und beim
Wort genommen. Die haben aus Versehen wirklich gemeint, jetzt
käm's drauf an beim Demokratie-Retten - zumindest symbolisch ge-
gen Frankfurts OB. Diesen Irrtum lassen Öffentlichkeit und Be-
rufspolitiker, lauter professionelle Experten in Sachen demokra-
tischer Heuchelei, den DGB bitter büßen. Mit noch viel gröberen
Übertreibungen, als die Gewerkschaft sie in ihrer Streikrechts-
Kampagne zustandegebracht hat, prügeln sie auf den dicken, braven
Verein los, als wäre in den DGB-Häusern der Republik der Sumpf
des Terrorismus zu Hause. Gegen so viel Frechheit bleibt einem
unverdrossen demokratietreuen Club wie dem DGB nur eins: Die ei-
genen Entschuldigungen n o c h mehr übertreiben. Kein Tag ohne
Demutsgeste und Blumen für das schwer verletzte Wallmännchen, war
eine Woche lang die Devise. Man möge das Unverzeihliche doch
bitte verzeihen - der DGB sühnt auch durch Härte nach innen.
Denn in unserer Demokratie hetzt und prügelt nur einer.
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