Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT DEMORECHT - Die Sorge um den inneren Frieden
zurück Die SPD läßt demonstrieren:ES GEHT AUCH OHNE VERMUMMUNGSVERBOT
Es scheint fast so, als wollte die SPD-Führung in Hamburg in der Vermummungsdebatte praktische Maßstäbe setzen und die Forderung der christlichen Konkurrenzpartei nach einem "strafbewehrten Ver- mummungsverbot" schwer blamieren. Jedenfalls hat sie ihre alter- native Schlußfolgerung aus den Schüssen an der Startbahn-West: daß es keinen gesetzlichen Handlungsbedarf gebe, sondern nur mehr polizeiliche Konsequenz angesagt sei, um mit unliebsamen Demon- strationen aufzuräumen, in der letzten Woche an einer Demonstra- tion fast lehrstückhaft unter Beweis stellen lassen. "Die neue Taktik" ----------------- der Polizei, die die gesamte Springer-Presse zum Schwärmen veran- laßte, erläutert der Chef der Polizeibehörde: "Das Konzept besteht aus Offenheit, Konsequenz und Gelassenheit. Wir sagen dem Veranstalter vorher, daß wir kontrollieren werden und Vermummung nicht zulassen werden, damit diejenigen, die friedlich demonstrieren wollen, ihr Recht wahrnehmen können. Die Konsequenz ist, daß wir beim Einsatz auch danach handeln. Die Po- lizei läßt den Demonstranten, wie gestern abend, aber auch Zeit, sich zu entscheiden. Das ist die Gelassenheit... Die Linie soll sich verfestigen. Irgendwann soll sich jeder daran gewöhnt haben, auch der ehemals zur Gewalt Bereite." (Polizeipräsident D. REIMERS im Hamburger Abendblatt vom 19.1.) Und so sehen "Offenheit, Konsequenz und Gelassenheit" aus. I. Bundesgrenzschutztruppen und -zig Hundertschaften Bereitschafts- polizei prägen schon Stunden vor Beginn der Protestverantstaltung das Stadtbild. Das sorgt für das geeignete Freiheitsklima. Leute, die sich vom staatlich beorderten Gewaltpotential nicht gleich vom Demonstrieren abschrecken lassen wollen, sondern sich am Ver- sammlungsort einfinden, werden mit der fortentwickelten Version des "Hamburger Kessel" vertraut gemacht. Mit einer dichten Ab- sperrung des Versammlungsplatzes und Durchlaß erst nach eingehen- der Kontrolle von Gesicht, Kleidung und Taschen, stellt die Poli- zei sicher, daß die Demonstrationsteilnehmer schon eingekesselt sind, noch bevor sie sich überhaupt zur Kundgabe ihres Protestes so richtig versammelt haben. Aufklärungsfreudig, wie die schla- genden Kräfte der Staatsmacht sind, bekommt jeder Demonstrant auf einem Flugblatt aus dem Polizeipräsidium auch noch mitgeteilt, daß an ihm der Verdacht, sich mit "Aktiv- und Passivbewaffnung und Vermummungsgegenständen" ausgerüstet zu haben, überprüft wird. Anders ist die Zugangsberechtigung zum polizeilich kontrol- lierten Demonstrationssektor nicht zu haben. Wer demonstriert, ist zur Gewalt bereit - heißt die radikale Gleichung, der die so- zialdemokratischen Kritiker des Vermummungsverbots jeden Demon- strationswilligen unterwerfen. Nicht anders als in der Sichtweise der christliberalen Fanatiker der Gewaltfrage kommen Leute, die ihren Protest öffentlich anmelden wollen, erst einmal und sehr grundsätzlich als zur Gewalt bereite bis entschlossene Störer des Rechtsfriedens vor. Daß ein paar tausend Leute mit ihrem Protest kundgeben, die Verhaftung und Kriminalisierung von zwei Frauen nach dem Terrorismus-Paragr. 129a nicht gleich unter dem Ge- sichtspunkt der Rechtsgewalt und der von ihr vorgenommenen Schuldzuweisung sehen wollen, sondern für die Freilassung der In- haftierten demonstrieren, rückt sie in der Logik der demokrati- schen Staatsgewalt in bedenkliche Nähe zur Sympathie mit Terrori- sten. Daß dem staatlichen Gewaltmonopol mit jeder Demonstration, die Politiker für unerwünscht erklären, prinzipiell Gefahr droht, dieser vom Innenminister nach den Frankfurter Schüssen umgehend erlassenen Deutung schließt sich der Senat mit vollem Einver- ständnis an. Ebenso folgt er, und quasi beispielgebend, der aus dieser Sicht erwachsenen Pflicht der Staatsmacht, längst vorher, im weiten Vorfeld der betreffenden Protestkundgebung, mit viel rechtmäßiger Gewalt einzuschreiten. Als wäre im Bereich der organisierten Meinungsäußerung nicht längst alles so geregelt, daß die Erlaubnis zur öffentlichen Mei- nungsbekundung zu nichts berechtigt und die Verantwortlichen zu nichts verpflichtet, entdecken die obersten Wächter des Demon- strationsrechts immer noch viel mehr Handlungsbedarf zum präven- tiven Tätigwerden. Noch bevor jemand überhaupt die Gelegenheit hat, beim Demonstrieren gegen die gesetzlich vorgeschriebene Kleiderordnung zu verstoßen, noch bevor eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen ist, wird jeder mit dem prinzipiellen Mißtrauen belegt, gar nichts anderes im Sinn haben zu können, wenn er zum Demonstrieren auftaucht. Getreu dieser politischen Logik, jede unliebsame Protestbezeugung als Ansammlung eines Gewaltpotentials und jeden Demonstranten als gewaltbereiten Umstürzler zu identi- fizieren, lassen die bis in die Reihen der GAL hinein bewunderten Vernunftpolitiker vom Schlag eines v. DOHNANYI die Demonstrati- onsteilnehmer polizeilich behandeln. Die durften sich, um überhaupt die Chance des ordnungsgemäßen De- monstrierens zu bekommen, durchmustern und sortieren lassen, in- wieweit sie bereit sind, sich dem polizeistaatsmäßigen Schutz des Demonstrationsrechts zu unterstellen. Und dieser Schutz bestand darin, daß alle garantiert mit 'offenem Visier' antreten, die die Polizei mit ihren Gesichts- und Leibesvisitationen als ordentli- che Demonstranten zugelassen hat. So setzen SPD und ihre Polizei- manager mit der Einrichtung vermummungsfreier Zonen eine Forde- rung in die rechtsstaatliche Praxis um: "Wer in diesem Staat meint, demonstrieren zu müssen, der soll ge- fälligst seine Visage herzeigen." (F.J. STRAUSS), die sie natürlich nie und nimmer so brutal ehrlich wie ihr Polit- kollege ausdrücken würden, sondern lieber in gelassener hanseati- scher Tonlage als demonstrationsförderlichen Dienst am Kunden hinlügen. II. Daß alle polizeilich kontrollierten und vorabentmummten Demon- stranten "friedlich demonstrieren wollen", ist gerade kein Ur- teil, das Politiker und Polizeistrategen nunmehr zur Richtschnur ihres Umgangs mit Protest machen würden. Im Gegenteil, das vor- beugend durchgesetzte Vermummungsverbot bietet nicht die gering- ste Aussicht, daß jetzt von polizeilicher Obhut unbehelligt de- monstriert werden könnte. Die Videokameras der Beobachtungs- und Fahndungstrupps werden jedenfalls nicht abgestellt, eher schon laufen sie auf Hochtouren, um mit der Erfassung aller Demonstra- tionsteilnehmer die einschlägigen Dateien mit einwandfreiem Mate- rial zu füttern. Das zeigt immerhin soviel, daß der von oben auf- gemachte Generalverdacht noch lange nicht außer Kraft ist, wenn der Rechtsstaat seine Konditionen zur verbindlichen Vorgabe fürs Demonstrieren durchgesetzt hat. Daß zwar unter Poli- zei f r i e d e n, aber weiterhin d e m o n s t r i e r t wird, werten demokratische Politiker samt ihren Ausführungsorga- nen als nach wie vor präsentes Gewalt p o t e n t i a l, das sie jeder demonstrierten abweichenden Meinung zuschreiben. Insofern mutmaßen sie selbst noch in der Bereitschaft, entmummt unter der observierenden Staatsmacht zu demonstrieren, einen möglichen Trick der Protestierer, ihre wahren Absichten zu verbergen! Kaum daß sich die Demonstration in Bewegung setzte, nahm die Po- lizei Leute, die Absperrung und Kontrollen umgangen und sich zum Schutz vor Ablichtung ihres Konterfeis entsprechend eingekleidet hatten, zum Anlaß für die Klarstellung, daß die 'neue Taktik' nur noch Demonstrationen unter polizeilichem Sicherheitsgewahrsam und ohne Ausnahme vorsieht. In Fortführung der Befriedungsstrategie wie sie der politische Chef an der Hafenstraße durchgezogen hatte, machte die Polizei der Demonstration die prächtige Alter- native auf, entweder dafür zu sorgen, daß jeder vermummte Teil- nehmer sich selbst polizeilich nachbehandelt, oder per Gewaltein- satz aufgelöst zu werden. Wieder das großzügige, sozialdemokra- tisch gefärbte Sonderangebot der Staatsgewalt, den Demonstranten die Chance einzuräumen, sich selber auszusuchen, wie sie ihre Einordnung ins polizeilich gesicherte Demonstrationsrecht haben wollen als freiwilliger Entscheid, zu dem ihnen selbstverständ- lich solange genügend Zeit eingeräumt wird, bis ihn die Polizei nach dreimaliger Aufforderung per Schlagstock herbeiführt. "Die Demonstration wurde abgebrochen. 'Überlegt euch, wie ihr euch noch einen schönen Abend macht', wurde über Lautsprecher durchgegeben. Das wertete die Polizei als Aufruf für weitere (!) 'Aktionen'." (Hamburger Abendblatt) Einerseits könnte man ja auf den ruppigen Charakter des Menschen um Gewaltorgan Polizei schließen, die sich nicht einmal einen schönen Abend anders denn als Gewaltaktion vorstellen kann. Ande- rerseits ist die von der Polizei vorgenommene Bewertung überhaupt kein Witz, sondern demonstriert die Radikalität, mit der mißlie- bigem Protest das Prinzip der Gewaltfreiheit beigebracht wird. Selbst die harmlose Empfehlung, mit der die Demonstration offizi- ell von den Veranstaltern aufgelöst wurde, werten die bewaffneten Hüter des Rechtsfriedens als einzigen Aufruf zur Gewalt. Das hat die freie Handhabe begründet, die Jagd der Staatsmacht auf alle zu eröffnen, die irgendwo und irgendwie vermummungsverdächtug da- herkamen, einschließlich des Abtransports von mehreren Dutzend Leuten in vier bereitstehende Gefangenen-Sammelstellen, so der Originalausdruck! Auch das kein Vergleich mut dem "Hamburger Kes- sel", bei dem die Polizei stundenlang nicht wußte, an welchen Stellen sie die gefangenen Demonstranten konzentrieren sollte, um sie erkennungsdienstlich zu behandeln, damit alle Identitätsmerk- male einer staatsgefährdenden Gesinnung für zukünftige Verwen- dungszwecke sichergestellt sind. So läßt die SPD in Hamburg vordemonstrieren, daß ihrer Regie- rungsmacht die Rechtsgrundlagen locker reichen, um bei aller Freiheit des Polizeikalküls und effektiver Differenzierung der Demonstranten das Vermummungsverbot durchzusetzen und jeden daran zu gewöhnen, daß Demonstrieren nur noch so geht. zurück