Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT DEMORECHT - Die Sorge um den inneren Frieden


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       Urteile gegen Wehrkraftzersetzung und Sitzblockaden
       

DER RECHTSSTAAT ARGUMENTIERT GEGEN DEN 'GEIST DER WIDERSETZLICHKEIT'

Da man es hierzulande weder in Universitäten noch in der frei- heitlichen Öffentlichkeit für angebracht hält, Leuten die mit Gründen gegen diese Gesellschaft auftreten und den glaubensstar- ken herrschenden Lehren A r g u m e n t e entgegenhalten, mit W i d e r l e g u n g e n zu kommen, sind die Gerichte zum theo- retischen und praktischen Schutz des Staates aufgerufen. Die wa- ren es ja schon immer, die als einzige über wirklich schlagende Argumente gegen Kritiker verfügten. In diesem Sinne mußte wieder einmal ein Münchner Strafgericht (vgl. "Süddeutsche Zeitung", 19.5.) tätig werden: Die Angeklagten hatten auf Flugblättern, die sie an Bundeswehrangehörige verteilt hatten, u.a. sinngemäß behauptet, - daß ihren Adressaten in dem Vaterland, das sie zu schützen hät- ten, nichts gehöre, - daß "die Arbeiter" den "Kapitalisten" Reichtum schaffen würden und zudem als Soldaten mit der Aufgabe betraut seien, diesen wenn nötig auch gegen ebendiese Arbeiter zu verteidigen, - und daß es sich bei "mündigen Bürgern in Uniform" um "Trottel" handle. Das Gericht sah sich gezwungen, diese Behauptungen mit einer wuchtigen Argumentation in drei Teilen zu widerlegen: Erstens mit einem scharfen Dementi, da "nach Auffassung der Kammer" die Auto- ren ein "Zerrbild" gezeichnet hatten, das "mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist", zweitens mit dem entlarvenden Hin- weis, daß die Täter "den Umsturz, die Umkehrung der bestehenden Verhältnisse zum Ziel hätten" und drittens - und endgültig über- zeugend, daß die Angeklagten nicht Recht haben - mittels einer achtmonatigen Gefängnisstrafe plus DM 1500,- für die Zubilligung von drei Jahren Bewährung. Dem stringenten Begründungszusammenhang des Gerichts kann man als unvoreingenommener Betrachter durchaus folgen: Wohl ist es unver- kennbar, daß zwischen dem Wachstum von Kapital und der Tätigkeit der von ihm benutzten Arbeiterschaft ein gewisser Kausalzusammen- hang besteht und daß der private Kapitalreichtum weder vor noch nach seiner Vergrößerung den dienstbaren proletarischen Geistern gehört. Es trifft aber in der Tat nicht zu, daß dem Wehrpflichti- gen in seiner Zeit als Werktätiger "nichts" gehöre. Viele verfü- gen nachweislich über eine mehrteilige Garderobe, manche gar über einen PKW und nicht wenige über einen Lohn, der bei kluger Ein- teilung hinreicht, die in ihrem Eigentum stehenden Kühlschränke und Autotanks wieder aufzufüllen, wenn diese geleert sind. Auch die inkriminierte Aussage, daß es "die Arbeiter" seien, die den "Kapitalisten das Eigentum schaffen", ist unschwer als "Zerrbild" erkennbar: berücksichtigt sie doch in keiner Weise die von ganzen Heerschaaren beamteter Ökonomen stets neu bekräftigte Lehre, daß es sich bei "dem Arbeiter" in erster Linie um einen "Kostenfaktor" handelt, der sich fortwährend auf unangenehmste Weise aufs produktive Eigentum schlägt und dieses auch noch zu teuren Rationalisierungsmaßnahmen zwingt. Desgleichen handelt es sich bei der Behauptung, Soldaten hätten als wichtigste Aufgabe das Eigentum zu schützen, offenkundig um eine ideologische Verkürzung: Es steht ja bekanntlich nicht nur das freie Eigentum (Art. 14 GG) unter dem Schutz der bewaffneten Macht, sondern z.B. auch die freie Berufswahl (Art. 12 GG) zwi- schen den von den freien Eigentümern angebotenen Arbeitsplätzen oder das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) von Rheinhau- sen nach Daimler oder von Ostfriesland nach BMW sowie die gesamte FDGO. Und nicht nur "gegen die Arbeiter" ist das alles notfalls zu verteidigen, wie die Angeklagten ausgeführt hatten, sondern gegen jeden, ohne Ansehen der Person (Art. 3 GG!), sei er ein aufrührerischer Arbeitnehmer, ein revolutionärer Handwerksmeister oder der Russ! Daß man als mündiger Bürger in Uniform ein "Trottel" sein müsse, ist eine offene Unwahrheit: Nie im Leben würde ein Debiler die staatsbürgerliche Verstandesleistung zuwege bringen, sich das tödliche Verhältnis von Befehl und Gehorsam beim Militär als Be- tätigung seiner höchst freien Subjektivität vorzumachen. Die G e d a n k e n sind frei... ---------------------------------- Insgesamt legte das Gericht aber großen Wert auf die Feststel- lung, daß die Verurteilung nicht wegen der "Gesinnung" oder der "Weltanschauung" der Täter erfolgt sei, sondern "nur, weil sie gegen den Paragr. 89 STGB verstoßen hätten." Der verbietet nun einmal das "verfassungswidrige Einwirken auf die Bundeswehr" aus dem naheliegenden Grund, daß es deren Betreiber und ihre Gerichte für "gefährlich" halten, wenn "auf die Sicherheitskräfte kein Verlaß mehr ist." Das ist eine dankenswerte Klarstellung: Konnte die antimilitäri- sche und sonstige Opposition sich bislang noch einbilden, ihre "Gesinnung" werde freiheitlich-pluralistisch solange geduldet, wie die wehrhafte Demokratie ihren Erfolg als unwesentlich erach- tet, so will das "erkennende Gericht" hier neue Saiten aufziehen: Es ist gerade "nicht erforderlich, daß der Erfolg eingetreten ist. Die Bundeswehrangehörigen müssen die Flugblätter nicht gele- sen oder gar danach gehandelt haben... Es genügt die Absicht, einen Geist der Widersetzlichkeit zu erzeugen." So haben die Organe des Rechtsstaats auf dem Wege der dynamischen richterlichen Rechtsfortbildung sich also endlich zum Standpunkt der W e h r k r a f t z e r s e t z u n g vorgearbeitet, der zwar - saudemokratisch - nach wie vor noch die revolutionärste "Gesinnung" straffrei läßt, nur. An jedes gesprochene oder ge- schriebene Wort, mit dem sich diese "Gesinnung" ä u ß e r t, egal, ob es überhaupt außer dem Staatsanwalt ein Mensch zur Kenntnis genommen hat, soll dieser Standpunkt künftig als straf- rechtlichter Prüfungsmaßstab anzulegen sein. Eine dringende Emp- fehlung von gerichtlicher Seite, seinen "widersetzlichen Geist" künftig eben tunlichst ohne Worte ganz mit sich abzumachen und die Schnauze zu halten. Wer sich stattdessen auf die Straße setzt, um "symbolisch" Frei- heitsraketen den Weg zu versperren, muß sich deshalb - nun auch höchstrichterlich vom BGH - sagen lassen, daß auch auf seine höchst staatsbürgerlich-verantwortungsvollen Friedensmahner-Mo- tive geschissen ist. "Die Fernziele von Straßenblockierern sind nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen." Dieser Kernsatz aus der Karlsruher Urteilsbegründung ist eine ziemliche Lüge. Denn der BRD-Staat, vom Kabinett übers Parlament bis zu den Robenträgern weiß und würdigt sehr wohl die Ziele und Motive von Friedensbewegten und AKW-Gegnern; nur eben negativ. Er billigt sie nicht nur nicht, er spricht ihnen jegliche Berechtigung mit dem bombensicheren Argument ab, Aufrüstung und Atomprogramm seien rechtsstaatlich beschlossen, also auf gar keinen Fall ein Objekt des Protestes. Ganz unabhängig von einem vermeintlichen Schaden, der Dritten aus Blockadeaktionen erwachsen könnte, erfüllt das Beharren auf einer abweichenden Meinung zu den gewaltsamen Pro- jekten dieser Republik den Tatbestand der Nötigung. So gelten den Obersten Richtern Demonstranten ganz p r i n z i p i e l l als Kriminelle. "Schließlich heißt es in einem Schlüsselsatz, es gebe in einem demokratischen Rechtsstaat im Interesse des inneren Friedens überhaupt keine Ziele, die die Anwendung von Gewalt durch Straßenblockaden als rechtmäßig im Sinne des Nötigungstat- bestandes erscheinen ließen." (SZ, 14.5.) Allenfalls ist der gute Wille honoriger Promis samt friedliebendem Fußvolk bzw. der böse von demokratiefeindlichen Wehrkraftzersetzern bei der Straf z u m e s s u n g zu berücksichtigen. Die Freiheit, überhaupt strafrechtlich zuzuschlagen und beim Strafmaß nach Gutdünken zu sortieren, läßt sich die demokratische Rechtsgewalt jedenfalls nicht durch das subjektive Meinen der möglichen Delinquenten relativieren. Vielmehr ist sie ja gerade wieder einmal eifrig dabei, diese Freiheit durch Rechtsprechung und Gesetzgebung noch ein Stückchen komfortabler auszugestalten, mit sicherem Gespür dafür, welcher "Vermummte" oder "öffentliche Befürworter von Straftaten" die ganze Strenge des Gesetzes her- ausfordert und wo eine großzügige "Kronzeugenregelung" der Wahr- heitsfindung dient. zurück