Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT DEMORECHT - Die Sorge um den inneren Frieden


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       Zwei Polizisten  sind tot. Alle Demokraten sind "betroffen". Ihre
       Konsequenz:
       

ES LEBE DAS STAATLICHE GEWALTMONOPOL!

Alle, aber auch alle sind sie "betroffen" und "entsetzt" über die tödlichen Schüsse auf die beiden Polizisten im nächtlichen Wald an der Frankfurter Startbahn-West. Von BILD bis grün läuft der Wettbewerb um Vokabeln der schärfstmöglichen Verurteilung einer Tat, von der sich alle einig sind, daß sie jeden Rahmen des bis- her Dagewesenen und für möglich gehaltenen sprengt. Eine "neue Qualität", eine "ganz neue Dimension" von Gewalt, der Bruch eines "Tabus", das Ende aller "politischen Kultur" werden beschworen - eine drohende "neue Republik" an die Wand gemalt. Nichts ist wahir von alledem. Nichts ist neu. 1 Worin bestand und besteht sie denn, die Normalität des staatli- chen Umgangs mit Leuten, die etwas auszusetzen haben an den Kul- turgütern unserer Demokratie wie z.B. den blitzsauberen Raketen und strahlenden Atomkraftwerken. Etwa in einer "gewaltfreien", womöglich gar argumentativen Auseinandersetzung mit den vorge- brachten Einwänden? Da lachen ja die Hühner. Seit wann stellen demokratische Machthaber ihre Vorhaben zur Diskussion, wo sie doch frei gewählt sind! Damit sie frei entscheiden, was die Na- tion braucht - ohne Rücksicht auf derart sachfremde Interessen wie Gesundheit oder ein Leben ohne Krieg. Unsere werten Staatsmänner kennen nur e i n e Antwort auf Kri- tik und Protest: Sie stellen die 'Gewaltfrage'. Die ist keine Frage, sondern eine Drohung. Und die heißt kurz und knapp: 'Bist du nicht für mich, so brauch' ich Gewalt!' Die ist folglich immer präsent, wo es gilt, den Rechtsstaat vor den "Feinden der Demo- kratie" zu schützen. Wer hier meint, noch demonstrieren zu müs- sen, wo er doch hier d a r f, der macht sich in jedem Fall ver- dächtig. Wer den G r u n d seiner Kritik nicht vergißt, wo sie doch e r l a u b t ist, der greift das Gewaltmonopol an, das doch vor allem den Kritiker schützt. Der ist ein potentieller "Gewalttäter", also ein Fall für die Polizei, dem einzig schla- genden Argument der "demokratischen Kultur" in diesem unserem freiheitlichen Lande. Das Gebot demokratischer Normalität ist demnach erfüllt, wenn aus jeder politischen Demonstration eine Demonstration der Staatsgewalt geworden ist. Von Anfang an unter den überwältigen- den Schutz der sie eskortierenden Ordnungshüter gestellt, kann sich d i e s e r Demonstration schon längst keine Demo mehr entziehen. Wie diese auch verläuft, ob "friedlich" oder "gewaltsam" - und das ist die einzige zugelassene Frage -, bewie- sen ist immer dasselbe: Entweder haben "wir" es bloß oder vor al- lem dem massiven Einsatz von Polizeikräften zu verdanken, daß "Gewalttaten" ausblieben. Oder die Knüppelorgien der aus dem gan- zen Bundesgebiet plus Westberlin angereisten, meist jugendlichen Berufspolizisten haben wie jüngst in Wackersdorf wieder einmal den Beweis hervorgebracht, daß es sich bei den Demonstranten um "gewalttätige Elemente" gehandelt hat. 2 Eine Reihe von "autonomen" Demonstranten hat sich diese gewalt- same Reduktion allen Protests auf die Ebene der polizeimäßigen Behandlung auf ihre Weise zu Herzen genommen. Konfrontiert mit der oft schmerzhaften Erfahrung, daß die Meinungen hierzulande frei sind, weil und solange auf ihren Inhalt geschissen ist, ha- ben sie ihre persönliche Ehre darein gesetzt, die ihnen servierte Gewaltfrage "offensiv" zu beantworten. Sie haben sich entschlos- sen, sich die falsche Gleichung von Demonstration und berechtig- tem Widerstand nicht abkaufen zu lassen, ihre praktische Ohnmacht in eine zumindest symbolische Gewaltkonkurrenz mit der Polizei zu "verwandeln" und diese Scharmützel auch noch für einen Kampf ge- gen das "System" zu halten. Die von Staats wegen praktizierte Ab- straktion von den Absichten und Gründen derer, die Protest anmel- den, kontern sie mit einer spiegelbildlichen, ebenso radikalen "Vereinfachung". Von den politisch-ökonomischen Zwecken und Wir- kungen staatlichen Handelns, und damit auch von der wirklichen Basis seiner Macht, wollen sie nichts wissen, in der repressiven Ausübung unrechter Gewalt hat der Staat für sie seinen ganzen In- halt und Daseinszweck. Genau das, was ehrenwerte Politiker und entrüstete Journalisten bei den Tätern von Frankfurt als Inbe- griff menschlicher "Motive" 'ermittelt' haben wollen, nämlich "mörderischen und zerstörerischen Haß" "lebensverachtender Ge- walttäter" (Frankfurter Rundschau), haben "autonome Kämpfer" zum Inhalt ihrer Theorie vom Staat gemacht: Lauter fiese "Schweine", die gute Menschen tyrannisieren. Die Logik des moralischen Ur- teils ist auf beiden Seiten haargenau dieselbe. Die Sehnsucht nach der gerechten G e w a l t ist ihr immanent. 3 Die verantwortlichen Regierungspolitiker in Bonn und Wiesbaden kündigen als "Konsequenz" aus den "schrecklichen Ereignissen von Frankfurt" eine Verschärfung genau der Maßnahmen an, die sie in Sachen Ausbau der inneren Sicherheit immer schon betrieben haben. Hier - sehr im Unterschied zu allen übrigen Schädigungen an Leib und Leben, die unsere freiheitliche Rechts- und Wirtschaftsord- nung bereithält - gilt auf einmal unbedingt die Parole: "Betroffenheit, die keine Konsequenzen hat, ist nicht glaubwür- dig." (Dregger) Was sind "wir" also den beiden toten Polizisten und ihren Hinterbliebenen schuldig? Keine Frage! Die endgültige Klarstellung, daß auf "unseren Straßen" nur einer demonstriert, nämlich der Staat. Und was? Nichts anderes als die Unangreifbar- keit seines Gewaltmonopols, mit dem er den inneren Frieden si- chert, den eine Politik, die ihren Bürgern marktwirtschaftlich- demokratische Lebensrisiken beschert so dringend braucht. Die zwei getöteten Polizisten sollen den Beweis dafür liefern, daß die staatliche Antwort auf die "Gewaltfrage" nämlich der Ausbau des Gewaltmonopols, ein moralisches Gebot ist, dem sich niemand entziehen kann, der noch zu menschlichen Mitgefühl fähig ist. Das ist gleich doppelt verlogen: - Als ob sich der Staat jemals von solchen Beweisen abhängig ge- macht hätte, wenn es um s e i n e Sicherheit geht. Es hat zwar den Anschein, als ob die Zuständigen in diesen Tagen tatsächlich den so empört zurückgewiesenen Spruch von Jutta Ditfurth: "Der Staat braucht den Terror" wahrmachen wollten, wenn sie ihre "Schlüsse" aus den Schüssen an der Startbahn vorexerzieren. Bloß: Es ist ja gar nicht so, daß der demokratische Staat den Terror bräuchte, um seine innere Aufrüstung zu legitimieren. So sehr Po- litiker solche Anlässe gerne benutzen, um die Komplettierung der Polizeibewaffnung sowie ihres rechtlichen und geheimdienstlichen Instrumentariums als moralische Verpflichtung hinzustellen, so wenig haben sie die tatsächliche Behauptung des staatlichen Ge- waltmonopols je von irgendwelchen Anlässen abhängig gemacht. Der staatliche Umgang mit Protest und Opposition ist überhaupt das einzige Feld, auf dem in dieser Gesellschaft ernsthaft das Ideal der Prävention verfolgt wird, also der vorbeugenden Verhinderung von "Straftaten". Deswegen wird da nicht erst abgewartet, bis der innere Friede angegriffen wird, sondern rechtzeitig Vorsorge ge- troffen, daß es dazu gar nicht erst kommt. Daß auf diesem Feld nichts versäumt worden ist und man die "Szene" im Griff hat, ist im übrigen ja auch das Argument von all denen, die jetzt zur "Besonnenheit" mahnen und die "Stunde der Fahndung" ausrufen. - Und dann auch noch die Verlogenheit der Gleichung von polizeilich garantiertem inneren Frieden und "Schutz von Menschenleben", die bei der Ableitung verstärkter innerer Aufrüstung aus zwei erschossenen Polizisten unverfroren präsentiert wird. Als ob der innere Friede der BRD nicht schon etliche Menschenleben gekostet hätte! Was ist denn mit den getöteten und zusammengeschlagenen Demonstranten, die in der bundesdeutschen Sicherheitsstatistik der letzten 30 Jahre stehen? Na klar, "Betroffenheit" haben die Ohnesorgs und Sares schon auch ein bißchen ausgelöst - aber zugleich auch viel Verständnis für die beamteten Hüter der Sicherheit und ihr schweres Amt mit Dienstwaffe und Wasserwerfer! Und die diversen Verkehrssünder und anderen "Verdächtigen", die dem "polizeilichen Todesschuß" zum Opfer fielen? "Unfälle", die im Zuge polizeilicher Ermittlungen eben vorkommen! Und als neulich zwei Polizisten, die ganz gewöhnlichen Verbrechern auf der Spur waren, von diesen erschossen wurden, war das eine Meldung unter "Vermischtes". Von wegen "Schutz von Menschenleben"! Das, was an der Tat von Frankfurt alle so außerordentlich empört, ist ganz bestimmt nicht, daß Menschen umgekommen sind. Da hätten sie ja auch alle viel zu tun, die Hüter unseres inneren Friedens, und müßten ihren Laden zumachen, in dem Mord und Totschlag immerhin an der Tages- ordnung sind. Nein, das Verabscheuenswürdige an der Gewalttat an der Startbahnmauer besteht darin, daß unsere Demokraten hier we- der höhere Rechtsgüter als guten Rechtfertigungsgrund entdecken noch die in der bürgerlichen (Rechts-)Welt ach so verständlichen "niederen Motive" ausmachen können. Sondern sie als Untat von Ge- sinnungstätern definieren, nach deren "Motiven" auch nur zu fra- gen selber schon ein Verbrechen ist. Wer nicht nur ein Menschen- leben, sondern mit ihm "unseren Staat als solchen" (Regierungssprecher Ost) treffen will, für den gibt es keine "mildernden Umstände"! 4 Kritische Stimmen gibt es auch noch. Die "besonnenen" Politiker und Journalisten, die um "unsere politische Kultur" fürchten, wenn jetzt "voreilig" Gesetze verschärft werden. Erst einmal ha- ben sie freilich jede Menge Verständnis dafür, daß angesichts "dieser Art von brutaler und hinterhältiger Gewalt" mit eher un- konventionellen Methoden im Umgang mit dem Gesindel geliebäugelt wird: "Niemand darf sich wundern, daß hier und dort der Ruf nach Rache und Vergeltung laut wird." (Frankfurter Rundschau) Ebenso viel Verständnis für die arme Polizei, der nach Meinung des Kommentators die Demokratie mit ihren umständlichen Freihei- ten wahrlich keinen Gefallen tut: "Das verbriefte Recht der Bür- ger auf zivilen, gewaltfreien Protest macht die Aufgabe der Poli- zei in einem demokratischen Staat ohnehin schwieriger, als sie für die uniformierten Schergen eines Polizeistaates ist." (Wiederum die linksliberale Frankfurter Rundschau) Damit will der kritische Journalist nun nicht gesagt haben, daß "das, was uns von linken und rechten Diktaturen unterscheidet", der Polizei zuliebe gestrichen werden soll. Sondern er will, daß die "friedlich gesinnten" Demonstranten beim Demonstrieren statt an ihr oppositionelles Anliegen daran denken, daß sie eine groß- zügig gewährte staatliche Erlaubnis wahrnehmen. Also sollen sie durch "Trennung" von den "brutalen Gewalttätern" der Polizei un- ter die Arme greifen - bei ihrer schweren Aufgabe, das Demonstra- tionsrecht zu schützen! Sonst muß die Polizei ja "eskalieren" - und auch die Frankfurter Rundschau kann dann nicht mehr guten Ge- wissens für demokratische Grundrechte eintreten! Im übrigen wird ein "strafbewehrtes Vermummungsverbot" von den "Besonnenen" durch die Bank nur deshalb abgelehnt, weil es außer "größeren Risiken für die Polizei" nichts bringt - und nicht etwa deshalb, weil die Forderung, bei Demonstrationen "offen das Gesicht zu zeigen", eine zynische Zumutung ist, wenn jedes offene Gesicht abgelichtet wird und in die Archive des Staatsschutzes wandert. 5 "Morde wie heute nacht zerstören die demokratische Freiheiten." (Die Grünen im Bundestag) "Hier wurde die Axt an ein Grundrecht gelegt." (Joschka Fischer) - meinen heute diejenigen, denen noch vor ein paar Jahren klar war, daß die Politiker um "Vorwände" nie verlegen sind, wenn sie einschlägige Rechtsbestimmungen verschärfen. Heute wollen sie selbst "Verantwortung" tragen und aus den "Vorwänden" von gestern sind gute Gründe geworden. Für Fahndung und härteste Bestrafung der Täter sowieso. Aber auch für alle Maßnahmen, die das Demon- strieren noch mehr als bisher zu einem einseitigen Risiko für die Demonstranten machen. Denen erteilen die Grünen auf jeden Fall schon mal einen moralischen Freibrief - es steht für sie ja so eindeutig fest, w e r die Grundrechte erschlagen hat. Natürlich diejenigen, die sie so schändlich "mißbraucht" haben - und dazu gehören jetzt alle, die sich nicht laut genug von "der Gewalt" distanziert haben. Und weil die Grünen auf diesem Gebiet ihr Plansoll erfüllt haben, spielen sie sich sogar als die besseren Anwälte für den Frieden im Lande auf. Besser als die, die b l o ß die Gewalt des Rechtsstaates in Anschlag bringen - und damit womöglich den "jungen Menschen" (Schily) erst die "Vorwände" dafür liefern, daß es an unserem Staate etwas auszu- setzen geben könnte. Wo der doch - dank der "politischen Kultur", für die die Grünen bürgen - der beste ist, den wir je hatten! So erfährt die "Gewaltfrage" unter Mitwirkung der Grünen ihre eindeutige Lösung: Die Voraussetzung dafür, daß man bei uns sein Maul aufmachen darf, ist die Anerkennung des staatlichen Gewalt- monopols, mit dem all das gesichert wird, wogegen man Einwände anmelden will. Wer sich an diese Vorschrift unserer "politischen Kultur" nicht hält, ist seit Montag nacht ein Komplize des "Hasses", der zu "Mord und Zerstörung" führt. zurück