Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT DEMORECHT - Die Sorge um den inneren Frieden
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"Rechtsbruch in Bayern"?
DIE RECHTSORDNUNG ÜBERZEUGT GEWALTIG
Folgende Ungeheuerlichkeiten, so weiß man inzwischen, haben sich
während einer knappen Woche in der Frankenmetropole zugetragen:
Nach dem Aufflackern "gewalttätiger Ausschreitungen", die manchen
an "bürgerkriegsähnliche Zustände" erinnerten, reagierten Polizei
und Justiz mit den "größten Massenverhaftungen in der Geschichte
der Bundesrepublik" und lösten damit wiederum die "machtvollsten
Demonstrationen in der Nachkriegsgeschichte Nürnbergs" aus.
Was sich nach propagandistischen Tatarenmeldungen der "Stimme der
DDR" anhört, ist diesmal Originalton West, also mindestens ebenso
glaubwürdig. Der Höhepunkt des von allen berufenen Akteuren und
Beobachtern liebevoll ausgeschmückten Schreckensgemäldes von An-
archie, Skandal und Massenbewegung ist einmütig darauf festge-
setzt worden, daß in den bewegten Tagen irgendwer das
V e r t r a u e n d e r B ü r g e r in den demokratischen
Rechtsstaat auf kaum wiedergutzumachende Weise erschüttert haben
soll; entweder die SPD durch Duldung "polizeifreier Räume" und
Solidarisierung mit Rechtsbrechern, oder die CSU durch Anweisung
zu "Willkürakten" und einem "unerhörten Justizskandal". Da sich
jedermann entweder das eine oder das andere Urteil zugelegt hat,
sich also zusammen mit seinen Politikern besorgt zeigt, die er -
ohne daß überhaupt der Inhalt irgendeines Rechtes Gegenstand ge-
worden wäre - als s e i n e F r e i h e i t interpretiert, muß
der Staatsaktion leider ein Erfolg auf der ganzen Linie zugemes-
sen werden. Angesichts der Praktizierung der Gewalt, über die der
Rechtsstaat verfügt, ist selbst allen Betroffenen nur das Be-
kenntnis zum staatlichen Recht und für die eigene Gewaltlosigkeit
eingefallen - ein ausdrücklich bedingungsloser Vertrau-
ens b e w e i s der angeblich so "staatsfernen" Jugend! Dazu war
es nur nötig, die zweckdienliche Uminterpretation der statuierten
Exempel mitzumachen, wie sie öffentlich vorexerziert wurde.
I. Das überzeugende Argument des Staats:
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Seine Gewalt ist rechtmäßig
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Der gebrochene Landfrieden
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Was das heißt, vergegenwärtigt ein Rückblick auf den Anlaß des
staatlichen Eingreifens: einen nächtlichen Umzug von Hausbeset-
zern und Sympathisanten, bei dem Schaufenster eingeworfen und Au-
toantennen umgeknickt wurden. Diese Aktion richtete nach ihrer
politischen Qualität ("Wut - im Bauch"?), Anlage und Auswirkung
ungefähr so viel an und aus wie ein Innenstadtbesuch gewisser
1860-Fans, weswegen jede Beurteilung davon geschenkt ist. Dennoch
genügte zum gewaltsamen Abfertigen der Beteiligten schon der
S c h e i n der Unbotmäßigkeit, womit sich auch die Frage erüb-
rigt, auf welcher Seite überhaupt von G e w a l t anwendung ge-
sprochen werden kann; immerhin stehen sich hier vergewaltigte
Fensterscheiben und gesetzlich vorgesehene Haftstrafen zwischen 6
Monaten und 10 Jahren gegenüber! Aber diejenigen, die ihrem eige-
nen Verständnis nach sogar die Ziele der Demonstranten
t e i l e n, bringen ja kein Wort der Kritik an dieser streng
rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit zustande, sondern stellen
sich mit ihrer abgewogenen Verurteilung von "Rechtsbrüchen" auf
beiden Seiten auch noch auf d i e S e i t e der demokratischen
Differenzierung zwischen Unbeteiligten (die das Recht nicht tref-
fen soll) und "wirklichen Gewalttätern" bzw. "Anstiftern" (denen
mit längerer Inhaftierung keine Gewalt, sondern nur Recht ge-
schieht). Na, wenn das nicht genau der Sinn der Polizeiaktion ge-
wesen ist! Die M a ß s t ä b e, die sich rechtsstaatliche Wi-
derstandskämpfer gegen einen "Polizeistaat" da zu eigen machen,
fallen ihnen als die wirklichen Ungeheuerlichkeiteihnen als die
wirklichen Ungeheuerlichkeiten der ganzen Sache wohl gar nicht
auf: Daß ihr geschätztes demokratisches Recht sich im Gegensatz
zu aller öffentlichen Heuchelei natürlich n i c h t um den an-
gestellten Sachschaden schert - das wäre ja nur ein G l a s-
und kein L a n d f r i e d e n s bruch -, sondern die erkennbare
p o l i t i s c h e A b s i c h t nach Kriterien des souveränen
s t a a t l i c h e n E r m e s s e n s mit Strafen bedroht
("aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit ge-
fährdenden Weise mit vereinten Kräften" heißt es im Haftbefehl);
daß also der Zweck dieses StGB-Paragraphen auch nicht die Verhin-
derung von Gewalt, sondern die E r m ö g l i c h u n g der An-
wendung staatlicher Gewalt gegenüber Demonstranten ist, denen be-
reits das Aufreißen des Mauls als B e t e i l i g u n g an Ge-
walttätigkeiten serviert werden kann; an "Gewalttätigkeiten"
wohlgemerkt, die sich "gegen Sachen" richten, als ob diese - wie
umgekehrt die mit allem Erfindungsreichtum von Tränengas bis zu
den ins Auge gefaßten und ins Auge gehenden Gummigeschossen be-
drohten "Landfriedensbrecher" - von dieser eigentümlichen Sorte
von Gewalt etwas spüren würden!
Die Willkür der Justiz
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liegt daher auch nicht dort, wo Öffentlichkeit und meinungsgebil-
dete Bürger sie ansiedeln wollen: in einem W i d e r s p r u c h
z u m Recht. Denn daß unschuldig Inhaftierte wieder freigelas-
sen, in Grenzen auch rehabilitiert werden, darf man Justizmini-
ster Hillermeier ruhig glauben - deshalb ist ihre - Verhaftung
doch noch lange nicht widerrechtlich gewesen, vielmehr "im Zuge
der Ermittlungen unvermeidlich" oder wie das heißen mag. Gerade
so hat sie die beabsichtigte Wirkung sicher nicht verfehlt: Er-
stens ist allein die erkennungsdienstliche Behandlung für die Zu-
kunft der diesmal noch Unschuldigen sehr vielseitig verwendbar;
zweitens hat man diesen drastisch vor Augen geführt, was ihnen
blühen kann, wenn sie bei künftigen Demonstrationen nicht von
sich aus sorgfältiger sortieren, wer mit ihnen marschiert; drit-
tens ist ihnen noch dazu verdeutlicht worden, daß sie sich dieses
Effekts ihrer "Gewaltlosigkeit" aber keineswegs zu sicher fühlen
können; - weshalb sie viertens - wenn überhaupt - nur darin einen
polizeilich halbwegs garantierten "friedfertigen Verlauf" ihrer
Aktionen erwarten sollten, daß bereits der I n h a l t der De-
monstration nicht zu sehr auf D i s t a n z zu gerade staatlich
deklarierten Absichten schließen läßt - bekanntlich leicht ein
Indiz für "Gewalttätigkeit"! Wobei die aus alternativen Parteiin-
teressen oder dem üblichen Rechtsillusionismus der Bürger allge-
mein beklagte "Rechtsunsicherheit" natürlich den Oberwitz aus-
macht: Daß die Differenzierung von Demonstrations- oder auch
Hausbesetzungsteilnehmern das eine Mal mit einer Kombination von
"Dialog" und rücksichtsloser Verfolgung derjenigen, die sich dar-
auf nicht einlassen wollen, das andere Mal durch den "harten
Kurs" der zeitweiligen Gleichbehandlung beider Gruppen betrieben
wird, ist die rechtlich abgesicherte Willkür, die der Justiz
durch die Unkalkulierbarkeit ihrer Reaktionen zusätzlichen Hand-
lungsspielraum verschafft und sie so zu einem
p o l i t i s c h e n Instrument macht. Sehr unabhängig hat sie
zu entscheiden, wann eine "Gefährdung der öffentlichen Sicher-
heit" zu konstatieren ist; dabei muß sie freilich ein Auge darauf
haben, was die Jungs von der anderen Sparte der geteilten Staats-
gewalt gerade wieder als "öffentliches Sicherheits b e-
d ü r f n i s" entdecken. Und dazu wiederum sind direkte Anwei-
sungen, wie sie ein Fan der Gewaltenteilung ständig vermutet, gar
nicht vonnöten: die Bedingungen, unter denen Richter
e n t s c h e i d e n müssen, regeln alles von selbst, auch die
Hektographierung von Haftbefehlen.
Vom Rechtsstaat
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darf also jeder erwarten, daß er schon hält, was er verspricht.
Schließlich verspricht er ja schon nichts anderes, als daß es
rechtmäßig zugeht, wenn er etwas durchsetzt - und das ist für
den, der das Recht selbst setzt, kein allzu großes Kunststück.
Das Kunststück liegt eher bei den betroffenen Bürgern, die von
dem unheimlichen Angebot an F r e i h e i t e n (als Rechte,
die einem der Staat einräumt, früher gelegentlich betrachtet)
inzwischen nur noch in der Weise G e b r a u c h machen wollen,
daß sie sich im rein ideellen Besitz dieser hohen Güter
bescheiden und jeden noch so matten Versuch anderer, ihre
Freiheiten auszunutzen, als kompletten M i ß b r a u c h
derselben verurteilen. Gegeneinander nehmen sie sich also schon
alle Freiheit heraus und berufen sich dazu wechselseitig auf die
staatliche Ordnung, die ja immer ihre sein soll. Das gibt dann
bekannt trostlose "soziale Konflikte": Die Hausbesetzer werden
von Leuten der Anarchie geziehen, die ihren Willen zur
Unterordnung unter dem Namen des Anstands und der Rechtlichkeit
partout als i h r e eigene Erfindung betrachten wollen - den
Alternativen fällt umgekehrt genau dasselbe ein, bloß daß
i h r e Bedürfnislosigkeit und Kreativität (lateinisch für:
alles selber machen) das glatte Gegenteil und zukunftsweisende
Vorbild für die anderen sein soll; Oberschüler distanzieren sich
mit der intelligenten Bemerkung "Steine sind keine Argumente" von
Demonstranten, als ob ausgerechnet der Staat ein Argument wäre -
umgekehrt lassen die letzteren sich die Einbildung angelegen
sein, sie stünden kurz vor der physischen Explosion, als ob sie
bis vor dem kritischen Moment einen Dialog nach dem andern
vorgehabt hätten; in den jüngsten Auseinandersetzungen wollten
gar alle miteinander jeweils durch ihre fiktiven Gegenspieler den
"Ruf" ihrer Stadt, ihres Landes und ihrer Nation in Gefahr sehen:
Nürnberg durch die CSU, die Bundesrepublik durch die SPD, usw.
Wie ein roter Faden zieht sich durch diesen ganzen Blödsinn, den
sich erwachsene Menschen wie auf Kommando gemeinsam freiwillig
ausdenken, ein einziger Gedanke: Jeder will den anderen auf seine
ideale Ordnungsvorstellung verpflichten, weil er damit seiner
Botmäßigkeit gegenüber der wirklichen Staatsordnung den Anschein
der höheren Berechtigung und Notwendigkeit verschafft; das muß ja
ein Gefühl sein. Kein Wunder, daß sich der Staat selbst jedes
Jahr mehr herausnimmt! Bis es soweit ist.
II. Eine Protestbewegung, die sich vom Recht gern überzeugt
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Eins ist schon merkwürdig: Da hat es seit APO-Zeiten keine Demon-
strationen von Schülern gegen staatliche Umtriebe gegeben - sie
gingen brav zur Schule und weder die bundesrepublikanische Unter-
stützung des Schah-Regimes noch der Bau von Kernkraftwerken in
Bayern waren ihnen ein Anlaß zum Protest. Seit Anfang März ist
das ganz anders: Gleich drei Demonstrationen fanden unter reger
Beteiligung der Nürnberger Schülerschaft statt. Was ist da bloß
passiert, daß man sich so massiv herausgefordert sieht, sein Da-
gegensein zu demonstrieren?
Mit den Aktivitäten der Hausbesetzer, deren Demonstration der An-
laß fürs staatliche Zuschlagen war, hat man ja auch wenig am Hut;
die Anzahl der tatsächlichen Hausbesetzer ist eher mickrig und
vorangegangene Demonstrationen gegen die Räumung der besetzen
Häuser zeichneten sich auch nicht gerade durch massenhafte Teil-
nahme von seiten der Jugend dieser Stadt aus. Die "Betroffenheit"
durch den Polizeieinsatz, die plötzlich jeder für sich rekla-
miert, verdankt sich offenbar einer theoretischen Sympathie für
die Hausbesetzer, die den Jugendlichen als Repräsentanten des
Ideals gelten, das sie von sich selber haben: Ohne irgendeine be-
stimmte Kritik an den staatlichen Zumutungen zu haben, legen sie
Wert darauf, als kritische Jungbürger zu g e l t e n und ver-
langen vom Staat die A n e r k e n n u n g dieses Status. Und
nur, wenn sie diese bedroht sehen, dann geht's aber los!
Dabei bedarf diese S e l b s t darstellung des eigenen kriti-
schen Engagements, das an nichts etwas auszusetzen hat und sich
in der selbstgefälligen Zurschaustellung eines inhaltsleeren Da-
gegenseins genug ist, auch noch eines Anlasses, bei dem
"Unschuldige" und "Unbeteiligte" mit unter die Räder kamen, um in
ihrem Dagegensein das Dafür nicht aufgeben zu müssen. Wer als
kritisches Mitglied der Gesellschaft anerkannt sein will, das
sich "selbstverantwortlich" um seine eigenen Probleme kümmert,
kann sein kritisches Selbstverständnis zur Geltung bringen: Erst
wenn der Staat zuschlägt, o b w o h l doch gar niemand etwas
Böses getan hat, fällt so jemandem ein, daß er doch unbedingt
kritisieren können wollen darf! Der Witz dabei ist, daß die Schü-
ler auf diese staatstreue Kritik noch nicht einmal von, alleine
gekommen sind. Daß ein polizeiliches Vorgehen wie in Nürnberg
eine "Gefährdung" der Demokratie bedeute, weil es die jungen Men-
schen gegen den Staat aufbringen würde, mußte ihnen erst der So-
zialkundelehrer ins Ohr blasen. Dementsprechend albern nehmen
sich auch die auswendiggelernten Sprüche aus: Da stellen sich
doch Schüler tatsächlich hin und verkünden lauthals, daß die CSU
mit ihrem harten Vorgehen ihnen Gründe an die Hand geben könnte
(!), das "Vertrauen in den Rechtsstaat zu verlieren". Mit einem
solchen Standpunkt verliert man dieses Vertrauen nie und nimmer,
denn diese mit einer Unbotmäßigkeit kokettierende 'Drohung' an
den Staat geht ja von der Illusion und Forderung aus, der Staat
sei für das "Gelingen" "unserer Ordnung" ganz furchtbar auf eine
Jugend angewiesen, die sich nicht eines tumben Untertanenbewußts-
eins befleißigt, sondern in "kritischer Solidarität" zum Rechts-
staat steht. Wobei noch einmal zu bemerken ist, daß dieses
"kritische Bewußtsein" auch nur dann auf den Plan tritt, wenn man
dessen Möglichkeit für gefährdet zu erachten beliebt. Dabei
könnte einem bei dieser Andienung an den Staat doch immerhin auf-
fallen, daß sich der Staat einen Dreck um die Begeisterung der
Jugend für ihn schert (und das nicht nur in Bayern) und er auch
angesichts dieser Sorte von Dagegensein sich sicher sein kann,
daß nach zwei Wochen das Theater vorbei ist.
Den Gipfel der Empörung - im doppelten Sinne - hat man an Nürn-
bergs Schulen anläßlich des "Maulkorbs", den man Nürnbergs Schu-
len umhängen will, erklommen. Die Anweisung der Kultusbürokratie,
keine weiteren Diskussionen über den Polizeieinsatz zu führen,
bot den prächtigen Anlaß, die Kritik-Erlaubnis-Diskussion in der
zweiten Potenz zu führen: Jetzt regt man sich darüber auf, daß
man sich nicht drüber aufregen darf, daß man nicht Kritik äußern
darf. Denn mal ehrlich: 1. ist bei der Diskussion an den Schulen
eh nur das Unverhältnismäßigkeits-Argument gefallen, 2. i s t
das doch schon überall diskutiert, warum will man es dann noch
zum einhundertfünfzigstenmal diskutieren? Und 3. gäbe es ohne das
Verbot von Diskussionen von seiten des KuMi für Schüler doch eh
keinen Anlaß zu weiterer Aufregung. Oder hat irgendeiner im Sozi-
alkundeunterricht schon mal gefordert, über die geplante Einfüh-
rung eines Wehrkundeunterrichts an Deutschlands Schulen zu disku-
tieren?
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