Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
zurückDAS ÖFFENTLICHE RECHT - EIN SCHUTZ DES BÜRGERS VOR DEM STAAT?
"Der Staat darf nicht alles" heißt es, weil er ans Recht gebunden sei. Daß dem "Verfassungsprinzip des Rechtsstaats (...) zufolge alle Beziehungen zwischen der Staatsgewalt und dem Bürger solche des Rechts sind" (20), heißt zunächst nicht mehr, als daß die an- geblich "unverbindlichen Regeln", die die Staatsgewalt für ihre Bürger erläßt, a l l g e m e i n gelten. Daß die Exekutive ans Recht 'gebunden' sei, hat nichts anderes zum Inhalt als den Wil- len der Staatsgewalt, sich an die eigenen Beschlüsse zu halten, bis sie anders beschließt und das Gesetz ändert. Mit der "Bindung der Staatsgewalt an das Recht" wird also sichergestellt, daß in jedem einzelnen Staatshandeln der einmal beschlossene Zweck zur Geltung kommt und die privaten Kalkulationen und Interessen der Staats f u n k t i o n ä r e sich dem unterzuordnen haben - al- les andere wäre 'Willkür'. Da muß es verwundern, wenn die Me- thode, die Einheitlichkeit des staatlichen Zugriffs auf seine Bürger sicherzustellen, als Schutz d e s B ü r g e r s vor staatlicher Willkür verstanden wird. "Der Staat darf nicht alles" - das soll beruhigend sein? -------------------------------------------------------- Wer so spricht, ist sich schließlich in einem sicher: seiner to- talen Unterworfenheit unter und Abhängigkeit von der Staatsge- walt. Nur unter dieser Voraussetzung macht sich ja der Stoßseuf- zer breit, daß der Staat seine Allmacht, die man ihm zubilligt, nicht "ausnutzt". Ja wie sieht denn der Staat aus, der nicht al- les darf, weil er ein Rechtsstaat ist? Wird einem durch das Recht irgendeine Vergiftung durch die chemische Industrie, die Ver- strahlung durch AKWs, die notorischen Arbeitsunfälle und Berufs- krankheiten oder gar der Heldentod fürs Vaterland erspart? Nein. Niemand sieht darin ernsthaft einen Verstoß gegen das Recht, weil alle Schädigungen von Leben und Gesundheit in Ordnung gehen, wenn sie im Dienste der Nation anfallen. Und jede dieser Schädigungen ist durch ein extra Gesetz g e r e g e l t, statt verboten: durch Gesetze über MAK-Werte am Arbeitsplatz die Vergiftung, durch Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung die Verstrahlung der Menschheit, durch Wehrpflichtgesetze das Soldatenhandwerk. Soll man es sich angesichts dessen als enormen Schutz einleuchten lassen, daß der Staat auch noch ganz anders k ö n n t e? Jede Schädigung, die er w i l l, hat er schließlich gesetzlich ge- regelt. Wovor man also geschützt ist, sind Schädigungen, die der Staat gar nicht will, weil sie nicht seinem Interesse entsprin- gen. Und das ist er auch schon, der ganze Vorteil des rechtlichen Schutzes vor staatlicher Willkür. Die Beruhigung darüber, daß der Staat nicht alles darf, ist also recht einfach zu haben: Mittels eines billigen Konjunktivs sieht man von allen tatsächlichen un- gesunden staatlichen Ansprüchen an sein Volk ab und malt sich ganz g r u n d- und z w e c k l o s e Schädigungen des Bür- gers aus - und schon geht jede Staatsmaßnahme, die es wirklich gibt, prinzipiell in Ordnung. Der Gedanke, das Recht für einen Schutz vor staatlicher Willkür zu halten, taugt also nur zu ei- nem: unabhängig von dem, was mit einem angestellt wird, sich in der Demokratie gut aufgehoben zu fühlen; denn: Es hätte ja noch schlimmer kommen können. Wer schützt wen wovor? ---------------------- Die Vorstellung eines allmächtigen, gleichwohl gezügelten Staa- tes, wie sie in dem Spruch "Der Staat darf nicht alles" enthalten ist, ist für sich genommen schon nicht besonders helle. Vollstän- dig lächerlich wird sie jedoch, wenn man fragt, w e r denn die Schranken staatlicher Macht setzt: das Recht. Wenn das Recht den Bürger vor dem Staat schützen soll, dieses aber, wie jedermann weiß, von diesem selbst gesetzt wird, dann wird der Bürger vor dem Staat durch diesen selbst geschützt. Das ist so, wie wenn der Mafiaboss Don Corleone von seiner Klientel Schutzgelder eintreibt dafür, daß er sie mit seinen Killerkommandos verschont. Dort freilich durchschaut jedermann diese Technik als Erpressung. Nun ist die Staatsgewalt freilich keine private, sondern behauptet das Monopol auf Gewalt. Glaubwürdiger wird dadurch der Gedanke eines Schutzes aber nicht gerade. Denn wenn dem Menschen als Schutzmacht gegen den Staat nur dieser selbst einfällt, macht er schon wieder ausgerechnet seine t o t a l e U n t e r w o r f e n h e i t unter die Staatsgewalt zum Argu- ment für das Gegenteil. Mit den Schranken, die der Staat sich selbst setzt, ist es also nicht weit her. Schließlich wird m i t dem Recht regiert und jeder Zugriff auf Geld, Leben, Gesundheit und Eigentum der Bürger geschieht mittels des Rechts. Wenn er sich für diesen Zugriff Grundsätze und Prozeduren gibt, so sollte man dies nicht verwech- seln mit einer Relativierung des Staatsinteresses. Gewiß, Bürger können auch gegen staatliche Entscheidungen vor Gericht klagen. Aber eingerichtet hat diese Prozedur Vater Staat selbst und um eine Sabotage seiner Vorhaben durch private Interessen, denen e r den Rechtsweg weist, wird es ihm dabei nicht gegangen sein. Vielmehr stellt er nichts anderes sicher, als daß bei der Durch- führung seiner Zwecke nicht gegen diese verstoßen wird. AKW-Geg- ner in der BRD könnten eigentlich ein Lied davon singen, wie in den Verfahren über die Rechtmäßigkeit von AKWs ihr Interesse un- ter die Räder kam. Den Klagen von Bauern, AKWs ohne Berstschutz dürften nicht genehmigt werden, hat der Staat ein gewisses Ge- wicht verliehen, weil sie ihn an ein s t a a t l i c h e s In- teresse gemahnten, das mit dem unveränderten Weiterausbau der AKW-Industrie konfligierte. Da wurden z w e i s t a a t l i- c h e Interessen vor Gericht gegeneinander abgewogen: das Inter- esse an einer Atomwirtschaft und das Interesse, einer benutzbaren Bevölkerung nicht schlagartig verlustig zu gehen durch den Super- Gau. Die Gerichtsurteile, die in dieser Sache ergingen, wider- legen die Illusion, das Verwaltungsrecht und seine Prozeduren des Bürgereinspruchs seien ein probates Mittel des Bürgers gegen das staatliche Atomprogramm - sie dienten seiner Fortführung. Die Grundrechte --------------- Wer solcherart mit seinem Anliegen vor den Schranken des Rechts scheitert, erinnert sich gern an den staatsbürgerlichen Unter- richt und dessen frohe Botschaft über die Grundrechte: "Sie sollen seinen Bereich individueller Freiheit schützen, in den der Staat nicht eindringen und über den er nicht verfügen darf." (14) Wenn schon die normalen Gesetze nicht tauglich sind für die fromme Vorstellung eines Schutzes v o r dem Staat, so soll we- nigstens das Grundgesetz, dem die Gesetze nicht widersprechen dürfen, ein Beleg dafür sein, an dieser Meinung festhalten zu können. Vernünftig ist dies freilich nicht. Denn wenn beim posi- tiven Recht von einem Bürgerschutz nichts zu sehen ist und ande- rerseits höchstrichterlich aus Karlsruhe verlautet, es liege kein Verfassungsverstoß vor, dann liegt ja eigentlich der Schluß auf der Hand, daß es auch bei den Grundrechten darum nicht geht. Die gute Meinung, der Staat v e r z i c h t e mit den Grund- rechten auf einen Zugriff auf die Bürger, indem er ihnen einen Freiraum ihrer Betätigung läßt, hat allerdings den kleinen aber entscheidenden Umstand verpaßt, daß hier die höchste Gewalt etwas g e w ä h r t. Wenn schon die bloße Voraussetzung, sich etwas vornehmen zu können, das Leben, zum gnädig gewährten Recht wird, sollte man stutzig werden. Bei jedem Privatmann würde man die Äu- ßerung "Du darfst leben" als Bedrohung auffassen, sie zurückwei- sen oder sich nach den Konditionen erkundigen, unter denen man am Leben gelassen wird. Denn wer die Macht hat, ein Recht zu gewäh- ren, setzt damit auch schon die Bedingungen, unter denen der so Beschränkte sich bewegen darf. Es ist also mitnichten so, daß der ungesunde Zugriff des Staates auf die Bürger dort beginnt, wo das Recht aufhört oder gebrochen wird. Mit den famosen Grundrechten ist umgekehrt ganz grundsätzlich festgelegt, daß jede Regung der Untertanen für i h n da zu sein hat. Mit der Gewährung von Freiheit, Unverletztlichkeit der Wohnung, Leben etc. macht er s e i n Interesse an der Nützlichkeit des Staatsvolkes zum Kriterium, an dem jeder sich messen lassen muß. Es ist daher nicht verwunderlich, daß immer dort, wo eine Betätigung der Bür- ger sich gegen ihn richtet, das Grundrecht auch schon gleich ver- wirkt ist. Es ist daher auch k e i n Verstoß gegen das Recht auf Leben, wenn in Deutschlands Unternehmen nicht wenige um Leben und Gesundheit gebracht werden, denn so liefert ja ihr Leben den erwünschten Dienst am Reichtum der Nation ab. Schon gar kein Ver- stoß liegt vor, wenn eine halbe Generation fürs Vaterland im Krieg über die Klinge springt. Wohl aber ist Abtreibung ein Straftatbestand. Selbst beim Allerprivatesten, dem Kinderkriegen, zählen private Interessen nicht als Entscheidungskriterium. Der Staat ist Herr über Tod u n d Leben - also befiehlt er die Aus- tragung des von den Eltern nicht gewollten "ungeboren Lebens" da, wo die 'Freiheit der Person' dem staatlichen Anspruch auf genü- gend Menschenmaterial zu dienen hat. Die paar gesetzlichen Aus- nahmen der "Indikation" bestätigen die Regel. Das öffentliche Recht schützt also tatsächlich - nur eben nicht das Individuum und seine Interessen v o r dem Staat, sondern die von der Staatsgewalt anerkannten maßgeblichen Zwecke wie Ehe, Eigentum etc., weil und s o w e i t sie für ihn nützlich sind. Der Schutz ist im wesentlichen einer vor "unsachgemäßer" Inan- spruchnahme dieser hehren Güter und damit die Sicherstellung, daß sich die Menschen im Dienst an diesen Institutionen bewähren und nicht umgekehrt. Daß die meisten dabei alt aussehen, ist im Sinne der Veranstaltung und kein Gegensatz zu ihr. (Zitate: Informationen zur politischen Bildung (BRD) Nr. 216: Recht 1987) zurück