Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
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Prof. Isensee in 'Bild am Sonntag':
DER BÜRGER HAT EIN RECHT - AUF UNTERWERFUNG!
In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist ein "Recht
auf Widerstand" verankert. Aus gegebenem Anlaß treten berufene
Staatswissenschaftler nun an die Öffentlichkeit, um klarzustel-
len, daß die Demokratie tatsächlich die einzige Staatsform ist,
die ihren Bürgern etwas e r l a u b t: nämlich bedingungslos
f ü r sie einzutreten. Alles andere ist "Mißbrauch" jener gran-
diosen Freiheitsrechte, also v e r b o t e n. Freilich ist
nicht gerade die Logik das schlagende, was solchen Gedankengängen
die Zunge führt. Der Bonner Jurist Prof. Josef ISENSEE legt in
seinem BILD-Interview auf diese Feststellung großen Wert. Zur
Friedensbewegung, die sich auf jenes Recht gerne beruft, sind ihm
nämlich drei freie Gedanken eingefallen:
1. Widerstand ist verboten
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"Hier wird das Vorbild Gandhis mißbraucht. Sein gewaltfreier Wi-
derstand richtete sich gegen eine gewalttätige... Kolonialmacht.
Wir haben es mit einem demokratischen Rechtsstaat zu tun. Solange
aber die staatsbürgerliche Freiheit der politischen und juristi-
schen Auseinandersetzung gesichert ist (und das ist sie), kann
kein angeblich politischer oder rechtlicher Mißbrauch das Wider-
standsrecht auslösen" (BamS, 11.9., S. 30 f. wie auch alle ande-
ren Zitate).
Wie schön sich das doch fügt: die Demokratie, die das Wider-
standsrecht in ihre Verfassung schreibt, setzt es gleichzeitig
für die Zeit ihres Bestehens außer Kraft! Schließlich sei Gegner-
schaft ja überflüssig, weil und insofern dem Bürger mit dem
Rechtsweg eine andere Möglichkeit der Auseinandersetzung mit
staatlichen Maßnahmen offenstehe. Und dieser pure Verweis auf die
Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen - die in nichts weniger be-
steht, als die eigene Unzufriedenheit mit bestimmten herrschenden
Zuständen von einer a n d e r e n staatlichen Stelle auf ihre
Berechtigung p r ü f e n lassen zu dürfen -, soll dem demokra-
tischen Rechtsstaat das Attribut "gewalttätig" nehmen. Kritik am
Staat soll also gerade angesichts der Möglichkeit, sie zu äus-
sern, a u s g e s c h l o s s e n sein! Der Nachweis, daß der
demokratische Rechtsstaat den Titel 'Gewalt' nicht verdiene,
kommt eben ohne solche Totschlägerargumente nicht aus. ISENSEE
freilich sieht die charakterlose Widersprüchlichkeit ganz auf der
anderen Seite der Barrikade:
"Der pazifistische Fundamentalist... verschmäht ja auch die Ver-
fahren nicht, die das deutsche Recht... bereitstellt. Er benutzt
die staatlichen Verfahren (und zwar exzessiv), aber er unterwirft
sich ihnen nicht. Er akzeptiert die Entscheidungen der Rechtsor-
gane, soweit sie seinen Zwecken dienen. Soweit sie nicht in sein
Konzept passen, verwirft er sie, damit bleibt er die eigentliche
Friedenspflicht des Staatsbürgers schuldig: nämlich die Bereit-
schaft, auch eine Niederlage vor Gericht... hinzunehmen."
Hoppla, Herr Isensee! Wenn die korrekte Stellung des Bürgers zum
Recht in seiner Unterwerfung unter j e d e s Urteil liegt, ist
es ja wohl mit der B e n u t z u n g des Rechtes auch durch den
Obsiegenden nicht weit her. Denn w a s klagt man denn ein, ge-
nau besehen? Ein geschädigtes Interesse, ein unerfülltes Bedürf-
nis? Wohl kaum! Bekanntlich kann kein armer Mensch wegen der Tat-
sache, daß er Geld zum Leben b r a u c h t, darauf hoffen, daß
die Justiz ihm welches verschafft - es sei denn man hat es ihm
w e g g e n o m m e n, (und das ist nun gerade n i c h t das
Problem gewesen); und bekanntlich kann kein Demonstrant gegen die
Aufrüstung der BRD einklagen, ihm sei es zu blöd, für staatliche
Interessen verheizt zu werden - es sei denn, er weist nach, daß
die Indienstnahme der Bürger für und durch den Staat d e s s e n
(nur zur Erinnerung - selbst gesetzten!) Prinzipien und Erfolgen
widerspricht (was ein Ding der Unmöglichkeit ist).
ISENSEEs "Analyse" gleicht also mehr dem geharnischten Plädoyer
eines ehrgeizigen Staatsanwaltes, der die Verderbtheit des Ange-
klagten a u s m a l t, vor Gericht zu stehen (warum wohl?)
u n d gleichzeitig auf seine Geltung zu pfeifen. Als ob der Bür-
ger das Recht annehmen oder verschmähen könnte wie einen Lottoge-
winn; als ob also "Benutzung" des Rechts anders denn als Unter-
werfung unter es existierte! ISENSEE "argumentiert" also mit dem
durch und durch abgesicherten Faktum, daß auch der demokratische
Staat in der Tat kein Interesse daran hat, seine eigene Behinde-
rung, gar noch Beseitigung rechtlich zu gewährleisten. Nur: Wel-
chen Unterschied sollte es dann aber noch vom Standpunkt des ge-
schädigten Interesses geben, ob es nun rechtsstaatlich oder durch
englische oder andere sowjetische Fremdherrscher gedeckelt wird?
2. Widerstand ist feige...
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Getreu dem law-and-order-Motto 'Was nicht (erlaubt) ist, darf
auch nicht sein' läßt sich Prof. ISENSEE zu einem Sittenbild über
den deutschen Bürger hinreißen, das sich gewaschen hat:
"Die Grundstimmung ist Angst. Das beginn mit der Ölkrise von
1973, als die Industriestaaten Westeuropas ihre Abhängigkeit und
Verletzbarkeit... demütigend zu spüren bekamen... Die Unter-
gangstimmung hat heute Hochkonjunktur... 'Mut zur Angst' gilt als
moralische Leistung; Angst wird gepredigt und eingeübt und den
politischen Zielen der Bio-Pazifisten nutzbar gemacht. Diese
Mode-Angst ist auch eine Folge der Sicherheit, die unsere Gese-
haft seit langem... genießt. Sicherheit erzeugt aber das Bedürf-
nis nach Aufregung und Schreckensschauer, nach Horrorkitzel und
Gruselwonne."
Daß ISENSEE sich nicht so recht entscheiden kann, ob er die Angst
nun aus der Unsicherheit oder aus der Sicherheit Europas ableiten
soll (als gewissenhafter pluralistischer Denker glatt beides
zugleich behauptet), liegt daran daß über eines längst entschie-
den ist: Angst mitten im, gar vorm demokratischen Rechtsstaat -
das k a n n nur Einbildung sein! Der Popanz des übersättigten
Wohlstandsbürgers, der alles hat und sich aus lauter Langeweile
in perverse "Gruselwonnen" stürzt, kommt dabei ohne einen einzi-
gen Beleg an der Wirklichkeit Deutschland '83 aus - wie sollte er
auch? Denn wer Raketenpolitik schlicht in "Sicherheit" für den
Staat und seine Untertanen übersetzt, der verlangt, dies für
einen "Genuß" zu halten, den Vater Staat seiner Herde
g e s c h e n k t hat: die Frage, erst recht ihre negative Be-
antwortung, nach dem P r e i s der wehrhaften Freiheit verbie-
tet sich da wie von selbst! So wenig diese Chimäre über die Wirk-
lichkeit aussagt, so verräterisch ist sie also hinsichtlich der
Forderungen, die ISENSEE an ein national zuverlässiges Volk
stellt: daß jemand sein Überleben, und sei es als Wunschvorstel-
lung, über die Bereitschaft für die Nation stellt, ist für ISEN-
SEE der Skandal fügt sich auch der scheinbare Widerspruch zusam-
men, daß ein Haufen dekadenter Schlotterhosen imstande sein soll,
ständig wider die Rechtsordnung zu löcken und sie gar in Gefahr
zu bringen.
3. ... und verlangt die Wehrkraft der ganzen Nation
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"Wenn die biopazifistische Bewegung den demokratischen Staat
lahmlegt, wird sie zum Staatsstreich. Dann löst sie tatsächlich
den Widerstandsfall aus: Alle (?!) Deutschen wären im äußersten
Fall dagegen zum Widerstand aufgerufen."
Da soll noch einer sagen, aus der Geschichte wäre nichts gelernt
worden: Deutsche, Ihr habt nicht nur die Pflicht, sondern auch
das Recht, gegen undeutsches Gesindel zu marschieren!
Ein professoraler Aufruf zur gewalt? I wo! Stinknormales Staats-
recht!
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