Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
zurück 5 Jahre Haft für Ingrid StroblDER RECHTSSTAAT STELLT KLAR
Die österreichische Journalistin Ingrid Strobl wurde letzten Freitag in Düsseldorf zu 5 Jahren Haft "wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zu einem Sprengstoffatten- tat" verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Frau Strobl durch den Kauf eines Weckers (Marke "Emes Sonochron") Bei- hilfe zu dem 1986 durch die Revolutionären Zellen verübten Bom- benanschlag auf ein Kölner Lufthansagebäude geleistet hat. So ein Wecker hatte dort als Zeitzünder fungiert. Das Urteil ---------- ist insofern bemerkenswert, als die Justiz darin vorführt, wie souverän sie sich aus einer Beweisnot bei der Überführung von Leuten befreit, die sie für strafwürdig befindet. Was da als Tatindizien gewürdigt wurde, verdient es durchaus, als Fort- entwicklung der bisher gängigen Rechtspraktiken bezeichnet zu werden. "Allein der Kauf des Weckers sei 'ein bedeutsames Indiz für eine Tat'." (WR) stellte der Richter Arendt in seiner Urteilsbegrün- dung fest. Auf dieses allein wollte er sein Urteil aber nicht ge- stützt wissen. Darum fügte er als weitere folgende hinzu: 1. Die Gesinnung der Angeklagten: --------------------------------- "Die Themen, zu denen die RZ Anschläge verübten, Abschiebepraxis und Sextourismus, seien ihr 'auf den Leib geschrieben'."(taz) Nach dem Motto: "Es trifft schon keinen Falschen", lassen sich heutzutage offensichtlich auch Urteile fällen. Wenn der Verdacht einmal gegeben ist (Weckerkauf), braucht offensichtlich weder der tatsächliche Wille zu der bestimmten Tat noch der praktische Be- zug zu den Tätern und deren konkreter Tatabsicht nachgewiesen werden. Wenn das Gericht einen zum geistigen Sumpf des Terroris- mus zurechnet, hat es damit auch schon ein Indiz für die Unter- stützung der fraglichen Tat. Von nun an ist die Beweislast umge- kehrt: Die Angeklagte hätte beweisen müssen, daß sie mit der Tat nichts zu schaffen haben kann. Und das dadurch, daß sie den Rechtsstaat bei der Verfolgung der Täter vorbehaltlos unter- stützt. Anderenfalls ergibt sich ein weiteres Indiz gegen sie: 2. Die fehlende Kooperationsbereitschaft: ----------------------------------------- "'Die Weigerung Ingrid Strobls, X' Namen preiszugeben, erklärte der Richter zu einem Ausdruck 'seltsamer politischer Moral', die den 'Grundsätzen einer Ganovenehre' entspräche." (taz) Daß sie den Namen des Mannes nicht preisgab, dem sie ihren Wecker weitergab, beweist für den Richter, daß erstens dieser X zum Tä- terkreis gehört haben muß, zweitens Frau Strobl dessen kri- minellen Willen geteilt hat. Hätte Frau Strobl diesen Anschuldi- gungen rechtgegeben, hätte sie sich vielleicht nach Kronzeugenma- nier aus der Affäre ziehen können. Daß sie dieses Angebot aus- schlug, beweist für das Gericht wiederum ihre besondere 'krimininelle Energie'. Wer nicht positiv Partei ergreift für die Strafverfolgung des Rechtsstaats, überführt sich - einmal einer Tat verdächtigt - selbst als Rechtsbrecher. So kommt noch folgendes Indiz zustande, das das Gericht endgültig davon überzeugte, daß die Angeklagte hinter Schloß und Riegel gehört: 3. Die mangelnde Achtung der Justiz: ------------------------------------ Frau Strobls Schlußwort, sie bekenne sich schuldig, "die kalte Amnestie für NS Verbrecher und deren tragende Rolle bei der Eta- blierung des Staates Bundesrepublik nicht hinnehmen zu können" und ihre Bemerkungen in diesem Zusammenhang von "Klassenjustiz" ließen dem Senat "die Galle hochkommen". (FR) Für das Gericht war damit bewiesen, daß Frau Strobl eine krimi- nelle Vereinigung unterstützt; die Indizienkette war abgeschlos- sen. Eines läßt sich diesem Verfahren auf jeden Fall entnehmen: Daß die Ansprüche des Rechtsstaats an die seiner Gewalt Unterworfenen radikaler werden. Die Umkehrung der Beweislast, wie sie auch in den gerade beschlossenen Sicherheitsgesetzen eingeführt ist, setzt sich in Sachen Behandlung der Kritiker des Staates immer mehr durch. So erweist sich das Recht als ein stets zu effekti- vierendes Mittel der Demokratie, politische Gegner abzuservieren. Die Urteilsschelte ------------------ war nicht weniger im Trend der Zeit als das Urteil selbst: "Es sei weder ein 'Ruhmesblatt' noch ein Zeichen 'für eine souve- räne und humane Justiz' so Monika Ganseforth (SPD)." (WR) Ein schlichtes Geschmacksurteil ist das Richtige, wenn man mit der politischen Absicht der zuschlagenden Staatsgewalt d'accord geht, aber linke Wählerstimmen sammelt. "Humaner" hätte das Ur- teil ausfallen können! Daß die Justiz, wenn sie unmißverständlich zuschlägt, nicht "souverän" genug war, muß einem auch erst einmal einfallen! "Einen Skandal nannte... der Fraktionsvorstand der Grünen das Ur- teil. 'Die Verurteilung von Ingrid Strobl wegen ihrer kritischen Einstellung zur Gentechnik und den diese schützenden Staats- organen zu fünf Jahren Haft ist ein Akt der Gewalt', hieß es in ihrer Stellungnahme." (FR) Den wievielten Skandal haben die Grünen eigentlich damit ent- deckt, um ihrem Image als parlamentarischer Anwalt der Kritik im Lande Genüge zu tun und zur Tagesordnung überzugehen? Daß sich Frau Strobl auch noch für von den Grünen anerkannte politische Ziele eingesetzt hat, macht - wohlgemerkt - d i e H ö h e der Strafe zu einem "Akt der Gewalt". - Keine Sorge, Ihr Grünen, als Kritik am Rechtsstaat kann die Stellungnahme nicht mißdeutet wer- den. Die Sorge um die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats ist das einzige was unserer kritischen Öffentlichkeit zu diesem Prozeß einfällt "Das Urteil ist maßlos... Daß bei den Richtern Skepsis überhaupt keinen Eingang fand, das Prinzip 'in dubio pro reo' nicht einmal in kleinen Einschüben zur Geltung kam, überzeugt nicht. Die Dis- kussion über den umstrittenen Paragraph 129a des Strafge- setzbuches wird nun wieder neu angefacht werden." (FR) Schade eigentlich, daß das Urteil den Herrn Kommentator der FR nicht überzeugen konnte, aber vielleicht kam es dem Richter dar- auf auch gar nicht an. Hat er Sorge, daß ihm zur Diskussion um den § 129a nicht Neues mehr einfällt? Sein Einfall ist doch schon ganz gut: "Man sollte ihn lieber auf sich beruhen lassen!" "Die einseitige Interpretation ihres Verhaltens in Verbindung mit dem Paragraphen 129a StGB reichte dem Gericht völlig aus. So ha- nebüchen diese gesamte Beweisführung auch ist, sie macht klar, daß diese Gerichtsverhandlung mit Rechtsfindung nicht mehr zu tun hat. Sie gibt jenen recht, die diese Verhandlung von vorneherein als Farce abtaten und davon ausgingen, daß das Urteil längst feststehe. Insbesondere macht es auch den Charakter des Pa- ragraphen 129a, die Basis dieses Urteils, einmal mehr als einen Gummiparagraphen deutlich, der nach Belieben und politischer Op- portunität angewandt und ausgelegt werden kann. Mit Rechtsstaat hat das nichts mehr zu tun." (taz) Starker Tobak, der letzte Satz. - Aber der Kommentar ist ja auch der für die etwas "andere" Tageszeitung. Eine unfähige Justiz schafft es eben doch immer wieder, die unseligen linken Vorur- teile über den Rechtsstaat zu bestätigen. Darin liegt laut taz also der eigentliche Skandal. Eins steht fest: Die BRD ist um ein "Skandal"-Urteil reicher, von dem bald keiner mehr redet. zurück