Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
zurück Das Parlament erläßt dauernd neue Gesetze, Richter erteilen Blan- koschecks, die Polizeigewalt schlägt zu:DIE GEWALTENTEILUNG BEWÄHRT SICH
Ob, wie im vergangenen Jahr in Frankfurt, ein Demonstrant von ei- nem Wasserwerfer der Polizei verfolgt und getötet wird; ob, wie im Sommer in Hamburg und seitdem mehrmals in anderen Städten, die Polizei eine ganze Demonstration einkesselt, stundenlang festhält und mit ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung die Grundlage zur Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenzen schafft; ob in Brokdorf, an der "Startbahn West", in Wackersdorf und anderswo polizeiliche Brutalst-Einsätze seit Monaten oder gar Jahren an der Tagesord- nung sind; ob schließlich, wie am vergangenen Wochenende in Re- gensburg, eine ganze Stadt in den Belagerungszustand versetzt wird - ein V e r g l e i c h dieser und ähnlicher Maßnahmen mit einschlägigen Vorgehensweisen weniger zivilisierter oder gar "totalitärer Regimes" soll ganz und gar unmöglich sein. Es ist, so buchstabiert die westliche Demokratie ihren Bürgern vor, eben nicht die p o l i z e i l i c h e T a t, die den Unterschied ausmacht, sondern w e r welcher Sorte Staatsgewalt das Zuschla- gen befiehlt, soll da die ganze Differenz ausmachen: Hüben eine freie westliche Demokratie - drüben eben der Feind, der daher auch "Unrechtsstaat" heißt. Weil hierzulande ein R e c h t s s t a a t herrscht, sollen dessen Taten per se etwas anderes, nämlich wohl begründet und gerechtfertigt sein. Der S a c h e nach freilich besteht die ganze Differenz darin, daß die Demokratie die Kritik an ihren Maßnahmen gleich als ihre ei- gene Unterabteilung institutionalisiert hat, und so jeder Art von Unzufriedenheit die gebotenen Bahnen weist: Im Parlament --------- sind die Oppositionsparteien die Instanz jedes erlaubten Einwands gegen staatliche Vorhaben. In den mehrheitlichen Parlamentsbe- schlüssen, die den staatlichen Vorhaben Gesetzeskraft verleihen, ist Kritik damit im doppelten Sinne aufgehoben: Sie ist angehört worden und hat nach der parlamentarischen Beschlußfassung endgül- tig jedes Recht auf Einspruch verwirkt. Der Rechtsweg --------- freilich steht nach wie vor zur Verfügung - aber eben auch n u r der. Jeder Einwand gegen staatliches Vorgehen darf dieses von un- abhängigen Gerichten am Gesetz messen lassen. Weder irgendeine staatliche Maßnahme noch der bürgerliche Einspruch dagegen wird da bezüglich ihres I n h a l t s überprüft, Gegenstand der richterlichen Überprüfung ist einzig, ob der Staat sich an seinen eigenen I n s t a n z e n w e g, seine eigenen Gesetze gehalten hat. Im Urteil steht dann endgültig letztinstanzlich und unwider- sprechlich fest, daß der Staat durfte, was er tat - und daran hat der Bürger sich eben zu halten. Für staatsbürgerlichen Unmut schließlich, der immer noch nicht befriedet ist - und daß die von oben vorgezeichneten Kanäle er- laubter Kritik es bezüglich der Befriedigung irgendeines sachli- chen Interesses seiner Bürger beileibe nicht bringen, damit rech- net der Rechtsstaat sehr fest! - hat der Gesetzgeber den Gang auf die Straße, das Demonstrieren ----------------- erlaubt. Darin sieht er nämlich einerseits einen Vorteil: das Volk, dem er einiges zumutet, kann Dampf ablassen und sein Müt- chen kühlen. Es darf sein Anliegen zu Gehör bringen - dafür, et- was praktisch d u r c h z u s e t z e n, ist eine Demonstration eh nie vorgesehen. Auf der anderen Seite unterliegen solche De- monstrationen bürgerlicher Unzufriedenheit einem sehr prinzipiel- len staatlichen Verdacht: Stets wird da schon allein wegen der F o r m, der - wenn auch bloß symbolischen - Aufkündigung des bürgerlichen Gehorsams, der heimliche Übergang zum Aufruhr gewit- tert. Weswegen Demonstrationen seit alters her entsprechender richterlicher Beaufsichtigung und peinlichster polizeilicher Be- obachtung unterliegen. Der Rechtsstaat begradigt seine (Rechts-)Wege --------------------------------------------- Den von ihr vorgezeichneten rechtsstaatlichen Instanzenweg befin- det die BRD mittlerweile für entschieden zu umständlich. "Nicht dauernd mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumzulaufen" (FJS), "nicht so pingelig zu sein" (Adenauer) - diese kritische Selbst- betrachtung des Rechtsstaats als sein - einziges! - "Hindernis" ist die mittlerweile oberste Leitlinie: Gesetze werden zur Behe- bung des neuerdings dauernd entdeckten "Rechtsnotstands" im Schnellverfahren durch die Instanzen gejagt - und gegebenenfalls staatlichen Eingriffen hinterhergeschickt; längst ist es guter demokratischer Brauch, daß gegebenenfalls eben Staat und Polizei zuerst handeln und sich dann den gesetzlichen Auftrag dazu aller- erst (v)erschaffen - als B e h i n d e r u n g staatlicher Maß- nahmen waren Gesetze schließlich eh nie erfunden worden! Und so mußte denn auch keiner der massiven Polizeieinsätze der letzten Zeit ohne richterliches Urteil, dessen Rechtmäßigkeit betreffend, auskommen: So stand denn im Falle des Nürnberger 'KOMM', der ersten ein- schlägigen Massenverhaftung der jüngeren deutschen Geschichte, eine beliebige Anzahl hektographierter Haftbefehle zur Verfügung, in die nur noch Name samt Delikt der später Verhafteten einzutra- gen waren, die eben dem Richter zum Zeitpunkt der Ausstellung des vorsorglichen Haftbefehls noch gar nicht bekannt waren; so ver- fügte vor einigen Tagen als in Göttingen die Polizei 408 Besucher eines Jugendzentrums stundenlang festhielt und dann Stück für Stück erkennungsdienstlich behandelte, die Polizei über eine richterlichen Blankoscheck, der ihr Vorgehen vorab als "total ge- setzmäßig" qualifizierte: "Das Verhalten der Polizei ist total gesetzmäßig und im V o r h i n e i n (als 'das Verhalten' noch gar nicht passiert war!) richterlich überprüft worden", sagte ein Ministeriumsspre- cher." (FR, 3.12.86) Eine solche Blankovollmacht für alles, was die Polizei zum Anlaß ihrer Einschreitung nehmen wollte, stand ihr schließlich auch in Regensburg aus höchst richterlicher Feder zur Verfügung: Verbot der Regensburger Tagung der WAA-Kritiker und mit ihr gleich sämt- licher "Ersatztagungen" "überall in Bayern", die die Polizei als solche definieren wollte. Mit der Begründung: "Die Veranstalter wollen Ansichten vertreten oder (!) Äußerungen dulden (!), die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfol- gendes Verbrechen zum Inhalt haben." (Nach FR vom 1.12.86) Welcher Veranstalter von Diskussionen kann schon von sich aus diesem höchstrichterlichen Totalanspruch gerecht werden, vorab Gewähr dafür zu leisten, daß kein Diskussionsteilnehmer in den Augen der Polizei "über Gewalt diskutiert"?! Die Veranstalter se- hen sich vom Gericht am I d e a l d e r P o l i z e i gemes- sen, die allein durch die ihr - und nur ihr - zu Gebote stehende Gewalt zur verordneten Nicht-'Duldung' einschlägiger Äußerungen in der Lage ist. Um dann eben ganz nach Gusto und polizeitakti- schen Erwägungen für zu leicht befunden zu werden vor diesem An- spruch, sich selbst als Polizei aufzuführen. Diese Aufgabe muß dann eben gegebenenfalls die Polizei selber übernehmen - natür- lich nicht etwa aus eigener Machtvollkommenheit heraus, sondern streng rechtsstaatlich in Erfüllung ihrer Pflicht, den Anordnun- gen der Gerichte Geltung zu verschaffen... So korrigiert der Rechtsstaat selbst das Mißverständnis, das er selbst jahrelang als durchaus nützliche staatsbürgerliche Idiotie gepflegt hatte: Der Bürger hätte in Gesetz und Justiz eine Handhabe gegen irgend- welche staatlichen Maßnahmen. Das ganze Versprechen des Rechts- staats heißt eben noch nicht mal, daß sich da auch nur f o r m e l l verschiedene Instanzen gegenüberstehen und wech- selweis kontrollieren. Wenn und weil sich Exekutive und Justiz in der Sache sehr einig sind, geht eben jedes Anliegen der Obrigkeit in Ordnung, und die Talare der Richter sind der rechtsförmliche Mantel um sämtliche Staatsnotwendigkeiten, die dieser entdeckt... Die Öffentlichkeit ------------------ schließlich erfüllt ihre staatstragende Pflicht als "vierte Ge- walt" nachgerade vorbildlich. Sonst jederzeit bereit, "Skandale" namhaft zu machen und so für die Klarstellung zu sorgen, w a s ein "Skandal" genannt zu werden verdient - Schädigungen des Bür- gers durch Armut und andere staatliche Beschlüsse nie und nimmer, (erfundene) Pflichtvergessenheiten von Staatsagenten gegenüber ihrem nationalen Auftrag zu Verarmung und bedingungs- und rück- sichtsloser Durchsetzung dagegen jederzeit! - hat die nationale freie Presse es im Falle der Belagerung Regensburgs für einzig verantwortlich gehalten, diese schlicht t o t z u s c h w e i- g e n. Wer nicht unmittelbar vor Ort wohnt, hat so gleich gar nichts von der Staatsaktion in und um Regensburg erfahren - da heißt die Devise offenbar, daß eine "Nachricht" in diesem (wie ähnlichen) Fällen eben nicht per se ein gelungener Beitrag dazu ist, dem Volk mitzuteilen, wofür es sich zu interessieren hat und auf welche 'Sachlagen' und staatliche Beschlüsse es sich ab sofort einzustellen gilt. Wo die Belagerung Regensburgs denn überhaupt ein paar Zeilen wert war, gehört diese "Nachricht" sofort mit ein paar zeitgleich angesägten Strommasten im Oberpfälzerland gekoppelt: "Drei Anschläge auf die Bundesbahn Demonstration in Regensburg Bundeskongreß der Kernkraftgegner durch Gerichtsbeschluß verbo- ten" (FAZ 1.12.) auf daß der Leser auch ja gleich weiß, wie er die Polizeiaktion einzuordnen bat: Deren 'guter Grund' steht für begriffsstutzige Gemüter in der Hauptüberschrift, obwohl es bei dem Polizeieinsatz in Regensburg weder um den Schutz von Strommasten noch um anderes Kleinholz ging. Kritik gab's auch noch ---------------------- In der Lokalpresse mußten die Ereignisse dem Regensburger, der sie ja immerhin mit eigenen Augen gesehen hatte, immerhin staats- dienlich gedeutet werden. Die WOCHE hat dem Skandal, der keiner werden soll, den rechten Platz auf Seite 15 hinter einem Dutzend Verkehrsunfällen, Eifersuchtsmorden und anderen erbaulichen Triebtaten eingeräumt und dort zusammen mit der MITTELBAYRISCHEN die heiße Frage nach der "VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL" aufgeworfen. "An die 1200 Polizeibeamte standen höchstens 500 Kernkraftgegnern gegenüber." (WOCHE 4.12.86) - das erscheint der Presse übertrieben. Man schießt nicht mit Kanonon auf Spatzen! Weniger hätten's auch getan. Was es? Das Verbieten, Einkesseln, Verhaften? Das - oder so etwas ähnliches - ist doch gemeint. Das staatliche Anliegen teilen und dann Geschmacksfragen wälzen! Nach den Journalisten müßte sich der Innenminister halt richten, die machen jede Schweinerei besser und eleganter. Wenn man "höheren Orts" aber nicht auf sie hört, dann rächen sie sich: Vom Stand- punkt perfekter Ruhe und Ordnung aus finden sie Demonstranten und Polizisten lächerlich übertrieben; erleben eine Massenverhaftung als "skurrile Begegnungen im blauflackernen Licht" (MZ-Schlag- zeile), denen sie komische Seiten abgewinnen: "An Verkehr gab es mit zunehmender Stunde immer weniger für die einen zu blockieren, für die anderen zu regeln. Dennoch meinte der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei gegen ein Uhr, poli- zeiliche Präsenz sei vonnöten, solange die 'provozierenden Ver- kehrsbehinderungen' nicht aufhörten. Er saß in einem grünen Jeep, der mit eingeschaltetem Licht seit langem auf der Fahrbahn des Arnulfsplatzes stand und eine der beiden Fahrspuren blockierte." (MZ 1.12.86) zurück