Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
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Der Fall Brückner
SUMPFAUSTROCKNUNG ANNO 1981
Als Nachspiel zur großen Intellektuellen-Hetze gegenüber angebli-
chen "geistigen Vätern" und "Sympathisanten" der RAF im Jahre 77
stand jüngst der Professor Peter BRÜCKNER in einem Disziplinar-
verfahren vor Gericht. Sein Dienstherr vom niedersächsischen Wis-
senschaftsministerium warf ihm vor, er habe "bei Äußerungen zu
politischen Themen das Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung ver-
letzt und gegen die Pflicht verstoßen, sich durch sein gesamtes
Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beken-
nen."
Unabhängig davon, wie das Urteil in diesem Verfahren ausgefallen
ist, ist der Vorwurf, der einem Wissenschaftler von den Politi-
kern gemacht wird (die auf "Mäßigung und Zurückhaltung" nicht
achten müssen), eine Ungeheuerlichkeit. Wenn er sich einmal
p o l i t i s c h mißliebig gemacht hat, dann wird ihm nach-
drücklich klargemacht, worin der Z w e c k der "Freiheit der
Wissenschaft" besteht; und an seiner Person wird gerichtlich
überprüft, ob wissenschaftliche Begriffe erlaubt oder verboten
sind. Der Vertreter des Wissenschaftsministeriums zog generöser-
weise seinen Verdacht, ob der Begriff "Klassenstruktur" nicht po-
lizeiwidrig ist, im Laufe des Verfahrens zurück, bestand jedoch
darauf, daß BRÜCKNERS Urteil über den Sozialstaat, dieser sei nur
ein "schönes Wort", gegen das beamtenrechtliche Mäßigungsgebot
verstoße. Mit anderen Worten: Über den Sozialstaat anders als be-
schönigend zu urteilen, ist staatsfeindlich. Weiteres Beispiel:
BRÜCKNERS Äußerungen über Abgeordnete, die "in ihrer Phantasie
das Volk vertreten", habe jegliche Wissenschaftlichkeit deutlich
verlassen. Im Klartext: Wissenschaftliche Aussagen über den Staat
sind dann wissenschaftlich, wenn sie eine eindeutige Parteinahme
für die Staatsgewalt zum Ausdruck bringen.
Ein Wissenschaftler, den die Politiker mit der P f l i c h t
d e r W i s s e n s c h a f t zur B o t m ä ß i g k e i t
konfrontieren, hat offenbar auch vor Gericht damit zu rechnen,
als quasi schon mit der Anklage überführter Staatsfeind behandelt
zu werden. BRÜCKNERs Richter jedenfalls legten im Rahmen ihrer
Gesinnungsinquisition noch jede Äußerung des Angeklagten in die-
sem Sinne aus. "Kommt da nicht der Eindruck Ihrer Distanz zur
Staats- und Gesellschaftsordnung auf?" war ihre stereotype Vor-
haltung an BRÜCKNER und der Vorsitzende scheute nicht vor der ge-
wagten Logik zurück, aus geäußerter Kritik am Staat einen begrün-
deten Verdacht auf Befürwortung von Gewalt und daraus einen Be-
weis im Sinne der Anklage ("nicht jederzeit treu zur FDGO" usw.)
zu schlußfolgern. Das Gericht verfügte denn auch mit dieser Be-
gründung eine Kürzung der Dienstbezüge BRÜCKNERS (dafür muß er
die Kosten des Verfahrens tragen). Daß er seiner Professur nicht
vollends verlustig ging, nimmt sich da schon wieder als Gnade der
Justiz aus. Übrigens: Die Gründe, die seine Wissenschaftlerkolle-
gen zu BRÜCKNERs Verteidigung vortrugen, teilten häufig den Maß-
stab der Unterwürfigkeit, den die staatlichen Organe in diesem
Prozeß dem Wissenschaftler BRÜCKNER abverlangten. So lobte ihn
sein Kollege Jürgen SEIFERT, Dekan der Fakultät, als "klassischen
deutschen Professor", der "als Hochschullehrer integrierend"
wirke. Höhepunkt von SEIFERTs unverschämter "Würdigung": Kein
einziger von BRÜCKNERS Studenten sei "in die Terrorszene gera-
ten"! Die Qualität eines wissenschaftlichen Lehrers bemißt sich
an der Staatstreue derer, die er ausbildet; das sagt hier ein
Hochschullehrer über seinen eigenen Stand!
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