Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?
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Der Veranstaltungskommentar
ASTA-VERANSTALTUNG ZUM PARAGR. 129 A
Dienstag, 30.6., 18-22 Uhr, HZO 10. Einigkeit herrscht unter den
Podiumsdiskutanten und den 400 Besuchern: alle sind g e g e n
den Paragr. 129 a, der "die Werbung oder Unterstützung für terro-
ristische Vereinigungen" unter Freiheitsstrafen stellt. Gewonnen
war mit dieser Einmütigkeit allerdings nichts; denn gerade die
geladenen Redner waren nicht gewillt, ihre Kritik an diesem
Staatsschutzparagraphen o h n e R e l a t i v i e r u n g e n
vom Standpunkt des Rechts zu äußern. So kam jene Trostlosigkeit
auf, daß liberale und linke Winkeladvokaten eine staatliche Ver-
fügung, deren Absicht politisch Oppositionelle wirksam kaltzu-
stellen - wahrlich nicht schwer zu entziffern ist, j u r i-
s t i s c h zu problematisieren anhoben. Da ist es dann sehr
üblich, die Frage nach der W i r k s a m k e i t eines Pa-
ragraphen zu stellen, wie es Prof. HERZBERG tat. Daß "böse (!)
Gesinnung" bestraft gehört, ist dem Strafrechtler sonnenklar;
doch "genügen dafür nicht die gegebenen Möglichkeiten des Straf-
gesetzbuchs?", lautet das gemütliche Argument eines guten Gesin-
nungstäters, der überflüssigerweise anmerkte, daß er "keinen Po-
litiker ersetzen" könne. Muß er ja auch nicht. Es langt, wenn er
wie einer denkt. Leider schienen die Pfiffe, die HERZBERG ern-
tete, weniger dieser Sorte Begutachtung denn seinem geschniegel-
ten Auftreten zu gelten. Denn genau dieser Logik, ein Vorgehen
der Staatsgewalt gegen politische Gegner nach dem Kriterium der
Angemessenheit zu beurteilen, folgten auch diejenigen Redner,
denen nicht zu knapper Beifall zuteil wurde.
Ob Rektor EPSEN den Paragr. 129 a als "m i ß r a t e n e Straf-
gesetzgebung" und juristische Akribie" geißelte, ob Rechtsanwalt
DECKERS eine "i n f l a t i o n ä r e Verwendung des Begriffes
Terrorist" angriff und seine Berliner Kollegen STRÖBELE und
SCHILY den Paragraphen als "uferlos" und "V o r verlagerung des
Staatsschutzes" charakterisierten - mit all diesen kritischen At-
tributen, auf denen die Betonung liegt, zeigen sie, was sie an
der Existenz des Paragr. 129 a bekritteln: nicht die Verfolgung
politischer Gegner durch den Staat, sondern eine Verfolgung von
möglicherweise "harmlosen" Menschen.
Besonders peinlich ist diese Haltung, wenn sie aus der linken
Ecke kommt: Wo der Staat mit der weitläufigen Formulierung der
"Werbung" seinen Willen ausdrückt, seinen Feinden (auch wenn er
eine solche Einstellung nur vermutet) frühzeitig und drastisch
auf die Füße zu treten, haben ausgerechnet die Betroffenen dieser
Regelung nichts Billigeres zu tun, als zwischen den Opfern des
Paragr. 129 a zu differenzieren, - sie zu s o r t i e r e n.
Denn so angst und bange einem bei der Schilderung der Fälle wer-
den kann, in denen dieser Paragraph angewendet wird, einen Grund
dafür, von einem "Gummiparagraphen" zu reden, der "eine Abgren-
zung des (!) Tatbestandes unmöglich macht" (SCHILY) gibt es des-
halb noch lange nicht. Nur wenige Redner aus dem Publikum monier-
ten, daß der Spruch von der "Flächenwaffe" und alle ähnliche Be-
zeichnungen in Richtung "Uferlosigkeit" allein einer
D i s t a n z i e r u n g (also dem Gegenteil von Kritik) von
denen dienlich sind, die es - "berechtigterweise" und "nicht aus-
geufert"? trifft. Denn wo anders soll der Unterschied wohl noch
liegen als darin, daß die einen "es verdienen" und die anderen
nicht? Das ist eben die saublöde Konsequenz eines Standpunkts,
der der Justiz nach ihren eigenen Maßgaben vorrechnen will, ob es
sich um "Schuldige" oder um "Unschuldige" handelt, und nicht des-
halb dagegen ist, einfach weil sie Opfer schafft. Dieser Kritik -
wie fatal und trostlos es nämlich ist, den Paragr. 129 a als
quasi überzogene Maßnahme gegen das sog. "normale" Vorgehen der
Justiz kritisch aufzurechnen - begegnete der laut WAZ "relativ
geschickt moderierende Bochumer Anwalt ZIMMERMANN" mit einer ge-
lungenen Rechtfertigung des Abends: Nicht das Recht, sondern die-
sen "Sonderfall" habe man zu kritisieren. Insofern es in der bür-
gerlichen Justiz usus sei, daß "der Bürger weiß, was ihn bei
Rechtsbruch erwartet", liege die besondere Verwerflichkeit des
Paragr. 129 a darin, "ihn eben darüber im unklaren zu lassen".
Das ist lustig: Erst so tun, als werde politisch oppositionelle
Arbeit irgendwie angenehmer durch exakte Kenntnisse des Risikos,
um sich dann über eine Wischi-Waschi-Strategie der Staatsgewalt
zu beklagen. Als ob der Paragr. 129 a nicht deutlich zu verstehen
gäbe, daß unpassende Gesinnung immer, also prinzipiell, ihre Wi-
derlegung durch schwedische Gardinen erwarten darf.
Noch ein Wort zu jenen Beiträgen in der Diskussion, die vor allem
den Alternativen Parlamentspolitiker SCHILY korrekt darin angrif-
fen, mit seinen flotten Distanzierungen von "Gewalt als Mittel
politischer Auseinandersetzung" die Gewalt des Staates nach innen
und nach außen glattweg zu "vergessen": Warum eigentlich kann man
nicht gut und gerne darauf verzichten, die andere Seite als Re-
tourkutsche mit gerade jenen Etiketten zu bedenken, die sie einem
selber anhängt, nämlich "Verbrecher und Terroristen"? Ist das
Schlimme nicht vielmehr, daß S t a a t s gewalt ein besonderer
Einsatz von Gewalt ist, der Leute durch das Recht erst zu Verbre-
chern macht (nullum crimen sine lege!), während sie selbst dann
n i c h t zum Verbrecher wird, wenn auf ihren Befehl wesentlich
mehr Menschen gekillt werden als ein einzelner entsprungener
Zuchthäusler jemals schafft? In diesem Sinne: Polizisten sind
"unsere" Freunde und Helfer, Soldaten "unsere" Verteidiger, und
keine kriminelle Vereinigung oder Verbrecher. Fragt sich nur, was
das für uns heißt.
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