Quelle: Archiv MG - BRD RECHTSSTAAT ALLGEMEIN - Eine humanitäre Errungenschaft?


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       Das Ende des "Geiseldramas":
       

EIN FRESSEN FÜR DIE GEIER

Das polizeiliche Vorgehen gegen die Bankräuber von Gladbeck hat zwei Geiseln das Leben gekostet. Zwei Tote, die weiß Gott nicht s i n n l o s gestorben zu sein brauchen, so meinen die Geier von der Parteienfront. Denn eignen sich diese Toten nicht vorzüglich, um einmal wieder als Kritik an der SPD die Maßstäbe klarzulegen, die einzig Gel- tung verdienen, wenn der Staat die "Sicherheit des Bürgers" be- sorgt? So meinen die Christdemokraten: "CDU-Generalsekretär Geisler richtete indessen schwere Vorwürfe an die Adresse der SPD-regierten Bundesländer. Die zögerliche Haltung der Sozialdemokraten in wichtigen Fragen der Rechtspoli- tik und bei der Bekämpfung der Gewaltkriminalität habe die Poli- zei in Nordrheinwestfalen und Bremen völlig verunsichert. Als Beispiel nannte er gestern in Bonn das Fehlen einer Rechtsgrund- lage zur Anwendung des sogenannten "finalen Rettungsschusses" durch die Polizei." (Weser-Kurier, 23.8.88) Diesen Vorwurf, seiner Polizei beim Abschießen der Geiselnehmer Steine in den Weg gelegt zu haben, mag Innenminister Schnoor (SPD) nun wirklich nicht auf sich sitzen lassen. Schließlich "... waren die Einsatzleitung, die Polizeiführung und auch ich seit Donnerstag nacht der sicheren Meinung, die Täter müßten not- falls durch gezielte Schüsse, das heißt ihre 'Schießfähigkeit', ausgeschaltet werden." (Schnoor, im Spiegel 34/88) Diese Strategie, die Geiselnehmer "durch Zertrümmerung des Klein- hirns" (Fernsehvorführung) Schachmatt zu setzen, darf man sich mit Geisler als "Vorrang des Opferschutzes vor dem Täterschutz" zurechtlegen. Daß damit der Z w e c k verfolgt würde, die Un- versehrtheit der Geiseln zu sichern, wird gleichzeitig demen- tiert. Nicht nur wird freimütig berichtet, daß die Aktion der Po- lizei 1971 in München mit dem Tod einer Geisel endete und dennoch als E r f o l g bewertet wird. Leute wie Schnoor plaudern auch noch aus, wo das Herz eines Staatsmannes schlägt, wenn er die Wahrscheinlichkeit mindern will, daß beim Zugriff auf die Täter eine Geisel krepiert: "Auch mich hat es unglücklich gemacht, wenn ich merkte, wie am Bildschirm der Eindruck vermittelt wird, hier können Täter, Ver- brecher mit der Pistole in der Hand, sich wie Staatsmänner gerie- ren, nach Gutsherrenart sind sie mal gnädig gegenüber jemandem, dann drücken sie mal wieder einem Kind die Pistole an die Schläfe, und dann fragt man sich: Wo bleibt hier der Schutz der Opfer." (Schnoor, im Spiegel 34/88) Unglücklich ist dieser Mann also, wenn sich Verbrecher "wie Staatsmänner gerieren" können. Einzig letzteren steht es nämlich zu, von Amts wegen "gnädig" Leben zu gewähren oder zu versagen. Die Empfindung dieses Staatsmannes gilt also gar nicht der Tatsa- che, daß hier jemand zu Tode gekommen ist, der im Leben noch al- lerhand vorhatte. Sie gilt von vornherein der Verletzung des s t a a t l i c h e n H o h e i t s a n s p r u c h e s auf die alleinige Entscheidung über Leben und Tod. D i e s e m Stand- punkt erscheint es als Frevel an der Staatsautorität, wenn die Polizei nur um den Preis eines Verbrechers habhaft werden kann, daß dieser noch Gelegenheit bekommt, eine Geisel mitzunehmen. Und weil der Opferschutz einzig für den Schutz staatlichen Rechts auf ausschließliche Verfügung über Leben und Tod steht, ist der Tod von Geiseln ein, wenn nötig, i n k a u f g e n o m m e n e r P r e i s für das Geltendmachen der staatlichen Gewalt gegen den Verbrecher. Den Verbrecher einfach ziehen zu lassen, erscheint diesem Monopolanspruch auf Gewalt nämlich wie eine unerträgliche Beugung des Rechts, der auch auf Kosten der Wahrung des Rechts- gutes "Opferschutz" durchgezogen werden muß. Diese beiden hoheit- lichen Gesichtspunkte sind denn auch in der Dienstvorschrift der Polizei (Nr. 132) treffend zusammengefaßt: "Bei der Befreiung von Geiseln läßt sich nicht jedes Risiko auschließen. Bei übergeordneten Intereressen kann im Einzelfall eine erhöhte Gefährdung der Geiseln unumgänglich sein." (Zitiert nach Spiegel 34/88) Diese muntere Parteiendebatte, wer denn der beste Sachwalter der Staatssouveränität im Umgang mit Verbrechern genannt werden darf, wurde kürzlich bereichert um eine betont liberale Idee, betref- fend den Umgang mit Geiselnehmern: "Immer noch hat es sich in Parallelfällen als richtig erwiesen, Gangster mit Geiseln und Beute zunächst in Sicherheit zu wiegen und ihren Forderungen nachzugeben, bis die Strafverfolgung ohne Gefahr für die Entführten auf Hochtouren gebracht werden kann ... Was zählt ein zeitlicher Vorsprung von Gangstern, die langfristig gesehen, einem kompletten nationalen und internationalen Polizei- apparat in der Regel unterlegen sind." (Heiko Wegener, im Weser- Kurier, 22.8.88) Da sage noch einer, kritische Geister wüßten den "totalen Überwa- chungsstaat" à la Zimmermann nicht zu schätzen, an dem sie anson- sten auch einmal herumnörgeln! In ihm haben sie schließlich das Mittel entdeckt, das "Dilemma" der Politik bei Geiselnahmen zu überwinden: Man gebe den Forderungen zum Scheine nach, damit die Gangster gar nicht erst in Versuchung kommen, dem Staat in seine Hoheit über menschliches Leben zu pfuschen. Und dies in der Si- cherheit, daß der europa- und weltumspannende Sicherheitsapparat der Polizei den Gangstern keine Chance läßt, weil sie sich darin wie in einem Hamsterkäfig bewegen. Das ist für die liberalen Gei- ster aus SPD und FDP die überlegene Tour, Zimmermanns Anspruch auf staatliche Souveränität wahrzumachen: Gangster verhaften o d e r sein Recht auf Leben in Gestalt der Geiseln schützen - die Entscheidung i n n e r h a l b dieser Alternative braucht sich der Staat doch nicht von Verbrechern aufnötigen zu lassen! Die unangefochtene Geltung des Gewaltmonopols, das ist der einzig leitende Gesichtspunkt dieses Parteienstreits. Von wegen Opfer- schutz! zurück